Originalien Urologe 2014 · 53:1329–1343 DOI 10.1007/s00120-014-3558-5 Online publiziert: 22. August 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

M. Schenck · R. Eder · H. Rübben · C. Niedworok · S. Tschirdewahn Urologische Universitätsklinik Essen

Organ- und Funktionserhalt beim Nierenzellkarzinom Hintergrund und Fragestellung Die organerhaltende Nierentumorresektion hat sich zunehmend bei kleinen unilateralen Nierentumoren mit gesunder Gegenniere (elektive Indikation) etabliert und in den letzten Jahren rapide an Stellenwert gewonnen. Die Tatsache, dass immer öfter kleinere und asymptomatische Tumoren durch die Weiterentwicklung und den Einsatz bildgebender Verfahren wie Sonographie, Computertomographie (CT) und Magnetresonanztomographie (MRT) diagnostiziert werden, hat dazu geführt, dass sich in den letzten 20 Jahren die risikoadaptierte Therapie für diese Patienten mit kleinen asymptomatischen Nierentumoren durchgesetzt hat [3, 4]. Aus diesen Gründen wurde in den Leitlinien der europäischen Gesellschaft für Urologie die Nierenteilresektion als Standard in der Behandlung von pT1a-Tumoren (lokal auf die Niere begrenzter Tumor mit einem Durchmesser von 7 cm), ausgedehnte Parenchymresektion (>50%) oder eine zu lange Ischämiedauer (>1 h). In < 3% muss aufgrund schwerwiegender Komplikationen eine sekundäre Nephrektomie durchgeführt werden [36].

Originalien

Studiendesign und Untersuchungsmethoden Operationen und Patienten

Abb. 5 9 Inzision der Tumorkapsel. (Aus [62])

Abb. 6 9 Ligatur der Vasae arcuatae. (Aus [62])

Abb. 7 9 Verschluss der Nierenkapsel. (Aus [62])

1334 | 

Der Urologe 9 · 2014

In den Jahren 2007 bis einschließlich 2013 wurden in der Klinik für Urologie des Universitätsklinikums Essen 1657 Nierentumoreingriffe bei präoperativer Verdachtsdiagnose eines Nieren­ tumors durchgeführt. Davon wurden 1021 ­Nephrektomien (62%) und 636 organerhaltende Tumoroperationen (38%) durchgeführt (. Abb. 8). Neben Anamnese und körperlicher Untersuchung gehörte zur standardisierten Operationsvorbereitung die Sonographie der Nieren, Laboruntersuchungen (Hämoglobin, Kreatinin, Harnstoff und Harnsäure) und Urinstatus. Bei den Laborwerten wurden als Referenzwerte für Hämoglobin 12–16 g/dl bei Frauen und 14–18 g/dl bei Männern, für Kreatinin Werte 35 min

Abb. 10 8 Abklemmzeit bei der organerhaltenden Nierentumoroperation

n = Anzahl der Patienten

45

600

45 n = Anzahl der Patienten

50 40 35 30 25 20 15 10

6

0

Reintervention bei Blutung/Hämatom

Sekundäre Nephrektomie

368

präoperativ postoperativ

268 216

normal

erhöht

wie vor der Operation. Für den Nachweis von Erythrozyten im Urin war die Häufigkeit um den Faktor 3 erhöht (. Tab. 1).

Varianzanalyse Um der Frage nachzugehen, von welchen gegebenen Faktoren – neben dem kliniDer Urologe 9 · 2014

1.1 1.3 Mittelwert [mg/dl]

n = Anzahl der Patienten

n = Anzahl der Patienten

420

Bluttransfusion

197

100

70 13,7 erniedrigt

normal

10,5

Mittelwert [g/dl]

700

Abb. 13 8 Kreatininwerte im Verlauf

1338 | 

200

Abb. 12 8 Hämoglobinwerte im Verlauf

Abb. 11 8 Komplikationen 450 400 350 300 250 200 150 100 50 0

439

300

2 Intraoperative Blutung

präoperativ postoperativ

400

0

5

566

500

präoperativ postoperativ

598

600

541

500 400 300 200 100 0

25

76

erniedrigt

13 normal

19

erhöht

18,8 17,6 Mittelwert [mg/dl]

Abb. 14 8 Harnstoffwerte im Verlauf

schen Verlauf – eine Gabe von Erythrozytenkonzentraten abhängt, wurde der Einfluss des Geschlechts des Patienten untersucht. Obwohl von den 45 Patienten, die Blut bekamen, 32 Frauen waren, zeigte sich ein knapp nicht signifikanter Effekt (p=0,059) des Geschlechts auf die Gabe von Erythrozytenkonzentraten im χ2Test. Mit der Überlegung, dass eine grö-

ßere Tumorgröße eine größere Resektionsfläche bedingt, die wiederum für eine stärkere Blutung verantwortlich sein kann, wurde der Mittelwert der Tumorausdehnung von 3,5 (SD±1,6) cm auch für die beiden Untergruppen (transfundierte vs. nicht transfundierte) errechnet. Hier unterschieden sich zwar die Mittelwerte der Patienten, die im Verlauf des Kran-

kenhausaufenthalt Fremdblut benötigten (3,9; SD±1,5 cm), und der ohne Transfusionsbedarf (3,4; SD±1,6 cm), doch hatte dies laut Mann-Whitney-U-Test keinen signifikanten Effekt (p=0,075).

Laborveränderungen

Wenn die Tumorgröße nicht ausschlaggebend für eine spätere Bluttransfusion ist, könnte sie dennoch mit einem Abfall des Hämoglobins in Zusammenhang stehen. Tatsächlich hatten die Patienten ohne Hb-Abfall im Mittel mit 3,4 (SD±1,3) cm eine geringere Tumorgröße als die Patienten mit Hb-Abfall (3,6; SD±1,7 cm). Doch dieser geringe Unterschied der Mittelwert lässt die Unabhängigkeit beider Faktoren vermuten (p=0,956, Mann-Whitney-UTest). Der fehlende Einfluss der Tumorgröße als indirekter Indikator für die Menge des entfernten Nierengewebes auf eine postoperativ schlechtere Nierenfunktion (gemessen an einem Kreatininanstieg) konnte schon fast mit dem Vergleich der Mittelwerte geklärt werden. Dieser lag in beiden Gruppen bei 3,5 (SD±1,7 cm ohne Kreatininanstieg vs. SD±1,5 bei Kreatininanstieg). Der Mann-Whitney-U-Test ergab einen p-Wert von 0,826.

Hospitalisierungsdauer

Bei einer Spannbreite von 20 (3–23) Tagen um den Mittelwert von 7 (7,4; SD±3,9) Tagen sollten für die Dauer des stationären Aufenthalts bei organerhaltender Nierentumorresektion objektive Ursachen gefunden werden. Bei der Unterscheidung der Hospitalisierungsdauer nach Alter lagen Patienten, die jünger als 65 Jahre sind, 7,2 (SD±3,0) Tage im Krankenhaus, während es für die ältere Gruppe 11,2 (SD±3,9) Tage waren. Die nichtparametrische Korrelation nach Spearman zeigte, dass das Alter der operierten Patienten einen sig-

nifikanten Einfluss (p=0,018) auf die Gesamtliegedauer hatte, so dass ältere Patienten um durchschnittlich 4 Tage länger im Krankenhaus blieben, ehe sie entlassen werden konnten (. Tab. 2). Bezüglich des Geschlechts unterschieden sich die mittlere Hospitalisierungsdauer für Frauen (10,9; SD±3,3 Tage) und die für Männer (7,9; SD±3,2 Tage). Mittels Mann-Whitney-U-Test ergab sich für das Geschlecht ein signifikanter Effekt (p=0,004) auf die Krankenhausverweildauer. Nachdem sich bereits die Dauer des postoperativen Aufenthalts im Wachzimmer (21,8; SD±9,3 h) gegenüber dem auf der Intensivstation (33,5; SD±14,6 h) signifikant unterschieden hatte (p=0,032), wurde dessen Einfluss auf die gesamte stationäre Liegedauer ermittelt. Im Vergleich konnten Patienten mit postoperativer Überwachung im Wachzimmer am 9. Tag (9,4; SD±3,4 Tage) und Patienten auf der Intensivstation am 15. Tag (14,7; SD±4,2 Tage) entlassen werden. Der Mann-Whitney-U-Test bestätigte, dass eine postoperative intensivstationäre Überwachung mit einer insgesamt längeren Liegedauer einherging (p=0,005). Untersucht man die Liegedauer hinsichtlich der verwendeten Schmerztherapie, beträgt sie im Durchschnitt bei Periduralanästhesie 9,5 Tage (Standardabweichung ±3,1), bei Verwendung von Piritramid-Kurzinfusionen 10,1 (SD±3,3) Tage und bei PCIA-Pumpe ebenfalls 11,8 (SD±2,9) Tage. Trotz der unterschiedlichen Mittelwerte ermittelte der KruskalWallis-Test keinen Einfluss der verwendeten Schmerztherapie auf die Liegedauer (p=0,23). Da der Begriff schon impliziert, dass die postoperative Schmerztherapie – wenn überhaupt – nur Auswirkungen auf den postoperativen Verlauf und nicht auf die präoperative Vorbereitung hat, wurde hier der Kruskal-Wallis-Test auch mit der postoperativen Liegedauer durchgeführt.

Doch auch auf diese Größe scheint die Schmerztherapie keinen Effekt (p=0,19) zu haben. Eine peri- oder postoperative Blutgabe ist meist bei klinisch komplizierten Verläufen nötig. Daher ist anzunehmen, dass sich dies auch auf die Länge der postoperativen Krankenhausdauer auswirkte. Der Mittelwert der postoperativen Tage bis zur Entlassung lag bei 9,4 (SD±3,6) Tagen; Transfundierte wurden im Mittel 12,4 (SD±4,6) Tage und Nicht-Transfundierte 7,7 (SD±2,5) Tage nach der Operation entlassen. Der Mann-Whitney-UTest belegte einen signifikanten Einfluss der Bluttransfusion auf die postoperative Liegedauer (p=0,001, . Tab. 3).

Überlebens- und Rezidivraten

Die . Tab. 4 zeigt im vorliegenden Patientenkollektiv die 5-Jahres-Überlebensraten (5-JÜR), Rezidiv- und Lokalrezidivraten nach imperativer, elektiver und erweiterter elektiver Nierenteilresektion (n=636)

Diskussion Patientencharakteristik Mit 30% ist der Anteil der Patienten mit imperativer Indikationsstellung zur organerhaltenden Nierentumorresektion mit der Literatur vergleichbar. In einer anderen deutschen Untersuchung haben Becker et al. [37] 31,8% der 555 (n=175) Patienten wegen imperativer Indikation organerhaltend operiert.

Tumorcharakteristik Das ausgeglichene Links-rechts-Verhältnis bei den Nierentumoren spricht für ein sporadisches Auftreten. Ähnlich verhält es sich bei Lokalisation innerhalb der Nie-

500 450 400 350 300 250 200 150 100 50 0

433

präoperativ postoperativ

382 254 165 38 erniedrigt

6,3 normal

erhöht

5,3

Mittelwert [mg/dl]

Abb. 15 8 Harnsäurewerte im Verlauf

re: Ober- und Unterpol sind zwar etwas häufiger betroffen als das Mittelgeschoss, was aber an der etwas schwierigeren Operationstechnik bei Tumoren im mittleren Drittel liegen kann, weshalb in diesem Fall auch bei kleineren Tumoren in einigen Fällen die Nephrektomie bevorzugt wird. In der Arbeit von Seveso et al. [38] wird das doppelt so häufige Auftreten am Oberpol gegenüber dem Unterpol beschrieben. Dennoch sind auch hier Tumoren im Mittelgeschoss am seltensten. Mit 3,5 cm liegt die Durchschnittsgröße im Bereich der 4-cm-Grenze, bis zu der nach der aktuellen Leitlinie eine organerhaltende Resektion empfohlen wird [22]. Allerdings überschreiten 79 Tumoren die Grenze von 4 cm. Über eine Indikationsstellung bei Tumoren >4 cm herrscht nach wie vor eine internationale Diskussion: Gopalakrishnan [39] hat bei dieser Tumorgröße Zweifel wegen der onkologischen Radikalität der Operation und würde nur mit äußerster Vorsicht eine Indikation stellen. Patard et al. [40] betonen, dass bei sorgfältiger Patientenselektion die onkologischen Ergebnisse auch bei Tumoren >4 cm gut sind. Allerdings hat sich in dieser Untersuchung gezeigt, dass Operationsdauer, Blutverlust, Transfusionsbedarf und die Rate von Urinfisteln bei Tumoren >4 cm signifikant ansteigen, was aber dennoch keine Auswirkungen auf medizinische und chirurgische Komplikationen sowie die Krankenhausaufenthaltsdauer hat. Becker et al. [41] kommen zu dem Schluss, nach Möglichkeit auch bei größeren Tumoren einen Organerhalt anzustreben, wobei dies urologischen Zentren vorbehalten sein sollte. Ein Anteil benigner Tumoren von 15% im eigenen Kollektiv entspricht dem Ergebnis der Unter-

1340 | 

Der Urologe 9 · 2014

100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0

Anteil in %

n = Anzahl der Patienten

Originalien

präoperativ postoperativ

86

55

52 28

25

Leukozyturie [%]

Erythrozyturie [%]

30

Bakteriurie [%]

Abb. 16 8 Urinauffälligkeiten prä- und postoperativ (in %)

suchung von Lane et al. [42]. Allerdings gab es in den eigenen Daten keinen Anhalt dafür, dass der Anteil gutartiger Tumoren bei kleineren Tumoren höher ist; dies haben Frank et al. [43] dezidiert herausgearbeitet und konnten Lane et al. [42] bestätigen. Danach fällt der Anteil benigner histologischer Befunde von 46,5% bei Tumoren

[Organ and kidney function preservation in renal cell carcinoma].

The organ-preserving partial nephrectomy has increasingly established itself in small unilateral renal tumours (...
1MB Sizes 1 Downloads 6 Views