Schwerpunkt: Adipositas Internist 2015 · 56:121–126 DOI 10.1007/s00108-014-3535-5 Online publiziert: 1. Februar 2015 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 Schwerpunktherausgeber

H. Lehnert, Lübeck M. Reincke, München

D. Weismann1, 2 · S. Wiedmann2, 3 · M. Bala1 · S. Frantz2, 4, 5 · M. Fassnacht1, 2 1 Schwerpunkt Endokrinologie und Diabetologie, Medizinische Klinik

und Poliklinik I, Universitätsklinikum Würzburg 2 Deutsches Zentrum für Herzinsuffizienz, DZHI, Universität Würzburg 3 Institut für Klinische Epidemiologie und Biometrie, Universität Würzburg 4 Schwerpunkt Kardiologie, Medizinische Klinik und Poliklinik I, Universitätsklinikum Würzburg 5 Universitätsklinik und Poliklinik für Innere Medizin III, Universitätsklinikum Halle (Saale)

Adipositas und Herzinsuffizienz Aufgrund der steigenden Prävalenz der Adipositas und einer effektiven Therapie durch bariatrische Operationen gewinnt die Behandlung der Adipositas in Hinblick auf die Folgeerkrankungen immer mehr an Bedeutung. Mit zunehmender Dauer der Adipositas und zunehmendem Gewicht steigt das Risiko für eine durch Adipositas bedingte Herzinsuffizienz, aber auch für Folgeerkrankungen der Adipositas, die wiederum zu einer Herzinsuffizienz beitragen. Die frühzeitige Diagnose dieser Erkrankungen ist wichtig, erfordert aber eine entsprechende Sensibilisierung der behandelnden Ärzte. Zunächst können 2 Fragestellungen unterschieden werden, die jeweils die unterschiedliche Blickweise der Spezialdisziplinen auf das Problem widerspiegeln: 1. Welche Bedeutung hat eine Herzinsuffizienz bei der Behandlung einer Adipositas? 2. Welche Bedeutung hat eine Adipositas bei der Behandlung der Herzinsuffizienz? Das erste Szenario betrifft jüngere Patienten, die in der Adipositassprechstunde gehäuft behandelt werden und die für ihr weiteres Leben Unterstützung im Kampf gegen die Gewichtszunahme suchen (Einteilung der Adipositas s. . Tab. 1). Dieses Patientenkollektiv ist insbesondere von einer diastolischen Herzinsuffizienz betroffen, wahrscheinlich auch bereits früh

durch ein obstruktives Schlafapnoesyndrom (OSAS) gefährdet und entwickelt oft erst mit zunehmender Dauer der Adipositas die klassischen kardialen Risikofaktoren wie Hypertonus, Typ-2-Diabetes und Hypercholesterinämie. Durch bariatrische Operationen wird effektiv und langfristig das Körpergewicht gesenkt und zudem werden die mit Adipositas assoziierten Erkrankungen verbessert. Eine erhebliche Korrektur der Krankheitsbiographie ist möglich. Im zweiten Szenario werden Patienten mit einer manifesten Herzinsuffizienz behandelt [10]. Die Mehrzahl ist übergewichtig, viele sind adipös. Die Betroffenen sind i.d.R. älter, leiden seit Jahren unter dem Vollbild eines metabolischen Syndroms, das Körperschema hat sich der Realität angepasst. Die Therapie der Adipositas spielt eine zunehmend untergeordnete Rolle, bariatrische Operationen sind zudem bei Älteren nicht evaluiert. Einen kausalen Therapieansatz gibt es nicht, die Patienten werden von vielen Fachdisziplinen gleichzeitig behandelt, selten gelingt eine umfassende Therapie. Die Prognose ist ernst. Beide Szenarien sind Extrempunkte eines Kontinuums, führen aber zu unterschiedlichen Blickwinkeln und Prioritäten.

auf 300 Mio. an [31]. In Deutschland waren im Jahr 2009 etwa 48% (16 Mio.) der über 50-Jährigen übergewichtig und etwa 19% (6 Mio.) adipös [30]. Bis zum Jahr 2030 wird ein deutlicher Anstieg angenommen. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland vorne und wird vermutlich vorne bleiben. Adipositas ist mit einer Vielzahl an Erkrankungen assoziiert (. Tab. 2), am präsentesten sind die klassischen kardiovaskulären Risikofaktoren, wie z. B. ein Hypertonus. Allerdings ist Adipositas selbst ein eigenständiger Risikofaktor für kardiovaskuläre Krankheiten und ebenso für eine Herzinsuffizienz. Dabei ist ein gewichtsklassenabhängiger Effekt wahrscheinlich. Zuletzt wurden Daten publiziert, die im Vergleich zum Normalgewicht eine verringerte Mortalität bei Übergewicht, jedoch eine erhöhte Mortalität bei Adipositas Grad 2 und Grad 3 im Vergleich zum Normalgewicht zeigen [9]. In der Summe reduziert Adipositas die Lebenserwartung eines 40-Jährigen um 3 bis 6 Jahre und bei schwerer Adipositas sogar um bis zu 20 Jahre [3].

Epidemiologie

Im Gegensatz zu den klassischen kardiovaskulären Risikofaktoren hat Adipositas einen stärkeren Einfluss auf die Entwicklung einer Herzinsuffizienz als auf eine koronare Herzerkrankung (KHK; [19]). Vor allem entwickelt sich eine dias-

Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) waren im Jahr 1995 weltweit etwa 200 Mio. Menschen adipös und die Zahl stieg bis zum Jahr 2000

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Schwere Adipositas reduziert die Lebenserwartung um bis zu 20 Jahre

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Schwerpunkt: Adipositas Tab. 1  Gewichtsklassen Kategorie (nach WHO) Normalgewicht Übergewicht Adipositas Grad 1 Adipositas Grad 2 Adipositas Grad 3

Body-Mass-Index   (kg/m2) 18,5–24,9 25–29,9 30–34,9 35–39,9 ≥40

Tab. 2  Komorbiditäten mit Remission

nach bariatrischen Eingriffen. (Adaptiert nach [27]) Erkrankung

Migräne Depression Schlafapnoesyndrom Dyslipidämie Asthma bronchiale Hypertonus Gastroösophageale Refluxerkrankung Nichtalkoholische Steatohepatitis Stressinkontinenz Degenerative Gelenkerkrankungen Typ-2-Diabetes Polyzystisches Ovarsyndrom Venöse Ulzera Gicht

Besserung nach bariatrischer Operation (%) 57 55 74–98 63 82 52–92 72–98 90 44–88 41–76 83 80–100 95 77

tolische Dysfunktion (Adipositas-Kardiomyopathie). Sehr selten, wenn überhaupt, ist eine systolische Herzinsuffizienz allein auf eine Adipositas zurückzuführen (s. unten). Etwa 50% der Patienten mit einer Herzinsuffizienz haben eine normale oder fast normale linksventrikuläre Auswurffraktion (LVEF). Die Prävalenz der Adipositas bei Herzinsuffizienz mit erhaltener LVEF beträgt ca. 41% und bei eingeschränkter LVEF ca. 36% [1, 24]. Laut Framingham-Studie haben Übergewichtige ein signifikant höheres Herzinsuffizienzrisiko als Normalgewichtige und Adipöse wiederum ein signifikant höheres Risiko als Übergewichtige [11].

Kardiale Diagnostik bei Adipositas Die transthorakale Echokardiographie ist bei morbider Adipositas durchführ-

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bar und liefert reproduzierbare Ergebnisse, auch wenn die Schallbedingungen mitunter schlecht sind. Ebenso ist eine Ergometrie durchführbar. Die Spezifität nichtinvasiver Verfahren zur KHK-Diagnostik scheint aber schlechter zu sein und wird mit lediglich 39% angegeben [18]. Möglicherweise liegt das auch an einer vergleichsweise geringeren Prävalenz einer KHK von lediglich 45% bei Adipösen im Vergleich zu 72% bei Kontrollen dieser Studie [18]. Die Koronarangiographie stellt den Goldstandard zur Abklärung einer KHK dar [18]. Eine neuere Auswertung zeigt aber, dass die Untersuchung bei morbider Adipositas mit einem erhöhten Risiko für vaskuläre und kontrastmittelabhängige Komplikationen verbunden ist und zudem eine erhöhte Mortalität aufweist [4]. Ein Zugang über die A. radialis sollte erwogen werden. Technische Neuerungen machen Kardiocomputertomographien mit guter diagnostischer Qualität möglich [5]. Auch Myokardszintigraphien sind in 98% der morbid adipösen Patienten auswertbar [7]. Lediglich Magnetresonanztomographien können aufgrund der räumlichen Enge der Geräte gelegentlich nicht durchgeführt werden. Das zulässige Maximalgewicht für die jeweiligen Geräte ist zu beachten.

Adipositas-Kardiomyopathie Bei adipösen Patienten mit Dyspnoe oder Unterschenkelödem (. Abb. 1) muss eine Herzinsuffizienz ausgeschlossen werden. Dabei hat die Echokardiographie (. Abb. 2) denselben Stellenwert wie bei Nichtadipösen und sollte nicht aufgrund der vermutlich erschwerten Schallbedingungen verzögert oder gar unterlassen werden.

Kardiale Geometrie und Funktion Die Beschreibung der geometrischen und funktionellen kardialen Veränderungen bei Adipositas ist Gegenstand der Forschung. Erste Berichte haben eine exzentrische Hypertrophie nahegelegt, jüngere Untersuchungen beschreiben eher ein konzentrisches Muster [32]. Die EF bleibt typischerweise erhalten, während die linksventrikuläre Masse zunimmt und die Diameter sich vergrößern. Dabei

scheint die relative Wandstärke (2× PWd/ LVd) aber konstant zu bleiben. Die Vergrößerung betrifft zudem alle Herzhöhlen. Das E/A-Verhältnis als Zeichen einer Relaxationsstörung ist bei Adipositas gestört (. Abb. 2). Dies zeigt sich auch in Gewebedoppleruntersuchungen, im Rahmen derer eine vergleichsweise geringere Mitralanulusgeschwindigkeit beschrieben wird. Veränderungen lassen sich ebenfalls bei Deformitätsparametern beobachten, wie zirkumferenzieller und longitudinaler Strain, wobei die publizierten Ergebnisse teils widersprüchlich sind [26]. Eine recht gute Übereinstimmung scheint sich aber für einen verminderten zirkumferenziellen Strain und die Strainrate als Zeichen einer beeinträchtigten systolischen und diastolischen Funktion abzuzeichnen [26]. Dies wiederum zeigte sich auch schon bei adipösen Kindern und könnte somit ein frühes Zeichen der Entwicklung einer Herzinsuffizienz bei Adipositas sein [26].

Pathophysiologie Bei normotensiven Patienten mit Adipositas findet sich ein verminderter peripherer Widerstand zusammen mit einem erhöhten Blutvolumen. Es wird vermutet, dass dies zu einem erhöhten Schlagvolumen und dadurch zu einer Hypertrophie führt, aus der sich im Verlauf eine diastolische Herzinsuffizienz entwickelt. Dies wiederum erhöht den pulmonalvenösen Druck und kann eine Rechtsherzinsuffizienz begünstigen. Liegt hingegen eine Hypertonie vor, ist der periphere Widerstand erhöht. Auch scheint das Blutvolumen nicht erhöht zu sein. Echokardiographisch finden sich keine signifikanten Unterschiede im Vergleich zu einem Cor hypertonicum ohne Adipositas. Bei Adipositas ist stets ein OSAS abzuklären, da dessen Prävalenz bei Adipösen besonders hoch ist [14].

Hormonelle Veränderungen Die viszerale Fettmasse, die kardiale Steatose sowie die signifikanten Mengen an epikardialem Fett machen autokrine, parakrine und endokrine Interaktionen zwischen Fettgewebe und Herz wahrscheinlich. Beispielsweise finden sich er-

Zusammenfassung · Abstract höhte Leptinspiegel als Ausdruck der Adipozytenmasse. Durch den fehlenden anorektischen Effekt von Leptin bei Adipositas kann zudem von einer Leptinresistenz gesprochen werden. Die Therapie mit supraphysiologischen Leptindosen analog zur Insulintherapie bei Typ-2-Diabetes führt hingegen nicht zu einer nennenswerten Gewichtsreduktion. Leptin korreliert allerdings mit einer manifesten Herzinsuffizienz bei adipösen Patienten, sodass hier immer wieder ein kausaler Zusammenhang vermuten wird [29]. Adiponektin ist ein Hormon, das aus dem Fettgewebe freigesetzt und bei Adipositas vermindert sezerniert wird. Es scheint umgekehrt kardiovaskulär protektiv zu wirken. Jüngst wurde in Tierversuchen gezeigt, dass ein „small molecule adiponectin receptor agonist“ antidiabetisch wirkt und das Leben von adipösen ob/ob-Mäusen verlängert [23], obwohl bei Adipositas und Diabetes eine Adiponektinresistenz vorliegt. Auffällig sind zudem die vergleichsweise niedrigen Spiegel des N-terminalen Propeptids BNP (NT-ProBNP) bei gemeinsamem Vorliegen von Adipositas und Herzinsuffizienz [17, 28]. Einerseits könnte dies auf eine Unterschätzung der Herzinsuffizienz bei Adipositas durch NT-ProBNP hindeuten, theoretisch aber auch eine korrekte Risikoeinschätzung aufgrund eines möglichen protektiven Effekts der Adipositas anzeigen (AdipositasParadox). Zurzeit ist der Einsatz von NTProBNP bei morbider Adipositas nicht evaluiert.

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Ghrelin überspielt den anorektischen Effekt von Leptin Experimentelle, auf Tierversuchen basierende Daten, aber auch (sehr kleine) klinische Untersuchungen lassen einen günstigen Effekt von Ghrelin bei fortgeschrittener Herzinsuffizienz erwarten. Ghrelin wird aus dem Magen freigesetzt und ist im jetzigen Verständnis ein entscheidender Induktor der Nahrungsaufnahme. Hunger stimuliert Ghrelin, während die Nahrungsaufnahme selbst Ghrelin wieder supprimiert. Ghrelin überspielt sogar den anorektischen Effekt von Leptin. Bei schwerer Herzinsuffizienz wirkte sich

Internist 2015 · 56:121–126  DOI 10.1007/s00108-014-3535-5 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 D. Weismann · S. Wiedmann · M. Bala · S. Frantz · M. Fassnacht

Adipositas und Herzinsuffizienz Zusammenfassung Hintergrund.  Adipositas ist ein wesentlicher Risikofaktor für eine diastolische Herzinsuffizienz, die sog. Adipositas-Kardiomyopathie. Diagnostik.  Typischerweise findet sich bei normotensiven Patienten mit Adipositas ein verminderter peripherer Widerstand, ein erhöhtes Blutvolumen und eine verstärkte Herzarbeit, sodass Hypertrophie und diastolische Funktionsstörung die Folge sind, die echokardiographisch gut untersucht werden können. Liegt zusätzlich eine arterielle Hypertonie vor, unterscheidet sich die kardiale Geometrie nicht von einem Cor hypertonicum ohne Adipositas. Auch lassen sich die typischen Veränderungen, wie verändertes Blutvolumen und verminderter peripherer Widerstand, dann nicht mehr nachweisen. Ein obstruktives Schlafapnoesyndrom (OSAS) ist überdurchschnittlich häufig bei Adipositas, sodass ein Screening geboten ist. Der Herzinsuffizienzmarker N-terminales Propeptid BNP (NT-ProBNP) ist bei Adipositas aufgrund verminderter Werte nicht evaluiert und hilft differenzialdiagnostisch nur bedingt weiter.

Therapie.  Die konservative Gewichtsreduktion ist überaus schwierig und der Nachweis einer Verbesserung der Prognose wurde nicht erbracht. Hingegen kann mit bariatrischen Operationen die kardiovaskuläre Mortalität bei Adipositas gesenkt werden. Schlussfolgerung.  Nicht zuletzt durch die effektive Gewichtsreduktion infolge bariatrischer Operationen und die damit verbundene Verbesserung der Prognose rückt die Therapie der Adipositas immer mehr ins Blickfeld. Neben allen Schwierigkeiten, wie eingeschränkte Untersuchungsbedingungen im Ultraschall, sollte die kardiale Abklärung bei entsprechenden Symptomen unverzüglich und mit den etablierten Standardmethoden erfolgen. Schlüsselwörter Adipositas · Herzinsuffizienz · Echokardiographie · Bariatrische Operation · Gewichtsabnahme

Obesity and heart failure Abstract Background.  Obesity is an important risk factor for the development of heart failure. Diagnostics.  In normotensive obese patients, a reduced peripheral resistance is typically observed and is accompanied by an increased fluid volume and an increase in cardiac work, resulting in hypertrophy and diastolic heart failure, which can be visualized with echocardiography. However, in the presence of arterial hypertension cardiac geometry is not different to hypertensive heart disease without obesity. Furthermore, the typical changes found with obesity, such as reduced peripheral resistance and increased blood volume, are no longer present. Obstructive sleep apnea (OSA) is very common in obesity and warrants screening but levels of the heart failure marker N-terminal probrain natriuretic peptide (NT-ProBNP) might be misleading as the values are lower in obesity than in normal weight controls.

Ghrelin in einer kleinen Studie (n=10) günstig auf die LV-Funktion und den Blutdruck aus, erhöhte die Belastbarkeit und stoppte die Progression der Kachexie [20]. Widersprüchlich erscheint, dass bar-

Therapy.  Body weight reduction is advisable but difficult to achieve and much more difficult to maintain. Furthermore, diet and exercise has not been proven to enhance life expectancy in obesity. However, with bariatric surgery, long-term weight reduction can be achieved and mortality can be reduced. Conclusions.  With effective weight loss and improved clinical outcome after bariatric surgery, treatment of obesity has shifted much more into focus. Regardless of technical challenges in the work-up of obese patients, clinical symptoms suggestive of cardiac disorders warrant prompt investigation with standard techniques following recommendations as established for normal weight patients. Keywords Obesity · Heart failure · Echocardiography · Bariatric surgery · Weight loss

iatrische Operationen, wie Schlauchmagen („sleeve gastrectomy“) oder Magenbypass, zu einer erheblichen Reduktion der Ghrelinspiegel führen und sich andererseits bariatrische Operationen offenbar Der Internist 2 · 2015 

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Schwerpunkt: Adipositas

Abb. 1 8 a Beinödeme bei Adipositas und Herzinsuffizienz bei einem 40-jährigen männlichen Patienten, 150 kg, 176 cm, Body-Mass-Index (BMI) 48 kg/m2. Die Vorstellung erfolgte wegen Dyspnoe und Angina pectoris. Im Verlauf wurde ein NSTEMI diagnostiziert. b Elephantiasis bei einem 80-jährigen männlichen Patienten, 110 kg, 170 cm, BMI 38 kg/m2. Die Vorstellung erfolgte bei Dyspnoe und dekompensierter Herzinsuffizienz mit einer EF von 32%. NSTEMI Nicht-ST-Strecken-Hebungsmyokardinfarkt, EF Auswurffraktion

günstig auf die kardiale Funktion auswirken [25]. Hier ist also die Bedeutung der einzelnen Komponenten im Zusammenspiel der Effekte bisher unverstanden.

Manifeste Herzinsuffizienz und Adipositas In einem Kontinuum hin zum einleitend geschilderten 2. Szenario rückt die Herzinsuffizienz zunehmend in den Vordergrund. Ursächlich kann eine progrediente (diastolische) Adipositas-Kardiomyopathie sein. Im Gegensatz dazu scheint Adipositas als Ursache einer systolischen Herzinsuffizienz so selten zu sein [12], dass stets gründlich nach anderen Ursachen gefahndet werden muss. Ein Cor hypertonicum, ischämische Pumpfunktionsstörungen oder dilatative Kardiomyopathien sind differenzialdiagnostisch abzuklären. Die Pharmakotherapie der Herzinsuffizienz bei Adipositas unterscheidet sich nicht von den allgemeinen Prinzipien einer Herzinsuffizienztherapie, ist allerdings speziell für morbide Adipositas nicht gesondert untersucht worden. Empfohlen wird eine Blockade im Renin-

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Angiotensin-Aldosteron-System genauso wie eine Therapie mit β-Blockern [33]. Einzelfallberichten zufolge scheint sich eine bariatrische Operation günstig auf eine systolische Pumpfunktionsstörung auszuwirken [25]. Retrospektiv wurden in dieser Arbeit 12 Patienten mit einer EF von 22±7% bei einem Body-Mass-Index (BMI) von 53±7 kg/m2 mit 10 gepaarten Kontrollen verglichen. Ein Jahr postoperativ stieg die EF signifikant auf 35±15% an. Auch die physische Belastbarkeit verbesserte sich bei den Operierten, bei den Kontrollen verschlechterte sie sich aber eher. Zwar ist das eine vielversprechende Beobachtung, offenkundig aber ein experimenteller Ansatz, dessen Indikation aktuell nur als Ultima Ratio in spezialisierten Zentren geprüft werden sollte, bis der Nutzen in prospektiven großen Studien belegt ist.

Das Adipositas-Paradox Epidemiologische Daten legen einen Zusammenhang zwischen Adipositas und kardiovaskulärer Mortalität nahe. Hier fällt allerdings eine U-förmige Verteilung auf, sodass die Mortalität mit niedrigem

BMI wieder ansteigt. Während einerseits Adipositas zu einer Herzinsuffizienz prädisponiert, scheinen umgekehrt adipöse Patienten mit Herzinsuffizienz eine bessere Prognose zu haben als herzinsuffiziente nichtadipöse Patienten. Tatsächlich war der Körperfettanteil bei Patienten mit einer EF von durchschnittlich 23% der stärkste Prädiktor für ein ereignisfreies Überleben während eines Beobachtungszeitraums von 2 Jahren [15]. Die Ursache dieses Adipositas-Paradoxes ist unklar. Zunächst ist ein Zusammenhang mit einem unbeabsichtigten Körpergewichtsverlust als Marker für die Schwere der Erkrankung denkbar, aber nicht belegt. Im Gegensatz dazu hat ein gewollter Gewichtsverlust auch bei Herzinsuffizienz günstige Effekte. Interessanterweise zeigen aber auch andere klassische kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Hypercholesterinämie und höherer Blutdruck eine bessere Prognose bei Herzinsuffizienz an [15]. Auch das Vorliegen eines Selektionsbias als mögliche Ursache des vielfach beobachteten Adipositas-Paradoxes wird diskutiert [8, 13]. Eine kürzlich publizierte Studie, die zur Untersuchung eines möglichen Selektionsbias durchgeführt wurde, stärkt diese Hypothese beim Krankheitsbild Schlaganfall [6]: Entgegen früherer Untersuchungen wurden nun nach multivariater Analyse keine erhöhten Sterberaten bei Übergewichtigen oder Adipösen im ersten Monat nach Schlaganfall beobachtet.

Therapie der Adipositas bei Herzinsuffizienz Die konservative Therapie der Adipositas, auch hinsichtlich einer AdipositasKardiomyopathie, ist meist frustran. Lebensstilinterventionen können kurzfristig wirksam sein, sind aber nur in Ausnahmen langfristig erfolgreich. Zwar wirkt sich bereits eine moderate Gewichtsreduktion günstig auf eine Insulinresistenz aus und ist damit empfehlenswert, solange nicht ständige Gewichtsschwankungen die Folge sind. Eine Reduktion der Mortalität durch Lebensstilinterventionen ist nicht belegt [16]. Auch zeigte sich im Rahmen einer randomisierten Multiinterventionsstudie bei adipösen Patienten mit Typ-2-Diabetes keine signifikan-

rung der diastolischen Füllungsparameter [2]. Studien mit dem Endpunkt Mortalität fehlen jedoch. Beunruhigend ist hingegen die erhöhte tumorunabhängige Mortalität bei adipösen, sonst gesunden Patienten, bei denen eine spontane Reduktion des Körpergewichts zu verzeichnen war [21].

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Die Indikation für eine bariatrische Operation ist rechtzeitig zu prüfen

Abb. 2 8 Diastolische Dysfunktion bei Adipositas per magna (Body-Mass-Index ≥40 kg/m2). a Beispiel einer diastolische Herzinsuffizienz mit einem pathologischen Füllungsmuster (männlich, 40 Jahre, BMI 48 kg/m2) und einem erhöhten E/A-Verhältnis von 1,93. Zusätzlich findet sich ein leichtgradig dilatierter linker Ventrikel (LVDd 60 mm) mit einer konzentrischen Linksherzhypertrophie (Septum 13 mm, Hinterwand 14 mm). b Ein anderer 40-jähriger Patient mit Adipositas (BMI 40 kg/m2) und arterieller Hypertonie stellte sich aufgrund von Dyspnoe in der Notaufnahme vor. Echokardiographisch zeigte sich eine linksventrikuläre, konzentrische Hypertrophie (Septum 14 mm und Hinterwand 13 mm) sowie ein pseudonormales Füllungsmuster

te Änderung der kardialen Funktion nach 2 Jahren. Allerdings konnte selbst unter Studienbedingungen durch Lebensstilintervention keine signifikante Körper-

gewichtsreduktion erreicht werden [22]. Wird das Körpergewicht reduziert, führt dies auch zu einer Reduktion der Herzhypertrophie sowie zu einer Verbesse-

Die medikamentöse Therapie der Adipositas stützt sich mittlerweile nur noch auf die überschaubaren Effekte des preisgünstigen Metformins (als Heilversuch) und des teureren Orlistats. Der Preis ist entscheidend, da die Pharmakotherapie der Adipositas von den Krankenkassen regelhaft nicht übernommen wird. Dies liegt daran, dass Adipositas laut Sozialgesetzbuch vermeintlich keine Krankheit, sondern eine Folge der Lebensgewohnheiten ist. Gleichwohl ist eine (gescheiterte) Pharmakotherapie Voraussetzung für einen erfolgreichen Antrag auf Kostenübernahme der Krankenkassen für eine bariatrische Operation. Gelegentlich können gewichtsreduzierende Effekte von beispielsweise GLP-1-Agonisten genutzt werden, wenn eine (adipositasunabhängige) Indikation besteht. Da bariatrische Operationen auf vielen Ebenen die Therapie multimorbider Patienten mit Adipositas verbessern (s. . Tab. 2) und andererseits die Grenzen der konservativen Therapie rasch erreicht sind, muss rechtzeitig die Indikation für eine bariatrische Operation geprüft werden. Hier können sich Schwierigkeiten beispielsweise bei Patienten mit einer höhergradigen Herzinsuffizienz ergeben, wenn eine rasche Therapie gewünscht ist. Insbesondere wenn die konservativen Maßnahmen nicht vollständig ausgeschöpft wurden, kann sich die Notwendigkeit für längere, konservative Therapieversuche unter kontrollierten Bedingungen ergeben, bis ein Antrag auf Kostenübernahme erfolgreich gestellt werden kann. Solche Patienten müssen in Zentren mit entsprechender Expertise behandelt werden.

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Schwerpunkt: Adipositas Fazit für die Praxis F Eine kardiale Diagnostik ist bei Adipositas umfänglich möglich und notwendig. F Ödeme bei morbider Adipositas müssen differenzialdiagnostisch abgeklärt werden. F Adipositas ist ein unabhängiger Risikofaktor für eine Herzinsuffizienz, wobei eine diastolische Herzinsuffizienz führend ist. F Ein verminderter peripherer Widerstand in Kombination mit einem erhöhten Volumen sorgt bei gleichbleibender Frequenz für eine erhöhte Auswurfleistung. F Durch die erhöhte Auswurfleistung kommt es zu einer diastolischen und seltener zu einer systolischen Pumpfunktionsstörung. F Ein verminderter zirkumferenzieller Strain und eine verminderte Strainrate scheinen sowohl ein früher als auch ein typischer echokardiographischer Befund bei Adipositas zu sein. F Die effektive Senkung kardiovaskulärer Risikofaktoren durch bariatrische Operationen führt auch zu einer Reduktion der kardiovaskulären Mortalität.

Korrespondenzadresse Dr. D. Weismann Schwerpunkt Endokrinologie und Diabetologie, Medizinische Klinik und Poliklinik I, Universitätsklinikum Würzburg Oberdürrbacher Str. 6, 97080 Würzburg weismann_d@ klinik.uni-wuerzburg.de

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  D. Weismann, S. Wiedmann, M. Bala, S. Frantz und M. Fassnacht geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.     Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

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[Obesity and heart failure].

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