Kommentiertes Referat

T. Frieling Maier LS, Darius H, Giannitsis E, Erbel R, Haude M, Hamm C, Hasenfuss G, Heusch G, Mudra H, Münzel T, Schmitt C, Schumacher B, Senges J, Voigtländer T, Schüttert JB. The German CPU Registry: Comparison of troponin positive to troponin negative patients. Int J Cardiol 2013; 168 (2): 1651 – 1653

Hintergrund Die Abklärung von Thoraxschmerzen gehört zu den häufigsten Gründen, warum sich Patienten in der Notfallambulanz vorstellen. Seit 2008 wurden von der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie mehr als 130 Chest Pain Units (CPU) zertifiziert. Ziel dieser Einheiten ist die strukturierte zeitnahe Diagnostik und Behandlung des Brustschmerzes, um die Prognose dieser Patienten zu verbessern. Epidemiologische Studien zeigen, dass der Anteil der Patienten mit nicht kardialem Thoraxschmerz (NCCP) auf Notaufnahmestationen zwischen 40 und 70 % beträgt. NCCP führt aufgrund des hohen Leidensdrucks und der Verunsicherung durch die ungeklärte Ursache der Schmerzen zu häufigen Arztbesuchen und hohen direkten und indirekten Kosten im Gesundheitswesen (Eslick GD. Aliment Pharmacol Ther 2002; 16: 1217 – 1223, Eslick GD et al. Aliment Pharmacol Ther 2003; 17: 1115 – 1124). Daten über die Anzahl von Patienten auf deutschen CPU lagen bisher nicht vor. In der vorliegenden Arbeit werden zum ersten Mal Ergebnisse deutscher CPU berichtet. So untersuchten die Autoren anhand des Deutschen CPU-Registers die Daten von Troponin-positiven- und -negativenPatienten mit Thoraxschmerzen.

Zusammenfassung Im Zeitraum vom 1. Dezember 2008 bis zum 18. August 2011 wurden anhand des Deutschen CPU Registers 11 656 Patienten in 38 zertifizierten deutschen CPU analysiert. Drei-Monats-Follow-up-Untersuchungen waren bei 5313 Patienten (46 %)

Todesursachen waren zwischen den Trop+und Trop–-Patienten nicht unterschiedlich (plötzlicher Herztod 13 vs. 22 %, kardiovaskulärer Tod 46 vs. 36 %, nicht kardiovaskulär 33 vs. 38 %, unklar 8,2 vs. 3,6 %). Die Sterblichkeit der von der CPU nach Hause entlassenen Patienten war deutlich geringer (Trop+ 1,4 vs. Trop– 0,6 %). Bei 52 % der Top+- und 44 % der Trop–-Patienten war eine Follow-up-Untersuchung möglich. Hierbei wurden 29 % der Trop+- und 23 % der Trop–-Patienten wieder in ein Krankenhaus aufgenommen (p < 0,05). Die Wiederaufnahme erfolgte in beiden Gruppen im Mittel nach 32 Tagen, wobei die Anzahl der Wiederaufnahmen im Untersuchungszeitraum nicht unterschiedlich (1,3 ± 0,6 vs. 1,2 ± 0,6) war. Hauptaufnahmegrund waren kardiovaskuläre Gründe (80,7 vs. 70 %).

Kommentar Nicht kardiale Brustschmerzen (NCCP) sind rekurrierende Angina-pectoris-ähnliche Schmerzen, für deren Ursache sich durch konventionelle Untersuchungen (Koronarangiografie, Troponinbestimmung) keine koronare Herzerkrankung nachweisen lässt (Bass C, Mayou R. Br Med J 2002; 325: 588 – 591). Seit der Erstbeschreibung (Likoff W et al. N Engl J Med 1967; 276: 1063 – 1066; Kemp HG et al. Trans Assoc Am Physicians 1967; 80: 59 – 70) wurden unterschiedliche Bezeichnungen wie Syndrome X (Arbogast R et al. Am J Cardiol 1973; 32: 257 – 263; Kemp HG. Am J Cardiol 1973; 32: 375 – 337) bzw. Mikrovaskuläre Angina (Cannon RO et al. Am J Cardiol 1988; 61: 1338 – 1343) verwendet. Patienten mit NCCP stellen ein großes Problem im Gesundheitswesen dar, da ihre Lebensqualität genauso, teilweise sogar stärker eingeschränkt ist, als bei Patienten mit kardialen Brustschmerzen (Eslick GD et al. Aliment Pharmacol Ther 2004; 20: 909 – 915). Die Frage, wie viele Patienten mit NCCP in den analysierten deutschen CPU behandelt wurden, kann anhand der vorliegenden Arbeit leider nur indirekt beantwortet werden, da diese Patienten nicht als eigenständige Gruppe aufgeführt wurden. Der weitaus größere Teil der Patienten im Gesamtkollektiv, nämlich zwei Drittel (n = 8803), war bei Aufnahme Troponin–. Hiervon wiesen 72 % Brustschmerzen auf und nur 18 % bedurften einer akuten Koronarintervention. Über ein Drittel aller Patienten konnten direkt von der CPU nach Hause entlassen werden. Dies waren

Frieling T. Nicht kardiale Brustschmerzen … Z Gastroenterol 2015; 53: 335–336 · DOI http://dx.doi.org/10.1055/s-0034-1398897

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Nicht kardiale Brustschmerzen (NCCP) in deutschen Chest Pain Units Noncardiac chest pain (NCCP) in german chest pain units Z Gastroenterol 2015; 53: 335–336

möglich. Die diagnostische Stratifizierung erfolgte anhand der Troponinbestimmung in eine Troponin-positive- (Trop+) und Troponin-negative-Gruppe (Trop–). Hierbei galt eine Troponinpositivität ab einem Wert oberhalb der 99. Perzentile des Normbereichs mit konsekutivem Anstieg oder Abfall. Es wurden 4. Generation (20,3 %), hochsensitive (14,5 %) oder Troponin-I-Assays (65,2 %) verwendet. Im Gesamtkollektiv der untersuchten Patienten war ein Viertel der Patienten (n = 2853) bei Aufnahme in die CPU bzw. im Verlauf Trop+ und drei Viertel (n = 8803) Trop–. Hauptaufnahmegrund in die CPU waren Brustschmerzen und Luftnot. In der Trop+-Gruppe waren dies ca. 82 bzw. ca. 30 % und in der Trop–-Gruppe ca. 72 bzw. ca. 27 % (p < 0,05). Weitere zwischen den beiden Gruppen (Trop+ vs. Trop–) signifikant unterschiedliche Aufnahmesymptome waren stabile Angina pectoris (ca. 2 vs. ca. 10 %), Palpitationen (ca. 5,8 vs. ca. 13 %), hypertensive Krisen (ca. 1,8 vs. ca. 9,7 %), Synkopen (ca. 4,8 vs. ca. 7,9 %), Vorhofflimmern (ca. 1,8 vs. ca. 7,2 %) bzw. Perimyokarditiden (ca. 1,8 vs. ca. 0,8 %). Im Gesamtkollektiv zeigten 41 % ein akutes Koronarsyndrom mit ST-Hebungsinfarkt (STEMI), ST-Nichthebungsinfarkt (NSTEMI) bzw. instabiler Angina pectoris. Nur etwa 26 % aller CPU-Patienten bedurften einer akuten Koronarintervention. 22 % (n = 628) der Trop+- und 34,7 % (n = 3.055) der Trop–Patienten (p < 0,05) konnten direkt von der CPU nach Hause entlassen werden. Dies war ein Drittel (n = 3683) aller auf die CPU aufgenommenen Patienten. Die Patientencharakteristika waren klinisch zwischen den Trop+- und Trop–-Patienten vergleichbar. Geringe, aber signifikante Unterschiede ergaben sich für Alter (70 vs. 67,5 Jahre), Männer (67 vs. 58 %), Raucher (32 vs. 25 %), Diabetes (29 vs. 20 %), Bluthochdruck (77 vs. 72 %), Dyslipidämie (45 vs. 42 %), familiäre Belastung (20 vs. 24 %), bekannte koronare Herzerkrankung (58 vs. 64 %), vorherige Koronarangiografie (27 vs. 38 %), vorherige Bypass-Operation (13 vs. 11 %), periphere Gefäßerkrankung (8 vs. 6 %), chronische Nierenerkrankung (13 vs. 7 %), chronische Herzinsuffizienz (11 vs. 9 %) bzw. ICDoder Schrittmacherimplantation (7 vs. 9 %) zeigten. Nur der frühere Schlaganfall (6 vs. 5 %) war nicht signifikant zwischen den beiden Gruppen unterschiedlich. Auf der CPU verstarben 0,7 % der Trop+und 0,1 % der Trop–-Patienten. Nach Entlassung von der CPU verstarben während der Follow-up-Untersuchung 7,6 % der Trop+- und 3,1 % der Trop–-Patienten. Die

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34,7 % (n = 3055) der Patienten in der Troponin–-Gruppe und 22 % (n = 570) in der Troponin+-Gruppe. Es ist also zu vermuten, dass konservativ geschätzt, im Gesamtkollektiv der Studie mit fast 12 000 Patienten mindestens 20 – 30 % der Patienten NCCP aufwiesen. Diese Größenordnung von NCCP in deutschen CPU entspricht epidemiologischen Studien, die in der Allgemeinbevölkerung mit Brustschmerzen einen Anteil von 20 – 30 % NCCP nachweisen (Eslick GD. Dis Mon 2008; 54: 593 – 603). Hierbei findet sich ein hoher Anteil von Patienten mit NCCP auf allen Versorgungsebenen des Gesundheitssystems. So stellten sich nach einer großen deutschen Studie an über 190 000 Patienten in Hessen (Bösner S et al. European Journal General Practice 2009; 15: 141 – 146) etwa 0,7 % der Patienten beim Hausarzt zur Abklärung von Brustschmerzen vor, von denen nur knapp 15 % eine ischämische Herzerkrankung oder ein akutes Koronarsyndrom aufwiesen. Auch das Handbuch zum Disease-Management-Programm (DMP) Koronare Herzkrankheit vom Deutschen Hausärzteverband und der AOK weist aus, dass nur 16 – 22 % der in der Hausarztpraxis anfallenden Differenzialdiagnosen des Brustschmerzes das Herz betreffen (Donner-Banzhoff N et al. Hausarzt Handbuch. Das Handbuch zum DiseaseManagement-Programm (DMP) Koronare Herzkrankheit vom Deutschen Hausärzteverband und der AOK). In Notfallambulanzen (Mayou R et al. Br Heart J 1994; 72 (6): 548 – 553; Jain D et al. J R Coll Physicians Lond 1997; 31 (4): 401 – 414; Wong WM et al. World J Gastroenterol 2004; 10 (5): 707 – 712; Stallone F et al. Heart 2014; pii: heartjnl-2014 – 305 583. Doi: 0.1136/ heartjnl-2014 – 305 583) liegt der Anteil von Patienten mit NCCP mit 60 – 80 % noch höher. Sogar in Herzkatheterlabors finden sich Patienten mit NCCP in einer signifikanten Größenordnung. So weist die Geschäftsstelle Qualitätssicherung NRW Regionalvertretung Nordrhein auf (Geschäftsstelle Qualitätssicherung NRW, Jahresauswertung 2013 Koronarangiografie und PCI 21/3. www.qs-nrw.org/ service), dass im Jahr 2011, 2012 und 2013 etwa 30 % der Katheteruntersuchungen die Diagnosen Ausschluss KHK bzw. KHK mit Lumeneinengung geringer als 50 % aufwiesen. Die Betreuung von Patienten mit NCCP stellt eine klinische Herausforderung dar. So existieren praktisch keine klinisch verwertbaren Charakteristika. Schmerzlokalisation oder -qualität und der Response

auf Nitroglycerin sind keine zuverlässigen Prädiktoren für eine Differenzierung zwischen kardialer und nicht kardialer Ursache. Auch die Schmerzausstrahlung und die Begleitsymptome haben nur eine geringe Sensitivität und Spezifität (Eslick GD et al. Aliment Pharmacol Ther 2003; 17: 1115 – 1124, Cooke RA et al. Heart 1997; 78: 142 – 146; Goodacre S et al. Acad Emerg Med 2002; 9: 203 – 208; Panju AA et al. JAMA 1998; 280: 1256 – 1263). Dies bedeutet, dass die klinische Diagnose von NCCP unsicher und letztendlich eine Ausschlussdiagnose ist und immer zunächst potenzielle kardiale Ursachen abgeklärt werden müssen. Dieses Dilemma zeigt sich auch in der vorliegenden Studie. So zeigten sich zwar Unterschiede zwischen Trop+- und Trop–-Patienten bezüglich der Patientencharakteristika und Vorerkrankungen, diese Unterschiede waren aber gering und klinisch nicht als sichere Prädiktoren zur Differenzierung eines kardialen oder nicht kardialen Brustschmerzes geeignet. In der vorliegenden Studie wurden etwa 430 (29 %) der Trop+- und 902 (23 %) der Trop–-Patienten während der Nachbeobachtung wieder in ein Krankenhaus aufgenommen, wobei die Anzahl der Wiederaufnahmen im Untersuchungszeitraum nicht unterschiedlich war. Hauptaufnahmegrund waren hierbei sowohl bei den Trop+- und Trop–-Patienten in mehr als zwei Dritteln kardiovaskuläre Gründe. Obwohl die kardiovaskulären Ursachen, die zu einer erneuten Aufnahme führten, in der Studie nicht näher spezifiziert wurden, ist zu vermuten, dass auch bei der zweiten Aufnahme, zumindest bei den Trop–-Patienten der Anteil von NCCP signifikant war. Die hohe Wiederaufnahmerate von Patienten mit NCCP wird auch durch die Literatur bestätigt. So weisen fast 80 % der Patienten mehr als einen Arztbesuch auf und etwa 30 bzw. 60 % melden sich krank bzw. müssen ihre berufliche Tätigkeit unterbrechen. Gründe für diesen hohen Leidensdruck von Patienten mit NCCP in Deutschland sind nach einer großen deutschen Studie (Glombiewski JA. Arch Intern Med 2010; 170: 251 – 255) die Persistenz der Beschwerden in etwa 50 % der Fälle, wobei etwa 10 % der Patienten nicht adäquat versorgt werden, die unklare Ursache der Beschwerden mit hieraus resultierender Verunsicherung und die mangelnde Einbindung anderer Fachbereiche zur weiteren Abklärung der NCCP. Obwohl bei Patienten mit NCCP kardiale Ursachen ausgeschlossen wurden, behalten sie häufig doch das Stig-

ma einer unerkannten kardiologischen Erkrankung (Chambers J et al. Heart 1999; 82: 656 – 657). Dies wird auch durch die zu geringe interdisziplinäre Zusammenarbeit und die mangelnde Zuweisung in die zuständigen Fachgebiete gefördert. So wird nur etwa die Hälfte der Patienten mit NCCP nach Ausschluss einer kardialen Ursache in die entsprechenden weiterführenden Fachbereiche verwiesen (Wong WM et al. J Clin Gastroenterol 2005; 39: 858 – 862). Auch suchen Patienten mit psychogener Ursache zwar häufiger den Arzt auf, sie werden aber nur selten zu Psychologen überwiesen (Glombiewski JA. Arch Intern Med 2010; 170: 251 – 255). Insgesamt zeigt die Studie zwar die Qualität deutscher CPU auf, versäumt aber eine Charakterisierung von Patienten mit NCCP, die ja, wie auch in der vorliegenden Untersuchung, einen großen Teil des Patientenkollektivs ausmachen. Die Untersuchung lässt vermuten, dass Patienten mit NCCP in den meisten Chest Pain Units nicht strukturiert weiterbetreut werden. Dies ist es erstaunlich, da die in Deutschland zunehmenden zertifizierten „Chest Pain Units“ zwar definierte Strukturen und Prozessvorgaben zur Akutdiagnostik und -behandlung von Patienten mit Brustschmerzen aufweisen und in der Regel in ein funktionierendes Notarzt- und Rettungssystem eingebunden sind, aber kaum definierte Stratifizierungen bez. des Untersuchungsablaufs nach Ausschluss einer kardialen Ursache vorhanden sind. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den betroffenen Fachgebieten erscheint daher notwendig. Hier ist insbesondere auch die Gastroenterologie gefordert, da sich häufig gastrointestinale Ursachen nachweisen lassen (z. B. infektiöse Speiseröhrenentzündungen, tabletteninduzierte Ulzera, Ringe, Webs, eosinophile Ösophagitis, Motilitätsstörungen). So ist u. a. eine regelmäßige gemeinsame Visite mit anderen Fachdisziplinen zu fordern, da häufig eine weiterführende differenzierte nicht kardiale Diagnostik notwendig ist. Prof. Thomas Frieling Medizinische Klinik II, HELIOS Klinikum Krefeld Lutherplatz 40 47805 Krefeld Germany Tel.: ++ 49/21 51/32 27 07 Fax.: ++ 49/21 51/32 20 78 [email protected]

Frieling T. Nicht kardiale Brustschmerzen … Z Gastroenterol 2015; 53: 335–336 · DOI http://dx.doi.org/10.1055/s-0034-1398897

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