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Prof. Dr. med. Matthias Graw Institut für Rechtsmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München

Neuere Drogentrends aus rechtsmedizinischer Sicht

Spice, Badesalz, Legal Highs: harmlos sind hier nur die Namen In den letzten Jahren hat die Zahl berauschender Stoffe, mit denen Rechtsmediziner zu tun haben, deutlich zugenommen. Diese sogenannten Neuen psychoaktiven Substanzen (NPS) sind aber nicht immer Novitäten, sondern z. T. auch nur neu verfügbare, bereits bekannte Wirkstoffe. Wie wirken diese Drogen und wie gefährlich sind sie? Der Konsum legaler und illegaler Drogen beschäft igt den forensischen Sachverständigen regelmäßig. Folgt man dem Straßenverkehrsgesetz mit der Anlage zu § 24 a, erstreckt sich die Drogenproblematik auf vergleichsweise wenige Substanzen: Heroin, Morphin, Kokain, Cannabis, Amphetamin, Ecstasy (MDMA, MDE) und Methamphetamin. Auf diese Drogen wird regelmäßig untersucht, wenn sich die Frage nach einer Einschränkung der Fahrsicherheit (§ 24 a StVG, § 316 StGB) stellt.

81 neue Drogentypen registriert In den letzten Jahren verzeichneten Rechts- und Verkehrsmediziner sowie -toxikologen eine zunehmende Zahl berauschender Stoffe, die als „Neue psychoaktive Substanzen“ (NPS) weite Verbreitung fanden. So registrierte 2013 die europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht 81 neue Drogentypen (2012: 73; 2011: 49; 2010: 41; 2009: 24; 2008: 13). Unter der Bezeichnung NPS werden die unterschiedlichsten pflanzlichen und synthetischen Substanzen zusammengefasst. Das wird auch an den von

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der Definition her sich z. T. überschneidenden Bezeichnungen deutlich: Designerdrogen, Legal Highs, Research Chemicals (vgl. Tab. 1). Die Substanzen werden von den Konsumenten geraucht, geschluckt, geschnieft oder gespritzt. Mit dem Begriff „Legal Highs“ soll suggeriert werden, dass Handel, Besitz und Konsum nicht gegen einschlägige Gesetze verstoßen: Betäubungsmittelge-

Ist der Handel strafbar? Etliche der neueren Substanzen sind allerdings in den einschlägigen Gesetzen, insbesondere dem BtMG, nicht gelistet. Nur die konkret in den Anlagen aufgeführten Substanzen unterstehen dem BtMG. Derzeit gibt es keine Möglichkeit, ganze Wirkstoffgruppen zu listen. So stellt sich

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setz (BtMG), Arzneimittelgesetz (AMG) und Straßenverkehrsgesetz (StVG). Tatsächlich finden sich jedoch in den Zubereitungen nicht selten Substanzen, die unter das BtMG fallen, z. B. Mephedron oder Methylon, bzw. unter das AMG wie Lidocain oder Phenobarbital.

Harmlose Kräuter dienen als Tarnmittel für synthetische Cannabinoide.

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Tabelle 1

Neue psychoaktive Substanzen (NPS) Designerdrogen

Modifikationen bekannter Drogen, synthetisch hergestellt

Legal Highs

Heterogene Substanzgruppe (synthetisch, pflanzlich), Substanzen fallen nicht unter das BtMG

Research Chemicals

Chemische Reinsubstanzen, als „Forschungschemikalien“ angeboten, konkrete chemische Kennzeichnung, typischer Warnhinweis: „Not for human consumption“

die Frage nach einer Strafbarkeit des Handelns („in den Verkehr bringen“). Bis Mitte des letzten Jahres ging die Rechtsprechung in Deutschland davon aus, dass ein derartiger Handel grundsätzlich nach dem Arzneimittelgesetz strafbar sei. Mit Urteil vom 10.7.2014 hat der europäische Gerichtshof (Aktenzeichen: C-358/13, C-181/14) jedoch entschieden, dass sich aus der Definition des Arzneimittels nach AMG Art. 1, Nr. 2 eindeutig „das Bestehen einer positiven Wirkung für die menschliche Gesundheit“ ableiten ließe. Damit seien Stoffe, die in ihrer Wirkung die physiologischen Funktionen beeinflussen ohne geeignet zu sein, der menschlichen Gesundheit ... zuträglich zu sein, oder die nur konsumiert werden, um einen Rauschzustand hervorzurufen und dabei gesundheitsschädlich sind, nicht im Arzneimittelbegriff einge-

schlossen (EuGH, Pressemitteilung Nr. 99/14 vom 10. Juli 2014). Daher könne das Arzneimittelgesetz nicht als Grundlage einer Verurteilung derartiger Substanzen dienen. Damit ist der Gesetzgeber gefordert, durch eine Überarbeitung des BtMG eine entsprechende Rechtsgrundlage zu schaffen. Die zwei zahlenmäßig am wichtigsten Substanzgruppen sind „Spice“ und „Badesalze“. Spice: nur harmlose Biokräuter? Unter dem Begriff „Spice“ fand seit ca. 2008 eine Kräutermischung weite Verbreitung. Sie wurde rasch zur neuen Modedroge. Erst nach längeren Untersuchungen konnte geklärt werden, dass für die berauschende Wirkung keinesfalls harmlose Biokräuter, sondern synthetische Cannabinoide verantwortlich sind.

Fallbeispiel

Drogeninduzierte Psychose nach „Badesalz“-Konsum Ein 28-jähriger Mann konsumierte eine ihm unbekannte Droge. Kurz danach wurde er von Zeugen beobachtet, wie er einen fremden Mann schlug und auf ihn einstach. Er flüchtete über einen Balkon, kurz danach wurde er festgenommen und wirkte verwirrt.

Aus sechs weiteren bearbeiteten Fällen, in denen 50–400 ng/ml MDPV festgestellt wurden, und mit den in diesen Fällen berichteten Ausfallerscheinungen ließ sich die Annahme einer drogeninduzierten Psychose begründen.

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In einer Blutprobe wurde neben THC (Wirkstoff des Cannabis) in geringer Konzentration auch MDPV (120 ng/ml im Serum) festgestellt.

Die Kräuter dienten nur als Transportstoff und Tarnmittel für die beigemischten (meist in flüssiger Lösung aufgespritzten) synthetischen Cannabinoide. Es sind mittlerweile über 300 synthetische Cannabinoide bekannt, mit einer vielfach stärkeren Rezeptoraffinität als das Tetrahydrocannabinol (THC, aktiver Wirkstoff des Cannabis). Schwere Intoxikationen und Todesfälle

Die Intoxikationen mit Spice-Produkten verlaufen entsprechend deutlich schwerer als die durch Cannabis bedingten: Ausgeprägte Tachykardien, starkes Erbrechen sowie ausgeprägte Sedierung stehen im Vordergrund. Es werden jedoch auch psychische Auswirkungen wie Panikattacken, starke Agitation, Halluzinationen und sonstige psychotische Symptome beschrieben. Todesfälle sind bekannt, z. B. direkt durch Atemdepression oder Induktion von Krampfanfällen, oder indirekt durch Stürze aus der Höhe im Rahmen von Panikattacken oder Suizide im Rahmen drogeninduzierter psychotischer Episoden. Konsumenten jeden Alters

Entsprechende Spice-Produkte werden nicht nur von experimentierfreudigen Jungkonsumenten genutzt, die die Illegalität umgehen wollen. Insbesondere auch erfahrene Drogenkonsumenten, die in Kontrollprogrammen sind (Bewährungsauflagen, medizinisch-psychologische Untersuchung [MPU]), weichen auf derartige Drogen aus. So werden bei eingehender Reanalyse primär im Rahmen der Abstinenzkontrolle negativ getesteter Urinproben nicht selten Spice-Wirkstoffe nachgewiesen. Die analytische Herausforderung ist, dass es sich bei den Spice-Substanzen um eine Vielzahl relevanter Wirkstoffe handelt, dass Referenzsubstanzen z. T. nicht kommerziell erhältlich, Metaboliten nicht beschrieben/erhältlich und niedrige Wirkstoffkonzentrationen in Blut bzw. Serum zu erwarten sind. Standard in forensischen Laboren ist die Analyse mittels LC-MS-MS (Liquid-ChromatografieMassenspektrometrie/Massenspektrometrie). Die in der Klinik verwendeten im-

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FORTBILDUNG _ÜBERSICHT

munologischen Vortests („klinisches Drogenscreening“) erfassen diese Wirkstoffe (und die meisten anderen NPS) nicht! Designerdroge „Badesalz“ Eine zweite große Gruppe der NPS umfasst neuere Designerdrogen, die unter dem Stichwort „Badesalze“ zusammengefasst werden. Derartige Drogen finden seit ca. 2011 in Deutschland weite Verbreitung. Es handelt sich meist um synthetische Substanzen, die stimulierende Rauschzustände auslösen, z. B. Cathinonderivate. Cathinon ist der psychoaktive Hauptwirkstoff von Khat mit einer ähnlichen Wirkung wie Kokain oder Amphetamin. Von den synthetischen Cathinonen sind am bekanntesten Methylendioxypyrovaleron (MDPV), Methylendioxy-pyrrolidinpropiophenon (MDPPP) und das 4-Methylmethcathinon (Mephedron), mittlerweile alle im BtMG gelistet. Ein Beispiel für die über die psychisch stimulierende/euphorisierende Wirkung hinausgehende psychotische Komponente finden Sie in der Kasuistik auf S. 50 (Kasten unten). „Legal Highs“: wirklich legal? Die sog. „Legal Highs“ sind im Internet in großem Umfang verfügbar. Sie werden als Aquarien-, Papageienkäfigreiniger, Blütenhilfe, Wäscheerfrischer etc. offeriert. Die Preise für eine Konsumeinheit liegen meist bei 5–10 €. Im Internet frei zugängliche Drogenforen (z. B. www.land-der-traeume.de) berichten über die von den Konsumenten beobachteten Rauschwirkungen. Es wird auf Vor- und Nachteile im Vergleich der verschiedenen Substanzen hingewiesen, die analytischen Probleme werden in Ratschlägen weitergegeben („Du bist im Drogenprogramm? Steige auf XY um, darauf reagiert kein Test.“). Aus toxikologischer Sicht kritisch ist bei den im Internet problemlos zu beziehenden Präparaten, dass die Inhaltssubstanzen nicht deklariert werden geschweige denn, dass Angaben zu Konzentrationen/Dosierungen vorliegen. In einer Marktstudie aus dem Institut für Rechtsmedizin der Universität Bonn [1] ergibt sich, dass die in den Präparaten enthaltenen Wirkstoffe keinesfalls durchweg als

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„legal“ bezeichnet werden können. Zahlreiche Proben enthielten Betäubungsmittel gemäß BtMG oder Arzneimittel (z. B. Ephedrin, Pseudoephedrin). Daher ist die Bezeichnung „Neue psychoaktive Substanzen (NPS)“ sicherlich besser, da sie zumindest hinsichtlich der Legalität nicht in die Irre weisen. Von einem Konsum derartiger Substanzen ist dringend abzuraten, da im Regelfall weder eine Kenntnis über die Inhaltsstoffe zu erlangen ist noch zu den meisten Substanzen Erkenntnisse zu schädlichen (Langzeit-)Folgen vorliegen. Auch altbekannte Stoffe sind wieder im Kommen Auch altbekannte Substanzen wie Methamphetamin („Crystal Meth“), GHB (Gamma-Hydroxy-Buttersäure, „Liquid Ecstasy“) bzw. deren frei verfügbare Vorläufersubstanz GBL (γ-Butyrolacton) sowie Fentanyl (oft aus „Pflastern“ ausgekocht) erlangen zumindest in Bayern derzeit größere Bedeutung. Literatur unter mmw.de Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. med. Matthias Graw, Inst. für Rechtsmedizin der Ludwig-Maximilians-Univ. München, Nußbaumstraße 26, D-80336 München, E-Mail: [email protected]

Neuere Drogentrends

Fazit für die Praxis 1. In den letzten Jahren erschienen eine Vielzahl von Substanzen im Drogenmarkt, die unter dem Begriff „NPS“ (Neue Psychoaktive Substanzen) zusammengefasst werden.

2. Begriffe wie „Legal Highs“ oder „Badesalze“ sollen Legalität und Harmlosigkeit vortäuschen; nicht selten sind jedoch hoch wirksame berauschende Substanzen enthalten, die z. T. unter das BtMG fallen.

3. Die Rauschverläufe weisen öfters klinisch kritische Situationen bis hin zu tödlichen Ausgängen auf.

Keywords New psychoactive drugs – perhaps legal but not safe Legal highs – research chemicals – new psychoactive substances (NPS)

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Literatur 1. Musshoff F., Hottmann L., Hess C., Madea B. (2013) „Legal Highs” aus dem deutschen Internet – der Vormarsch der „Badesalz-Drogen”. Arch. Kriminol. 232: 91–103.

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