Übersicht | Review article

Neue Erkenntnisse zur Pathogenese und Ätiologie der koronaren Herzerkrankung New insights in pathogenesis and etiology of coronary artery disease

Autoren

R. Erbel1 G. Görge2

Institut

1 Klinik für Kardiologie, Westdeutsches Herzzentrum Essen, Universitätsklinikum Essen 2 Innere Klinik II, Klinikum Saarbrücken

Kardiologie

Hintergrund ▼

Übersicht | Review article

Schlüsselwörter Koronare Herzerkrankung Mikroembolisierung Mikroinfarkte vulnerable Plaques Atherosklerosis

q q q q q

Keywords coronary artery disease microembolization microinfarcts vulnerable plaques atherosclerosis

q q q q q

Bisher beruhte die Diagnose der koronaren Herzerkrankung auf dem Nachweis der typischen Angina pectoris und dem Nachweis einer myokardialen Ischämie unter Belastungsbedingungen. Dem zugrunde lag die Erkennung einer Koronarinsuffizienz mit Nachweis einer engen Beziehung zwischen Ausmaß einer Koronarstenose und Abnahme der myokardialen Durchblutung. Neue, nicht-invasive sowie invasive diagnostische Methoden und Biomarker zum Nachweis einer strukturellen Schädigung des Myokards erlauben heute eine neue Betrachtung der koronaren Herzerkrankung.

Pathogenese der Atherosklerose ▼

eingereicht 04.11.2013 akzeptiert 09.12.2013 Bibliografie DOI 10.1055/s-0033-1359960 Dtsch Med Wochenschr 0 2014; 1390 : S4–S8 · © Georg Thieme 0 Verlag KG · Stuttgart · New York · ISSN 0012-04721439-4 13 Korrespondenz Univ.-Prof. Dr. med. Raimund Erbel, FAHA, FESC, FACC, FASE Professor für Innere Medizin und Kardiologie, Klinik für Kardiologie, Westdeutsches Herzzentrum Essen, Universitätsklinikum Essen, Universität Duisburg-Essen Hufelandstr 55 D-45122 Essen Tel. 49 201 723 4800 Fax 49 201 723 5401 eMail [email protected]

Die Entwicklung der Atherosklerose von Koronargefäßen beginnt bereits im Kindes- und Jugendalter und ist durch viele, auch genetische und epigenetische Faktoren determiniert. Frühzeitig entstehen Störungen der Endothel-vermittelten Vasodilatation. Sie sind an einer Gefäßtonuserhöhung bei Provokationstesten erkennbar, z. B. durch Acetylcholin [52]. Die Ablagerungen beginnen lokal fast immer innerhalb der ersten 2 cm der linken Koronararterie bevor weitere Segmente betroffen sind [46, 48]. Typisch für das frühe Stadium der Atherosklerose mit „positivem Remodelling“ ist die exzentrische schalenförmige Plaquebildung mit gleichzeitig vorhandenen unauffälligen, scheinbar gesunden Gefäßabschnitten. Diese regulieren aber die Vasomotion und reagieren auf konstriktorische und vasodilatatorische Substanzen. Für die Diagnostik der koronaren Herzerkrankung hat dies eine besondere Bedeutung, da die Symptomatologie im Frühstadium nicht durch eine Koronarinsuffizienz im klassischen Sinne, wohl aber durch vasospastische Ereignisse gekennzeichnet ist, wie z. B. bei physischen und psychischen Stresssituationen, Entzündungen, Kälte und anderen Alpha-Rezeptor vermittelten Reaktionen.

Die aus der Pathologie gut bekannten Prädilektionsstellen konnten zwischenzeitlich invasiv mittels intravaskulärem Ultraschall und nicht-invasiv mittels CT nachgewiesen werden, so dass heute der natürliche Verlauf der koronaren Atherosklerose verfolgt werden kann [46]. Die Atherosklerose entwickelt sich gesetzmäßig in gut abgrenzbaren fünf Stadien [48]. Charakteristischerweise findet sich im Frühstadium zunächst eine Verdickung der Intima (Stadium Stary I), die sich nach Einlagerung von Lipidanteilen (fatty streaks) im Stadium Stary II umwandelt und im Stadium Stary III das Zwischenstadium erreicht. Die Einlagerung von Fettanteilen führt zur Ausbildung von Lipidkernen (Atheromen im Stadium Stary IV), die schließlich nur noch von einer fibrösen Kappe bedeckt werden. Die Umwandlung vom Atherom zum Fibroatherom (Stadium Stary V) bewirkt eine Kollagen-vermittelte Zunahme der Steifigkeit des Gefäßes, charakterisiert durch eine abnehmenden Pulsation des Gefäßes (Normalwert 10–15 %)[22], die heute bereits invasiv mittels Palpographie erfasst werden kann [45].

kurzgefasst „Ausschluss KHK“ nach Linksherzkatheter ist ein falscher Begriff und sollte im Herzkatheterbefund durch „kein Anhalt für angiografisch stenosierende KHK“ ersetzt werden. Frühformen der Atherosklerose sind nur über funktionelle Testungen (Vasomotion) oder Bildgebung der Gefäßwand erkennbar.

Das Glagov-Phänomen (Remodelling) ▼ Interessanterweise führt die Zunahme der Plaquegröße nicht zu einer Einengung der Gefäße, sondern zu einem Gefäßwachstum mit Umfangsvermehrung und dadurch gleichbleibendem Lumendurchmesser, bis zu einer Plaquegröße von

Heruntergeladen von: Rutgers University. Urheberrechtlich geschützt.

S4

Übersicht | Review article

kurzgefasst Scheinbare Befunddiskrepanzen zwischen Belastungstest, Koronarangiografie, CT und intravaskulärem Ultraschall (IVUS) erklären sich zum einen dadurch, dass die Angiografie nur das Lumen darstellt, CT und IVUS aber zusätzlich die Beurteilung der Gefäßwand erlauben. Selbst bei unauffälligen Koronarangiografie-, CT- und IVUS-Befunden kann eine Angina pectoris oder ein positiver Belastungstest aufgrund einer mikrovaskulären Störung vorliegen.

Vulnerable Plaquebildung ▼ Der Begriff der vulnerablen Plaquebildung geht auf J. Muller, Boston, zurück. Er war Mitbegründer der Gesellschaft „Internationale Ärzte zur Vermeidung des Atomkriegs“, die unter E. Chazov und B. Lown mit dem Friedensnobelpreis (1985) geehrt wurde. J. Muller übernahm aus der Diskussion um die kritische Situation, in der die Welt sich damals befand, den Begriff „vulnerable“ und übertrug ihn auf die Entwicklung der Atherosklerose. Der nekrotische Lipidkern im Stadium Stary IV und V (Atherom/Fibroatherom) nimmt kontinuierlich an Größe zu und wird zuletzt nur noch von einer dünnen fibrösen Kappe vom Gefäßlumen getrennt – „vulnerable Plaque“. Die fibröse Kappe steht kurz vor einem Einriss, wenn die Zahl der glatten Muskelzellen abnimmt, Makrophagen einwandern und die fibröse Kappe nur noch 60–80 μm erreicht. Die Makrophagen sind charakteristisch für eine inflammatorische Reaktion innerhalb der fibrösen Kappe, die jederzeit einreißen kann. Typisch ist zusätzlich eine verstärkte Neorevaskularisierung in der Adventitia. Mit dem IVUS können viele Phänomene der vulnerablen Plaques sicher erfasst werden: die exzentrische Atherombildung, das positive Remodelling und die fibröse Kappe. Die virtuelle Histologie erlaubt zusätzlich eine detaillierte Analyse der Plaquekomposition. Fibröse und lipidreiche Anteile werden erkannt, nekrotische Lipidkerne identifiziert [19]. J. Muller hatte die Idee zur Nutzung der Infrarotspektroskopie, um eine Lücke in der Diagnostik zu schließen: Mit dieser Technik gelang die Identifizierung von Lipidanteilen im Atherom. In Kombination mit dem intravaskulären Ultraschall wird so mit der Infrarotspektroskopie auf dreidimensionale Weise die Verteilung von lipidreichen Plaques im Koronargefäße möglich [36].

Jede Entzündung führt, auch in den Koronargefäßen, zu einer Temperaturerhöhung [7], die mit speziellen Thermosonden nachgewiesen werden kann [49]. Die Methode konnte sich bisher in der klinischen Forschung aufgrund technischer Schwierigkeiten nicht durchsetzen. Unter Verwendung von hochauflösendem Ultraschall und Kontrastmittel-Injektion ist heute auch eine verstärkte Neorevaskulasierung nachweisbar. [35]. Erste CT-Untersuchungen weisen in die Zukunft, denn vulnerable Plaques erscheinen mit einem typischen Bild, dem „Napkin Ring“, als Ausdruck des Remodellings und Atherombildung [38]. Kritische Situationen können eine Plaqueruptur begünstigen, z. B. krisenhafte Blutdruckanstiege, starke psychische Belastungen mit starker Vasokonstriktion, inflammatorische Prozesse bei Infekten, Arthritis, Psoriasis, Morbus Crohn oder medikamentös induzierte Immunsuppression und in der perioperativen Phase mit gleichzeitiger Stimulation und Ausbildung aktivierter Thrombozyten und Megakaryozyten. Eine Vorhersage des genauen Zeitpunktes bleibt eine schwer zu realisierende Anforderung an die Wissenschaft.

kurzgefasst Für den Patienten gefährliche aktivierte oder rupturgefährdete Plaques können nicht-invasiv mit den derzeit zur Verfügung stehen Methoden nicht identifiziert werden.

Das akute Koronarsyndrom ▼ Dem akuten Koronarsyndrom liegt eine einheitliche Pathogenese zugrunde [16]. In 65 % der Fälle wird eine Plaqueruptur, in 35 % der Fälle eine Plaqueerosion und in wenigen Fällen von 3–5 % eine Kalk-Protrusion ins Gefäßlumen entdeckt [6, 17]. Neben ausgewaschenen Plaqueulzera (Stadium Stary VIa) finden sich Plaque-Einblutungen (Stadium Stary VI b) und ausgedehnte Thromben-Ablagerungen (Stadium Stary VI c), die unter dem Begriff „komplizierte Plaques“ zusammengefasst werden [1, 13,34]. Die vulnerable Plaque kann plötzlich einreißen und eine Lawine von Folgeerscheinungen auslösen (q Abb. 1) [15]. Immer wieder werden mit dem Blutstrom an den komplizierten Plaques angelagerte Thromben abgeschwemmt und rufen rezidivierende Embolien hervor [15, 18, 31]. Unter bestimmten Konstellationen wie ausgeprägter Plaque-Bildung und Lumenreduktion kann diese Thrombosierung – weißer Thrombus (Plättchenthrombus) – progressiv sein und zu einem verschließenden Thrombus führen, der als roter Thrombus besonders viel Fibrin sowie Erythrozyten enthält. Ist die Plaqueruptur breit genug, so kann der gesamte Plaqueinhalt ausgeschwemmt werden. Es verbleibt ein Plaque-Ulkus. Angiografisch sind Füllungsdefekte als Hinweis auf Thromben, unregelmäßige Gefäßoberflächen und Aussackungen als Hinweis auf Plaqueulzerationen charakteristisch [1]. Neben der Größenbestimmung der Gefäße und des Lumens sowie der Plaques erlaubt der IVUS auch die Aufdeckung von Plaqueeinrissen, Ulzerationen und selten Plaqueeinblutungen [3, 4, 12, 23, 28, 51]. Mittels IVUS wurden erstmals Plaquerupturen und eine murale Thrombenbildung bei instabilen Patienten beschrieben [3, 4, 12, 13, 23, 28, 34, 51] sowie typische Charakteristika der Plaqueruptur identifiziert (Nachweis einer fibrösen Kappe, tiefe Ulzerationen, Einblutungen und positives Remodelling;

Dtsch Med Wochenschr 2014; 139: S4–S8 · R. Erbel u. G. Görge, Neue Erkenntnisse zur …

Heruntergeladen von: Rutgers University. Urheberrechtlich geschützt.

45–50 % bezogen auf den Gefäßquerschnitt [27]. Diese kompensatorische Größenzunahme des Gefäßes (positives Remodelling) bewirkt, dass sich zunächst keine Symptome entwickeln (subklinische koronare Herzerkrankung). Die in der Folge einsetzende Lumenreduktion führt erst ab einer Plaquegröße von 70–80 % zu einer bedeutsamen Lumeneinengung mit konsekutiver Abnahme der koronaren Flussreserve – zunächst nur unter Belastung, später auch in Ruhe. Dieses Phänomen wurde mit dem epikardialen, später dem intravaskulären Ultraschall (IVUS) nachgewiesen. [4, 21, 26]. Mittlerweile gelingt der Nachweis auch mit der CT, da neben den Verkalkungen unter Verwendung von Kontrastmitteln auch nicht verkalkte Plaques sichtbar werden [20]. Neben dem „positiven Remodelling“ wurde auch ein „negatives Remodelling“ wahrscheinlich auf dem Boden entzündlich bedingter Schrumpfungsprozesse nachgewiesen.

S5

Übersicht | Review article

Plaqueruptur/Plaqueerosion

Plaquematerial

Thrombotische Anteile

Lösliche Substanzen

Mikroembolisierung Akute Ischämie Mikroinfarkte Inflammatorische Reaktion NO, TNFα, Sphingosine, ROS

Arrhythmien

Adenosin

Störung der Kontraktion

Serotonin, Thromboxan A2

Abb. 1 Ereigniskaskade nach Plaqueruptur und Plaqueerosion mit Freisetzung von atherosklerotischem Plaquematerial, thrombotischen Anteilen und löslichen Substanzen. Mikroembolisierungen lösen umschriebene Ischämien aus, die wiederum akute Arrhythmien verursachen können oder Mikroinfarkte hervorrufen. Diese können direkt und über inflammtorische Prozesse verstärkt myokardiale Kontraktionsstörungen hervorrufen. In der Signalkaskade spielen Stickoxid (NO), Tumornekrosefaktor (TNF)-alpha, Sphingosine und reaktive oxydierte Substanzen (ROS) eine wichtige Rolle. Über Ischämie bedingte Freisetzung von Adenosin und löslichen Substanzen wie Thromboxan A2 und Serotonin ( beides stärkste vasokonstriktive Substanzen) aus dem atherosklerotischen Plaque entwickelt sich eine Einschränkung der koronaren Flussreserve [30].

Koronare Flussreserve↓ Abb. 2 Koronarogramm mit Vergrößerung und Darstellung einer Plaqueruptur (Stary Stadium Va) im Bereich des Ramus interventrikularis anterior erkennbar an einer Aussackung im Gefäßverlauf („Aneurysmabild“ in der Angiographie). Intravaskuläre Ultraschallschnittbilder von proximal nach distal (von links nach rechts) mit Darstellung eines Plaque-Ulkus nach vorangegangener Plaqueruptur und Ausschwemmung des Atheroms.. Reste der fibrösen Kappe sind erkennbar, ebenso das Gefäßremodelling (größter Gefäßdurchmesser im Bereich der Plaquerupturstelle im Vergleich zum Gefäßdurchmesser proximal und distal des Gefäßes). Virtuelle Histologie der intravaskulären Ultraschallbilder in Farbe mit Darstellung vorwiegend fibröser (grüner) und lipidreicher (gelb) Anteile. Am Ulkusgrund finden sich kalzifizierende (weiße) und nekrotische (rot) Anteile [54] (mit freundlicher Genehmigung von D. Boese, Essen).

q Abb. 2). Mittels 3D-Rekonstruktion konnte das Plaquevolumen berechnet und das Volumen des embolilisierten Materials aus der Größe der Plaqueulzeration abgeschätzt werden [3]. Embolisierte Plaquevolumina erreichen bis zu 25 mm³ (Mittel 12 ± 13 mm³), d. h. ca. 15–20 % einer im IVUS erfassten Plaquebildung [28]. Die optische Kohärenz-Tomographie (OCT) besitzt eine 10-fach höhere Auflösung als der IVUS und lässt nicht nur Plaquerupturen, sondern auch Erosionen der Intima und Plaquebildung innerhalb von Stents, besonders aber murale, sessile und flottiernde Thrombenbildungen erkennen [10, 41]. Zur Beschreibung der Oberflächenstruktur wird sogar die Angioskopie in Japan eingesetzt. Dies bedeutet, dass mittels der modernen invasiven Bildgebung alle wichtigen Komponenten einer vulnerablen Plaquebildung erkannt werden können.

kurzgefasst Für eine In-vivo-Histologie ist die optische Kohärenz-Tomographie der Goldstandard, der IVUS das weit verbreitete klinische Arbeitspferd. Die CT erlaubt die Beurteilung der rupturierten Plaques derzeit nur in Ausnahmefällen.

Mikroembolisierung und Mikroinfarzierung des akuten Koronarsyndroms Sowohl die Plaqueruptur mit ausgedehnten Thrombosierungen als auch die Ausschwemmung von atherosklerotischem Plaquematerial und die Plaque-Erosion mit konsekutiven Thrombozytenanlagerungen führen zu vielfachen Mikroembolisierungen des Myokards und zu Mikroinfarkten. Pathologisch-anatomisch sind in 70–80 % der Fälle entsprechende Mikroembolien und Infarkte nachgewiesen worden [9, 16]. Die instabile Angina pectoris und der akute Infarkt unterscheiden sich nur in Anzahl und Ausmaß der Mikroinfarkte, nicht aber in dem Nachweis von Mikroinfarkten selbst [16]. Auch bei 9–10 % der gesunden Menschen finden sich autoptisch Plaquerupturen, die bei Patienten mit Diabetes oder Hypertonie sogar in 20–25 % der Fälle nachgewiesen werden können. Solche Plaquerupturen können heilen oder über Wochen und Monate persistieren [6, 18, 33, 37]. In der Folge bilden sich neue Atherome und Fibroatherome, die erneut rupturieren und wieder heilen. Wie die Ringe eines Baumes baut sich Schicht für Schicht auf. So wird das Lumen des Gefäßes durch den wachsenden Schichtaufbau eingeengt (Progression der Koronarsklerose) [37].

Dtsch Med Wochenschr 2014; 139: S4–S8 · R. Erbel u. G. Görge, Neue Erkenntnisse zur …

Heruntergeladen von: Rutgers University. Urheberrechtlich geschützt.

S6

Übersicht | Review article

Um die pathologischen Effekte einer solchen Mikroembolisierung abzuschätzen, wurden experimentelle Untersuchungen von G. Heusch initiiert und eine Signalkaskade entdeckt, in der TNF-Alpha und Sphingomyeline (q Abb. 1) eine wesentliche Rolle spielen [29]. Erkennbare transiente und progrediente Funktionsstörungen bilden sich in wenigen Tagen zurück und sind mit akuten Arrhythmien verbunden [30, 47, 50]. Die myokardiale Perfusion bleibt stabil (das Perfusions-KontraktionsMismatch, d. h. unveränderte Perfusion bei myokardialer Funktionsstörung, ausgelöst durch die Mikroembolisierungen)[31]. Schon früh hatte Jürgen Meyer in seinen Analysen der perkutane transluminale Koronarangioplastie (PTCA) bei instabiler Angina pectoris erkannt, dass sich die Ergebnisse erheblich von denen bei stabiler Angina pectoris unterschieden, die Komplikationsrate größer und die Restenose höher waren [39, 40]. Als Ursache wurde eine unterschiedliche Plaquekomposition vermutet. Die Wertigkeit dieser Beobachtung wurde nach Einführung der Stentimplantation noch bedeutsamer, da die vulnerablen und komplizierten Plaques bei akutem Koronarsyndrom mit hohem Druck aufgedehnt werden. Das Ergebnis sind stärkere Mikroembolisierungen als bei stabiler Angina mit fibrotischen und mehr verkalkten Plaques. Diese Hypothese konnte durch IVUS-Untersuchungen vor und nach PTCA und Stentimplantation belegt werden, da eine Abnahme der Plaquegröße sichtbar wurde [25]. Außerdem wurde ein Anstieg der Koronardurchblutung gesehen, ausgelöst durch eine reaktive Hyperämie der nicht betroffenen benachbarten Arteriolen [14, 25, 29]. Dies war besonders bei hochfrequenter Rotationsangioplastie zu beobachtet, da hier die Mikroembolisierung besonders ausgeprägt ist und eine starke Mikrokavitationsbildung ausgelöst wird [53]. Unter Verwendung einer geänderten Dopplerverstärkung sind „high intensitiy transit signals“ (HITS) während der koronaren Intervention erkennbar, die als direkter Nachweis einer Mikroembolisierung gelten [2]. Mittels hochauflösendem MRT werden postinterventionell typische umschriebene Mikroinfarzierungen sichtbar, erkennbar an einem „late enhancement“ [8]. Zudem zeigten eigene experimentelle Untersuchungen mittels MRT, dass durchaus Mikroinfarzierungen auftreten können, die im intravitalen MRT nicht, wohl aber im MRT-Experiment mit signalverstärkenden Systemen erfasst werden können [5, 43].

Die Entwicklung neuer Biomarker, wie z. B. des hochsensitiven Troponins und Copeptins, haben die klinische Sichtweise verändert, da immer häufiger Patienten in der Notaufnahme gesehen werden, die mit akuten Beschwerden vorstellig werden, keine typische Angina pectoris, aber einen Anstieg von Troponin und anderen Biomarkern mit oder ohne EKG-Veränderungen zeigen, die in der folgenden Herzkatheteruntersuchungen nicht selten unauffällig bleiben. Die invasive intrakoronare Ultraschall-Untersuchung deckt in vielen Fällen Plaquerupturen und Erosionen (noch besser im OCT) auf, die als Quelle für nachfolgende Mikroembolisierungen mit Ausbildung von Mikroinfarkten angesehen werden können und helfen, diese klinischen Bilder zu erklären. Auch plötzliche und unerwartete Herztodesfälle können auf akute Plaquerupturen mit Ausschüttung großer Teile des Lipidkerns und nachfolgenden letalen Arrhythmien zurückgeführt werden, die in der Autopsie ohne erkennbaren Infarkt oder mit Verlegung der Mikrostrombahn erkennbar sind.

kurzgefasst Das Konzept der akuten oder rezidivierenden Mikroembolisation erklärt zahlreiche bisher „unerklärliche“ akute und chronische kardiovaskuläre Ereignisse.

Konsequenz für Klinik und Praxis 3Klassischerweise wird die Pathogenese der koronaren Herzerkrankung durch die Bildung von Koronarstenosen mit resultierenenden ausgedehnten myokardialen Perfusionsstörungen, die vom Grad der Stenosierung abhängen, erklärt. 3Die Erkenntnis von Mikroembolisierungen, die spontan oder iatrogen ausgelöst werden können, hat das Bild der Pathogenese der koronaren Herzerkrankung wesentlich verändert. Dadurch können viele bisher nicht erklärbare Krankheitsbildern, wie der Troponinbewegung bei akutem Koronarsyndrom aber normalen Koronargefäßen im Angiogramm oder das Auftreten von stummen Infarkten erklärt werden. 3Die neuen Befunde sollten Anlass sein, in der Prävention neue Wege zu beschreiten, denn jeder plötzliche, unerwartete Tod bei bisher völlig unauffälligen Menschen stellt ein Versagen unserer Präventionsstrategie dar und ruft nach einer frühzeitigen Aufdeckung einer klinischen Gefahrenquelle. Autorenerklärung: Die Autoren erklären, dass sie keine finanzielle Verbindung mit einer Firma haben, deren Produkt in diesem Beitrag eine Rolle spielt (oder mit einer Firma, die ein Konkurrenzprodukt vertreibt). Literatur

Diese Beobachtungen erlauben eine neue Interpretation von positiven, postinterventionellen CK-, CK-MB-, CK-MB-Masse- und Troponinbewegungen, die zunächst nur als Komplikation eines Seitenastverschlusses, einer Dissektion, Thrombenbildung oder Ischämie gedeutet wurden, aber durch Mikroembolisierungen verursacht und nicht verhindert werden können, da Stents mit hohem Druck in die Wand gepresst werden [11, 32]. Die periinterventionell auftretende Infarzierung wird heute in einer eigenen Klassifizierung vom klassischen Myokardinfarkt abgegrenzt. Allerdings bleibt nach wie vor umstritten, ob die periinterventionell auftretenden Mikroinfarkte prognostisch bedeutsam sind [31].

1 Ambrose JA, Winters SL, Arora RR et al. Angiographic evolution of coronary artery morphology in unstable angina. J Am Coll Cardiol 1986; 7: 472–478 2 Bahrmann P, Werner GS, Heusch G et al. Detection of coronary microembolization by Doppler ultrasound in patients with stable angina pectoris undergoing elective percutaneous coronary interventions. Circulation 2007; 115: 600–608 3 von Birgelen C, Klinkhart W, Mintz GS et al. Size of emptied plaque cavity following spontaneous rupture is related to coronary dimensions, not to the degree of lumen narrowing. A study with intravascular ultrasound in vivo. Heart 2000; 84: 483–488 4 von Birgelen C, Klinkhart W, Mintz GS et al. Plaque distribution and vascular remodeling of ruptured and nonruptured coronary plaques in the same vessel: an intravascular ultrasound study in vivo. J Am Coll Cardiol 2001; 37: 1864–1870

Dtsch Med Wochenschr 2014; 139: S4–S8 · R. Erbel u. G. Görge, Neue Erkenntnisse zur …

Heruntergeladen von: Rutgers University. Urheberrechtlich geschützt.

Selbst innerhalb von Stents, die lange Zeit offen bleiben, können sich neue Atherome entwickeln, die zu Fibroatherombildung und schließlich zu Ruptur führen. Neben akuten Stentthrombosen und der überschießenden Intimahyperplasie ist die Neoatherosklerose das wichtigste Langzeitproblem bei der Stentimplantation [42].

S7

Übersicht | Review article

5 Breuckmann F, Nassenstein K, Bucher C et al. Systematic analysis of functional and structural changes after coronary microembolization: a cardiac magnetic resonance imaging study. JACC Cardiovasc Imaging 2009; 2: 121–130 6 Burke AP, Kolodgie FD, Farb A et al. Healed plaque ruptures and sudden coronary death: evidence that subclinical rupture has a role in plaque progression. Circulation 2001; 103: 934–940 7 Casscells W, Hathorn B, David M et al. Thermal detection of cellular infiltrates in living atherosclerotic plaques: possible implications for plaque rupture and thrombosis. Lancet 1996; 347: 1447–1451 8 Choi JW, Gibson CM, Murphy SA et al. Myonecrosis following stent placement: association between impaired TIMI myocardial perfusion grade and MRI visualization of microinfarction. Catheter Cardiovasc Interv 2004; 61: 472–476 9 Davies MJ, Thomas AC. Plaque fissuring – the cause of acute myocardial infarction, sudden ischaemic death, and crescendo angina. Br Heart J 1985; 53: 363–373 10 Di Vito L, Prati F, Arbustini E et al. A „stable“ coronary plaque rupture documented by repeated OCT studies. JACC Cardiovasc Imaging 2013; 6: 835–836 11 Dirschinger J, Kastrati A, Neumann F-J et al. Influence of balloon pressure during stent placement in native coronary arteries on early and late angiographic and clinical outcome: A randomized evaluation of high-pressure inflation. Circulation 1999; 100: 918–923 12 Erbel R, Ge J, Görge G et al. Intravascular ultrasonography in coronary heart disease. Current aspects in the pathogenesis. Dtsch Med Wochenschr 1995; 120: 847–854 13 Erbel R, Ge J, Görge G et al. Intravascular ultrasound classification of atherosclerotic lesions according to American Heart Association recommendation. Coron Artery Dis 1999; 10: 489–499 14 Erbel R, Heusch G. Spontaneous and iatrogenic microembolization. A new concept for the pathogenesis of coronary artery disease. Herz 1999; 24: 493–495 15 Erbel R, Heusch G. Coronary microembolization. J Am Coll Cardiol 2000; 36: 22–24 16 Falk E. Unstable angina with fatal outcome: dynamic coronary thrombosis leading to infarction and/or sudden death. Autopsy evidence of recurrent mural thrombosis with peripheral embolization culminating in total vascular occlusion. Circulation 1985; 71: 699–708 17 Farb A, Burke AP, Tang AL et al. Coronary plaque erosion without rupture into a lipid core. A frequent cause of coronary thrombosis in sudden coronary death. Circulation 1996; 93: 1354–1363 18 Fernández-Ortiz A, Badimon JJ, Falk E et al. Characterization of the relative thrombogenicity of atherosclerotic plaque components: implications for consequences of plaque rupture. J Am Coll Cardiol 1994; 23: 1562–1569 19 Fuchs S, Lavi I, Tzang O et al. Necrotic core and thin cap fibrous atheroma distribution in native coronary artery lesion-containing segments: a virtual histology intravascular ultrasound study. Coron Artery Dis 2011; 22: 339–344 20 Gauss S, Achenbach S, Pflederer T et al. Assessment of coronary artery remodelling by dual-source CT: a head-to-head comparison with intravascular ultrasound. Heart 2011; 97: 991–997 21 Ge J, Erbel R, Zamorano J et al. Coronary artery remodeling in atherosclerotic disease: an intravascular ultrasonic study in vivo. Coron Artery Dis 1993; 4: 981–986 22 Ge J, Erbel R, Gerber T et al. Intravascular ultrasound imaging of angiographically normal coronary arteries: a prospective study in vivo. Br Heart J 1994; 71: 572–578 23 Ge J, Liu F, Kearney P et al. Intravascular ultrasound approach to the diagnosis of coronary artery aneurysms. Am Heart J 1995; 130: 765–771 24 Ge J, Haude M, Görge G et al. Silent healing of spontaneous plaque disruption demonstrated by intracoronary ultrasound. Eur Heart J 1995; 16: 1149–1151 25 Ge J, Erbel R, Zamorano J et al. Improvement of coronary morphology and blood flow after stenting. Assessment by intravascular ultrasound and intracoronary Doppler. Int J Card Imaging 1995; 11: 81–87 26 Gerber TC, Erbel R, Görge G et al. Extent of atherosclerosis and remodeling of the left main coronary artery determined by intravascular ultrasound. Am J Cardiol 1994; 73: 666–671 27 Glagov S, Weisenberg E, Zarins CK et al. Compensatory enlargement of human atherosclerotic coronary arteries. N Engl J Med 1987; 316: 1371– 1375 28 Gössl M, von Birgelen C, Mintz GS et al. Volumetric assessment of ulcerated ruptured coronary plaques with three-dimensional intravascular ultrasound in vivo. Am J Cardiol 2003; 91: 992–996 29 Herrmann J, Haude M, Lerman A et al. Abnormal coronary flow velocity reserve after coronary intervention is associated with cardiac marker elevation. Circulation 2001; 103: 2339–2345 30 Heusch G, Kleinbongard P, Böse D et al. Coronary microembolization: from bedside to bench and back to bedside. Circulation 2009; 120: 1822–1836

31 Heusch G. The regional myocardial flow-function relationship: a framework for an understanding of acute ischemia, hibernation, stunning and coronary microembolization. Circ Res 2013; 112: 1535–1537 32 Iakovou I, Mintz GS, Dangas G et al. Increased CK-MB release is a “tradeoff” for optimal stent implantation: an intravascular ultrasound study. J Am Coll Cardiol 2003; 42: 1900–1905 33 Jeremias A, Ge J, Erbel R. New insight into plaque healing after plaque rupture with subsequent thrombus formation detected by intravascular ultrasound. Heart 1997; 77: 293 34 Kearney P, Erbel R, Rupprecht HJ et al. Differences in the morphology of unstable and stable coronary lesions and their impact on the mechanisms of angioplasty. An in vivo study with intravascular ultrasound. Eur Heart J 1996; 17: 721–730 35 Kume T, Okura H, Fukahara K et al. Visualized of Coronary Plaque Vasa Vasorum by Intravascular Ultrasound. JACC Cardiol Interv 2013; 6: 985 36 Madder RD, Goldstein JA, Madden SP et al. Detection by Near-Infrared Spectroscopy of Large Lipid Core Plaques at Culprit Sites in Patients With Acute ST-Segment Elevation Myocardial Infarction. JACC Cardiovasc Interv 2013; 6: 838–846 37 Mann J, Davies MJ. Mechanisms of progression in native coronary artery disease: role of healed plaque disruption. Heart 1999; 82: 265–268 38 Maurovich-Horvat P, Hoffmann U, Vorpahl M et al. The napkin-ring sign: CT signature of high-risk coronary plaques?. JACC Cardiovasc Imaging 2010; 3: 440–444 39 Meyer J, Schmitz H, Erbel R et al. Treatment of unstable angina pectoris with percutaneous transluminal coronary angioplasty (PTCA). Cathet Cardiovasc Diagn 1981; 7: 361–371 40 Meyer J, Schmitz HJ, Kiesslich T et al. Percutaneous transluminal coronary angioplasty in patients with stable and unstable angina pectoris: analysis of early and late results. Am Heart J 1983; 106: 973–980 41 Miyamoto Y, Okura H, Kume T et al. Plaque characteristics of thin-cap fibroatheroma evaluated by OCT and IVUS. JACC Cardiovasc Imaging 2011; 4: 638–646 42 Nakazawa G, Otsuka F, Nakano M et al. The pathology of neoatherosclerosis in human coronary implants bare-metal and drug-eluting stents. J Am Coll Cardiol 2011; 57: 1314–1322 43 Nassenstein K, Breuckmann F, Bucher C et al. How much myocardial damage is necessary to enable detection of focal late gadolinium enhancement at cardiac MR imaging? Radiology 2008; 249: 829–835 44 Qian J, Ge J, Baumgart D et al. Prevalence of microvascular disease in patients with significant coronary artery disease. Herz 1999; 24: 548–557 45 Schaar JA, Regar E, Mastik F et al. Incidence of high-strain patterns in human coronary arteries: assessment with three-dimensional intravascular palpography and correlation with clinical presentation. Circulation 2004; 109: 2716–2719 46 Schmermund A, Baumgart D, Möhlenkamp S et al. Natural history and topographic pattern of progression of coronary calcification in symptomatic patients: An electron-beam CT study. Arterioscler Thromb Vasc Biol 2001; 21: 421–426 47 Skyschally A, Leineweber K, Gres P et al. Coronary microembolization. Basic Res Cardiol 2006; 101: 373–382 48 Stary HC, Chandler AB, Dinsmore RE et al. A definition of advanced types of atherosclerotic lesions and a histological classification of atherosclerosis. A report from the Committee on Vascular Lesions of the Council on Arteriosclerosis, American Heart Association. Circulation 1995; 92: 1355–1374 49 Takumi T, Lee S, Hamasaki S et al. Limitation of angiography to identify the culprit plaque in acute myocardial infarction with coronary total occlusion utility of coronary plaque temperature measurement to identify the culprit plaque. J Am Coll Cardiol 2007; 50: 2197–2203 50 Thielmann M, Dörge H, Martin C et al. Myocardial dysfunction with coronary microembolization: signal transduction through a sequence of nitric oxide, tumor necrosis factor-alpha, and sphingosine. Circ Res 2002; 90: 807–813 51 Zamorano J, Erbel R, Ge J et al. Spontaneous plaque rupture visualized by intravascular ultrasound. Eur Heart J 1994; 15: 131–133 52 Zeiher AM, Drexler H, Wollschläger H et al. Modulation of coronary vasomotor tone in humans. Progressive endothelial dysfunction with different early stages of coronary atherosclerosis. Circulation 1991; 83: 391–401 53 Zotz RJ, Erbel R, Philipp A et al. High-speed rotational angioplasty-induced echo contrast in vivo and in vitro optical analysis. Cathet Cardiovasc Diagn 1992; 26: 98–109 54 Erbel R. Koronare Herzerkrankung. In: Thelen M, Erbel R, Kreitner K-F, Barkhausen J Hrsg. Bildgebende Kardiodiagnostik. Stuttgart, Thieme 2007; 174–185

Dtsch Med Wochenschr 2014; 139: S4–S8 · R. Erbel u. G. Görge, Neue Erkenntnisse zur …

Heruntergeladen von: Rutgers University. Urheberrechtlich geschützt.

S8

[New insights in pathogenesis and etiology of coronary artery disease].

In clinical practice the non-invasive diagnosis of "coronary heart disease" is based on the clinical findings, the detection of ischemia at rest or du...
300KB Sizes 3 Downloads 0 Views