Übersicht

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Neue Biomarker im Serum und im Urin zur Detektion des Prostatakarzinoms New Biomarkers in Serum and Urine for Detection of Prostate Cancer

Autoren

C. Stephan1, 2, K. Jung1, 2, K. Miller1, B. Ralla1

Institute

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Schlüsselwörter ▶ Prostatakarzinom ● ▶ Diagnostik ● ▶ PSA ● ▶ Biomarker ●

Zusammenfassung

Abstract

Das prostataspezifische Antigen (PSA) hat in den letzten 3 Jahrzehnten das Management des Prostatakarzinoms (PCa) revolutioniert. Dieser häufig genutzte Biomarker hat trotz der eindeutigen Korrelation zum PCa eine geringe Spezifität, sodass ein dringender Bedarf an neuen Tumormarkern besteht, die v. a. klinisch relevante und aggressive Formen des PCa nachweisen können. Von allen Serummarkern zeigt nur der 2012 von der FDA zugelassene [ − 2]proPSA-basierte sogenannte „Prostate Health Index“ Phi eine verbesserte Spezifität gegenüber dem PSA und dem prozentualen freien PSA ( %fPSA). Andere Kallikreine im Serum oder auch Sarkosin im Serum und Urin zeigen unterschiedliche Ergebnisse und sollten deshalb eher zurückhaltend bezüglich ­einer verbesserten PCa-Detektion bewertet werden. Im Urin hat der ebenfalls 2012 von der FDA zugelassene mRNA-basierte Urinmarker „Prostate Cancer Gene 3“ (PCA3) nachgewiesen, dass v. a. bei Wiederholungsbiopsien eine verbesserte diag­nostische Genauigkeit im Vergleich zum PSA und  %fPSA möglich ist. Allerdings gibt es beim PCA3 eine ungenügende diagnostische Sensitivität bei hohen Werten als auch eine fehlende Korrelation zur Tumoraggressivität. Die Entdeckung der TMPRSS2:ETS-Genfusionen im Jahr 2005, welche im Gewebe von etwa 50 % aller PCa-Pa­ tienten auftreten, war ein Meilenstein in der Forschung des Prostatakarzinoms. Der auf der Plattform des PCA3 basierende Urintest für TMPRSS2:ETS zeigte allerdings nur in Kombina­ tion mit dem PCA3 eine verbesserte diagnostische Effizienz. Im direkten Vergleich der beiden besten derzeit verfügbaren Tumormarker sind Phi und PCA3 als gleichwertig anzusehen.

Prostate-specific antigen (PSA) has revolu­ tionized the management of prostate cancer (PCa) within the last 3 decades. This widely used tumour marker strongly correlates with the risk of harbouring a PCa but it lacks specificity. Therefore there is an urgent need for new biomarkers especially to detect clinically significant and aggressive PCa. Of all PSA-based markers, only the FDA-approved prostate health index phi shows improved specificity over percent free ( %fPSA) and total PSA. Other serum kallikreins or sarcosine in serum or urine show more ambiguous data. In urine, the FDA-approved prostate cancer gene 3 (PCA3) has also proven its utility in the detection and management of early PCa with advantages as compared with PSA and  %fPSA. However, some aspects of its correlation with aggressiveness and the low sensitivity at very high values have to be re-examined. The detection of alterations of the androgen regulated TMPRSS2 and ETS transcription factor genes in tissue of ~50 % of all PCa patients was a milestone in PCa research. But only the combination of the urinary assays for TMPRSS2:ERG gene fusion and PCA3 (both use the same platform) show the expected improved accuracy for PCa detection. Comparisons of phi and PCA3, the best available PCa biomarkers so far, show an equal performance of both parameters.

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0034-1398544 Akt Urol 2015; 46: 129–143 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0001-7868 Korrespondenzadresse Prof. Dr. Carsten Stephan Klinik und Poliklinik für Urologie Charité – Universitätsmedizin Berlin CCM Charitéplatz 1 10117 Berlin Tel.:  + 49/30/450 515052 Fax:  + 49/30/450 515904 [email protected]

 Klinik für Urologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin  Berliner Forschungsinstitut für Urologie, Berlin





Stephan C et al. Serum- und Urinmarker für die PCa-Detektion …  Akt Urol 2015; 46: 129–143

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Key words ▶ prostate cancer ● ▶ diagnosis ● ▶ PSA ● ▶ biomarkers ●

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Übersicht Abkürzungen



ANN artifizielles neuronales Netzwerk AUC area under receiver operating characteristic curve (engl.) Fläche unter der ROC-Kurve BPH benigne Prostatahyperplasie cPSA komplexiertes PSA DRU digital-rektale Untersuchung fPSA freies PSA iPSA intaktes PSA KLK humanes Kallikrein LR logistische Regression MIC-1 Makrophagen Inhibitor Zytokin 1 MIF Makrophagen Migrations Inhibitor Faktor PCa Prostatakarzinom PCA3 prostate cancer gene 3 (engl.) Phi Prostate Health Index PSA prostataspezifisches Antigen  %fPSA prozentuales freies PSA tPSA totales PSA (Gesamt-PSA) proPSA Vorform des PSA p2PSA [− 2]proPSA ROC receiver operating characteristic (engl.)

1 Serummarker



1.1 Prostataspezifisches Antigen (PSA)

Prostataspezifisches Antigen (PSA), ein Glykoprotein, besteht aus 237 Aminosäuren und wird primär in den Prostataepithelzellen synthetisiert und dann in das Seminalplasma sezerniert [1]. Es ist in seiner biologischen Funktion für die Verflüssigung des ­Samens verantwortlich. Die Konzentration beträgt im Seminalplasma 0,5–3 g/l und ist somit 106-fach höher als im Serum (bis ca. 4 µg/l bei gesunden Männern) [2]. Ein massiver PSA-Anstieg im Serum kann nur durch eine Schädigung der Basalmembran der Prostataepithelzellen verursacht werden [3]. Erstmals 1979 durch Wang et al. beschrieben [4] ist PSA einer der weltweit am häufigsten genutzten Tumormarker bei der Diag­ nostik des Prostatakarzinoms (PCa). Durch den vermehrten Einsatz von PSA kann das PCa heute deutlich früher erkannt und therapiert werden [5]. Obwohl PSA [6, 7] und auch ein Anstieg des PSA über einen ­bestimmten Zeitraum [8, 9] stark mit dem Vorhandensein eines PCa korrelieren, führen gutartige Veränderungen wie die benignen Prostatahyperplasie (BPH) oder Entzündungen der Prostata viel häufiger als das PCa zu einer Erhöhung des PSA [10]. Auch Manipulationen der Prostata (z. B. digitale rektale Untersuchung, DRU), Prostatabiopsie, Anlage eines Harnröhrenkatheters, aber auch eine Ejakulation oder Fahrradfahren können den PSA-Wert teilweise stark beeinflussen [5]. PSA ist ein prostataspezifischer Marker, jedoch mit einer geringen Spezifität für das PCa, was eine Überdiagnostik und Übertherapie zur Folge haben kann [5]. Eine Metaanalyse von Mistry und Cable ergab, dass aufgrund der geringen Spezifität von 25 % beim bisherigen PSA-Grenzwert von ca. 4 μg/l bzw. ng/ml die PCa-Detektionsrate 20–40 % bei Prostata-Erstbiopsien mit ­einem positiven prädiktiven Wert von 25 % betrug [11]. Im Ergebnis werden zu viele unnötige Biopsien durchgeführt. Diese relativ geringe Spezifität stellt ein Hauptproblem bei der Bewertung der PSA-Konzentration dar. Ziele der weiteren Forschung sind die Verbesserung der Spezifität und die bevorzugte

Diagnostik von aggressiven Tumoren. Hier gibt es seit den 1990er-Jahren deutliche Fortschritte.

1.2 PSA-basierte Serummarker 1.2.1 PSA-Komplexe mit Protease-Inhibitoren

Zwei skandinavische Forschungsgruppen fanden 1991 unabhängig voneinander heraus, dass PSA in verschiedenen molekularen Formen vorkommt [12, 13]. PSA zirkuliert nur zu einem kleinen Teil (15–35 %) frei bzw. ungebunden im Blut, 65–95 % der PSA-Moleküle sind an α1Antichymotrypsin (ACT-PSA) gebunden. Darüberhinaus bindet PSA auch an andere Inhibitoren wie α1-Protease-Inhibitor (API) oder α2-Makroglobulin (A2M), in unwesentlichen Teilen auch an Inter-α-Trypsin-Inhibitor, Antithrombin III oder Protein C, wobei der Protein-C-Komplex bislang nur im Seminalplasma nachgewiesen werden konnte [14].

1.2.1.1 ACT-PSA  PCa-Patienten weisen einen höheren Anteil des ACT-PSA am Gesamt-PSA (engl. total PSA = tPSA) auf als Pa­ tienten ohne PCa [13]. Die Ursache für die Unterschiede zwischen BPH-Patienten, die die Hauptgruppe der Patienten mit PSA-Erhöhung darstellen, und Patienten mit PCa ist noch immer nicht zweifelsfrei geklärt. Als mögliche Erklärung wird angenommen, dass bei PCa-Patienten der (teilweise) Verlust der prosta­ tischen Gewebearchitektur für einen schnelleren Übertritt des PSA aus den Prostataepithelzellen ins Blut verantwortlich ist [3]. Dort kann sich das PSA rasch an ACT und weitere Inhibitoren wie API oder A2M binden, die in einer deutlich höheren Kon­ zentration im Blut vorkommen als PSA [15]. Bei BPH-Patienten ist es am wahrscheinlichsten, dass das inaktive und zu etwa 98 % freie PSA (nach zellulärer Freisetzung) durch eine partielle proteolytische Spaltung im Extrazellulärraum zu einem gewissen Teil nicht mehr in der Lage ist, mit ACT im Blut eine Bindung einzugehen [15]. Daher ist bei BPH-Patienten im Vergleich zu PCa-Patienten der Anteil des ACT-PSA geringer und der relative Anteil des fPSA (prozentual freies PSA,  %fPSA) höher. Die unterschiedlichen Anteile des fPSA und des ACT-PSA entstehen ­extrazellulär oder erst im Blut. Diese Theorie wurde mehrfach bestätigt, da PSA im Prostatagewebe fast ausschließlich als ­freies, unkomplexiertes PSA vorkommt [16–18]. 1.2.1.2 PSA-Komplexe mit API und A2M  Erst gegen Ende der 1990er-Jahre konnten PSA-Komplexe mit API und A2M quantitativ gemessen werden [19, 20]. API-PSA [21] und A2M-PSA [22] sind, im Gegensatz zum ACT-PSA, bei BPH-Patienten signifikant ­erhöht. Der Anteil des API-PSA am tPSA beträgt bei BPH-Patienten 1,6 %, bei PCa-Patienten 0,9 % [21], das A2M-PSA hat entsprechend höhere tPSA-Anteile: bei BPH-Patienten 12 %, bei PCa-­ Patienten 8 % [22]. Es wird postuliert, dass der höhere Anteil des inaktiven PSA bei den BPH-Patienten zwar nicht mehr an ACT, aber an A2M binden kann und somit für die höheren A2M-PSAKonzentrationen verantwortlich ist [23]. Bisher existieren allerdings noch keine kommerziellen Tests für diese beiden PSA-Komplexe. Das 25-fach größere A2M umschließt komplett das PSA-Molekül, sodass die PSA-Epitope nicht mit kommerziell erhältlichen PSA-Testsystemen erfasst werden können. Nur eine technisch aufwendige Spaltung des A2M-PSA mittels pH-Verschiebung ermöglicht eine Bestimmung [20]. Die Analyse des API-PSA gestaltet sich aufgrund des geringen Anteils am tPSA als schwierig [19].

Stephan C et al. Serum- und Urinmarker für die PCa-Detektion …  Akt Urol 2015; 46: 129–143

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1.2.1.3 Komplexiertes PSA (cPSA)  Im Jahr 1998 wurde eine Methode beschrieben, mit der das sogenannte komplexierte PSA (cPSA) erfasst werden kann [24]. Die Bestimmung basiert auf dem Prinzip, dass der zum Nachweis von tPSA verwendete ­monoklonale Antikörper seine Bindungsfähigkeit zum fPSA in Anwesenheit eines zweiten für fPSA spezifischen monoklonalen Antikörpers verliert [24]. Dabei wird neben ACT-PSA auch APIPSA erfasst. Allerdings kann das cPSA nur vergleichbare Ergebnisse zum Quotienten aus fPSA und tPSA erzielen, wenn auch der Quotient zum tPSA gebildet wurde [25, 26], obwohl in einer Metaanalyse festgestellt wurde, dass cPSA und  %fPSA vergleichbare Ergebnisse erzielen können [27].

1.2.2 Prozentuales freies PSA ( %fPSA)

fPSA hat sich aufgrund früherer analytischer Schwierigkeiten bei der Messung des ACT-PSA als Messwert durchgesetzt, auch wenn aus theoretischer Sicht ACT-PSA und cPSA eher karzinomspezifisch sind als fPSA. Ein Vorteil für das ACT-PSA oder den Quotienten ACT-PSA/tPSA im Vergleich zum  %fPSA konnte ­bisher in keiner Studie gezeigt werden [28, 29], weshalb die meisten Studien zur Validierung molekularer PSA-Formen zum  %fPSA publiziert wurden [30]. Für die korrekte Interpretation des  %fPSA-Werts sind verschiedene Einflussfaktoren zu berücksichtigen. Die  %fPSA-Werte erhöhen sich bei zunehmendem Prostatavolumen, einem klinischen Zeichen der BPH [31, 32]. Daher ist bei PCa-Patienten mit vergrößerter Prostata immer zu bedenken, dass  %fPSA als ­Tumormarker in diesem Fall eher falsch negative Werte anzeigt, da ja auch gleichzeitig eine BPH vorliegt [33]. Eine bessere Differenzierung zwischen BPH- und PCa-Patienten durch  %fPSA ist daher eher bei kleineren Drüsen ( 

[New biomarkers in serum and urine for detection of prostate cancer].

Prostate-specific antigen (PSA) has revolutionized the management of prostate cancer (PCa) within the last 3 decades. This widely used tumour marker s...
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