J. Neurol. 213, 59---70 (1976) © by Springer-Verlag 1976

Neurologische und psychiatrische Folgesymptome bei akuter Arsen-Wasserstoff-Vergiftung* G. Frank Universit~ts-Nervenklinik Marburg/Lahn (Profi Dr. H. Jacob) Eingegangen am 5. November 1975 Neurological and Psychiatric Disorders Following Acute Arsine Poisoning

Summary. Follow-up study of 6 workers, who after survival of an acute arsine poisoning, developed psychopathologic and neurologie abnormalities. The symptoms appeared after a latency of 1 to 6 months indicating a toxic polyneuropathy and a mild psycho-organic syndrome. The severity of these reversible manifestations was directly related to the period of time of exposure to amine. The clinical picture of arsine polyneuropathy was similar to that observed in arsenic poisoning, suggesting that arsine polyneurepathy is due to the action of arsenic. The psychopathologic syndrome corresponds to the so-called ,,Vergiftungssl~tfolgesyndrom" and therefore does not appear to be a specific sequel of arsine poisoning. Key words: Arsine poisoning - - Toxic polyneuropathy - - Psycho-organic syndrome. Zusammenfassung. Anhand katamnestischer Untersuchungen an 6 ~berlebenden einer akuten Arsen-Wasserstoff-Intoxikation konnten psyehopathologische und neurologische Folgesch~den nachgewiesen werden. Die nach einer besehwerdefreien Latenz yon 1 bis 6 und mehr ]~Ionaten nach Abklingen der akuten Symptomatik auftretenden reversiblen SpKtfolgenwaren dureh eine toxische Polyneurepathie yore asymmetrisch-proximalen und symmetrischdistalen Manifestationstyp - - jeweils ohne Hirnnervenbeteiligung - - und ein leichtes hirnorganisches Psychosyndrom gekennzeichnet. Das Ansmal3 der Folgesymptomatik korrelierte mit der Schwere der akuten Intoxikation. Verlauf und Manifestation der Polyneuropathie zeigten sich mit entsprechenden Befunden nach Arsenvergiftung identisch. Es ist zu vermuten, dal] es sich hierbei um Folgen einer Arseneinwirkung handelt. Die psychopathologische Symptomatik entspricht einem sog. Vergiftungssp~tfolgesyndrom und ist insofern noxenunspezifisch. Das klinische Bild der racist gewerbliehen akuten Arsen-Wasserstoff-Vergfftung ist dureh die h/~molytisehe Wirkung des Arsen-Wasserstoffs (AsHa) gekennzeichnet, wobei die unmittelbaren Folgeerseheinungen der H/~molyse mit H~moglobinuric, tubul/~rer Nierenseh~ligung, An/~mie und Hypox/~mie ganz im Vordergrunde stehen (Kommission der Europ~isehen Gemeinschaften, 1966; Moesehlin, 1972). Die Mortalit~t ist relativ hoeh (Mann, 1895, 36,7%; Jones, 1907, 33%; Muehlberger, 1928, 20%; LSning, 1931, 28%; Kogan, 1931, 3 0 - - 6 0 % ; Flury, 1931, 30%; Bomford, 1932, 28%; Legge, 1934, 25---30%; Macaulay, 1956, 30%; Buchanan, 1962, 22,5~). Zur Folgesymptomatik der akuten Tntoxikation ist wenig bekannt. Naoh Moesehlin (1972) heilt die Vergiftung nach einer lfialgeren Rekonvaleszenz im allge* Herrn Prof. Jacob zum Geburtstag gewidmet.

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meinen ohne Dauersch~digung aus. Gelegentlich kSnnen Nieren- u n d MyokardfunktionsstSrungen oder eine chronische An~raie (Koelsch, 1936 ; Moeschlin, 1946 ; Lasch, 1948 ; B r a u n u. DSnhardt, 1970) bestehen bleiben. N u r in wenigen Einzelfi~llen werden Neuritiden erwi~hnt (Moreau, 1918; Dudley, 1919; Muehlberger u. Mitarb., 1928; Boraford u. Hunter, 1932; Taeger, 1941; Gaultier u. Mitarb., 1949; Koelsch, 1962; Derot u. Mitarb., 1962; Koramission der Europi~ischen Gemeinschaften, 1966; G o o d m a n u. Gilman, 1970). Beobachtungen psyehopathologischer StSrungen sind nicht beschrieben. Angesichts d e r n u r sporadischen A n d e u t u n g e n fiber Folgeerscheinungen seitens des Nervensysteras soll zusaramenfassend zur Frage psychiatrischer u n d neurologischer Sp~tkomplikationen oder Dauerschi~den Stellung genomraen werden, dies insbesondere ira Hinblick a u f die B e g u t a c h t u n g solcher - - infolge arbeitsraedizinischer Vorsorge heute seltenerer - - Vergiftungsf~lle.

Methodik Es wurden 6 Arbeiter, die im Alter y o n 18 bis 43 J a h r e n am 10. 3. 1969 eine akute Arsen-Wasserstoff-Vergiftung erlitten hatten, fiber einen Zeitraura y o n 2 bis m a x i m a l 6 J a h r e n in Monats- bis Jahresabst£nden psychiatrisch, neurologisch, elektromyographisch u n d elektrencephalographisch nachuntersucht. Neurologische u n d psychiatrische Vorkrankheiten bestanden bei keinera der Untersuchten. Bezfiglich des I n t o x i k a t i o n s m o d u s wurde a u f gewerbeteehnische und toxikologische A n g a b e n zurfickgegriffen. Die zura Verst~ndnis und zur Einordnung der erhobenen Befunde notwendigen Angaben zur Akutsyraptoraatik sind vorwiegend anaranestischer Natur. N u r in 1 Falle (Fall 4, W. Sch.) standen laborcheraische D a t e n - - allerdings keine Ergebnisse der quantitativen Arsenbestimmungen ira Serum - - zur Verfiigung. Ira Falle eines Verstorbenen (Fall 1, E. W.) erfolgten neuropathologisehe u n d toxikologische Untersuehungen 1.

Vergfftungsquelle Der Unfall ereignete sich in einem tterstelhmgsbetrieb fiir Farbengrundstoffe (Lithopone). Das zur Farbenherstellung benStigte Zinksulfat wird dutch Auslaugen zinkhaltiger Abfalle (Zinkkr~tze, Zinkasche oder Zinksalmiak) mit 30~oiger Schwefels~ure gewonnen. Die bei 15 yon 30 Proben mit Arsen verunreinigten Zinkabf~lle werden in Gegenwart yon Wasser zermahlen. Die w~Brige Aufschwemmung der Zinkabf~lle wird in 4000- bis 50001-Bottichen mit der Schwefels~ure zusammengebracht. Die mit einem Entliiftungskamin versehenen Zink15sebottiche sind abgedeckt. Jeder Deekel hat eine grSBere 0ffnung zur Probeentnahme ((~%erwachung des pH-Wertes). Durch die entstehende ReaktionswKrme bis nahe 100°C wird die Voraussetzung fiir eine gutc Entlfiftung der Bottiche geschaffen. Es wird angenommen, dab am Unfalttage infolge einmaliger Wind- und Temperaturverh~ltnisse die Bottiehatmosph~re und damit der sich im Umsetzungsprozel~ entwickelnde Arsen-Wasserstoff dutch die ProbeabnahmeSffnung in den Arbeitsraum gedriickt wurde. Das geruch- und farblose Gas konnte am Unfalltage mittels Gasspiirger~ten in der n~heren Umgebung der Zinkansatzbottiche nachgewiesen werden. Die Expositionsdauer betrug etwa 10 bis maximal 90 min (s. Tabelle 1). 1 Wesenttiche Einzelbefunde verdanke ieh den Mitarbeitern der EMG- und EEG-Abt. (Univ.-Nervenklinik Marburg) sowie den Herren ProL Dr. W. Hort (Pathol. Institut Universit~t Marburg), Prof. Dr. H. Jacob (Nervenklinik und Neuropathol. Institut Universit~t Marburg), Dipl.-Chem. G. Kamm (Chem. Abt. Institut f. Rechtsmedizin Universit~t Marburg) und Prof. Dr. G. A. Martini (Mediz. Klinik Universit~t Marburg).

Folgesymptome bei akuter Arsen-Wasserstoff-Vergiftung

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Tabelle 1. Neurologische und psyehiatrische Folgesch~den in Korrelation zur Sehwere der akuten Intoxikation. ~bersicht der Einzelf~lle Psyehopathologisehe und neurologische Sp~itsymptomatik (l~anifestationszeitpunktin Monaten naeh der Intoxikation)

Name, Alter z.Z. der Intoxikation

Dauer der Exposition in der ZAS (Minuten)

Stunden bis zum Auftreten der Prodromalsymptome, Symptome der akuten Intoxikation

1. E . W . 26 J.

ca. 60--90

ca. 4 schwere Hiimolyse, Ikterus, Anurie, BewuBtseinstriibung, Exitus nach 6 Tagen. Ther. : PD, AT, VT

2. W.R. 32 J.

ca. 60

akut beginnende, zun~ichst distale, ca. 2 schwere H~molyse, Ikterus, sparer proximal betonte RumpfHiimaturie,Niereninsuffizienz, und Extremit~tenparaesthesien, Benommenheit, symmetrische leiehtes hirnorganisehes PsychoExtremit~tenparaesthesien. syndrom (8), passagerer EEGHerdbefund (8) Ther. : PD, AT, VT

3. G.K. 41 J.

ca. 30

proximal betonte Rumpf- und Exca. 3---4 Hgmolyse, Ikterus, drohende tremit~t~nparaesthesien, Meralgia paraesthetica (1), leichtes hirnNiereninsuffizienz. organisehes Psyehosyndrom (1), Ther. : AT, VT Schwerpunkt-Polyneuropathie (30)

4. W. Sch. 42 J.

ca. 30--45

ca. 6 H~molyse, H~maturie, Ikterus, drohende Niereninsuffizienz (s. Text). Ther. : AT, VT

proximal betonte Rumpf- und Extremit~tenparaesthesien (4), leichtes hirnorganischesPsychosyndrom (6), Sehwerpunkt-Polyneuropathie (8), Zeichen der Riickbildung (36)

5. M. Sch. 18 J.

ca. 30

ca. 8 geringe Hgmolyse

raseh fliichtiges leichtes hirnorganisehes Psyehosyndrom (5)

6. H . H .

ca. 10

ca. 16 geringe H~molyse und Hgmaturie

distal betonte Extremit~tenparaesthesien (11), manifeste symmetrisch-sensible Polyneuropathie, gleiehzeitig leiehteshirnorganisches Psychosyndrom (24)

?

ca. 10--12 geringe H~molyse

leichtes himorganisehes Psychosyndrom (5), distale Extremit;4tenparaesthesien (13), manifeste symmetriseh-sensible Polyneuropathie (28)

43 J.

7. W.M. 48 J.

Abk~rzungen. ZAS: Zinkansatzstation, Ther.: wesentliche therapeutisehe MaBnahmen, PD: Peritonealdialyse, AT: Austauschtransfusion, VT: Vollbluttransfusion.

Ergebnisse Nach uncharakteristisehen Prodromi wie t~belkeit, Schwindel, Erbrechen und Atemnot innerhalb yon 2 bis 16 h nach der Intoxikation traten bei allen 7 Besch~ftigten - - entsprechend der Exposition in unterschiedliehem Grade - - die typischen Zeichen der a k u ~ n Vergiftung auf (s. tabellarische ]~bersieht). Die beiden in unmittelbarer Umgebung der Zinkansatzbottiche besch~ftigten Probeentnehmer zeigten sich am schwersten betroffen. In beiden l~llen stellte

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sich eine schwere H~Lmolyse mit h~molytischem Ikterus, H~maturie und Niereninsuffizienz ein. Im Falle des 26j~hrigen E.W. (Tall 1) kam es nach 6 Tagen unter zunehmender Bewul3tseinstriibung und Anurie zum Tode. Die neuropathologischen Untersuchungen des Gehirns (Fall 1) erbrachten bis auf einen unspezifischen Reizzustand mit adventitiell-lymphoeyt~tren Infiltraten im Striatum und chromatolytischen Nervzellver~nderungen in Kernen des Hirnstammes sowie geringffigigen subarachnoidalen Blutaustritten des Stirn- und Schl~fenhimpols keine Besonderheiten. Im Vordergrunde stand im fibrigen das Bild einer h~moglobinurischen Chromoproteinniere, einer akuten Leberzellsch~digung und allgemeinen Eisenspeicherung der Organe. Todesursache war der Kreislaufzusammenbruch durch ,,innere Erstickung" infolge Blutzerfalls. Die chemisch-toxikologisehen Untersuchungen dieses Falles (Tall 1) wiesen auf einen in den einzelnen Organen unterschiedliehen Gehalt an Arsen hin (durchsehnittlicher Normgehalt yon Arsen 100 bis 300 ~g/1000 g K6rpergewicht, Bersin, 1963): Im Austausch-Blut 8,5 ~g/100 ml, in der Leber 342 ~g/100 g, in der Niere 123 ~g/100 g, in der Beinmuskulatur 25,9 ~g/100 g in der Bauchmuskulatur 30,9 ~g/100 g. Eine zus~tzliche Antimonbeteiligung liel3 sieh nicht sieher ausschliel3en. In den vergleichsweise weniger exponierten F~llen 3 und 4 bestand mit einer drohenden Niereninsuffizienz bei H~molyse, H~maturie und h~molytischem Ikterus das Bild einer mittelschweren Intoxikation. Im Falle 4 (W. Sch.) kam es zu einer sehr starken H~molyse mit einem Abfall des Hb yon 15,2 g~o bei der Aufnahme auf 7,3 g%, yon 4,4 Mill. Ery auf 2,6 Mill. mit Ansteigen des Serumh~moglobins yon 491 auf 780 mg~o und mit 1650 mg~o erh6htem Hb im Urin. Im Urinsediment H~moglobincylinder. Retieulocytenanstieg auf 920/00. BSG zun~chst 3/5, sparer 65/95 mm n.W., Bilirubin 4,7 mg~o, Kreatinin und Harnstoff 1,4 bzw. 74 mg~/o (Verlaufswerte liegen nicht vor). SGOT auf 39 U/1 vermehrt bei normaler alka|ischer Phosphatase und SGPT. Muskelbioptische Untersuchungen ergaben keine wesentlichen krankhaften Ver~nderungen. Leberbioptisch wurde eine geringe Siderose und leichte Cholostase nachgewiesen. Die Blutgasanalyse ergab eine hochgradige Hypox~mie bei normalem C02-Druck und ausgeglichenem S~ure-Basen-Status. Bei der Entlassung etwa 4 Woehen nach der Intoxikation lag das Hb bei 13,7 g~/o, die Ery bei 4,2 Mill., die Leukocyten bei 6100, die Retieuloeyten bei 11°/00. Die Sertunwerte hatten sich mit Ausnahme der auf 15 U/I erh6hten SGOT normalisiert. Im Urin auBer einigen Leukoeyten keine pathologischen Bestandteile. Die F~lle 5---7 zeigten infolge d e r n u r flfichtigen Exposition eine leiehte Vergiftungssymptomatik, vorwiegend in Form einer leichten H~mo]yse. Nennenswerte neurologische oder psychische Auff~lligkeiten im akuten Stadium wurden bis auf Bewul3tseinstriibungen in den F~llen 1 und 2 nicht beobachtet. Im Falle 2 waren noch vor dem akuten Vergiftungsbild heftige Paraesthesien mit Taubheitsgefiihl aller Extremit~tenenden aufgefallen. In den FKllen 1--4 waren mehrfach Austauseh- und Vollbluttransfusionen notwendig, in den beiden ersten besonders schwer betroffenen F~llen zudem Peritonealdialysen. S~mtliche ~tberlebenden wurden naeh wenigen Woehen zun~ehst weitgehend beschwerdefrei aus der station~ren Akutbehandlung entlassen. Die K a t a m n e s e s~mtlicher 6 U n t e r s u c h t e n i s t in c h a r a k t e r i s t i s c h e r W e i s e u n d e n t s p r e e h e n d d e m S e h w e r e g r a d d e r a k u t e n I n t o x i k a t i o n r e l a t i v gleiehfSrmig. Als P r o t o t y p w i r d d e r fiber einen Z e i t r a u m y o n 6 J a h r e n b e o b a e h t e t e F a l l 4 (W. Sch., g e b o r e n 18. 12. 1927) d a r g e s t e l l t : Z u m Z e i t p u n k t d e r Vergiftung 42j~hriger Mann, belanglose Vorgesehichte. E n t s p r e c h e n d d e m S c h w e r e g r a d d e r I n t o x i k a t i o n e t w a a n 3. Stelle d e r sechskSpfigen G r u p p e . H ~ m o l y s e u n d d r o h e n d e Niereninsuffizienz i n n e r h a l b weniger W o c h e n b e h o b e n , so dal3 e t w a 1 M o n a t n a c h d e m Ereignis bis a u f ein geringes allgemeines Sehw~chegeffihl besehwerdefrei. Klinisch-neurologiseh u n d psyehisch einsehliel3lich E E G u n d E M G unauff~llig. 4 M o n a t e n a e h d e r I n t o x i k a t i o n K l a g e n fiber z u n e h m e n d e E r s c h S p f b a r k e i t , R e i z b a r k e i t u n d Ger~uschempfindliehkeit sowie Neigung zu Schwei6ausbrfichen, A p p e t i t r f i c k g a n g , ~ b e l k e i t u n d gelegentliches E r b r e c h e n . Schmerzen u n t e r h a l b des

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rechten Rippenbogens und Taubheitsgefiihl der H~nde und Fingerspitzen beiderseits. Aul3er vegetativen Stigmata psyehisch wie neurologisch sonst unaufF~llig. 6 Monate nach der Intoxikation verst~rkt Klagen fiber zunehmende SchlafstSrungen, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, inhere Unruhe und Erregbarkeit, Leistungsnachlal3 und gedrfickte Stimmung. Zns~tzlich ,,Knochenschmerzen" llnke Sehulter und Nacken beiderseits sowie Druekgefiihl rechter Oberbaueh und passagore Schmerzen und Steife linkes Knie. RSntgenologiseh cervicale Fehlhaltung bei m~13igen osteochondrotischen Ver~nderungen der HWS. Im psychisehen Querschnitt subdepressiv-unzufriedene, mfirriseh-gereizte Stimmungslage mit Antriebsmangel und erh6hter sensorischer Empfindlichkeit. Klinisch-neurologisch einschlieBlieh EMG o. B. 8Monate nach der Intoxikation zunehmende ,,h~mmernde und fressende" Sehmerzen linkes Sehultergelenk, naeh distal in den linken Arm und naeh proximal in die gelenknahe Rumpfmuskulatur wie aueh in die reehte Schulter ausstrahlend, zudem Einschlafgeffihl der linken Hand mit Ameisenkribbeln an der Innenseite s~ntlicher Finger. Weiterhin SchlafstSrungen, LibidonaehlaB, leichter uncharakteristischer Schwindel und verst~rkt~s Schwitzen. Zu diesem Zeitpunl~t erste motorische und sensible Ausfallserscheinungen im Bereiehe des linken Armes mit leichter proximal betonter Parese, Atrophien der Mm. triceps und biceps, diffuser proximal betonter Hypaesthesie fiir Oberfl~chenqualit~ten und Pallhypaesthesie des linken Armes bei durchgehend abgesehw~chten Biceps-, Triceps- und Radiusperiostreflexen links. EMG und Neurotondiagnostik o. B. 2 Jahre nach der Intoxikation unver~ndert ,,fressende Dauerschmerzen" in der Oberarmmuskulatur und den Schultergelenken, links mehr als rechts, schmerzhafte Waden- und Oberschenkelkr~mpfe, Kribbelparaesthesien beider Arme und Brennparaesthesien mit Taubheitsgeffihl der linken Hfift- und Oberschenkelgegend. Klagen fiber Ein- und DurchsehlafstSrungen, n~chtliehe Schwei~ausbrfiche, Desinteresse, Menschenscheu, gedrfickte Stimmung, leichte ErsehSpfbarkeit. Klinisch unver~ndert proximal betonte Kraftminderung und Pallhypaesthesie des linken Armes. Myoatrophien rfickl~ufig. Reflexbefund unauff~llig. Im EMG mit Denervierungszeichen und geliehtetem Aktivit~tsmuster im Bereiche des M. deltoideus links Hinweise auf eine peripher neurogene StSrung. Lumbal entnommener Liquor einschlieBlieh luesspezifisehen Reaktionen o. B. Im psychischen Befund weiterhin antriebsvermindert, matt, dabei beschwerdefixiert mit wechselnden, vorwiegend jedoch weich-resigniertem, subdepressivem Verhalten und vermehrter affektiver Dekompensierbarkeit. 3 Jahre nach der Intoxikation unver~ndertes Beschwerdebild: ,,st~ndiges Fressen tier drinnen", ,,unheimliehe Knoehenschmerzen" in allen Gelenken, besonders im l~nken Knie-, Hiift- und Handgelenk und in den kleinen Fingergelenken, zudem Kribbelparaesthesien in s~mtlichen Fingerspitzen der linken Hand, gelegentlich mit Verkrampfung, aul3erdem Kr~mpfe in der ~Vaden- und Obersehenkelmuskulatur beiderseits sowie anfallsweises, initial brennendes, sparer lederartiges Gef'fihl der linken Rumpfseite. Weiterhin L~ixmempfindliehkeit, DurehsehlafstSrungen und ausgepr~gter HShensehwindel. Klinisch-neurologisch jetzt weitgehend unauff~llig, lediglich Pallhypaesthesie linker Arm. Im Kontroll-EMG Zeichen einer nieht einheitlichen L~sion des peripheren Motoneurons: einerseits Potentialverbreiterung im M. tibialis anterior links als Zeichen einer Sch~digung des proximalen

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Anteils des peripheren Motoneurons, andererseits Potentialverkiirzungen unterschiedlichen AusmaBes vorwiegend in proximalen Muskeln (M. rectus femoris links) als Hinweis auf eine terminale, dem neuromuskul/~ren l~bergang nahe Affektion. Elektroneurographisch (Nervi tibialis und peronaeus links) ebenfalls Hinweise auf periphere Nervensch~digung, wobei die normale Leitgeschwindigkeit eine primiire Entmarkung praktisch ausschliel3t, die Reduktion des Summenpotentials hingegen eine Axonsch~digung wahrseheinlich macht. Knapp 6 Jahre nach der Intoxikation keine Gef'tihlsst61~angen, keine Krafteinschr~nkung, lediglich noch ortswechselnde ,,Knochenschmerzen und ein krampfartiges Ziehen" beider Unterarme. Klinisch-neurologisch und psychisch v611ig unauff~llig. Elektromyographisch weiterhin Zeichen einer diffusen L~sion des 2. Motoneurons, im Gegensatz zur Vorableitung jedoch ohne Zeichen einer Progredienz. Die Kasuistik des Gesamtkollektivs ist in der anliegenden tabellarischen Ubersicht in Korrelation zur Schwere der akuten Intoxikation dargestellt. In den stitrker betroffenen F~llen 2 und 3 traten, wie im geschilderten Falle 4, nach einem beschwerdefreien Intervall yon 1 bis 6 Monaten nach Riickbildung der akuten Intoxikationsfolgen eher proximal betonte, wandernde, mitunter vorwiegend n~chtliche, recht schmerzhafte, z. T. brennende Oberfl£chen- und Tiefenparaesthesien im Bereiche des Rumples und der Extremit~ten a u f - in einigen F~llen yon uncharakteristischen Kopfschmerzen begleitet - - , denen sich auch im Falle 3 nach Ablauf yon 1 bis 2 Jahren klinisch-neurologisch und elektromyographisch objektivierbare motorische und sensible Ausfallserscheinungen hinzugesellten. In auff~llig asymmetrischer Verteilung fanden sich im beschriebenen Falle 4 Anteile des Plexus brachialis links und des N. tibialis links, im Falle 3 die Nervi femoralis, tibialis und fibularis links betroffen. Im Falle 2 beschr~nkte sich die Symptomatik auf die genannten schmerzhaften Paraesthesien und passagere, nicht exakt abgrenzbare, jedoch eindeutig periphere Sensibilitiitsst6rungen des linken Beines. Der Fall 5 war frei yon peripher-nerv6sen Erscheinungen. In den geringer akut gesch/~digten F/illen 6 und 7 wurden mit einer Latenz yon etwa 1 J a h r nur geringe, vorwiegend distale Paraesthesien geklagt mit der innerhalb yon 2 Jahren nachfolgenden Entwicklung einer symmetrisch-distalen sensiblen Polyneuropathie, im Falle 6 beinbetont mit beiderseits abgeschw~chtem ASR, im Falle 7 armbetont bei Areflexie der oberen Extremit~ten. Die elektromyographischen Befunde wiesen, wie im Falle 4, auch in den F/~llen 3, geringer 6 und 7, auf eine axonale Sch~digung des peripheren Motoneurons hin, in den F~llen 2 und 5 waren die Befunde normal. Eine Messung der sensiblen Leitgeschwindigkeit erfolgte nicht. Der in den ]~llen 2, 3 und 4 lumbal entnommene Liquor war ebenso wie das im Falle 3 wegen des zun~chst bestehenden Verdachtes einer Wurzelkompressionssymptomatik durchgefiihrte Abrodilmyelogramm ohne Besonderheiten. I m Falle 2 war ein etwa 2 Jahre lang nachweisbarer passagerer Herdbefund einschlieBlich Allgemeinvcranderungen im E E G auff/illig. Die hirnelektrischen Befunde deriibrigenUntersuchtenwaren bis auf famili/~r geh/iufte EEG-Abnormit/~ten und endokrinologische StSrungen im Falle 5 ohne Besonderheiten. Nur im Falle 6 lag eine Myokardsch/idigung vor, alle iibrigen Untersuchten waren internistisch ohne pathologischen Befund. An den Hautanhanggebilden fanden sich

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in keinem Falle Ver/inderungen, ebensowenig wurden neurotrophische Ver/~nderungen nachgewiesen. Dariiber hinaus kam es im Verlaufe der Beobachtungszeit wie im Falle 4 bei s/~mtlichen anderen prim/~r g/~nzlich unneurotisehen Untersuchten zu einem auff/illigen Antriebsverlust, Schlaf- und AppetitstSrungen, Potenz- und allgemeinem LeistungsnachlaB, emotionaler Labilit/it mit vorwiegend gedrfickter Stimmung, Alkoholunvertr/~glichkeit, Reizbarkeit, L/~rmempfindlichkeit, Schwindelgeffihl und bisweilen ausgepr£gter Hyperhidrosis. Diese StSrungen im Bereiche der affektiven, vegetativen und Triebsph/ire traten teils gleiehzeitig mit der beschriebenen neurologischen Symptomatik auf, teils gingen sie ihr um einige Monate voraus. I n s/~mtlichen F/illen wurde diese durchaus passagere, maximal 2 Jahre (Fall 4) auhaltende ausgepr/~gte BefindlichkeitsstSrung yon den peripher-nerv5sen Reiz- und Ausfallserscheinungen tiberdauert. I n den weniger betroffenen Fiillen 5, 6 und 7 war sie zudem geringer ausgepragt und rascher flfichtig. Soweit aufgrund der Beobachtungen zu beurteilen, zeigten sich aus klinischer Sicht auch die sensomotorischen Reiz- und Ausfallserscheinungen naeh Ablauf yon einigen Jahren reversibel. Eine vSllige elektromyographiseh best/itigte Restitution liel~ sieh allerdings auch in dem fiber einen Zeitraum yon 6 Jahren beobachteten Falle 4 nicht nachweisen. Diskussion

Die eindeutige gewerbetoxikologische Situation - - d. h. Umgang mit arsenverunreinigtem Material, Nachweis yon Arsen-Wasserstoff am Arbeitsplatz, pathologischer Arsengehalt der Leichenorgane des Falles 1 - - und das kennzeichnende klinische Bild (Lasch, 1958; Koelsch, 1962 ; Kommission der Europ/~ischen Gemeinsehaften, 1966; Braun u. DSnhardt, 1970; Moesehlin, 1972) lassen die Annahme einer akuten Arsen-Wasserstoff-Vergiftung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu. Die nieht eindeutig gekl/~rte Mitbeteiligung yon Antimon kann dabei vernach1/issigt werden. Mel~ergebnisse der Gaskonzentration liegen nicht vor. Unter Berficksichtigung der relativ langen Expositionsdauer (bis zu 1 ~ h) dfirfte der MAKWert yon 0,05 ppm (Moeschlin, 1972) um das 10- bis 50fache erhSht gewesen sein (10 ppm fiber 1 min toxisch; 250 ppm binnen ca. ~ h tSdlich, ca. ab 1550 ppm sofort letal, Ludewig u. Lohs, 1968). Entsprechend den Beobachtungen yon Flury u. Zernik (1931), Bertram u. Fretwurst (1932), Legge (1934), Macaulay u. Stanley (1956), Groetschel (1961), Koelsch (1963) und Goodman u. Gilman (1970) traten im schwerbetroffenen Falle2 - - nicht bei den mittelschwer bis leieht Vergifteten - - bereits 2 h nach der Intoxikation und noch vor Manifestation des eigentlichen Vergiftungsbildes heftige Paraesthesien und ausgepr~gtes Taubheitsgeffihl der distalen Abschnitte aller Extremit/~ten auf. Das akute Stadium zeigte im fibrigen - - entsprechend den Angaben in der Literatur (Bertram u. Fretwurst, 1932) - - keine weiteren neurologisehen oder psychopathologischen Auff/illigkeiten. Jones (1907) berichtete allerdings in einem seiner F/~lle fiber Krampi in den Extremit~ten w/ihrend dieses akuten Stadiums. I m Pr/ifinal- und Finalstadium der akuten Intoxikation werden darfiber hinaus in unterschiedlicher Auspr/~gung (Bertram u. Fretwurst, 1932) - /ihnlich dem geschilderten, t6dlich verlaufenen Falle 1 und passager auch dem Falle 2 - - zunehmende Unruhe- und D/immerzustgnde (Holstein, 1949 ; Groetschel,

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1961), Besch/£ftigungsdelirien, hirnorganische Anf/~lle, Stupor und tiefe Bewul3tlosigkeit beobachtet (Jones, 1907; Wignall, 1920; Flury u. Zernik, 1931; Taeger, 1941; Pinto u. Mitarb., 1950; Buchanan, 1962; Nielsen, 1969). Goodman u. Gilman vermuten in diesem Zusammenhang und unter Hinweis auf die gelegentlich geklagten Kopfschmerzen mit Ntichternerbrechen (Koelsch, 1936, 1962; Groetschel, 1961) eine ,,direkte depressorische Wirkung" des ArsenWasserstoffs (Arsin) auf das ZNS, was von anderer Seite allerdings bestritten wird (LSning, 1931; Bertram u. Fretwurst, 1932). v. Ottingen konnte 1916 zwar im Tierversuch bei Fr6schen und M~usen eine narkotische und 1/~hmende Wirkung des Arsins nachweisen; in der klinischen Beobaehtung jedoch stellt sich die geschilderte Symptomatik eher als sekund/~r dar, hervorgerufen teils durch die Folg e n d e r schweren Nierensch/~digung (Dudley, 1919; Taeger, 1941), tells durch das erhebliche Sauerstoffdefizit der Medulla oblongata (L6ning, 1931 ; Koelsch, 1936). Der Obduktionsbefund des Falles 1 (schwere Nierenseh/~digung, akute Leberzellsch/~digung, ,,innere Erstickung" infolge Blutzerfalls) weist auf eine multifaktorielle Genese der akuten zentralnerv6sen Symptomatik hin. Entsprechend dem neuropathologischen Befund des Falles 1 sind die cerebralen Ver/£nderungen nach akuter Arsen-Wasserstoff-Intoxikation - - ebenso wie tibrigens nach Arsenvergiftung (Pentschew, 1958) - - geringffigig und unspezifisch (Taeger, 1941 ; Pinto u. Mitarb., 1950). In diesem Zusammenhang lassen sieh Art und Ursache der dem passageren Herdbefund im E E G des 2. Falles zugrundeliegenden funktionellen oder morphologischen cerebralen Ver/~nderungen nicht eindeutig erkl/~ren. Das besondere Interesse der vorliegenden Untersuehung galt der Frage naeh neuropsychiatrischen Sp/~tkomplikationen und Dauersch/~den einer akuten ArsenWasserstoff-Intoxikation, dies zumal unter Berficksichtigung der allgemeinen Auffassung - - so Spiegelberg (1961) - - , ,,dab akute Intoxikationen, soferne sie nicht zum Tode fiihren, folgenlos auch im Hinblick auf neurologische und psychopathologische Verh/~ltnisse ausheilen". Diese Auffassung 1/£$t sich aufgrund der vorliegenden Beobachtungen nur bedingt stiitzen, und zwar lediglich beziiglich der Irreversibilit/£t der FolgeschKden. Dabei ist im Hinblick auf den fehlenden Nachweis individuell disponicrender neurotischer oder psychopathischer Merkmale oder anderer psychiatrischer oder internistisch-neurologiseher Vorkrankheiten bei den Untersuchten eine wesentliche pathogenetische Bedeutung intoxikationsunabh/~ngiger Faktoren zu verneinen, obwohl z. B. durch Sekund/~rkomplikationen wie Arbeitsplatzverlust, Wohnungswechsel oder Rentenwiinsche bedingte lJberlagerungen, Fixierungen und Ausgestaltungen grunds/~tzlich nicht ausgeschlossen werden kSnnen. Dies gilt fiir die neurologischen und psychopathologischen Sp/ttkomplikationen gleichermal3en. Ann/~hernd in Korrelation zur Schwere der akuten Intoxikation zeigten alle 6 l~berlebenden - - /~hnlich wie bei chronischen Arsen-Wasserstoff-Vergiftungen (Koelsch, 1936) - - psycho-vegetative Auff/tlligkeiten, die nach einer beschwerdefreien Latenz von einigen Monaten etwa gleichzeitig mit der peripher-nerv6sen S y m p t o m a t i k einsetzten oder ihr - - gleichsam im Sinne eines pseudo-neurasthenischen Vorstadiums - - vorausgingen. I m Querschnitt boten sich mit Zeichen dysphorisch-moroser Gereiztheit, Adynamie, ErschSpfbarkeit und subdepressiver Verstimmtheit einerseits Ver/~nderun-

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gen auf affektivem Gebiet, andererseits jedoch auch ttinweise auf vegetative Regulationsst6rungen (Hyperhidrosis, Behinderung des Schlafs und Appetits, L/~rmempfindlichkeit, Schwindel) und StSrungen der Triebsph/ire (Libido- und Potenznachlal~). Dieser Symptomenkomplex 1/i~t sich bei Abwesenheit von Bewul3tseins-, Orientierungs- und mnestischen StSrungen zwanglos den ursachenunspezifischen hyper/isthetisch-emotionellen Schw/ichezust/inden (Bonh6ffer, 1917) zuordnen. I n der Verlaufsbeobachtung imponierte das Krankheitsbild als allgemeine vitale Niveausenke (Spiegelberg, 1961), die sich - - im Gegensatz zur Persistenz in den Spiegelbergschen F/illen chronischer Arsin-Lost-Intoxikationen - - mit einer Verlaufsdauer bis zu maximal 2 Jahren als zeitlich begrenzt und reversibel erwies. Unseres Erachtens entspricht das klinische Bild in seiner G e s a m t h e i t - - ungeachtet des unterschiedlichen Verlaufs und einiger gradueller, nicht qualitativer Diskrepanzen in der Syndromgestalt - - zweifellos dem relativ einheitliehen, unspezifischen ,,Vergiftungssp/itfolgesyndrom" (Spiegelberg, 1961), wobei hier wie dort vermutlich der Schwerpunkt auf einer anatomisch nicht fal~baren cerebralorganischen FunktionsstSrung liegt. Bei 5 der 6 Untersuchten fanden sich dariiber hinaus Intoxikationsfolgen auch seitens des peripheren Nervensystems. Mit unterschiedlicher Latenz bis zu 1 J a h r stellten sich zun/ichst sensible Reizerscheinungen ein, die ~ m i t einem Maximum zwischen 9 Monaten und 21~ Jahren nach der Intoxikation - - yon mehr oder weniger ausgepr/igten sensomotorischen Ausfallserscheinungen gefolgt wurden. In den schwer bis mittelschwer betroffenen F/illen 2, 3 und 4 standen erhebliche, teilweise wandernde asymmetrische Tiefenparaesthesien im Vordergrund, die von den Betroffenen als Muskel-, Knochen- und Gelenkschmerzen vorwiegend in die proximalen Extremit/itenbereiche und den R u m p f lokalisiert wurden. W/ihrend sich im Falle 2 die S y m p t o m a t i k - - / i h n l i c h den Beobachtungen Moreaus (1918) und Dudleys (1919) - - in 1/istigen Paraesthesien und passageren proximalen Sensibilit/itsstSrungen ersch6pfte, folgten in den F/illen 3 und 4 sensible und motorische Funktionsverluste, im Falle 4 auch Myatrophien yon proximal-asymmetrischem Verteilungsmuster. I m Falle 4 konnte das neurologische Bild klinisch zun/ichst nicht von einem Cervical- bzw. Plexussyndrom abgegrenzt werden. Erst der weitere Verlauf und die myographischen Befunde offenbarten den polyneuropathischen Charakter. I m Falle 3 land sieh eine linksseitige, auf den N. femoralis zentrierte sensomotorisehe Symptomatik, wobei zun/ichst wegen Verdacht eines hohen Bandscheibenvorfalles myelographiert wurde. I n all den genannten F/illen handelte es sich offenbar um eine sog. Schwerpunkt-Polyneuropathie (ErbslSh, 1967; Neund6rfer, 1973). Inwieweit vorbestehende Lokalfaktoren - - im Falle 4 eine m/il~ig ausgepr/igte Osteochondrose der H W S - - lokal disponierend wirken, lieB sich nicht abgrenzen. I n den leichter betroffenen F/illen 6 und 7 bildete sieh nach vorausgehenden distal betonten Kribbelparaesthesien innerhalb yon 2 Jahren eine leiehte Polyneuropathie vom symmetrisch-sensiblen Manifestationstyp ausl Elektromyographisch liel~ sich in den untersuchten F/illen mit Zeichen einer Axonsch/idigung ohne prim/ire E n t m a r k u n g das Vorliegen einer diffusen toxischen Polyneuropathie wie nach akuter Arsen- oder Thalliumvergiftung objektivieren. I m Falle 4 fanden sich entsprechende Befunde - - die sich nach etwa 3 Jahren zuriickbildenden sensomotorischen Ausf/ille tiberdauernd - - noeh im 6. Jahre nach der Intoxikatipn.

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Die Pathogenese der Polyneuropathie nach akuter Arsen-Wasserstoff-Intoxikation ist noch nicht v611ig geklart (s. hierzu auch Gaultier u. Mitarb., 1949; Derot u. Mitarb., 1963). Offensichtlich handelt es sich u m die Folgen einer subakuten bis chronischen Einwirkung des inkorporierten Arsens (,,subakute Arsenvergiftung" ; G o o d m a n u. Gilman, 1970; Legge, 1934). D a r a u f deutet einerseits die Ahnlichkeit mit Verlauf und Erscheinungsbild der Polyneuropathie nach Arsenvergiftungen (Flury u. Zernik, 1931; Taeger, 1941), andererseits der im 1. Falle toxikologisch, in einigen Fallen der Literatur mittels radioaktiver Analysen (Nielsen, 1969) erbrachte Nachweis eines a b n o r m hohen Arsengehaltes im KSrpergewebe. Neben der Menge des mit dem Arsen-Wasserstoff aufgenommenen Arsens (Schcid, 1968) k o m m t sicherlich auch der Dauer der Einwirkung (Dudley, 1919) und zusatzlichen dispositionellen F a k t o r e n wie pramorbider Zustand, Alter und Konstitution (Kogan, 1931) eine maBgebliche Rolle zu. Die A n n a h m e einer sekund~tren medikamentSs-toxischen oder endotoxischen Genese ist - - zumindest in den vorliegenden Fallen mangels entsprechender Hinweise - - nicht begriindet. Bioptische Untersuchungen peripherer Nerven nach akuter Arsen-WasserstoffI n t o x i k a t i o n mtil~ten demnach - - entsprechend den Befunden bei Arsenpolyneuropathie - - einen Axoncylinder- und diskontinuierlichen Markzerfall (Pentschew, 1958; Chuttani u. Mitarb., 1967) erwarten lassen. Ob indes die A n n a h m e einer ,,anamischen Myelopathie" (Nielsen, 1969) in solchen F~llen berechtigt ist, bleibt dahingestellt. Therapeutisch zeigten sich insbesondere die sensiblen Reizerscheinungen n u t schwer zuganglich. Pinto u. Mitarb. (1950) und Macauley u. Stanley (1956) diskutieren eine protektive Wirksamkeit des im akuten Zustande prophylaktisch verabreichten Dimercaprols (BAL), das allerdings im Gegensatz zur a k u t e n Arsenvergiftung a u f die Akutsituation der Arsen-Wasserstoff-Vergiftung keinen EinfluB n i m m t (Gaultier u. Mitarb., 1949; Pinto u. Mitarb., 1950; Brieger, 1960; Buchanan, 1962 ; G o o d m a n u. Gilman, 1970). Ob dem bei akuterArsen-WasserstoffI n t o x i k a t i o n wirksamen Dimercaptopropyl~ther (Kensler u. Mitarb., 1946) eine ahnlich prophylaktisch-protektive Wirkung zukommt, ist nicht bekannt.

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[Neurological and psychiatric disorders following acute arsine poisoning (author's transl)].

J. Neurol. 213, 59---70 (1976) © by Springer-Verlag 1976 Neurologische und psychiatrische Folgesymptome bei akuter Arsen-Wasserstoff-Vergiftung* G. F...
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