Einführung zum Thema Pathologe DOI 10.1007/s00292-015-0032-0 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015

W. Saeger Institute für Pathologie und Neuropathologie der Universität Hamburg, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Hamburg, Deutschland

Neuroendokrine Tumoren Sehr geehrte Leserinnen und Leser, als neuroendokrine Tumoren werden benigne und maligne Tumoren angesehen, die sich von der Neuralleiste ableiten lassen, über gemeinsame histochemische Eigenschaften verfügen und immunhistologisch neuroendokrine Marker exprimieren. Als gesichert kann ein neuroendokriner Tumor gelten, wenn die Histostruktur passt und die 2 Hauptmarker Synaptophysin und Chromogranin A exprimiert werden. PGP9.5 [9], NSE [11] oder CD56 gelten als unsicher und haben daher keine volle Beweiskraft, sind aber gut geeignet zur Absicherung, wenn nur Synaptophysin oder Chromogranin A positiv sein sollten. Neuroendokrine Tumoren können in allen parenchymatösen Organen und in den Hohlorganen primär vorkommen. Selbst in den Hirnhäuten wurden sie beschrieben [1]. Da alle neuroendokrinen Tumoren gemeinsame Struktureigenschaften besitzen, ist es in speziellen Einzelfällen schwierig zu entscheiden, ob es sich um Primärtumoren oder um Metastasen handelt. Besonders häufig ist dies bei den undifferenzierten kleinzelligen hochmalignen Tumoren der Fall. Die Dignität der neuroendokrinen Tumoren ist organbezogen unterschiedlich: in der Hypophyse sind sie fast immer gutartig, in der Schilddrüse (C-ZellKarzinom) immer bösartig, und in vielen Organen nehmen sie das ganze Dignitätsspektrum von absolut gutartig bis extrem maligne ein. So finden wir im Gastrointestinaltrakt einschließlich des Pankreas meistens gut differenzierte Tumoren, die im Grading [14, 16] nach Proliferationsparametern als neuroendokriner Tumor Grad 1 oder neuroendokriner Tumor Grad 2, und nur selten als neuroendokrines Karzinom Grad 3 entsprechend undifferenzierten, zumeist kleinzelligen Karzi-

nomen eingestuft werden. Das Gegenteil ist im Bronchialsystem der Fall [13], wo die kleinzelligen Bronchialkarzinome gegenüber den gut differenzierten Bronchialkarzinoiden weit überwiegen. Bei wiederum anderen neuroendokrinen Tumoren ist die Dignität oft nur sehr eingeschränkt beurteilbar. Dies gilt für die Phäochromozytome und die Paragangliome, aber auch für Inselzelltumoren und Nebennierenrindentumoren. Scoringsysteme, die aus retrospektiven Untersuchungsserien heraus entwickelt wurden, nach dem Prinzip: welche Tumorcharakteristika sind vorhanden oder stärker bzw. geringer ausgebildet, wenn ein Tumor unklarer Dignität rezidiviert oder metastasiert, sind entscheidend für die Dignitätsbeurteilung von Nebennierenrindentumoren [5, 21, 23] und etwas eingeschränkter auch für die Nebennierenmarktumoren [8, 22]. Da in der täglichen Routine mit neuroendokrinen Tumoren in Biopsie- und Operationspräparaten aller Organe, ja selbst des Weichgewebes gerechnet werden muss, ist deren Bedeutung nicht zu überschätzen. In Der Pathologe sind schon öfter neuroendokrine Tumoren abgehandelt worden: so 1997 von Höfler [4] über die Lungentumoren, 1997 von Saeger et al. [17] über kombinierte neuronale und endokrine Tumoren der Sellaregion, 1998 von Mentzel et al. [12] über einen neuroektodermalen Tumor der Harnblase, 2001 von Schmitt-Gräf et al. [19] über die aktuelle pathologisch-diagnostische Sicht gastroenteropankreatischer neuroendokriner/endokriner Tumoren, 2003 von Johnen et al. [7] über Comparative-genomichybridization(CGH)-Befunde bei neuroendokrinen Tumoren der Lunge, 2004 von Gumprich et al. [2] über ein ungewöhnliches neuroendokrines Karzinom des Ösophagus, 2005 von Sauer et al. [18] über die Bedeutung der neuroendokrinen Diffe-

renzierung im Prostatakarzinom, 2005 von Hirsch et al. [3] über ein Adenokarzinoid der Appendix vermiformis, 2012 von Reu et al. [15] über den Versuch einer Ordnung des Gemischten bei gastrointestinalen gemischten adenoneuroendokrinen Karzinomen, und 2013 von Krümpelmann et al. [10] über ein Becherzellkarzinoid des Rektums: Primarius oder Metastase? Erst 2014 erschien von Schnabel u. Junker [20] eine Arbeit über die neuroendokrinen Tumoren der Lunge. Es gab bislang nur 2 Themenhefte (Hefte 4 und 5 von 2003) zur Pathologie endokriner Organe. Zusammengefasste Beiträge zu neuroendokrinen Tumoren erschienen bisher nicht. So erscheint es an der Zeit, in einem Themenheft auf die Neuerungen in diesem weit gefächerten Gebiet einzugehen. Trotzdem mussten wir dabei Einschränkungen hinnehmen, da nicht alle neuroendokrinen Organtumoren in einem Themenheft abgehandelt werden können. Wichtig erscheinen uns die „Updates“ bei den wichtigsten, weil häufigen neuroendokrinen Tumoren, aber auch auf die weniger bekannten neuroendokrinen Tumorentitäten wie die der Mamma, des oberen Respirationstrakts und der Niere wollen wir die Aufmerksamkeit lenken. Der Artikel von Komminoth u. Perren über die pankreatischen neuroendokrinen Tumoren setzt sich kritisch mit der WHO-Klassifikation von 2010 [6] auseinander, widmet sich ausführlicher der Adenomatose und beschreibt den neuen Marker Isl-1 für duodenopankreatische neuroendokrine Primärtumoren. Die Arbeit von Sheu-Grabellus u. Schmid befasst sich mit den Hyperplasien der Nebenschilddrüsen, ihrer Abgrenzung von den Adenomen und den Kriterien für die Diagnose von Nebenschilddrüsenkarzinomen, und die klinisch-pa-

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Einführung zum Thema thologischen Korrelationen beim Hyperparathyreoidismus kommen nicht zu kurz. Der Beitrag von Klöppel widmet sich den disseminierten endokrinen Zellen des Gastrointestinaltrakts und beschreibt 4 Typen der gastralen neuroendokrinen Neoplasien, 5 Typen der duodenalen neuroendokrinen Neoplasien und handelt die neuroendokrinen Tumoren des Ileums, der Appendix und des Kolorektums ab. Schließlich werden auch die gemischten adenoneuroendokrinen Karzinome (sog. MANEC) dargelegt. Ting et al. befassen sich mit den normalen C-Zellen der Schilddrüse, ihren Hyperplasien und deren Bedeutung sowie den Präkanzerosen und gehen auf die Differenzialdiagnose von nodulären CZellhyperplasien und frühen medullären Karzinomen ein. In einem weiteren Beitrag widmen sich Synoracki et al. ausführlich den medullären Schilddrüsenkarzinomen, beschreiben die sehr unterschiedlichen Phänotypen und die Möglichkeiten der Differenzierung von sporadischen und hereditären Karzinomen. Anlauf et al. befassen sich mit den seltenen neuroendokrinen Karzinomen der Mamma und gehen ausführlich auf deren Identifikation und Differenzialdiagnose sowie ihre besonderen biologischen Eigenschaften und Prognose ein. Mit den nicht ganz so seltenen neuroendokrinen Karzinome des oberen Respirationstrakts befassen sich Brobeil et al., gehen auf die unzulängliche WHO-Klassifikation ein und vergleichen sie mit den neuroendokrinen Tumoren des unteren Respirationstrakts, wobei deutliche Unterschiede auffallen. Die oropharyngealen kleinzelligen neuroendokrinen Karzinome sind oft HPV-assoziiert und verhalten sich biologisch anders als die nichtHPV-assoziierten. Die sehr seltenen Karzinoide und die neuroendokrinen Karzinome der Niere sind das Thema von Moch. Darin werden ihre Morphologie, Klassifikation, Differenzialdiagnose und biologische Bedeutung dargelegt. Der Artikel von Schnabel u. Junker behandelt die neuroendokrinen Tumoren des unteren Respirationstrakts und stellt die gerade erschienene neue WHO-Klas-

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Der Pathologe

sifikation mit ihren neuen Grundprinzipien und Möglichkeiten heraus. Überschneidungen mit dem von beiden Autoren verfassten Artikel in Der Pathologe aus dem Jahre 2014 [20] waren unvermeidbar. Es sollte aber der Vollständigkeit halber nicht auf das sehr wichtige Gebiet der pulmonalen neuroendokrinen Tumoren in diesem Themenheft verzichtet werden. Der Beitrag zu den Hypophysentumoren widmet sich dem unterschiedlichen biologischen Verhalten der verschiedenen Adenomtypen, neuen Möglichkeiten in der Differenzialdiagnose der Kraniopharyngeome und dem neu geschaffenen Begriff „TTF-1-positive Spindelzelltumoren“, der die Spindelzellonkozytome, Pituizytome und Granularzelltumoren der Hypophyse zusammenfasst. Im Artikel zu den Nebennierentumoren werden die neueren Möglichkeiten der Differenzierung der gutartigen Tumoren der Rinde und des Marks von ihren bösartigen Formen ebenso wie die Unterscheidung der sporadischen von den hereditären Phäochromozytomen dargelegt. Alle Beiträge sind so konzipiert, dass sie sich auf Neuerungen konzentrieren und die gestiegenen Anforderungen der Routinetätigkeit des Pathologen berücksichtigen. Ihr Prof. Dr. W. Saeger

Korrespondenzadresse Prof. Dr. W. Saeger Institute für Pathologie und Neuropathologie der Universität Hamburg Universitätsklinikum HamburgEppendorf (UKE) Martinistraße 52 20246 Hamburg [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  W. Saeger gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

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