Übersicht

Neo- oder adjuvante Chemotherapie beim Harnblasenkarzinom? Neoadjuvant or Adjuvant Chemotherapy for Bladder Cancer?

Autoren

M. C. Hupe, M. W. Kramer, M. A. Kuczyk, A. S. Merseburger

Institut

Klinik für Urologie und Urologische Onkologie, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover

Schlüsselwörter ▶ Harnblasenkarzinom ● ▶ neoadjuvante Chemo­ ● therapie ▶ adjuvante Chemotherapie ● ▶ induktive Chemotherapie ● ▶ Metastasenresektion ●

Zusammenfassung

Abstract

Das fortgeschrittene Urothelkarzinom der Harnblase ist ein Tumor, der häufig metastasiert und daher meist nur eine Lebenserwartung von wenigen Monaten bis Jahren zur Folge hat. Die neoadjuvante Chemotherapie vor kurativer Opera­ tion kann in einem Downstaging des Tumors und einer Verbesserung des Gesamtüberlebens resultieren. Eine adjuvante Systemtherapie wird aufgrund der gegenwärtigen Datenlage bislang nur zurückhaltend empfohlen. Am ehesten scheinen Patienten mit einer lymphknotenpositiven Erkrankung hiervon zu profitieren. Falls es die Tumorlokalisation zulässt, kann eine Metastasenresektion die Prognose verbessern. In der metastasierten Situation wird aufgrund der geringeren Nebenwirkungen bei gleichen Ansprechraten die Kombination von Gemcitabin und Cisplatin dem MVAC Regime (Methotrexat, Vinblastin, ­Adriamycin, Cisplatin) vorgezogen. Vinflunin hat in der Zweitliniensituation nach Platinversagen ­einen festen Stellenwert.

Advanced urothelial carcinoma of the bladder is associated with a high metastatic potential. Life expectancy for metastatic patients is poor and rarely exceeds more than one year without further therapy. Neoadjuvant chemotherapy can decrease the tumour burden while reducing the risk of death. Adjuvant chemotherapy has been discussed controversially. Patients with lymph node-positive metastases seem to benefit the most from adjuvant chemotherapy. In selected patients, metastasectomy can prolong survival. In metastastic patients, the combination of ­gemcitabine and cisplatin has become the new standard regimen due to a lower toxicity in ­comparison to the combination of methotrexate, vinblastine, doxorubicin, and cisplatin (MVAC). For second-line treatment, vinflunine is the only approved therapeutic agent.

Key words ▶ bladder cancer ● ▶ neoadjuvant chemotherapy ● ▶ adjuvant chemotherapy ● ▶ inductive chemotherapy ● ▶ metastasectomy ●

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0035-1549948 Akt Urol 2015; 46: 242–247 © de Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0001-7868 Korrespondenzadresse Prof. Dr. med. Axel S. ­Merseburger Klinik für Urologie und Urologische Onkologie Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Straße 1 30625 Hannover Tel.:  + 49/511/532 6673 Fax:  + 49/511/532 8190 merseburger.axel@mh-­ hannover.de



Abkürzungen



ASCO American Society of Clinical Oncology BSC Best Supportive Care CarboMV Carboplatin Methotrexat Vinblastin CM Cisplatin Methotrexat CMV Cisplatin Methotrexat Vinblastin DFS krankheitsspezifisches Überleben EAU European Association of Urology GC Gemcitabin Cisplatin G-CSF Granulozyten-Kolonie stimulierender Faktor GU ASCO Genitourinary Cancers Symposium der American Society of Clinical Oncology HD high dose/hochdosiert MVAC Methotrexat Vinblastin Adriamycin ­Cisplatin

Hupe MC et al. Neo- oder adjuvante Chemotherapie …  Akt Urol 2015; 46: 242–247



MCAVI OS PCG PD(-L) PFS

Methotrexat Carboplatin Vinblastin Gesamtüberleben Paxlitaxel Gemcitabin Cisplatin programmed death (ligand) progressionsfreies Überleben

Einleitung



Das Urothelkarzinom der Harnblase ist nach dem Prostatakarzinom die zweithäufigste Tumorerkrankung im Urogenitaltrakt [1, 2]. Wie bei vielen malignen Erkrankungen steigt auch bei dieser Tumorentität die Zahl der Neuerkrankungen im Alter stetig an. Das Alter stellt den stärksten unabhängigen Faktor zur Vorhersage eines Urothelkarzinoms der Harnblase dar

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Übersicht

Neoadjuvante Chemotherapie



Aktuell wird von der European Association of Urology (EAU) bei Vorliegen eines T2-T4a cN0 M0 Tumors eine neoadjuvante, d. h. eine der Zystektomie vorausgehende, Cisplatin-basierte Kombinationstherapie empfohlen (Empfehlungsgrad A) [9]. Dieser Empfehlung vorausgegangen sind mehrere randomisierte und in Metaanalysen zusammengefasste Studien [10–12]. Die aktuellste Metaanalyse aus dem Jahr 2005 basierte auf 11 randomisierten Studien und demonstrierte eine Verbesserung des 5-JahresGesamtüberleben von 5 % (45 vs. 50 %) für die neoadjuvant vorbehandelte Gruppe (Hazard Ratio 0,86; p = 0,003) [11]. Der neoadjuvante Ansatz hat potentielle Vorteile [13, 14]: ▶ Bessere Verträglichkeit als in der postoperativen Situation ▶ Mögliche Evaluation der Ansprechrate/Chemosensitivität ▶ Downstaging des Tumors ▶ Eradikation von Mikrometastasen zum frühestmöglichen Zeitpunkt Ebenso gibt es jedoch auch potentielle Nachteile [13, 14]: ▶ Verzögerte Zystektomie, insbesondere bei den Non-Respondern (kein Ansprechen auf Chemotherapie) ▶ Übertherapie bei einem Großteil der Patienten mit therapieassoziierten Nebenwirkungen Unklarheit besteht jedoch über die Anzahl der durchzuführenden Zyklen. Meist sind 3 Zyklen in 3-wöchigen Abständen untersucht worden. Zudem sind die Studien mit sehr unterschiedlichen Chemotherapieregimen (Methotrexat/Vinblastin/Adria-

mycin/Cisplatin – MVAC, Cisplatin/Methotrexat/Vinblastin – CMV, Cisplatin/Methotrexat – CM, Cisplatin/Adriamycin, Cisplatin/5-Fluorouracil und Carboplatin/Methotrexat/Vinblastin – CarboMV) durchgeführt worden, sodass keine Schlussfolgerung gezogen werden kann, ob sich diese Daten auch auf die aktuellen Therapien mit Gemcitabin und Cisplatin (GC) übertragen lassen. Nachdem im metastasierten Setting gezeigt werden konnte, dass die Kombination GC im Vergleich zur MVAC-Kombination bei ähnlicher Effektivität geringere Nebenwirkungen hervorruft (s.u., [15, 16]), wird die Kombination GC gerne auch im neoadjuvanten Setting appliziert. Randomisierte Studien zur Etablierung des GC-Schemas als neoadjuvantes Regime liegen jedoch nicht vor. Für Patienten, die für eine Cisplatin-basierte Chemotherapie nicht in Frage kommen (z. B. aufgrund einer eingeschränkten Nierenfunktion), wird keine neoadjuvante Chemotherapie empfohlen (Empfehlungsgrad A) [9].

Adjuvante Chemotherapie



Bis dato existieren nur 2 Metaanalysen, die den Stellenwert der adjuvanten Chemotherapie evaluieren [17, 18]. Die erste Metaanalyse aus dem Jahr 2005 erbrachte aufgrund der Heterogenität der 6 eingeschlossenen Studien keine eindeutigen Ergebnisse [17]. Mittlerweise gibt es eine weitere Metaanalyse über 9 eingeschlossene randomisierte Studien, in der die gepoolten Daten einen Überlebensvorteil hinsichtlich Gesamtüberleben (OS) (p = 0,049) und krankheitsspezifischem Überleben (DFS) (p = 0,014) ergaben, letzteres vor allem bei lymphknotenpositiven Patienten. Jedoch hat keine der Studien einzeln betrachtet einen Vorteil bezüglich des Gesamtüberlebens (OS) erbracht [18]. Aufgrund dieser nicht eindeutig überzeugenden Daten spricht die EAU nur eine vorsichtige Empfehlung aus – eine adjuvante Cisplatin-basierte Chemotherapie kann bei Vorliegen ­eines pT3/4 und/oder pN +  Tumors diskutiert werden, wenn noch keine vorherige neoadjuvante Chemotherapie erfolgt ist (Empfehlungsgrad C) [9]. Die potentiellen Vorteile einer adjuvanten Chemotherapie sind [13, 14]: ▶ Eradikation von Mikrometastasen ▶ Postoperatives Tumorstadium ist bekannt ▶ Selektion von Hochrisikopatienten für Chemotherapie ▶ Keine Zeitverzögerung der Operation, gerade bei Non-­ Respondern Mögliche Nachteile einer adjuvanten Therapie sind [13, 14]: ▶ Ansprechrate/Chemosensibilität nicht evaluierbar ▶ Schlechtere Verträglichkeit/Verzögerung der Therapie durch postoperative Morbidität, Komplikationen oder eingeschränkte Nierenfunktion ▶ Übertherapie bei einer Vielzahl der Patienten Eine spanische Arbeitsgruppe demonstrierte die Ergebnisse einer adjuvanten randomisierten Phase-III-Studie (SOGUG 99/01) von 142 Patienten mit pT3–4 und/oder pN1-Befund mit Zustand nach radikaler Zystektomie. Im Behandlungsarm wurden 68 Patienten mit 4 Zyklen Paclitaxel (80 mg/m2 KO; Tag 1 und 8), Gemcitabin (1 000 mg/m2 KO; Tag 1 und 8) sowie Cisplatin (70 mg/m2 KO; Tag 1) im 3-Wochen-Schema adjuvant behandelt. Im Vergleich zum Kontrollarm mit lediglich nachbeobachteten Patienten (n = 74) war die 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit als primärer Endpunkt mit 60 % signifikant besser (vs. 31 %; p 

[Neoadjuvant or Adjuvant Chemotherapy for Bladder Cancer?].

Advanced urothelial carcinoma of the bladder is associated with a high metastatic potential. Life expectancy for metastatic patients is poor and rarel...
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