Innovationen in der Intensivmedizin Med Klin Intensivmed Notfmed DOI 10.1007/s00063-015-0012-4 Eingegangen: 19. April 2014 Überarbeitet: 7. Januar 2015 Angenommen: 13. Januar 2015 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 Redaktion

G. Heinz, Wien

D. Wally · Corinna Velik-Salchner Universitätsklinik für Anästhesie und Intensivmedizin, Department für Operative Medizin, Medizinische Universität Innsbruck, Innsbruck, Österreich

Nahinfrarotspektroskopie unter kardiopulmonaler Reanimation und mechanischer Kreislaufunterstützung Vom Operationssaal auf die Intensivstation

In den letzten 2 Jahrzehnten fand die Nahinfrarotspektroskopie (NIRS) zunehmend den Weg in die klinische Anwendung. Im Unterschied zur Pulsoxymetrie benötigt die NIRS-Technologie keinen pulsatilen Flow und ist damit auch unter extrakorporaler Zirkulation, kardiopulmonaler Reanimation (CPR) und Hypothermie einsetzbar.

»

Die NIRS-Technologie benötigt keinen pulsatilen Flow Ziel dieser Arbeit ist es, den Einsatz des NIRS-Monitorings bei kardiologischen und kardiochirurgischen Patienten während und nach einer kardiopulmonalen Reanimation und im Rahmen des Einsatzes von mechanischen Kreislaufunterstützungssystemen darzustellen.

Entwicklung der Technologie Das Konzept der Nahinfrarotspektroskopie geht auf 2 wesentliche Beobachtungen von Franz Jöbsis [20] zurück. Er erkannte erstens, dass biologisches Gewebe für Licht im Nahinfrarotbereich (700– 950 nm) relativ durchlässig ist und zeigte zweitens, dass bestimmte biologische Moleküle (sog. Chromophore) unterschiedliche Absorptionsspektren im Nahinfrarotbereich aufweisen. In den darauffolgenden Jahren fand NIRS Eingang in die klinische Praxis, zunächst in der Neonatologie [6], dann in der Herz- und Neuroanästhesie.

Physikalische und technische Grundlagen NIRS beruht auf mehreren physikalischen Grundprinzipien. Während sichtbares Licht (400–700 nm) biologische Gewebe aufgrund hoher Absorption nur wenige Millimeter durchdringen kann, kann Licht aus dem Nahinfrarotbereich (700– 1000 nm) Gewebe, wie Haut, subkutanes Fettgewebe und knöcherne Strukturen, wie die Schädelkalotte, durchdringen. Dabei kommt es zu 2 wichtigen Phänomenen: Absorption und Streuung. Die Folge ist eine Abnahme der mittels NIRS-Opt­ oden detektierten Lichtintensität. Für die Absorption im Gewebe sind sog. Chromophore (Farbträger) verantwortlich. Dazu zählen Hämoglobin (Hb), Myoglobin (Mb) und Cytochrom aa3 (Cytochrom-COxidase, COX). Je nach Oxygenierungszustand wird eine bestimmte Menge an Licht absorbiert. Die größte Absorption wird durch Hb verursacht, Mb trägt etwa 10 % dazu bei und COX zu 2–5 %. Die Änderung der Lichtintensität kann durch das modifizierte Beer-Lambert-Gesetz ausgedrückt werden (. Infobox 1). Licht spezifischer Wellenlängen (z. B. 730 bzw. 810 nm) wird von einer emittierenden Fotodiode (LED) ausgesandt bzw. in das Gewebe geschickt und zurückkehrendes Licht mittels Silikonfotodioden (Detektor) detektiert [42]. Der exakte Weg des einfallenden Lichts im optisch inhomogenen Gewebe ist nicht bekannt, zum einfacheren Verständnis wird simp-

lifiziert eine sichelförmige Strecke angenommen. Die Eindringtiefe ist dabei vom Gewebe und vom Emitter-Detektor-Abstand abhängig. Sie entspricht ungefähr der Hälfte des Abstands beider Optoden. Je größer der Abstand ist, desto mehr wird reflektiertes rotes und infrarotes Licht aus tieferen Gewebeanteilen gemessen, bzw. desto geringer ist der Lichtanteil aus oberflächlichen Gewebeschichten. Da im Ge-

Infobox 1  Modifiziertes BeerLambert-Gesetz: Anwendung in der Nahinfrarotspektroskopie A = log ( I 0 / I ) = ε × c × d A Abschwächung des Lichts I0 Lichtintensität zu Beginn I durchgelassene Intensität ε Extinktionskoeffizienten c Konzentration des Chromophors d Abstand zwischen Emitter und Detektor Sind A, ε und d bekannt, kann die Konzentration des Chromophors berechnet werden:

C = A / (ε × d ) Da es bei der Durchleuchtung von biologischen Geweben jedoch nicht nur zur Absorption, sondern auch zur Streuung kommt, muss das Beer-Lambert-Gesetz modifiziert werden:

A = ε × c × d × DPF + G DPF „Differential pathlength factor“; Streuung verursacht eine Verlängerung der Wegstrecke, die Photonen bei der Durchleuchtung der Gewebe zurücklegen G Lichtverlust durch Streuung

Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin

1

Innovationen in der Intensivmedizin Tab. 1  Vergleich von Pulsoxymetrie und Nahinfrarotspektroskopie. (Modifiziert nach [67]) Pulsatilität nötig Lichttransmission Wellenlänge Untersuchtes Kompartiment Sauerstoffsättigung Lichtemittierende Diode/ Detektor

Pulsoxymetrie Ja Durchleuchtung 660/940 nm Vorwiegend arteriell Hämoglobin (arteriell) 1 Emitter/1 Detektor

Nein Reflexion 730/810 nm 70–75 % venös, 20–25 % arteriell, 2,5–5 % kapillar Regionale Gewebesauerstoffsättigung 1 Emitter/2 Detektoren

webe unterschiedliche Chromophore vorliegen, müssen mindestens so viele unterschiedliche Wellenlängen verwendet werden, wie zu untersuchende Substanzen vorliegen, und zwar Wellenlängen, bei denen die relevanten Chromophore maximal absorbieren. NIRS erlaubt die Einschätzung der zerebralen regionalen Sauerstoffsättigung (rSO2). Es handelt sich dabei um ein venös gewichtetes Sättigungssignal, da in der vom Oxymeter untersuchten Gewebeprobe (etwa 2 cm unterhalb der frontalen Schädelkalotte) das venöse Kompartiment 70–75 %, das arterielle 20–25 % und das kapilläre 2,5–5 % des mit Sauerstoff beladenen Hämoglobins ausmacht.

Berechnung der rSO2 unterschiedliche, z. T. nicht veröffentlichte Algorithmen, sodass ein direkter Vergleich der Geräte und damit durchgeführter Studien häufig erschwert ist. Unterschiedlich ist auch die Zulassung: Das NIRS-Gerät INVOS (Covidien, Inc., Boulder, CO, USA), wurde von der U.S. Food and Drug Administration (FDA) nur als Trendmonitor zugelassen, während das FORESIGHTSystem (CAS Medical Systems, Branford, CT, USA) auch die Darstellung von Absolutwerten der rSO2 erlaubt.

NIRS erlaubt die Einschätzung der zerebralen regionalen Sauerstoffsättigung

Die Optoden werden im Bereich der Stirn des Patienten aufgeklebt. Damit werden vorwiegend die frontalen Gehirnanteile erfasst. Diese Region wird sowohl von Ausläufern der A. cerebri anterior als auch der A. cerebri media (Wasserscheide, „watershed area“) versorgt. Der durch NIRS gemessene Hb-gebundene Sauerstoff ist mehrheitlich in der metabolisch aktiveren grauen Substanz zu finden [53]. Minderperfusionen bzw. Hypoxämien anderer zerebraler Regionen können unentdeckt bleiben. Durch die limitierte Eindringtiefe betrifft dies v. a. den Hirnstamm und die mittlere sowie hintere Zirkulation. In welchem Ausmaß ein subdurales oder extrazerebrales Hämatom eine Messung der zerebralen rSO2 störend beeinflusst, konnte bisher nicht endgültig geklärt werden [16, 49].

»

Im Unterschied zur Pulsoxymetrie ist kein pulsatiler Flow zur Messung nötig (.   Tab. 1). Bei den kommerziell erhältlichen Geräten wird ein fixes Ver­ hältnis zwischen venösem und arteriellem Kompartiment von 70:30 oder 75:25 angenommen, das kapilläre Kompartment wird aufgrund der geringen Grö­ße ignoriert. Diverse Studien zeigten jedoch, dass es hier individuelle Unterschiede im Verhältnis der einzelnen Komparti­mente geben kann [68]. Inzwischen gibt es diverse Anbieter für NIRS-Geräte, wie etwa INVOS (Covidien, Inc., Boulder, CO, USA), FORESIGHT (CAS Medical Systems, Branford, CT, USA), EQUANOX™ (NONIN Medical, Inc., Plymouth, MN, USA), NIRO™ (Hamamatsu Photonics, Hamamatsu City, Japan) und andere. Alle arbeiten nach einem ähnlichen Grundprinzip, verwenden jedoch für die

2

Nahinfrarotspektroskopie (INVOS®)

Limitationen Zerebrale Oxymetrie

Extrakranielles Gewebe Es ist zu beachten, dass die gemessenen Werte nicht nur die gemischte Sauerstoffsättigung des Gehirns (bzw. somatischer

Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin

Areale) widerspiegeln, sondern auch die Durchblutung des extrakraniellen Gewebes (z. B. Skalp) – mit deutlicher Variation zwischen den Herstellern – miterfassen [9]. Inwieweit diese Ergebnisse klinische Bedeutung haben, ist allerdings unklar.

Veränderung der Hämoglobinkonzentration Im Rahmen einer Hämodilution kann es zu einer Veränderung der zerebralen rSO2 ohne entsprechende Änderung der jugularvenösen Sauerstoffsättigung kommen. Inwieweit dies eine subklinische Hypoxämie repräsentiert, ist nicht bekannt [70].

Hautpigmente Melanin hat sein Absorptionsmaximum bei 335 nm, befindet sich nur in der epidermalen Hautschicht in einer Tiefe von 50–100 µm und scheint daher die NIRSMessung nicht zu beeinflussen. Konjugiertes Bilirubin weist hingegen ein Absorptionsmaximum von 730 nm auf und wird in allen Hautschichten eingelagert. Hohe Bilirubinkonzentrationen (Ikterus) können daher das Messsignal abschwächen [24]. Auch hohe Myoglobinkonzentrationen können v. a. bei somatischen Messungen zu falsch hohen Werten führen [62].

Baselinevariabilität Es besteht eine ausgeprägte Variabilität nicht nur individuell gemessener Baselinewerte (60–75 %), sondern auch zwischen den kommerziell erhältlichen Messsystemen, sodass NIRS vorwiegend als Trendmonitoring gesehen werden sollte [15].

»

NIRS sollte vorwiegend als Trendmonitoring gesehen werden Unklar ist zurzeit, ab welchem absoluten rSO2-Wert mit dem Auftreten von neurologischen und/oder systemischen Komplikationen gerechnet werden muss. Im klinischen Alltag werden daher meist die relativen Veränderungen zur Baseline als Interventionsgrundlage verwendet.

Zusammenfassung · Abstract Med Klin Intensivmed Notfmed  DOI 10.1007/s00063-015-0012-4 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 D. Wally · C. Velik-Salchner

Nahinfrarotspektroskopie unter kardiopulmonaler Reanimation und mechanischer Kreislaufunterstützung. Vom Operationssaal auf die Intensivstation Zusammenfassung Hintergrund.  Die Nahinfrarotspektroskopie (NIRS) ermöglicht die kontinuierliche Messung der zerebralen regionalen Sauerstoffsättigung (rSO2). Man bekommt dabei ein venös gewichtetes Sättigungssignal, da das venöse Kompartiment 70–75 %, das arterielle 20– 25 % und das kapilläre 2,5–5 % des mit Sauerstoff beladenen Hämoglobins in der vom Oxymeter untersuchten Gewebeprobe ausmacht. Im Unterschied zur Pulsoxymetrie benötigt die NIRS-Technologie keinen pulsatilen Flow und ist damit auch unter extrakorporaler Zirkulation, kardiopulmonaler Reanimation (CPR) und Hypothermie einsetzbar. Ziel der Arbeit.  Die Darstellung von Anwendungsmöglichkeiten der zerebralen und somatischen NIRS, insbesondere bei kardiologischen und kardiochirurgischen Patienten während und nach einer kardiopulmonalen Reanimation und im Rahmen des Einsatzes

von mechanischen Kreislaufunterstützungssystemen ist das Ziel dieser Arbeit. Material und Methoden.  Hintergrund ist die zu diesem Thema publizierte Literatur (Peerreview-Arbeiten aus PubMed). Ergebnisse.  Aus dem herzchirurgischen Bereich weiß man, dass Interventionen aufgrund von NIRS-Entsättigungen Anzahl und Schwere perioperativer Komplikationen verringern können. Wenn im Rahmen einer CRP trotz maximaler Anstrengungen und ausreichender CPR-Dauer niedrige zerebrale rSO2Werte persistieren, ist dies ein Indikator für die Aussichtslosigkeit der Bemühungen. Während des Einsatzes von mechanischen Kreislaufunterstützungssystemen stellt NIRS eine zusätzliche Monitoringoption dar. Diskussion.  NIRS stellt eine rasche anwenderfreundliche und nichtinvasive Methode zur Überwachung der rSO2 dar. Die Metho-

de bringt v. a. während und nach einer Reanimation sowie unter mechanischer Kreislaufunterstützung zusätzliche Informationen über die regionale, zerebrale und somatische Gewebeoxygenierung. Inwieweit NIRS als Standardmonitoring im Rahmen der CPR und unter mechanischer Kreislaufunterstützung empfohlen werden kann (Reduktion von Pulskontrollen und damit verbunden der Hands-off-Zeiten während CPR, Outcomeverbesserung) müssen erst größere multizentrische Studien zeigen. Schlüsselwörter Herzstillstand · Lebensunterstützende Maßnahmen · Extrakorporale Membranoxygenierung · Überwachung · Regionale Sauerstoffsättigung von biologischen Geweben

Near-infrared spectroscopy during cardiopulmonary resuscitation and mechanical circulatory support. From the operating room to the intensive care unit Abstract Background.  Near infrared spectroscopy (NIRS) allows continuous measurement of cerebral regional oxygen saturation (rSO2). It is a weighted saturation value derived from approximately 70–75 % venous, 20–25 % arterial and 2.5–5 % capillary blood. In contrast to pulse oximetry, NIRS is independent of pulsatile flow. Therefore, it is also applicable during extracorporeal circulation, cardiopulmonary resuscitation (CPR), and hypothermia. Objectives.  The purpose of this work is to describe the application of cerebral and somatic NIRS in cardiology and cardiac surgery patients in the operation room, during and after CPR, and during the intensive care unit stay. Materials and methods.  This article is based on peer-reviewed literature from PubMed.

Am häufigsten wird ein Abfall von 20 % [13] oder 25 % [38] von der Baseline als Interventionsindikation gesehen.

Results.  Interventions based on decline of cerebral NIRS values during on-pump cardiac surgery can reduce major organ morbidity and mortality; however, the appearance of a postoperative cognitive dysfunction is scarcely influenced. Persisting of low cerebral oximetry values during resuscitation is a marker for not achieving return of spontaneous circulation under normothermia. NIRS is an additional method for monitoring that can be used during extracorporeal circulation. Conclusion.  NIRS is a rapidly available, user-friendly, and noninvasive method for continuous measurement of rSO2. NIRS provides additional information about tissue oxygenation especially during resuscitation and extracorporeal circulatory assist support. Recommendations concerning the use of NIRS

Klinische Anwendung Allgemeine Vorbemerkung NIRS erlaubt eine kontinuierliche nichtinvasive Messung der zerebralen, aber auch der somatischen rSO2. Interventionen werden bei einem Abfall der rSO2 unter 20 bis 25 % der Baseline empfohlen, dies

for standard monitoring during resuscitation and mechanical circulatory support are not currently available. Further studies are required to show if use of NIRS can reduce pulse control and hands-off times during resuscitation and if use of NIRS can improve outcome after CPR and mechanical circulatory support. Keywords Heart arrest · Life support care · Extracorporeal membrane oxygenation · Monitoring · Regional oximetry in biological tissues

wird in einem vereinfachten Algorithmus modifiziert nach Denault et al. [10] in . Abb. 1 dargestellt. Zahlreiche Fallberichte und Studien konnten zeigen, dass durch frühzeitiges Erkennen und Therapieren einer intraoperativen zerebralen Desoxygenierung die Inzidenz postoperativer Komplikationen reduziert werden kann [17, 37, 38].

Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin

3

Innovationen in der Intensivmedizin rioperativer Komplikationen sowie die Intensivaufenthaltsdauer signifikant verringert werden konnte [17, 37, 38]. Demgegenüber führten NIRS-gezielte Maßnahmen in der Arbeit von Slater et al. nicht wesentlich zu einer Verringerung der postoperativen kognitiven Dysfunktion bzw. des postoperativen Delirs. Dies führten die Autoren jedoch auf eine unzureichende Compliance im Bezug auf das Therapieprotokoll in der Inventionsgruppe zurück [59]. Aber auch präoperativ niedrige zerebrale rSO2-Werte sind neben anderen Risikofaktoren (höheres Alter, niedriger Mini-Mental-Status, vorbestehende psychiatrische/neurologische Erkrankungen) verantwortlich für das Auftreten eines postoperativen Delirs [54, 55, 56].

Zerebrale regionale Sauerstoffsättigung (rSO2) Uni- oder bilateraler Abfall um 25 % zur Baseline

Herzkreislaufsystem? Arterielle Hypotonie: Blutdruck anheben Erniedrigtes Herzzeitvolumen: Herzindex anheben Anämie: Transfusion von Erythrozytenkonzentraten erwägen

Oxygenierung und Ventilation? Hypoxämie: Verbesserung der Oxygenierung Hypokapnie: Normoventilation anstreben, Hyperventilation vermeiden

Sauerstoffverbrauch?

Kreislaufstillstand

Erhöhte Körpertemperatur: Normothermie anstreben Vermehrte zerebrale Metabolismusrate: Sedierung vertiefen

Unter extrakorporaler Zirkulation Überprüfen und ggf. Korrektur der Kanülenlage Pumpenfluss kontrollieren, evtl. Anheben des Pumpenflusses

Unter Reanimation Verbesserung der Reanimationsqualität anstreben

NIRS findet heute nicht nur in der Herzchirurgie, sondern auch in der Neurochirurgie, in der Gefäßchirurgie (bei Eingriffen an der Aorta oder der A. carotis), in der Thorax- und Viszeralchirurgie (v. a. bei älteren Patienten mit Hinweisen auf eine zerebrovaskuläre Insuffizienz oder arteriellen Hypertonie), bei Trauma- und Sepsispatienten oder im Rahmen einer kardiopulmonalen Reanimation Anwendung [17, 32, 38, 59].

Kardiologische Patienten Madsen et al. konnten zeigen, dass Patienten mit akuter normotensiver Herzinsuffizienz und begleitender zerebraler Symptomatik deutlich geringere zerebrale rSO2-Werte aufwiesen (im Mittel 35 %) als die nicht herzinsuffiziente Vergleichsgruppe mit 65 %. Nach Rekompensation stiegen die Werte wieder auf 50 % an [23]. Niedrigere Ausgangswerte der zerebralen

4

Abb. 1 9 Einflussfaktoren und Interventionsmöglichkeiten bei Abfall der zerebralen Sauerstoffsättigung (rSO2). (Adaptiert nach [10])

rSO2 waren die besten Prädiktoren für eine gestörte systolische und/oder diastolische Pumpfunktion herzchirurgischer Pateinten, erfasst durch eine unmittelbar präoperative durchgeführte transösophageale Echokardiographie nach Narkoseeinleitung und verglichen mit gemessenen hämodynamischen Parametern mittels Pulmonaliskatheter [43].

Nach kardiochirurgischen Eingriffen Nach kardiochirurgischen Eingriffen an der Herz-Lungen-Maschine (HLM) treten bis zu 50 % kognitive Dysfunktionen auf, Schlaganfälle kommen in 1–3 % der Fälle vor [60]. Aus diesem Grund stellen kardiochirurgische Eingriffe eine wichtige Indikation zum Einsatz der NIRS-Technologie dar. Im Rahmen mehrerer Studien wurde gezeigt, dass durch Intervention aufgrund von intraoperativen NIRSEntsättigungen Anzahl und Schwere pe-

Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin

Unmittelbar nach Unterbrechung des systemischen Blutflusses infolge eines Kreislaufstillstands kommt es zu einem exponentiellen Abfall der zerebralen Sauerstoffsättigung [27, 29].

»

Bei Asystolie dauerte ein Abfall der zerebralen rSO2 auf 15 % bis zu 20 min Im Rahmen einer Asystolie kommt es zunächst zu einem raschen initialen Abfall der zerebralen Sauerstoffsättigung, dann dauert es jedoch bis zu 20 min, bis die zerebrale rSO2 auf 15 % abfällt, welches gerätebedingt der niedrigste messbare rSO2 bei INVOS-Geräten ist. Andere Geräte (FORESIGHT, EQUANOX™) können auch Werte unter 15 bzw. 0 % erfassen [30].

Kardiopulmonale Reanimation Die Möglichkeiten eines verlässlichen Monitorings zur Erfassung der Hämo­ dynamik und Oxygenierung während einer CPR (. Abb. 2) und nach Erlangen eines Spontankreislaufs („return of spontaneous circulation“, ROSC) sind v. a. präklinisch, aber auch innerklinisch besonders bei nichtinvasiv überwachten Patienten begrenzt. Das Ertasten eines Pulses kann u. U. schwierig sein, die Pulso-

Abb. 2 9 Verlauf der Nahinfrarotspektroskopie (NIRS) während einer Reanimation unter Einsatz eines mechanischen Thoraxkompressionssystems (LUCAS™2, Physio-Control Inc. , Redmond, USA). Die NIRS-Werte konnten durch Verbesserung der Ventilation (Absaugen, Erhöhung des positiven endexpiratorischen Drucks) nochmals gesteigert werden

xymetrie benötigt einen pulsatilen Blutfluss. Zur Beurteilung der CPR-Qualität und des Auftretens von ROSC wird die Messung des endexspiratorischen CO2Partialdrucks(PetCO2) empfohlen [14, 40]. Dies setzt jedoch einen gesicherten Atemweg voraus und hat einige Limitationen [12]. NIRS stellt hier eine sinnvolle nichtinvasive additive Methode zur Überwachung während einer CPR dar. Newman et al. [41] wandten NIRS (INVOS3000, Somanetics™) bei 16 Patienten an, die einen prähospitalen Kreislaufstillstand erlitten hatten, und zeigten, dass die Mehrzahl der Patienten während des Arrests mit CPR maximale zerebrale rSO2-Werte zwischen 15 und 17 % aufwiesen. Nur bei 4 Patienten kam es zu einem Anstieg der rSO2 bis zu nahezu normalen Werten, dies ging jeweils einem ROSC voraus. Interessant ist, dass der Anstieg vor einem tastbaren Puls erfolgte. Auch Kämäräinen et al. [21] wiesen bei 7 von 9 Patienten, die einen beobachteten innerklinischen Kreislaufstillstand erlitten hatten, einen Anstieg der zerebralen rSO2 vor Eintreten von ROSC nach. Parnia et al. [45] verwendeten die zerebrale Oxymetrie bei 19 Patienten, die einen innerklinischen Kreislaufstillstand erlitten. Alle hatten initial eine niedrige zerebrale rSO2 von 15–20 %. Während der CPR entwickelten jedoch die Patienten, die in weiterer Folge einen Spontankreislauf erlangten, eine signifikant höhere mittlere rSO2 (35 vs. 18 %). Die Differenz war etwa 5 min vor Erlangen von ROSC am größten (48 vs. 15 %). Die Autoren schlossen daraus, dass eine mittlere rSO2 ≥ 48 % über eine 5-mi-

nütige CPR in Bezug auf die Vorhersage von ROSC einen positiven prädiktiven Wert von 1,0 hat. Ein deutlicher Anstieg der rSO2 (etwa 3,5-fach) ist mit ROSC assoziiert. Bleibt jedoch die rSO2 während der CPR weitgehend unter 30 %, ist ein Überleben unwahrscheinlich. Zu ähnlichen Schlussfolgerungen kamen auch Ahn et al. [1]. Sie untersuchten 50 Patienten, die einen Kreislaufstillstand erlitten hatten, 24 % infolge von Kammerflimmern/-tachykardie (VF/VT), 44 % infolge von Asystolie und 32 % infolge von pulsloser elektrischer Aktivität (PEA). Sie zeigten, dass v. a. in den Asystolie- und PEASubgruppen Patienten mit ROSC eine signifikant höhere mittlere rSO2 hatten (47 vs. 32 %). Keiner der Patienten mit einer mittleren zerebralen rSO2  65 auf 55 % nach Kühlung eines Patienten nach erfolgreicher

Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin

5

Innovationen in der Intensivmedizin

Abb 3 9 Nahinfrarotspektroskopie (NIRS) und extrakorporale Membran­ oxygenierung (ECMO). Mit Start der Reanimations-ECMO werden NIRSWerte erreicht, die dem Normalbereich eines gesunden Erwachsenen entsprechen, erreicht. (Gleicher Patient wie in . Abb. 2)

nach CPR ermöglicht. Inwieweit sich ein Anheben des Herzzeitvolumens günstig auf die Entwicklung eines Post-cardiacarrest-Syndroms auswirkt, ist wenig bekannt [66]. Abb. 4 9 An den unteren Extremitäten angebrachte NIRS-Optoden zur Überwachung der Beinperfusion eines Patienten während Kreislaufunterstützung mittels venoarterieller ECMO und femoral liegender arterieller Kanüle

CPR auf 33 °C. Eine Steigerung des mittleren arteriellen Drucks (MAP) mittels Norepinephrine auf 80 mmHg führte zu keiner Verbesserung, erst nach Optimierung des HZV kam es zu einem Anstieg der zerebralen rSO2. Dabei ist zu beachten, dass die Gabe von Vasopressoren sowohl die extrakranielle Kontamination des Signals als auch die Kompartimentzusammensetzung verändert [61]. Auch Meex et al. [31] beobachteten einen mittleren Abfall der zerebralen rSO2 von 68 auf 59 % innerhalb der ersten 3 h einer geringgradigen therapeutischen Hypothermie. Der zerebrale rSO2-Abfall war bei Nichtüberlebenden signifikant stärker und war begleitet von einem ebenfalls signifikant niedrigeren HZV. Bei komatösen Post-cardiac-arrest-Patienten bleibt die zerebrovaskuläre Reaktivität auf PaCO2 erhalten, sodass eine verstärkte Hyperventilation zu einer Vasokonstriktion und damit Abnahme

6

der zerebralen Perfusion mit Gefahr von sekundären Hirnschäden führt [28]. Im Gegensatz zur intakten zerebrovaskulären Reaktivität auf PaCO2 ist die zerebrale vaskuläre Autoregulation nach ROSC häufig gestört. So zeigten etwa Sundgreen et al. [63], dass bei 13 von 18 Patienten nach erfolgreicher Reanimation im normothermen Zustand die Autoregulation des zerebralen Blutflusses (CBF) innerhalb der ersten 24 h gestört bzw. die untere Grenze nach rechts verschoben war. Bouzat et al. [5] zeigten hingegen, dass bei geringgradiger therapeutischer Hypothermie die zerebrovaskuläre Reagibilität erhalten zu bleiben scheint und ein Anheben des MAP nicht zu einem Anstieg der zerebralen rSO2 führt. Sie schlussfolgerten, dass die Aufrechterhaltung eines arteriellen PaCO2 von etwa 40 mmHg und eines MAP von etwa 70 mmHg einen optimalen CBF bei geringradiger Hypothermie

Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin

DDEine zerebrale rSO2 in der Postreanimationsphase zwischen 67 und 70 % scheint mit höherer Überlebensrate bzw. verbessertem Outcome verbunden zu sein. Werte unter 60 oder über 80 % weisen auf eine gestörte Sauerstoffabgabe oder -aufnahme hin [2]. Insgesamt ist die Wertigkeit der zerebralen Oxymetrie in dieser Situation v. a. aufgrund möglicher messtechnischer Interferenzen noch nicht vollständig geklärt. Neben arteriellem Mitteldruck, Herzzeitvolumen, Hb-Konzentration und arteriellem Sauerstoffgehalt beeinflussen auch Sedierungstiefe und der Kohlendioxidgehalt des Bluts die rSO2 während der therapeutischen Kühlung.

Mechanische Kreislaufunterstützung Extrakorporale Membranoxy­ genierung/„life support“

Eine zunehmend angewandte Therapiemöglichkeit bei therapierefraktärem Herzkreislaufstillstand stellt die venoarterielle extrakorporale Membranoxygenierung (v.-a.-ECMO) bzw. der extrakorporale „life support“ (ECLS) dar [64]. In den zuletzt publizierten Leitlinien wird sie als Klasse-IIb-Empfehlung angeführt

Abb. 5 9 Beispiel einer Minderdurchblutung des Beins bei femoraler Lage der arteriellen ECMO-Kanüle (Pfeil, graue Kurve). Nach Korrektur der distalen Beinperfusion rasches Ansteigen der NIRS-Werte des betroffenen Beines und weiterer Verlauf parallel zur nichtkanülierten Seite (grüne Kurve)

[8, 35]. Sie kann sowohl prä- als auch intrahospital zur Anwendung kommen und ermöglicht die notfallmäßige Herstellung der Perfusion aller vitalen Organe. Studien konnten zeigen, dass eine v.-a­ECMO/ECLS sowohl beim normothermen als auch beim akzidentellen hypothermen Herz-Kreislauf-Stillstand die Überlebensrate mit geringen neurologischen Schäden signifikant steigern kann [25, 57]. Allerdings führen v. a. Unterkühlung, Kreislaufzentralisierung und Verlust des pulsatilen Flows unter CRP/ECMO/ECLS häufig zum Versagen des Pulsoxymeters.

»

Die zerebrale NIRS erlaubt Rückschlüsse auf Perfusion und Oxygenierung des Gehirns Hier stellt die zerebrale NIRS eine rasch anwendbare nichtinvasive Alternative dar, die Rückschlüsse auf Perfusion und Oxygenierung des Gehirns und der Peripherie zulässt [65] (. Abb. 3). Putzer et al. [47] zeigten, dass NIRSWerte auch unter tiefer Hypothermie (polytraumatisiertes Lawinenopfer, Tympanontemperatur bei Krankenhausaufnahme unter Spontanatmung: 20 °C) kontinuierlich messbar sind. Ferner zeigten die Autoren nach Beginn der ECMOTherapie einen deutlichen Anstieg der zerebralen rSO2 im Vergleich zur vorangegangenen mechanischen CPR. NIRS-gesteuerte Interventionsmöglichkeiten bei ECMO.  Wong et al. [69] be-

schrieben ihre Erfahrung mit NIRS-Anwendungen bei 20 normothermen ECMO-Patienten. Je 2 Sensoren wurden auf der Stirn und auf den unteren Extremitäten angebracht. Alle Patienten wiesen initial eine niedrige zerebrale rSO2 auf. In 80 % der Fälle konnten durch Interventionen die Werte deutlich verbessert werden. Die Interventionsgrenze war bei NIRS-Abfällen

[Near-infrared spectroscopy during cardiopulmonary resuscitation and mechanical circulatory support: From the operating room to the intensive care unit].

Near infrared spectroscopy (NIRS) allows continuous measurement of cerebral regional oxygen saturation (rSO2). It is a weighted saturation value deriv...
532KB Sizes 0 Downloads 8 Views