Klinische Wochenschrift

Klin. Wochenschr. 57, 779-788 (1979)

© Springer-Verlag t979

Wertigkeit der Skelettmuskelbiopsie bei progressiver externer Ophthalmoplegie* ** D. Pongratz 1, j. Perwein,2 G. Hfibner,3 Ch. Koppenwaltner,1 K. Toyka 2 und K.L. Birnberger z i Medizinische Klinik Innenstadt der Universit~t Mfinchen (Direktor: Prof. Dr. E. Buchborn) 2 Neurologische Klinik der Technischen Universit~t Miinchen (Direktor: Prof. Dr. A. Struppler) 3 Pathologisches Institut der Universitfit Mfinchen (Direktor: Prof. Dr. M. Eder)

Muscle Biopsy in Progressive External Ophthalmoplegia Summary. In skeletal muscle biopsies of nine patients with progressive external ophthalmoplegia of unknown origin "ragged red" fibers can be demonstrated. The occurrence of these abnormal fibers does not correlate with clinical muscle weakness, or additional signs of the ophthatmoplegia plus syndrome. Rarely, "ragged red" fibers are seen in other neuromuscular disorders but usually these are associated with various structural alterations. Numerous "ragged red" fibers in an otherwise normal muscle provide an essential criterion in establishing the diagnosis of the ophthalmoplegia plus syndrome. Key words: Progressive external ophthalmoplegia Kearns-Sayre-syndrome - Ophthalmoplegia plus "Ragged red" fibers - Mitochondrial anomalies

Zusammenfassung. In Skelettmuskelbiopsien von neun Patienten mit progressiver externer Ophthalmoplegie unklarer Atiologie gelingt der Nachweis yon ,,ragged red" fibers. Dabei zeigt sich, dab das Auftreten dieser Faseranomalie nicht an das klinische Vorhandensein einer Skelettmuskelschwfiche oder anderer Organmanifestationen des ,,ophthalmoplegia plus"-Syndroms gebunden ist. ,,Ragged red" fibers finden sich selten als Zusatzbefund auch bei anderen neuromuskulfiren Erkrankungen, wobei jedoch eine Reihe sonstiger Strukturanomalien des Muskels vorliegt. * Herrn Prof. Dr. Dr, G, Bodechtel in Verehrung zum 80. Geburtstag gewidmet * * Mit Unterst~itzung der Friedrich-Baur-Stiftung, Mtinchen, und der Deutschen Forschungsgemeinschaft Sonderdruckanfragen

nach Literatur)

an :

Priv.Doz. Dr. D. Pongratz (Adresse siehe

Zahlreiche ,,ragged red" fibers in einem weitgehend normalen Muskelgewebe stellen dagegen einen wesentlichen morphologischen Befund ffir die Diagnose eines ,,ophthatmoplegia plus"-Syndroms dar.

Schliisselwiirter: Progressive externe Ophthalmoplegie - Kearns-Sayre-Syndrom - Ophthalmoplegia plus - ,,Ragged red" fibers - Mitochondrienanomalien

Die progressive externe Ophthalmoplegie kommt klinisch isoliert oder als Teilsymptom einiger neuromuskulfirer Erkrankungen vor. Folgt man der Einteilung von Drachman [6], so sind die mit einer progressiven externen Ophthalmoplegie einhergehenden Erkrankungen in zwei Untergruppen aufzuteilen: 1. Krankheiten, bei denen ein ffir die Pathogenese entscheidender Defekt bekannt ist und 2. eine Reihe fitiologisch noch ungekl/irter Syndrome (sog. ophthatmoplegia plus [5]). In die erste Gruppe geh6ren erworbene Leiden, wie die Myasthenia gravis oder die endokrine Ophthalmopathie, heredodegenerative neuromuskul/ire Erkrankungen wie die oculopharyngeale Muskeldystrophie, die Dystrophia myotonica, das BassenKornzweig-Syndrom, oder auch einige kongenitale Myopathien mit strukturellen Besonderheiten. Hier ist es heute m6glich, die Diagnose oft schon durch klinische, elektrophysiologische und blutchemische Untersuchungen zu stellen. Bei einigen Krankheiten (z.B. der oculopharyngealen Musketdystrophie oder den kongenitalen Myopathien) ist die Diagnose erst durch eine Muskelbiopsie zu sichern. Die zweite Gruppe umfal3t eine Reihe klinischer Syndrome, welche yon der isolierten Ophthalmoplegia externa [3] fiber Ffille yon progressiver externer Ophthalmoplegie mit begleitender Schw/iche der proximalen Extremit/itenmuskulatur [14] bis hin zu kom-

780

D. Pongratz et al. : Skelettmuskelbiopsie bei progressiver externer Ophthatmoplegie

plexen Systemerkrankungen mit Beteiligung einer Vielzahl von Organen [13] reichen. Bei letzterem Syndrom, welches von Kearns und Sayre erstbeschrieben wurde, finden sich aul3er der progressiven externen Ophthalmoplegie Retinaverfinderungen, Reizleitungsst6rungen des Herzens sowie Hinweise auf eine Schfidigung des Zentralnervensystems. Weiterhin k6nnen endokrine St6rungen und Skelettanomalien vorkommen. Engel [8] sowie Olson et al. [6] wiesen wohl als erste daraufhin, dab in dieser Gruppe von Syndromen, speziell beim sog. Kearns-Sayre-Syndrom in der Extremitfitenmuskulatur der Nachweis sog. ,,ragged red" fibers gelingt. Das Anliegen unseres Beitrages ist es, auf die Konstanz und somit auf die diagnostische Wertigkeit dieses Befundes hinzuweisen. Es soll dargelegt werden, dab ,,ragged red" fibers auch bei Patienten, welche keine oder allenfalls eine diskrete Skelettmuskelschwfiche aufweisen, vorkommen, und somit die diagnostische Einordnung in das Syndrom ,,ophthalmoplegia plus" erm6glichen.

Material und Methodik Grundlage der Arbeit sind die muskelbioptischen Befunde von neun Patienten mit dem klinischen Bild einer progressiven externen Ophthalmoplegie [17]. Unter ihnen wiesen zwei lediglich dieses Symptom auf, sechs weitere zeigten eine zusfttztiche leichte Schwfiche der proximalen Extremitfitenmuskulatur, ein Patient schliel31ich erftillte die klinischen Kriterien des sog. Kearns-Sayre-Syndroms. Zur morphologischen Differentiatdiagnose wird beispielhaft die Biopsie einer Patientin mit einer Polymyositis herangezogen. Sfimtliche Muskelbiopsien wurden entsprechend der von uns 1976 beschriebenen Technik [18] entnommen und aufgearbeitet. Die Entnahme erfotgte siebenmal aus dem M. biceps brachii, zweimaI aus dem M. tibialis anterior. Zusfitzlich wurde Gewebe in gepuffertem 6,25%igen Glutaraldehyd fixiert, in 2%iger Osmiums/lure nachfixiert und anschliel3end in fiblicher Weise in Epon eingebettet. Von diesem Gewebe wurden an Semidfinnschnitten 1/ingsgetroffene Muskelfasern entsprechend den lichtmikroskopischen Auff~lligkeiten ftir die elektronenmikroskopische Untersuchung ausgew~ihlt. Erg/inzende myometrische Untersuchungen erfolgten mit einem halbautomatischen manuellen Analysesystem.

Ergebnisse

1. ,,Ragged red"fibers bei chronischer externer progressiver Ophthalmoptegie Bei insgesamt neun Patienten mit der klinischen Verdachtsdiagnose [17] einer fitiotogisch ungekl~irten ,,ophthalmoplegia plus" wurde eine Biopsie aus der klinisch nicht oder nur diskret befallenen Skelettmuskulatur durchgeffihrt. Dabei gelang in allen F/itlender Nachweis yon mehr oder weniger zahlreichen ,,ragged red" fibers in einem ansonsten strukturell weitgehend unauff/illigen Muskel (Tabelle 1).

Tabelle I. Neben den wichtigsten klinischen Daten der dargestellten neun Patienten mit chronisch progressiver externer Ophthalmoplegie ist eine Quantifizierung der in den Muskelbiopsien angetroffenen ,,ragged red" fibers aufgetragen, welche auf eine Parenchymflfiche yon 0,7 Quadratmillimeter bezogen ist

Fa11-Nr. Geschlecht Alter bei Biopsie (Jahre) Ptosis Externe Ophthalmoplegie Skelettmuskelschw~che Cardiomyopathie

1 ~

2 ~

3 9

4 d'

5 ~'

6 3

7 ~

8 9

9 9

24

34

62

19

52

26

40

25

65

+

+

+

+

+

+

+

+

+

+

+

+

+

+

(+)

+

+

+

+

t-

+

+

+

+

0

0

+

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

O

0

0

0

0

2,5

1,5

1,4

1,0

2,0

1,8

0,5

0,3

+

Retinitis 9 pigmentosa Beteiligung des Zentral~nervensystems Zahl der ,,ragged red" fibers 1,7 pro Gesichtsfeld

Die Strukturverfinderungen betreffen in den genannten Ffillen stets Einzelfasern in wechselnder Anzahl. Das Restgewebe erscheint weitgehend unaufffitlig. Allenfalls fallen etwas betonte Kalibervariationen, eine mfif3ige Abrundung der Fasern, sowie gelegentlich leicht aktivierte subsarcolemmale Kerne bzw. etwas vermehrt zentralst~ndige Kerne auf. Die Einzelfaserdegeneration finder sich in den kleineren Fasern. Hier sind stark aktivierte subsarcolemmale Kerne mit prominenten Nukleolen. Daneben zeigt sich vor allem in der Trichromf/irbung im Querschnitt ein ungew6hnliches vergr6bertes Myofibrillenmuster, wobei die Fibrillen durch optisch leeres Material auseinandergedrfingt erscheinen und insbesondere subsarcolemmale vacuolenartige fibrillenfreie Spatien entstehen (Abb. 1 a und 2a). Der sich aus der Histologie ableitende Verdacht, dab in diesen Fasern eine abnorme Speicherung bestimmter Materialien vorliegt, lfil3t sich anhand der PAS-Reaktion, sowie insbesondere einer Fettffirbung untermauern. Erstere zeigt eine leichte Vermehrung von Glycogen, zweitere eine betr/ichtliche, relativ grol3tropfige Verfettung, die teils disseminiert, teils deutlich subsarcolemmal betont ist (Abb. 1b und 2b). Enzymhistochemisch zeigen diese abnormen Fasern bei der Darstellung der NADH-Reductase zusfitzlich eine erheblich vermehrte und im Muster vergr6berte oxydative Enzym-

D. Pongratz et al. : Skelettmuskelbiopsie bei progressiver externer Ophthalmoplegie

781

Abb. 1a-e. ,,Ragged red" fibers bei progressiver externer Ophthalmoplegie. a TrichromP~rbung, Vergr6Berung 100 x. Man erkennt disseminiert im Muskelparenchym abnorm strukturierte Einzelfasern mit vergr6bertem Fibrillenmuster und vacuol~iren Faserdegenerationen. b Sudan-Schwarz-Ffirbung, Vergr6Berung 100 x. Diese Fasern zeichnen sich dutch einen erh6hten Fettgehalt aus. e NADH-Reductase-Reaktion, Vergr6Berung 100 x. Gleichzeitig ist in den abnormen Einzelfasern die oxydative Enzymaktivitfitdeutlich vermehrt und vergr6bert aktivit~it, wobei in Anaologie zu den oben beschriebenen Befunden zum Teil eine weitgehend diffuse punktf6rmige Enzymvermehrung aufffillt, tells aber auch eine deutliche Zusammenballung im subsarcolemmalen Bereich zu verzeichnen ist (Abb. 1 c und 2c). Anhand der myofibrillfiren AdenosintriphosphataseReaktion lfil3t sich zeigen, dab die abnorm strukturierten Fasern ausschlieBlich dem Musketfasertyp I zugeh6ren.

Die Zahl der in den Gewebsproben anzutreffenden ,,ragged red" fibers (Tabelle 1) ergibt keine sichere Korrelation zum Schweregrad des klinisch faBbaren Befalls der Extremit/itenmuskulatur. Feinstrukturell erkennt man in den ,,ragged red" fibers eine Vermehrung und Vergr613erung der Mitochondrien, die besonders subsarcolemmal angehfiuft sind. In ihrer Nachbarschaft tiegen zahlreiche Neutralfett-Tropfen (Abb. 3). Bei stfirkerer Vergr613erung

782

D. Pongratz et al. : Skelettmuskelbiopsie bei progressiver externer Ophthalmoplegie

Abb. 2a-e. ,,Ragged red '~ fibers bei progressiver externer Ophthalmoplegie. a Trichromffirbung, Vergr613erung 400 x. b Sudan-Schwarz-Ffirbung, Vergr613erung 400 x. c NADH-Reductase-Reaktion, Vergr613erung 400 x. Bei stfirkerer Vergr6Berung werden die in Abb. I bereits gezeigten Auff~illi~keiten noch deutlicher

D. Pongratz et al. : Skelettmuskelbiopsiebei progressiverexterner Ophtha|moplegie

783

Abb. 3. ,,Ragged red" fiber bei progressiver externer Ophthalmoplegie. Die Faser zeigt bei L~bersichtsvergr6!3erungeine Vermehrung der Mitochondrien subsarcolemmal und im Inneren (M), sowie zahlreiche rundliche Fett-Tropfen. Archiv Nr. 21602, Vergr613erung elektronenoptisch 800, Endvergr613erung2 500 x

zeigen die Mitochondrien auffNlige Strukturanomalien in Form yon lamell~iren oder tubulfiren Cristae sowie yon Einlagerungen parakristalliner geordneter Strukturen (Abb. 4).

2. ,,Ragged red" fibers bei anderen neuromuskutiiren Erkrankungen Hier sei nur eine Biopsie exemplarisch herausgegriffen, bei welcher ,,ragged red" fibers im Verein mit weiteren Strukturverfinderungen nachweisbar waren.

Es handelt sich um eine Patientin mit einer relativ rasch progredienten Muskelschwfiche mit facioscapulohumeraler Pr/idilektion unter Aussparung der fiul3eren Augenmuskeln, einer leichten CK-Erh6hung im Serum sowie ,,myopathischen" VerSnderungen im Elektromyogramm. Die Therapie mit Glucocorticoiden ffihrte zu einer Besserung der Muskelschw~che, weshalb die klinische Diagnose einer Polymyositis gestellt wurde. Die Morphologie des Muskels zeigt eine myopathische Parenchymalteration mit schon leichtem inter-

784

D. Pongratz et al. : Skelettmuskelbiopsiebei progressiverexterner Ophthalmoplegie

Abb. 4. ,,Ragged red" fiber bei progressiverexterner Ophthalmoplegie. Ein Ausschnitt aus der Faser zeigt mehrereabnorme Mitochondrien mit tells tubulfiren(T), teils lamell~iren(L) Cristae, sowie zahlreichenparakristallinen Mitochondrieneinschl~issen(K). Archiv. Nr. 18581, Vergr613erungelektronenoptisch20000, Endvergr6gerung64000x

stitiellen Umbau, abgerundeten Fasern wechselnden Kalibers, jedoch ohne Hypertrophietendenz, aktivierten subsarcolemmalen Kernen, lokalisierten interstitiellen Rundzellinfiltraten mit Untergang der benachbarten Muskelfasern, sowie immer wieder aufffilligen Einzelfaserdegenerationen (Abb. 5a). Letztere entsprechen histologisch dem Bitd sog. ,,ragged red" fibers. Auch die Fettf/irbung sowie die N A D H - R e ductase-Reaktion ergeben Hinweise auf eine Fett- und Mitochondrienvermehrung (Abb. 5b und 5c). Nach dem Ausfall der myofibrillfiren Adenosintriphosphatase-Reaktion handelt es sich isoliert um Typ I-Muskelfasern (Abb. 5d).

Auch in diesem Falle erkennt man feinstrukturell eine Vermehrung und Vergr6Berung der Mitochondrien. In ihrer Nachbarschaft liegen zahlreiche FettTropfen (Abb. 6). Bei st/irkerer Vergr613erung finden sich in zahlreichen Mitochondrien lamell~ire Cristae sowie rundliche strahlendichte Einschl/isse (Abb. 7). Wegen der interstitiellen Infiltrationen mit herdf6rmigen Muskelfaserunterg/ingen ist dieser Befund auch morphologisch am ehesten als Polymyositis zu interpretieren. Insgesamt unterscheidet er sich aufgrund der diffusen Parenchymver~inderungen deutlich von den vorher dargestellten F/illen. Die Anwesenheit von ,,ragged red" fibers in dieser Biopsie muB woht

D. Pongratz et al. : Skelettmuskelbiopsie bei progressiver externer Ophthalmoplegie

785

Abb. 5a-d. ,,Ragged red" fibers bei Polymyositis. a Trichromf~irbung, Vergr613erung t00 x. Neben einer deutlichen interstitiellen entzfindlichen Reaktion, teils perivaskut~ir, teils in der Nfihe untergehender Muskelfasern fallen einzelne abnorm strukturierte Fasern auf. b Sudan-Schwarz-Ffirbung, Vergr613erung 100 x. Die abnormen Einzelfasern zeigen eine erh6hte Verfettung. e NADH-Reductase-Reaktion, Vergr613erung 400 x. Zus~tzlich zeigen sie eine vermehrte und im Muster vergr6berte oxydative Enzymaktivit/it. d Myofibrillfire ATP-aseReaktion bei pH 9,4, Vergr6Berung 400 x. Nach dem Ausfall dieser Reaktion entsprechen sie Typ I-Muskelfasern

als serene begteitende Faseranomalie im Rahmen einer Polymyositis gedeutet werden.

Diskussion Den Schwerpunkt vorliegender Untersuchung bilden die Muskelbiopsiebefunde yon neun Patienten mit einer fitiologisch ungekl/irten progressiven externen Ophthalmoplegie. Nur bei einem Tell der Ffille bestehen klinische Hinweise auf eine diskrete Schwfiche der Extremitfitenmuskulatur, bzw. eine Mitaffektion weiterer Organe. Morphologisch findet sich in allen untersuchten Biopsien eine Reihe yon Einzelfaser-

degenerationen im Sinne von ,,ragged red" fibers in einem ansonsten weitgehend regelrecht strukturierten Muskel. Dieser Befund ist yon keiner anderen neuromuskul~iren Erkrankung gelfiufig [7]. Die neun Beobachtungen resultieren aus einem Untersuchungsgut yon fiber 1 500 Muskelbiopsien. Daraus geht hervor, dal3 dieses strukturelle Bild zu den seltenen, m6glicherweise aber auch nur zu den bis heute selten diagnostizierten Affektionen der Skelettmuskulatur geh6rt. Da die Zahl der Patienten mit progressiver externer Ophthalmoplegie, die zur Biopsie gelangten, in den letzten zwei Jahren betr/ichtlich anstieg, gtauben wir, dal3 die Erkrankung hfiufiger ist, als unsere Fallzahl vermuten lfil3t.

Abb. 6. ,,Ragged red" fiber bei Polymyositis. In der Obersichtsvergr613erung zeigt eine schmale Skelettmuskelfaser neben einer Mitochondrienvermehrung zahlreiche Neutralfett-Tropfen. Im Interstitium Fibrose, sowie links unten eine angeschnittene Mastzelle. Archiv. Nr. 19052, Vergr6Berung elektronenoptisch 1000, Endvergr6Berung 3 200 x

Abb. 7. ,,Ragged red" fiber bei Polymyositis. Die Ausschnittsvergr6gerung zeigt neben zahlreichen Fett-Tropfen (F) mehrere Mitochondrien mit lamell/ir geschichteten Cristae sowie mitochondrialen strahlendichten Einschliissen (M). Archiv Nr. 1.9063, VergrSgerung elektronenoptisch 16000, Endvergr6gerung 51000 ×

D. Pongratz et al. : Skelettmuskelbiopsie bei progressiver externer Ophthalmoptegie

Bevor l~berlegungen zur klinischen Bedeutung dieser Befunde angestellt werden dfirfen, mul3 ihre morphologische Wertigkeit diskutiert werden.

Diagnostische Wertigkeit yon ,,ragged red"fibers ,,Ragged red" fibers sind zu definieren als Einzelfaserdegenerationen mit vermehrter Speicherung von Neutralfett sowie Vermehrung und abnormer Strukturierung yon Mitochondrien. Ihr Vorkommen ist aus der Literatur insbesondere vom Kearns-Sayre-Syndrom [2, 11], daneben seltener aber auch von anderen neuromuskulfiren Erkrankungen, etwa der Polymyositis, der limb girdle dystrophy, oder yon neurogenen Atrophien [9, 10] bekannt. Der wesentliche und wohl diagnostisch entscheidende Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen von Erkrankungen ist darin zu sehen, dab bei den mit einer progressiven externen Ophthalmoplegie einhergehenden Syndromen ,,ragged red" fibers in einem ansonsten strukturell unauff~lligen Muskel vorkommen, w/ihrend im Falle der fibrigen angeffihrten neuromuskutfiren Erkrankungen ein diffus areriertes Muskelparenchym vorliegt. Die mitgeteilten eigenen Beobachtungen, sowie Ergebnisse anderer Autoren [10] weisen darauf hin, dab ,,ragged red" fibers bei der bisher fitiologisch ungeklfirten progressiven externen Ophthalmoplegie in der Skelettmuskulatur hfiufig, m6glicherweise sogar regelm/iBig nachweisbar sind, wfihrend ihr Vorkommen bei anderen neuromuskulfiren Erkrankungen selten ist [7].

Diagnostische Wertigkeit yon Mitochondrienanomalien Mitochondrienanomalien sind als Ausdruck einer akuten GewebsscNidigung in der Skelettmuskutatur genau so wie in anderen Organen bekannt und stellen einen strukturell unspezifischen Befund dar. Sie bestehen in einer Schwellung der Mitochondrien, einer Desintegration der Cristae, sowie in der Einlagerung yon Myelinfiguren oder Glycogen. Solche Befunde sind von ischfimisch bedingten Muskelschfidigungen [12] oder v o n d e r akut sich entwickelnden Denervationsatrophie [21] gut dokumentiert. Mehr diagnostische Aussagekraft beansprucht die Vermehrung oder die Vergr613erung von Mitochondrien mit der Ausbitdung yon lametlfiren oder tubul~iren Cristae. Derartige Verfinderungen weisen, sofern sie diffus in der Muskulatur angetroffen werden, auf Krankheitsbilder aus dem Formenkreis der mitochondrialen Myopathien hin. Teilweise besteht hier zusfitzlich eine vermehrte Speicherung yon Fett bzw. Glycogen.

787

Parakristalline Mitochondrieneinschlfisse kommen wiederum bei einer Vielzahl von Erkrankungen, etwa neurogenen Atrophien, Polymyositiden und progressiven Muskeldystrophien vor [15], wenngleich ihr besonders h/iufiges Auftreten vor allem bei mitochondrialen Myopathien und bei ,,ragged red" fibers beobachtet wird.

Morphologische Aspekte zur ktinischen Differentialdiagnose der progressiven externen Ophthalmoplegie In der klinischen Differentialdiagnose der progressiven externen Ophthalmoplegie spielen, wie eingangs dargestellt, auch eine Reihe weiterer Erkrankungen eine Rolle, deren Einordnung oft schon durch klinische, elektropbysiologische und biochemische Untersuchungen gelingt. In vielen F/illen ist die Diagnostik jedoch durch eine Muskelbiopsie zu erweitern. Dies trifft besonders ftir die oculopharyngeale Muskeldystrophie sowie ffir zwei Krankheiten aus dem Formenkreis der kongenitalen Myopathien mit strukturellen Besonderheiten, n/imlich ftir die centronuclefire und die mitochondriale Myopathie zu. Bei der oculopharyngealen Muskeldystrophie k6nnen als strukturelle Besonderheiten im wesentlichen sog. ,,rimmed vacuoles" gelten [7]. Das morphologische Bild der centronucle~iren Myopathie wird durch die enorme Vermehrung zentralstfindiger Kerne mit pericentronuclefiren Faseranomalien bestimmt [18], das der mitochondrialen Myopathien durch die diffuse Alteration der Mitochondrien. Dabei wiederum kann zwischen einer pleoconialen und einer megaconialen Form unterschieden werden [20]. Die Mehrzahl dieser strukturellen Befunde ist differentialdiagnostisch klar von den vorgenannten Krankheitsbildern abzutrennen. Am ehesten kann die Differentialdiagnose zwischen ,,ragged red" fibers und mitochondrialen Myopathien Schwierigkeiten bereiten. Hier ist als entscheidendes Kriterium auf die Alteration yon Einzelfasern im Falle der ,,ragged red" fibers gegenfiber dem ubiquit~iren Befall des Parenchyms bei den mitochondrialen Myopathien hinzuweisen.

Folgerungen Der Nachweis von ,,ragged red" fibers in einem ansonsten strukturell weitgehend unaufffilligen Skelettmuskel hat nach den dargestellten l~berlegungen entscheidende Bedeutung ffir die klinische Diagnostik. Die Tatsache, dab diese abnormen Fasern nicht nur beim Kearns-Sayre-Syndrom, sondern auch bei den

788

D. Pongratz et al. : Skelettmuskelbiopsie bei progressiver externer Ophthalmoplegie

iibrigen, mit chronischer progressiver externer Ophthalmoplegie einhergehenden, bisher ~tiologisch ungeklfirten Erkrankungen fast regelmfil3ig nachgewiesen werden k6nnen, weist auf die enge Verwandtschaft der einzelnen, unter dem f2bergriff der ,,ophthalmoplegia plus" zusammengefal3ten Syndrome hin. Zur )~tiologie dieser Krankheitsbilder sind bisher nur Spekulationen m6glich. Zwei wichtige Aspekte sind folgende: a) Die pathogenetische Bedeutung der Mitochondrienanomalien wird im Falle des Kearns-Sayre-Syndroms durch den Nachweis analoger Mitochondrienver~nderungen in Haut [11] und Gehirn [1] unterstrichen. b) Biochemisch gibt es erste Anhaltspunkte daftir, dab in den abnorm strukturierten Mitochondrien ein Regulationsdefekt der oxydativen Phosphorylierung eine entscheidende Rolle spielt [4, 19]. Ffir die klinische Diagnostik folgern wir aus unseren Beobachtungen, dal3 bei allen Patienten mit progressiver externer Ophthalmoplegie die bioptische Untersuchung des Skelettmuskels indiziert ist, sofern die Erkrankung nicht einem Syndrom mit bekannter Pathogenese (z.B. Myasthenia gravis) zugeordnet werden kann. Die Indikation gilt auch dann, wenn klinisch keine oder nur eine geringe Mitbeteiligung der Skelettmuskulatur fal3bar ist. Man kann auf diese Weise in Zukunft wohl weitgehend auf die eingreifendere Biopsie der fiuBeren Augenmuskeln verzichten, umso mehr, als dieses Gewebe in der Beurteilung schwieriger und unzuverl/issiger ist. Danksagung. Ffir hervorragende technische Assistenz danken wir Frau K. Wagner, Ffl. B. Wojtek und FrL D. Mtinsterer sehr herzlich.

Literatur 1. Adachi, M., Torii, J., Volk, B.W. et al. : Electron microscopic and enzyme histochemical studies of cerebellum, ocular and skeletal muscles in chronic progressive ophthalmoplegia with cerebellar ataxia. Acta Neuropathol. (BEN.) 23, 300 312 (1973) 2. Castaigne, P., Laplane, D., Fardeau, M., Dordain, G., Autret, A., Hirt, I,. : Myopathie avec anomalies mitochondriales localis6es aux fibres de type I. Rev. Neurol. 126, 8146 (1972) 3. Cogan, D.G., Kuwabara, T., Richardson, E.P., J.: Pathology of abiotrophic ophthalmoplegia externa. Bull. Johns Hopkins Hosp. 111, 42-56 (1962) 4. DiMauro, S., Schotland, D.L., Bonilla, E. et al.: Progressive ophthalmoplegia, glycogen storage, and abnormal mitochondria. Arch. Neurol 29, 170-179 (1973) 5. Drachman, D.A.: Ophthalmoplegia plus. Arch. Neurol. 18, 654-674 (1968)

6. Drachman, D.A.: Ophthalmoplegia plus; a classification of the disorders associated with progressive external ophthatmoplegia. In: Handbook of clinical neurology. Vinken, P.J., Bruyn, G.W. (eds.). Amsterdam: North Holland 1975 7. Dubowitz, V., Brooke, M.H.: Muscle biopsy: A modern approach. London, Philadelphia: Saunders 1973 8. Engel, W.K.: "Ragged-red fibers" in ophthalmoplegia syndromes and their differential diagnosis. In: Abstracts of the Second International Congress on Muscle Diseases, Perth, Australia, Nov. 22-26, 1971, p. 28. Amsterdam: Excerpta Medica t971 9. Jerusalem, F., Ketelsen, U.P. : Uttrastrukturelle mitochondriale Anomalien bei Myopathien und ihre diagnostische Bedeutung. Fortschr. Neuroi. Psychiatr. 39, 219227 (1971) 10. Kamieniecka, Z., Schmalbruch, H. : Myopathies with abnormal mitochondria: A clinicopathologic classification. Muscle Nerve 1, 413-415 (1978) 11. Karpati, G., Carpenter, S., Larbrisseau, A. et al. : The KearnsShy syndrome: A multisystem disease with mitochondrial abnormality demonstrated in skeletal muscle and skin. J. NeuroL Sci. 19, 133 i51 (1973) 12. Karpati, G., Carpenter, S., Melmed, C. et al.: Experimental ischemic myopathy. J. Neurol. Sci. 23, 129-161 (1974) 13. Kearns, T.P., Sayre, G.P. : Retinitis pigmentosa, external ophthalmoplegia and complete heart block. Unusual syndrome with histological study in one of two cases. Arch. Ophthalmol. 60, 280 289 (1958) 14. Kiloh, L.G., Nevin, S. : Progressive dystrophy of the external ocular muscles (ocular myopathy). Brain 74, 115-143 (1951) 15. Mair, G.P, Tom6, F.M.S. : Atlas of the ultrastructure of diseased human muscle. Edinburgh, London: Churchill Livingstone 1972 t6. Olson, W., Nashville, T , EngeI, W.K., Walsh, G.O., Eiuaugler, R. : Oculocraniosomatic neuromuscular disease with "ragged red" fibers. Histochemical and ultrastructural changes in limb muscles of a group of patients with idiopathic progressive external ophthalmoplegia. Arch. Neurol. 26, 19321i (1972) 17. Perwein, J., Toyka, K., Pongratz, D., Birnberger, K.L. : Klinik und Diagnostik bei progressiver externer Ophthalmoplegie. (in Vorbereitung) 18. Pongratz, D. : Differentialdiagnose der Erkrankungen der Skelettmuskulatur anhand yon Musketbiopsien. Stuttgart: Thieme 1976 19. Scarlato, G., Pellegrini, G., Veicsteinas, A. : Morphologic and metabolic studies in a case of oculo-cranio-somatic neuromuscular disease. J. Neuropathol. Exp. Neurol. 37, 1-12 (1978) 20. Shy, G.M., Gonatas, N,K., Perez, M.: Two childhood myopathies with abnormal mitochondria. I. Megaconial myopathy. II. Pleoconial myopathy. Brain 89, 133-158 (1966) 21. Stonnington, H.H., Engel, A.G. : Normal and denervated muscle: A mor-phometric study of fine structure. Neurology (Minneap.) 23, 714-724 (1973) Eingegangen am 31. Januar 1979 Angenommen am 14. Mtirz 1979 Priv. Doz. Dr. D. Pongratz Medizinische Klinik Innenstadt der Universit/it Miinchen Ziemssenstr. 1 a D-8000 Mtinchen 2 Bundesrepublik Deutschland

[Muscle biopsy in progressive external ophthalmoplegia (author's transl)].

Klinische Wochenschrift Klin. Wochenschr. 57, 779-788 (1979) © Springer-Verlag t979 Wertigkeit der Skelettmuskelbiopsie bei progressiver externer O...
5MB Sizes 0 Downloads 0 Views