Kornrnentare Multiple Sklerose und Retroviren Neue Ergebnisse R. Hohlfeld

Wir haben an dieser Stelle (9) vor kurzern uber I'ublikationen von zwei arnerikanischen Arbeitsgruppen (4, 6) berichtet, wonach von Patienten rnit rnultipler Sklerose DNS-Sequenzen des Retrovirus HTLV-I (hurnanes T-Zell-lyrnphotropes Virus I) isoliert werden konnten. Eine Erklarungsrnoglichkeit fiir diese Ergebnisse war, daB HTLV-I oder ein verwandtes Retrovirus tatsachlich an der Entstehung der rnultiplen Sklerose beteiligt ist. Andererseits konnte es sich bei den publizierten Befunden urn Artefakte handeln. Dabei kornrnen vor allern zwei Artefaktquellen in Frage: Erstens konnten die rnit d e r Polymerase-Kettenreaktion (PCR) isolierten DNSSequenzen endogenen Retroviren entsprechen. Zweitens konnten rnit der iiberaus ernpfindlichen Polymerase-Kettenreaktion kontarninierende DNSSequenzen arnplifiziert worden sein.

Patienten r n ~rnult~pler t Sklerose (n)

Literatur

verwendete Pr~rner

In erstaunlich kurzer Zeit sind inzwischen eine groBe Anzahl von Patienten rnit rnultipler Sklerose rnit der gleichen Methode (PCR) untersucht worden. Die Ergebnisse sind zurn Teil bereits publiziert, zurn anderen Teil kurzlich auf der Jahrestagung der >>AmericanAssociation of Neurologycc vorgestellt worden (1,2, 5, 7, 8). Eine Ubersicht uber die neuen Ergebnisse gibt Tabelle 1, die als Erganzung unserer Abbildung aus dern vorangehenden Komrnentar in dieser Wochenschrift (9)gedacht ist. Besonders bemerkenswert ist, daB dieselben Untersucher, die uber die Isolierung von HTLV-I-Sequenzen bei Patienten rnit rnultipler Sklerose berichtet hatten (4). nunrnehr in einer wesentlich urnfangreicheren und sorgfaltiger kontrollierten Studie (5) die eigenen Ergebnisse einschranken und die friiheren Daten anders deuten. Von der Anlage der Studie her handelt es sich urn die derzeit umfang-

Ergebnls

Bangharn et al. (1)

1989

18

pol, env (HTLV-I)

keine HTLV-I-Sequenzenarnpllf~z~ert

R~chardsonet al. (8)

1989

47

gag, pol, env, tax (HTLV-I)

keine HTLV-I-Sequenzenarnpl~f~z~ert

Greenberg et al. (5)

1990

212

gag, pol, env, tax (HTLV-I, HTLV II)

e~nzelneposlt~veArnplifikate, k e ~ nUnterschied zw~schenPatienten und Kontrollen

Cab~racet al. (2)

1990

20

gag, POI (HTLV-I)

pos~t~ve Arnpl~f~kate be1 funf von 20 Patlenten rnit rnult~plerSklerose und neun von 19 Norrnalpersonen

R~ceund Dekaban (7)

1990

44

gag, POI

gag(p24)-Pr~rner keln Untersch~edzwlschen Patlenten rnlt rnult~plerSklerose und Kontrollen pobPrlrner ke~neSequenzen arnpl~f~z~ert

Dtsch. m e d . Wschr. 115 (1990).1528-1529 O Georg Thierne Vcrlag Stuttgart . New York

Tab. 1 Ergebnisse der Polymerase. Kettenreaktion be1 rnult~plerSklerose

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Neurologisrhe Klinik und Poliklinik (Direktor: Prof. Dr. Th. Hrandt). Klinikurn GroBhadcrn d e r Universitat Munchen. und Abtcilung fur Ncuroimrnunologie (Ilirektor: Prof. Dr. 11. Wekcrlcl. Max-Planck-lnstitut fur Psychiatric. Martinsried

-

Hohlfeld: Multiple Sklerose und Retroviren 1529

DMW 1990, 115. Jg., Nr. 4 0

Diese Ergebnisse machen eine pathogenetische Bedeutung des konventionellen HTLV-Ioder HTLV-11-Virus bei der multiplen Sklerose auBerst unwahrscheinlich. Bei den gelegentlich beobachteten positiven Befunden in der PolymeraseKettenreaktion konnte es sich entweder um Artefakte handeln oder um die Sequenzen endogener Retroviren, die im menschlichen Genom weit verbreitet sind (3). Die ubrigen in der Tabelle aufgefuhrten Studien von vier weiteren Arbeitsgruppen an insgesamt 129 zusatzlichen Patienten rnit multipler Sklerose weisen in dieselbe Richtung (1,2, 7, 8).

Resiimee Wie schon oft in der Geschichte der Multiple-Sklerose-Forschung haben sich spektakulare Berichte eines Virusnachweises nicht bestatigen lassen. Im Fall der vom Konzept her besonders interessanten Assoziation mit Retroviren wurde die Virushypothese in einer Rekordzeit von weniger als einem Jahr widerlegt. Selbstverstandlich ist es nach wie vor denkbar, daB ein bisher nicht genugend charakterisiertes, rnit den venvendeten Primern nicht zu entdeckendes Retrovirus rnit einigen Fallen von vmultipler Sklerosecc assoziiert ist. Uberzeugende Beweise dafiir gibt es bisher nicht.

Literatur J. K. Cruickshank, S. Daenke: PCR analysis of DNA from multiple sclerosis patients for the presence of HTLV-I. Science 244 (1989). 821. Cabirac, G., R. Murray. D. Ries. B. MacMillan: Lack of association of HTLV-I and multiple sclerosis. Neurology 40, Suppl. 1 (1990),283. Coffin. J. M.: Retroviridae and their replication. In Fields. B. N. (Ed.): Virology (Raven Press: New York 1990). 1437. Greenberg. J.. G. Ehrlich. M. Abbott, B. J. Hunvitz. T. A. Waldmann. B. J. Poiesz: Detection of sequences homologous to human retroviral DNA in multiple sclerosis by gene amplification. Proc. nat. Acad. Sci. (Wash.) 86 (1989). 2878. Greenberg. S. J.. G. D. Ehrlich. T. A. Waldmann. B. J. Poiesz: Retroviral-associated genetic sequences in multiple sclerosis and other disease. A 2nd-phase. large-scale population appraisal. Neurology 40. Suppl. 1 (1990), 282. Reddy. E.. M. Sandberg-Wollheim, R. Mettus, P. E. Ray, E. De Freitas, H. Koprowski: Amplification and molecular cloning of HTLV-1 sequences from DNA of multiple sclerosis patients. Science 243 (1989). 529. Rice, G. P. A.. G . Dekaban: Failure of gene amplification techniques to detect HTLV-I sequences unique to multiple sclerosis. Neurology 40. Suppl. 1 (1990). 283. Richardson. J. H.. K. W. Wucherpfennig. N. Endo, P. Rudge, A. G. Dalgleish, D. A. Hafler: PCR analysis of DNA from multiple sclerosis patients for the presence of HTLV-I. Science 244 (1989),821. Voltz, R.. R. Hohlfeld: Multiple Sklerose und Retroviren. Dtsch. med. Wschr. 115 (1990). 432.

1 Bangham. C. R. M., S. Nightingale.

2

3 4

5

6

7

8

9

Prof: Dr. R. Hohlfeld Neurologische Klinik und Poliklinik Klinikum GroBhadern d e r Universitat Marchioninistr. 15 W-8000 Miinchen 7 0

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reichste und a m besten kontrollierte Untersuchung retroviraler DNS-Sequenzen bei multipler Sklerose. Insgesamt wurden 1100 DNS-Proben aus peripheren Blutlymphozyten analysiert, und zwar von 212 Patienten rnit multipler Sklerose, von 163 nichtbetroffenen Familienangehorigen, von 36 Patienten rnit anderen neurologischen Erkrankungen, von 81 Patienten rnit nichtneurologischen Autoimmunerkrankungen, von 58 Patienten rnit Lymphom (auBer akuter T-Zell-Leukamie) und von 550 Normalpersonen. Die bei der Polymerase-Kettenreaktion venvendeten Primer erlaubten es, sowohl nach HTLV-I wie auch nach dem HTLV-11-Provirus zu suchen. In einzelnen Fallen wurden auBerdem Primer fur das virale tax-Gen (fruher X-Transaktivator-Protein genannt [31) verwendet. Nur ganz wenige Falle waren positiv, und zwar ohne erkennbaren Zusammenhang rnit der Einordnung in die verschiedenen Patientengruppen.

[Multiple sclerosis and retroviruses: new findings].

Kornrnentare Multiple Sklerose und Retroviren Neue Ergebnisse R. Hohlfeld Wir haben an dieser Stelle (9) vor kurzern uber I'ublikationen von zwei arn...
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