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Multizentrischer knöcherner Riesenzelltumor

Einleitung !

Riesenzelltumore des Knochens sind selten und betreffen ca. 4 – 5 % aller primären Knochentumore. Sie kommen vornehmlich als solitäre Läsionen mit der Epiphyse als Prädilektionslokalisation vor. Sehr selten, in weniger als 1 % aller Riesenzelltumore, können sie multizentrisch auftreten (Hoch B et al., J Bone J Surg Am 2006; 88: 1998). Die multizentrische Erscheinungsform wird als synchron bezeichnet, wenn die zweite Läsion mit der ersten oder innerhalb von 6 Monaten entdeckt wird; eine metachrone Erscheinungsform liegt dann vor, wenn die zweite Läsion später als nach 6 Monaten auftritt. Wir möchten anhand eines Fallberichtes mit gleichzeitig synchroner und metachroner Verlaufsform die Symptomatik der Multizentrizität knöcherner Riesenzelltumore vorstellen. Die Besonderheiten des multizentrischen im Vergleich zum solitären knöchernen Riesenzelltumor werden erörtert.

ebenfalls eine Osteolyse ergab, durch eine Amputation des Kleinfingerendgliedes behandelt. Auch hier ergab die Histologie einen Riesenzelltumor. Weitere zwei Monate später erlitt der Patient nach einem Bagatelltrauma eine pathologische Fraktur des rechten proximalen Humerus " Abb. 1A); die Therapie bestand in einer (● Kürettage und Auffüllung des Defektes " Abb. 1B). Die durch Knochenzement (● Histologie bestätigte den Verdacht eines synchronen multizentrischen Riesenzelltumors. Seinerzeit war die Knochenszintigrafie zum Ausschluss weiterer Läsionen unauffällig. Aktuell ergab das Nativröntgenbild des Beckens eine ca. 3 cm große lytische Läsion im Bereich des rechten Trochanter minor und eine weitere ca. 4 cm große Läsi" Abb. 2A). Die on im linken Os ileum (●

MRT-Untersuchung zeigte die Ausdehnung beider Läsionen jeweils mit Weich" Abb. 2B, C). Die Nativteilinfiltration (● röntgenuntersuchung und die daraufhin durchgeführte CT-Untersuchung des zudem schmerzhaften rechten Handgelenkes zeigte eine 4 cm große Osteolyse der radialen Epipyhse jedoch ohne Kortikalis" Abb. 3A). Eine Techunterbrechung (● netium-Knochenszintigrafie ergab neben den beschrieben Läsionen eine zusätzliche Anreicherung im Bereich der linken distalen Tibia. Auch hier konnte mittels Nativröntgenbild und CT-Untersuchung eine ca. 2 cm große lytische Läsion im Bereich der dorsalen lateralen distalen Tibia gefunden werden. CT-Untersuchung des Thorax und des Abdomens zeigten keine Hinweise auf eine Metastasierung. Serologische Untersuchungen von Calcium, Phosphat, alkalischer Phosphatase und Parathormon zum Ausschluss eines Hyperparathyreoidismus waren unauffällig. Die operative Therapie bestand jeweils in einer Ausräumung (Kürettage) der Läsionen und Auffüllung mit Knochenzement. Es erfolgten prophylaktische Stabilisie-

Fallbeschreibung !

Im März 2012 stellte sich ein 27-jähriger Mann vor mit Schmerzen ohne Trauma in der rechten Hüfte und über dem rechten Handrücken. Die klinische Untersuchung ergab einen lokalen Druckschmerz in der rechten Leiste und über dem rechten Handrücken jedoch ohne Einschränkung der Beweglichkeit der betroffenen Gelenke. Bemerkenswert in der Anamnese war ein Osteosarkom im Bereich der rechten proximalen Tibia, welches 18 Jahre zuvor durch eine Chemotherapie und eine Resektion und Rekonstruktion mittels Allograft behandelt wurde. Nach 10 Jahren nach regelmäßigen klinischen und radiologischen Kontrollen galt der Patient seinerzeit als tumorfrei. Zudem ist zu erwähnen, dass 3 Jahre zuvor eine Osteolyse des rechten proximalen Oberarmes auswärts durch Kürettage und Auffüllung mittels Spongiosa behandelt wurde. Die histologische Untersuchung ergab einen gutartigen Riesenzelltumor des Knochens. Zwei Monate später wurde eine Schwellung des rechten Kleinfingerendgelenkes, welche radiologisch

Abb. 1 Nativröntgenbild rechter proximaler Humerus (a. p.-Ansicht) mit A Nachweis einer pathologischen Fraktur (Pfeil) 6 Monate nach Kürettage eines knöchernen Riesenzelltumors und Auffüllung des Defektes mit Spongiosaauffüllung, B erneute Kürettage und Auffüllung des Defektes mit Knochenzement.

Wirbel R et al. Multizentrischer knöcherner Riesenzelltumor … Fortschr Röntgenstr 2014; 186: 508–510 · DOI http://dx.doi.org/10.1055/s-0033-1356036

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Diskussion

Abb. 2 A Nativröntgenbild des Beckens (a. p.-Ansicht) mit Osteolysen am rechten Trochanter minor (Stern) und im Bereich der linken Beckenschaufel (Pfeil); B MRT (koronare Ansicht) und C MRT (axiale Ansicht) mit Nachweis der jeweiligen Weichteilinfiltration (Pfeile).

rungen im Bereich des rechten proximalen Femurs mittels dynamischer Hüft" Abb. 4), im Bereich der linken schraube (● Beckenschaufel und am rechten distalen " Abb. 3B); an der Radius mittels Platte (● linken distalen Tibia genügte eine solitäre Schraubenosteosynthese. Die histologische Untersuchung aller Läsionen ergab jeweils die typischen Zeichen eines knöchernen Riesenzelltumors ohne Malignitätskriterien. Der weitere Verlauf war unauffällig; eine volle Mobilisierung war innerhalb von 2

Wochen möglich. Nach Diskussion und Befürwortung in der Tumorkonferenz des onkologischen Arbeitskreises wurde eine adjuvante Strahlentherapie im Bereich des Beckens durchgeführt wegen der Weichteilbeteiligung der beiden dortigen Läsionen. Bis dato ist der Patient nach klinischen und radiologischen Kontrollen (Nativröntgenaufnahme des Beckens, Skelettszintigrafie) 18 Monate rezidivfrei.

Der knöcherne Riesenzelltumor findet sich zumeist bei Erwachsenen als solitäre lytische Läsion im Bereich der Epiphyse; ca. 50 % sind dabei im Bereich des Kniegelenkes lokalisiert. Eine multizentrische Erscheinungsform ist sehr selten, bisher sind ca. 100 Fälle publiziert, zumeist als Fallberichte oder kleine Serien (Hindmann BW et al., Skeletal Radiol 1994; 23: 187; Taylor KF et al., Clin Orthop 2003; 5: 267). Multizentrische knöcherne Riesenzelltumore werden häufiger als solitäre Läsionen bei jüngeren Patienten beobachtet, häufiger bei Frauen und bei unreifen Skelettstadien. Der Altersgipfel des solitären knöchernen Riesenzelltumors liegt im 3. Lebensjahrzehnt; bei den multizentrischen Läsionen sind die Patienten im Durchschnitt 20 Jahre alt, ca. 60 % der Patienten sind sogar jünger. Bei der multizentrischen Erscheinungsform sollen auch häufiger die kleinen Knochen an Händen und Füßen betroffen sein. Im Vergleich zu solitären Läsionen, welche zumeist epiphysär lokalisiert sind, finden sich multizentrische Läsionen häufiger im diaphysären-metaphysären Übergangsbereich (Hoch B et al., J Bone J Surg Am 2006; 88: 1998; Hindmann BW et al., Skeletal Radiol 1994; 23: 187). Eine synchrone Erscheinungsform, bei der gleichzeitig oder innerhalb von 6 Monaten mehrere Läsionen entdeckt werden, findet sich seltener als eine metachrone, bei der zur zweiten Läsion ein Intervall von mindestens 6 Monaten liegt. Bei der synchronen Form finden sich zumeist zwei bis drei gleichzeitige Läsionen; es ist aber auch ein Fall mit 10 gleichzeitigen Läsionen beschrieben (Park IH, Jean IH. Skeletal Radiol 2003; 32: 526). Bei der metachronen Verlaufsform entstehen die zusätzlichen Läsionen zumeist innerhalb von 2 Jahren, es sind aber auch Intervalle von mehr als 20 Jahren beschrieben. Der vorgestellte Fall ist nach Durchsicht der Literatur der erste Fall einer gleichzeitig synchronen und metachronen Verlaufsform. Die Pathogenese der Multizentrizität ist dabei unklar, verschiedene Mechanismen wie eine iatrogene Tumorverschleppung, eine benigne Metastasierung oder eine de-novo multifokale Formatierung werden diskutiert (Hoch B et al., J Bone J Surg Am 2006; 88: 1998). Die Diagnose des multizentrischen knöchernen Riesenzelltumors kann in den meisten Fällen durch klinische und radiologische Befunde gestellt werden. Andere multifokale Läsionen müssen als Differenzialdiagnose in Betracht gezogen

Wirbel R et al. Multizentrischer knöcherner Riesenzelltumor … Fortschr Röntgenstr 2014; 186: 508–510 · DOI http://dx.doi.org/10.1055/s-0033-1356036

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Abb. 3 A CT des rechten Handgelenkes (koronare Ansicht) mit Nachweis der Ausdehnung der Osteolyse im Bereich der radialen subchondralen Epiphyse; B Nativröntgenbild des rechten Handgelenkes (a. p.- und laterale Ansicht) nach Kürettage, Auffüllung des Defektes mit Knochenzement und Stabilisierung mittels dorsaler Platte.

Abb. 4 Nativröntgenbild des Beckens (a. p.Ansicht) nach Ausräumung der Herde am rechten Trochanter minor und der linken Beckenschaufel, Auffüllung der Defekte mit Knochenzement und prophylaktischer Stabilisierung durch eine dynamische Hüftschraube rechts und Plattenosteosynthese links.

werden, wie der Morbus Paget, die fibröse Dysplasie, braune Tumore bei Hyperparathyreoidismus, Metastasen, multiple Myelome oder multifokale Osteomyelitiden. Die nativradiologische Untersuchung zeigt typischerweise eine exzentrische Osteolyse in der subchondralen Epiphyse mit gut abgrenzbaren landkartenförmigen Rändern. Die Kortikalis kann ausgeweitet, aber auch zerstört sein. Binnenverkalkungen zeigen sich nie im Vergleich und zur

Differenzierung zu Knorpeltumoren. Die intraossäre Abgrenzung der Läsionen gelingt sehr gut in der CT; eine Weichteilbeteiligung oder ein Einbruch in ein Gelenk kann am besten in der MRT gesehen werden (Hoch B et al., J Bone J Surg Am 2006; 88: 1998). Durch häufige Tumoreinblutungen kann ein komplexes Signalverhalten resultieren, üblicherweise ist der Tumor jedoch isointens in der T1-Wichtung und leicht hyperintens in der T2-Wichtung mit einem Enhancementphänomen nach Kontrastmittelgabe. Die Knochenszintigrafie zeigt üblicherweise eine diffuse Mehranreicherung in der betroffenen Läsion oder aber einen peripher ringartig erhöhten und zentral erniedrigten Radionuklid-Uptake, das sog. „donut-sign“ (Hoch B et al., J Bone J Surg Am 2006; 88: 1998). Das primäre Ziel der Therapie multizentrischer knöcherner Riesenzelltumore ist die komplette Eradikation aller Läsionen möglichst unter Erhaltung der Funktion der angrenzenden Gelenke. Eine Kürettage mit Auffüllung des Defektes mit Knochenzement stellt dabei eine Kompromisslösung dar. Die exotherme Wärmereaktion des Zementes sowie eine lokale chemische Kautherisierung mittels Phenol sollen mögliche mikroskopisch verbliebene Tumorreste zerstören helfen und somit das Risiko eines Lokalrezidives verringern. Eine weite

Resektion hingegen erfordert in der Regel wegen der Gelenknähe einen endoprothetischen Gelenkersatz oder eine Arthrodese. In neueren Berichten (Balke M. Lancet Oncol 2013; 14: 801) wird auch ein positiver Effekt des RANKL-Inhibitor Denosumab bei nicht resezierbaren oder metastatischen knöchernen Riesenzelltumor beschrieben. Eine alleinige Strahlentherapie wird nicht für sinnvoll erachtet. In unserem Fallbericht wurde sie zur Lokalrezidivprophylaxe beim Weichteilbefall im Bereich des Oberschenkels bzw. des Beckens gewählt. Das histologische Erscheinungsbild eines knöchernen Riesenzelltumors kann sehr variabel sein. Eine Unterscheidung zwischen solitären und multizentrischen Läsionen ist nicht möglich. Auch das biologische Verhalten des Tumors kann von der Histologie stark differieren. Die pulmonale Metastasierungsrate wird bei den solitären knöchernen Riesenzelltumoren mit 1 – 2 % angegeben; bei den multizentrischen Läsionen wird eine höhere Rate (5 – 10 %) berichtet (Hoch B et al., J Bone J Surg Am 2006; 88: 1998). Der vorgestellte Fall mit der Entwicklung eines multizentrischen knöchernen Riesenzelltumor 18 Jahre nach einer Osteosarkomerkrankung ist nach unserem Kenntnisstand der Literatur der erste seiner Art. Auch die Tatsache, dass multizentrische knöcherne Riesenzelltumore im Gegensatz zu solitären Läsionen häufiger bei jüngeren Patienten beobachtet werden, könnte den Verdacht einer genetischen Alteration nahelegen, genauere Untersuchungen darüber liegen in der Literatur jedoch nicht vor. ▶ Bei knöchernen Riesenzelltumoren sollte grundsätzlich an die Möglichkeit eines multizentrischen Befalls gedacht werden, besonders wenn es sich um junge Patienten handelt, bei Befall kleiner Knochen an Hand und Fuß und bei diaphysärer Lokalisation. ▶ Die CT ist die geeignete Methode zur Beurteilung der intraossären Tumorausdehnung. ▶ Die MRT ist hilfreich zur Bestimmung der Weichteilinfiltration oder eines Gelenkeinbruches. R. Wirbel, G. Kessler, D. Lommel, Wittlich

Wirbel R et al. Multizentrischer knöcherner Riesenzelltumor … Fortschr Röntgenstr 2014; 186: 508–510 · DOI http://dx.doi.org/10.1055/s-0033-1356036

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