Molekiilgeriist und Arzneimittelwirkung Beispiel: Sexualhormone F. Neumann Department ftir Endokrinpharmakologie, Forschungslaboratorien der Schering AG, D-1000 Berlin

In sexual-hormone activity differences arise when only a minimum change in the structure of a known molecule is made. Even the physiological hormones have similar structures but extremely different properties. Small variations of the steroid molecule lead to orally active progestogens and estrogens. The discovery of orally active androgens and the development of anabolic agents and antiandrogens proceeds also by very small changes of known structures. Out of a million possible variations of the steroid molecule, the synthesis of approximately 80 000 structures has been realized.

Im Zusammenhang mit der ,,Kostenexplosion" im Gesundheitswesen wird vor allem yon 6ffentlicher Seite Kritik an den Arzneimittelpreisen geiibt. Dazu und zu dem Zusammenhang zwischen Arzneimittelpreis und Forschung habe ich kiirzlich Stellung genommen [1]. Die Kritik wirft der Pharmaforschung in der Industrie vor allem vor, dal3 sie immer ineffektiver werde, dab trotz erh6hter Mittel immer weniger grundlegend neue Medikamente entwickelt wiirden. Bei neuen Pr/iparaten handele es sich meist nur um geringf~gige ,,Molektilvariationen" umsatztrfichtiger, bekannter Wirkstoffe. Zugegeben, es gibt ,,Molekfilvariationen", die keinen medizinischen Fortschritt beinhalten, aber es ist falsch, wenn dieser Vorwurf pauschalisiert wird. Am Beispiel der Hormone - und besonders der Steroidhormone - sei gezeigt, welch/iberraschende Wirkungen oft nach minimalen Variationen des Molekfils auftreten. Der Geschichte der Steroidbiologie und -chemie ist eine Folge yon ,,Molektilvariationen", und auch die Natur bedient sich der Molekiilvariation: Physiologische Hormone unterscheiden sich strukturell kaum voneinander; einige Beispiele seien aufgef/ihrt: Figur 1 zeigt die Aminosfiurensequenz der Hypophy410

1

2

3!

4

5

6

7

8

9

H-Cys-Tyt Le~ Glu(NH2)-Asp(NH2)-Cys-Prc Leu Gly-NH 2 Oxytocin 1

2

H-Cys-T:

3

4

5

6

7

8

9

.Ph -Glu(NH2)-Asp(NH2)-Cys-Pr( Arg Gly-NH 2 Vasopressin oder ADH

Fig. 1. Aminosfiurensequenz yon Oxytocin und Vasopressin

senhinterlappenhormone Oxytocin und Vasopressin oder ADH (=antidiuretisches Hormon). Oxytocin und Vasopressin unterscheiden sich nur durch zwei Aminosfiuren, und dennoch haben beide Hormone v611ig andere Funktionen und Wirkungen. Oxytocin ist u.a. verantwortlich fiir das Einschiegen der Milch, Vasopressin ffir die Regulierung des Wasserhaushaltes. In der Therapie wird Oxytocin u.a. zur Wehenaus16sung, Vasopressin zur Behandlung der Wasserharnruhr (Diabetes insipidus) eingesetzt. Ein weiteres Beispiel: die beiden Schilddriisenhormone T3 und T4 (Trijodthyronin und Thyroxin). Sie unterscheiden sich nur dadurch, dab T4 ein Jodatom mehr besitzt (s. Fig. 2). T3 und T4 unterscheiden sich aber wesentlich z.B. im Wirkungseintritt und in der Wirkungsstfirke. Es geht nicht immer nach dem Prinzip ,,viel hilft viel"; T3 ist oral viermal wirksamer als T4; aul3erdem tritt die Wirkung viel rascher ein. Das hat Konsequenzen ffir die therapeutische Anwendung. Bei akuten Krisen infolge Schilddrfisenunterfunktion (Myxoedem-Koma) wird man das rascher wirkende T3 einsetzen, bei anderen Erkrankungen wird T4 bevorzugt. Figur 3 zeigt das Grundskelett aller Steroidhormone. Die chemische Bezeichnung ftir dieses Ger/ist lautet Cyclopentanoperhydrophenanthren. Dieses Gertist ist ohne jede biologische Aktivitfit. Es wird erst durch Einfiigen yon Sauerstoff-, Hydroxyl- und AlkylGruppen sowie Doppelbindungen mit ,,Leben" erNaturwissenschaften 64, 410-416 (1977)

9 by Springer-Verlag 1977

J

J

HO-~"

0~~"

CH2-CH-COOH

J

J Thyroxin (T4) J

J

H -CH-COO J Trijodthyronin (T3)

12 11[~~

1

Fig. 2

17 16

2 ~ ' 4 3

~

1'5

7

4 6 Cyclopentanoperhydrophenanthren Fig. 3 CH20H I

c=o

CH2OH

Corticosteron

O I II C=O

Aldosteron

Fig. 4

CH3 C----O

o& Progesteron

21~

~H2OH C=O

o ~ 1 Desoxycorticosteron

I Fig. 5

Naturwissenschaften64, 410-416 (1977) 9 by Springer-Verlag 1977

ffillt. Experten haben errechnet, dab es gut eine Million M6glichkeiten gibt, das Steroidmolekfil zu verfindern. Bisher wurden nur ca. 80000 realisiert [2]. Kommende Chemiker-Generationen haben also noch die M6glichkeit, gut 900000 neue Steroidhormone zu synthetisieren. Die physiologisch vorkommenden Steroidhormone unterscheiden sich oft nur durch einen einzigen Substituenten und haben dennoch v611ig verschiedene Eigenschaften und Funktionen oder unterscheiden sich in ihrer Wirkungsstfirke erheblich. Figur 4 zeigt die Strukturformeln zweier Nebennierenrindenhormone, n/imlich Corticosteron und Aldosteron. Sie unterscheiden sich in ihrer Struktur nur an einer Stelle des Molektils und dort n u r sehr geringffigig. Corticosteron trfigt am Kohlenstoffatom 13 eine Methyl-, Aldosteron dagegen eine Aldehydgruppe. Aber das hat Konsequenzen: Corticosteron ist bei einigen Spezies das physiologische Hormon ffir die Regulierung des Kohlenhydratstoffwechsels (es greift auch in den Fett- und Eiweil3stoffwechsel ein), Aldosteron reguliert den Natrium- und Kaliumhaushalt. Corticosteron ist beim Menschen quasi ein ,,toter Hund", es ist praktisch unwirksam; Aldosteron dagegen verursacht u.a. Blut-Hochdruck, wenn es in zu grol3en Mengen entsteht, und erfordert eine adequate Hochdrucktherapie. Progesteron, das physiologische Gelbk6rperhormon, unterscheidet sich vom Desoxycorticosteron n u r geringf~gig (s. Fig. 5). Es genfigt, ein Wasserstoffatom in der Methylgruppe am Kohlenstoffatom 21 durch eine Hydroxylgruppe zu ersetzen, und schon ist es kein Gelbk6rperhormon mehr, sondern ein Hormon der Nebennierenrinde mit v611ig anderen Eigenschaften und Funktionen.

Sexualhormone Ostron, Ostradiol und Ostriol - die wichtigsten physiologischen Ostrogene - unterscheiden sich in der Anzahl der Hydroxylgruppen (s. Fig. 6). In ihrer biologischen Wirkungsst/irke verhalten sie sich aber wie etwa 10:3 : 1. Qualitative Unterschiede kommen noch hinzu [3]. Figur 7 zeigt zwei Androgene, Testosteron und Dihydrotestosteron. Der Unterschied liegt zwischen den Kohlenstoffatomen 4 und 5. Lange hat man geglaubt, Testosteron sei das eigentlich wirksame Androgen. Heute weiB man, dab in manchen Organen Dihydrotestosteron nicht nur das wirksamere yon beiden ist, sondern dab aus Testosteron erst Dihydrotestosteron entstehen muB, um einen androgenen Effekt auszul6sen. Dihydrotestosteron wird an Zellrezeptoren in den Erfolgsorganen ffir Androgene gebunden und 16st 411

O

dann die molekularen Vorg/inge der Transkription und Translation aus [4].

,,Die Pille'" Ohne die detaillierte Erforschung des Steroidmolek/ils gfibe es heute keine oralen Kontrazeptiva. An die M6glichkeit, Sexualhormone ffir diesen Zweck einzusetzen, hat nicht etwa zuerst Pincus gedacht, wie immer wieder in den Zeitungen zu lesen ist, die ,,Vfiter der Pille" mug man in den 20er und 30er Jahren suchen. So sei der im M/irz 1976 verstorbene Forschungsleiter bei Schering, Prof. K. Junkmann [5], genannt, der bereits 1931 schrieb: ,,In auBergew6hnliCh hohen Dosen dtirfte auch das Follikelhormon vielleicht auf dem Umweg fiber die Hypophyse hemmend auf die Eireifung einwirken". Und an anderer Stelle schrieb er: ,,Als zweites an dieser Stelle interessierendes Hormon nennen wir das innere Sekret des Corpus luteum ..... Ob dieser bisher nur in gereinigten Extrakten vorliegenden Substanz auch die yon Loeb ffir den Gelbk6rper geforderte Wirkung auf die Eireifung zukommt, ist meines Wissens bisher nicht untersucht, jedoch sehr wahrscheinlich. Wenn dies der Fall ist, so ist tats/ichlich das Hormon des Corpus luteum imstande, durch Verhinderung der Eireifung Sterilit/it zu bewirken". Und weiter: ,,Wit sehen demnach, dab schon auf Grund unserer derzeitigen sicherlich noch fiu6erst ltickenhaften Kenntnis mit Hilfe der verschiedensten Hormone Sterilit/it bewirkt werden kann. Wieweit dies jedoch insbesondere beim Menschen ohne sehr unangenehme oder vielleicht sogar folgenschwere Nebenwirkungen m6glich sein wird, mul3 erst eine vielleicht nicht allzu ferne Zukunft lehren." Diese Aussage war prophetisch, aber die bis Ende der 30er bzw. Mitte der 50er Jahre verftigbaren Hormone waren ftir diesen Zweck absolut ungeeignet. Die nattirlichen Sexualhormone sind n/imlich oral nahezu unwirksam oder doch nicht wirksam genug. Alle hormonalen Kontrazeptiva, ausgenommen die ,,Minipille", enthalten ein oral wirksames Ostrogen und ein oral wirksames Gestagen. Wie war die Entwicklung? Bei den Ostrogenen wurde die Suche nach einer oral wirksamen Verbindung 8 Jahre nach der Synthese des (3stradiols erfolgreich abgeschlossen, also im Jahre 1938. Es war das Athinyl6stradiol. Athinyl6stradiol unterscheidet sich vom Ostradiol durch eine Alkylgruppe am Kohlenstoffatom 17, und zwar eine Athinylgruppe (Fig. 8). Niemand h/itte voraussagen k6nnen, dab gerade die Substitution einer Nthinylgruppe an das oral fast unwirkI same Ostradiol zu dem sehr potenten Nthinyl6stradiol ffihrt. Dieses Verdienst gebiihrt Inhoffen und Hohl412

OH

~ i o HO" V V

HO~ ~

~

l

~10 OH

~1

Fig. 6

OH

4

Testosteron

OH

',

4

I

H Dihvdrotestosteron

Fig. 7

OH

Ostradiol

H

O

OH ~

C~'cH

17~-,~thinyl6stradiol Naturwissenschaften 64, 410-416 (1977)

Fig. 8 9 by Springer-Verlag 1977

OH

Testosteron (Androgen)

~

OH C - = C H

,~thinyltestosteron (Gestagen)

Fig. 9

OH ~ C . ~ C H

o~J

I

17m,~,thinyltestosteron OH O

- C~CH

1 7~-#,thinyl-19-nortestosteron (Norethisteron, Norethindron)

~

Fig. 10

OH C---CH

o~1

1

17~-AthinyLtestosteron

~

o~1 1 7~-Methyltestosteron

weg [6]. Athinyl6stradiol ist auch heute noch ein Bestandteil der meisten oralen Kontrazeptiva. Damit hatte man eine Komponente fiir ,,die Pille". Schwieriger war es, oral wirksame Gestagene zur hormonalen Kontrazeption zu finden. Es waren auch hier wieder Hohlweg und Inhoffen, ein Chemiker und ein mehr biologisch orientierter Chemiker aus dem Hause Schering, die daf/ir die Voraussetzungen schufen. Ihhen gelang 1938 die Auffindung des ersten oral wirksamen Gestagens, 17e-Athinyltestosteron (Fig. 9). Eigentlich war man auf der Suche nach einem oral wirksamen Androgen. Man glaubte, durch Einftihrung einer 17~-Athinyl-Gruppe wie beim Ostradiol auch beim Testosteron zum Erfolg zu kommen. Der weitblickende Sch611er, damals Forschungsleiter bei Schering, gab Hohlweg und Inhoffen den Rat, das Athinyltestosteron auf Gelbk6rperhormonwirkung hin zu testen [7]. W6rtlich schreibt er in einem Brief: ..... nachdem Sie (gemeint sind Hohlweg und Inhoffen) mir voller Betrfibnis mitgeteilt hatten, dab die erhoffte m~innliche Wirkung ausgeblieben sei." Und an einer anderen Stelle heiBt es weiter: ,,Die gestagene Wirksamkeit des Athinyltestosterons oder Pregneninolons ist verst/indlich, da es im Ring A, B und C mit dem Corpus luteum-Hormon v611ig identiscti ist und im Ring D nebst Seitenkette die gleiche Kohlenstoff- und Sauerstoffatomzahl besitzt". Vom Athinyltestosteron war es sp/iter ein vergleichsweise kleiner Schritt zu den heute klinisch fiberwiegend angewendeten 19-Nortestosteron-Derivaten. Athinyltestosteron unterscheidet sich vom Testosteron nut dutch einen Substituenten (Fig. 9). Es hat aber die Eigenschaften eines Gelbk6rperhormons und nicht mehr die eines Androgens, also mfinnlichen Sexualhormons. Praktisch alle Gestagene, die in den heutigen hormonalen Kontrazeptiva enthalten sind, leiten sich vom ,Kthinyltestosteron ab. Es geniigte die Entfernung der Methylgruppe am Kohlenstoffatom 10 (Fig. 10), und schon lag ein f/it die hormonale Kontrazeption brauchbares Gestagen vor. Auch bei den m~innlichen Sexualhormonen war der Wunsch nach einem oral wirksamen Androgen vorhanden. Man erkennt in Figur 11, wie wenig sich )~thinyltestosteron und Methyltestosteron voneinander unterscheiden. Beide Steroide sind oral wirksam, haben aber v611ig unterschiedliche Wirkungsqualit/iten.

OH C H 3

Anabolika

I Fig. 11

Naturwissenschaften 64, 410-416 (1977)

9 by Springer-Verlag 1977

Die Ara der Anabolika - der eiweigaufbauenden Hormone - begann im Jahre 1953, als man fand, dab androgene und anabole Wirkung dissoziierbar sind. Anabolika leiten sich von den m/innlichen Se413

xualhormonen ab. Die starke Androgenwirkung des Testosterons und seiner zunfichst synthetisierten Derivate verbot d i e Anwendung dieser Substanzen als Anabolika. Es kam unter der Therapie zu unerwtinschten Verm/innlichungserscheinungen bei Frauen, wie Bartwuchs, Stimmwechsel usw.; bei Mfinnern zu St6rungen der Spermatogenese. Die Entfernung der Methylgruppe am Kohlenstoffatom 10 des Testosteronmolekfils fiihrte zu einer Verbindung, bei der die androgene und die Protein-anabole Wirkung stark dissoziiert waren, d.h. bei der klinischen Anwendung wirkte diese Substanz bereits in Dosen- eiweiBaufbauend, die noch nicht zu den unerwtinschten Nebenwirkungen ffihrten. Figur 12 zeigt den geringen Unterschied zwischen Testosteronund 19-Nortestosteron. Die meisten heute im Handel befindlichen Anabolika leiten sich vom 19-Nortestosteron ab. Ohne Anabolika wfire der Medaillensegen ffir einige Nationen bei den Olympischen Spielen in Montreal sicher nicht so reichlich ausgefallen, zumindest nicht bei den Damen. Sie haben sicher viele Medaillen einer 1/icherlich kleinen Molekiilvariation des Testosterons zu verdanken: dem Fehlen einer Methylgruppe.

Antiandrogene

OH

o

~

9 I

Testosteron (Androgen) OH

19- Nortestosteron (Anabolikum)

Fig. 12

~ H3 C:O OH3 __0_ C_CH3

cI cyproteronacetat (Antiandrogen + Gestagen) CHa

Ein weiteres Beispiel soll zeigen, wie minimale Variationen am Steroidmolekfil zu einem neuartigen Wirkungsspektrum ftihren, nS,mlich die Antiandrogene. Uns gelang Anfang der 60er Jahre die Auffindung eines sehr potenten Antagonisten der m/innlichen Sexualhormone, des Cyproteronacetats. Dieses Antiandrogen unterscheidet sich in seiner Struktur yon einem damals schon sehr bekannten Gestagen, dem Chlormadinonacetat, durch eine zus/itzliche Methylengruppe an den Kohlenstoffatomen 1 und 2 in c~-Stellung (Fig. 13). Wir hatten auch dieses Steroidhormon in der Absicht synthetisiert und untersucht, ein wirksameres Gelbk6rperhormon zu entwickeln. Cyproteronacetat hat wohl die Eigenschaften eines Gelbk6rperhormons, aber zus/itzlich stark ausgeprfigte antiandrogene Potenzen, die beim Chlormadinonacetat nur angedeutet sind.

I

C=O

[@J~O--

~-- CH3

cI Chlormadinonacetat (Gestagen)

Fig.13

OH

Testosteron (Androgen)

Neue Ausbiicke Es ist heute nicht mehr umstritten, dab es zumindest bei einigen Mfinnern so etwas wie ein Klimakterium gibt. Die Therapie mit den verffigbaren Androgenen ist sicher noch 1/ingst nicht optimal, sei es, dab diese Verbindungen nicht gentigend stark wirksam sind, sei es, dab sie in den erforderlichen Dosen zu uner414

OH

] 9-OH-Testosteron (Peripher Rein Androgen) Naturwissenschaften 64, 4 1 0 - 4 1 6 (1977)

Fig. 14 9 by Springer-Verlag 1977

HO ~'-'~/'''-./" " H 1-Hyd roxyOstradiol

8o~-1- HydroxyOstradiol

Fig. 15

Fig. 16. R~iumliche Struktur von a) 1-Hydroxy6stradiol, b) 8c~-lHydroxy6stradiol

Norma[es SteroidgerL~st

B-Nor

D-Homo

Fig. 17

Naturwissenschaften 64, 410-416 (1977)

9 by Springer-Verlag 1977

wiinschten Nebenwirkungen ffihren - yon St6rungen der Samenzellreifung bis hin zu Leberschfiden reicht das Spektrum der unerwtinschten Wirkungen. Ich m6chte aber auf einen anderen Aspekt hinweisen: Tierexperimentelle Untersuchungen in den letzten Jahren haben gezeigt, dab nur solche Androgene Libido und Potenz zu steigern oder nach Kastration aufrechtzuerhalten verm6gen, die in bestimmten Arealen des Gehirns, u.a. dem sogenannten Sexualzentrum, in Ostrogene verstoffwechselt werden k6nhen [8]. Wir nennen diesen Vorgang Aromatisierung. Ist dieser Befund auf Primaten und den Mann/ibertragbar, dann arbeiten wir heute z.T. mit den falschen Androgenen. Es w/ire dann Aufgabe der Steroidchemie, Androgene zu synthetisieren,-die optimaler aromatisierbar sind als etwa Testosteron. Eine solche Verbindung kennt man schon, n/imlich 19-Hydroxytestosteron. Es unterscheidet sich von Testosteron dadurch, dab sich an Stelle der Methylgruppe am Kohlenstoffatom 10 eine Hydroxylgruppe befindet (Fig. 14). 19-Hydroxytestosteron ist in der Lage, bei Versuchstieren Libido und Potenz z.T. aufrechtzuerhalten, ohne an peripheren Organen, wie der Prostata oder den Samenblasen, nennenswerte androgene Wirkungen zu entfalten. Aus einer Reihe von Grfinden ist diese Verbindung nicht geeignet ffir die Anwendung in der Klinik, aber sie k6nnte einen Trend zeigen. Ein anderes spekulatives Beispiel: Im letzten Jahr wurde auf m6gliche Zusammenhfinge zwischen der langj/ihrigen Behandlung klimakterischer Beschwerden mit Ostrogenen und dem Auftreten von Endometrium-Karzinomen hingewiesen. Es sei hier dahingestellt, ob derartige Zusammenh/inge wirklich bestehen oder nicht. Statistisch lassen sie sich nicht sichern. 9 Dennoch w/ire es ein - wenn auch verh/iltnism/il3ig bescheidener - Fortschritt, wenn man ffir diese Indikation Ostrogene zur Verf/igung h/itte, die weniger stark auf das Endometrium wirken, schon um die Blutungsanomalien unter der 0strogentherapie zu reduzieren. Blutungen bei einer Klimakterikerin zwingen den Arzt n/imlich immer zu einer Kfirettage, um das Vorliegen eines Tumors ausschlieBen zu k6nnen. Durch verfeinerte Testmethoden der Biologie hat sich gezeigt, dab dieser Wunsch wahrscheinlich realisierbar ist [9]. Eine Ostriol sehr nahestehende Verbindung, die nur sterisch etwas anders ist, scheint weniger stark auf den Uterus zu wirken als d i e Ausgangsverbindung (Fig. 15, 16). Uterotrope und z.B. vaginotrope Wirkungen sind deutlich dissoziiert. Diese Untersuchungen befinden sich noch im Stadium des Tierexperiments; erste klinische Versuche deuten aber darauf hin, dab die erw/inschte Dissoziation auch bei der Frau vorliegen k6nnte. Wie erw/ihnt bietet das Steroidmolekfil gut eine Mil415

lion von Variationsm6glichkeiten. Es bietet eigentlich noch viel mehr. Man kann nfimlich die ersten drei 6-Ringe des Molektils zu 5-Ringen verengen, und man kann den 5-Ring zu einem 6-Ring erweitern. Solche D 6-Ring-Steroide nennt man D-Homo-Verbindungen (Fig. 17). Es deutet sich heute schon an, dab es in dieser Stoffklasse Verbindungen mit ganz besonderen und neuartigen Wirkungsspektren gibt, die sie vielleicht ffir ganz bestimmte Indikationen prfidestinieren. 1. Neumann, F. : Sexualmedizin 5, 482 (1976) 2. Neumann, F., Wiechert, R. : Deutsches Museum - Abhaudlungen und Berichte 42, 1 (1974) 3. N~eumann, F., in: Gauer, O.H., Kramer, K., Jung, R. (Hrsg.): Physiologie des Menschen, Bd. 19, S. 213. Mfinchen-WienBaltimore: Urban&Schwarzenberg 1977 4. Neumann, F., Scheuck, B., in: Forth, W., Henschler, D., Rummel, W. (Hrsg.): Allgemeine Pharmakologie und Toxikologie, S. 304. Mannheim-Wien-Ztirich: Bibtiographisches Institut 1975

416

5. Junkmann, K.: Z. Angew. Chem. 44, 162 (1931) 6. Inhoffen, H.H., Hohlweg, W. : Naturwissenschaften 26, 96 (1938) 7. Schoeller, W. : Letter to Dr. Schmidt (Febr. 2, 1955), Schering's Archives (unver6ff.) 8. Naftolin, F., Ryan, K.J., Petro, Z.: J. Endocr. 51, 795 (1971) 9. Nishino, Y., Neumann, F.: Acta Endocrinol., Suppl. 187, 1 (1974); Nishino, Y., et al. : Steroids (in press)

Nicht im Text zitierte Literatur :

Neumann, F., in: Kracht, J., von zur Mtihlen, A., Scriba, P.C. (eds.): Endocrinology Guide-Federal Republic of Germany, p. 135. GieBen: Brfihl'sche Universit~its-Druckerei 1976 Schoeller, W. : Med. Mitt. (Sobering AG) 6, 3 (1934) Schoeller, W.: Manuscript of a lecture 1935 or 1936, Schering's Archives (unpubl.) Schoeiler, W., Schwenk, E., Hildebrandt, F. : Naturwissenschaften 21, 286 (1933)

Eingegaugen am 2. Dezember 1976

Naturwissenschaften 64, 410--416 (1977)

9 by Springer-Verlag 1977

[Molecular structure and drug activity. Example: sex hormones].

Molekiilgeriist und Arzneimittelwirkung Beispiel: Sexualhormone F. Neumann Department ftir Endokrinpharmakologie, Forschungslaboratorien der Schering...
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