Editorial

Molekulargenetik und die Bedeutung für hereditäre Augenerkrankungen Molecular Genetics: Significance in Hereditary Eye Diseases

Günther Rudolph

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0033-1360401 Klin Monatsbl Augenheilkd 2014; 231: 208–209 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 0023-2165 Korrespondenzadresse Prof. Dr. Günther Rudolph, FEBO Kinderophthalmologie, Strabismus & Ophthalmogenetik Augenklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München Mathildenstraße 8 80336 München Tel.: ++ 49/89/51 60 38 75 guenther.rudolph@ med.uni-muenchen.de

Die Entwicklung einer hochauflösenden bildgebenden Diagnostik – und hier sind im Besonderen die Spectral Domain optische Kohärenztomografie (SD‑OCT) und die Autofluoreszenz zu nennen – sowie die molekulargenetische Charakterisierung spezifischer Mutationen der DNA unter Anwendung des „Next generation sequencing“Verfahrens ermöglichen heute eine differenziertere Diagnostik hereditärer Netzhauterkrankungen als je zuvor [1, 2]. Bei genetisch bedingten Netzhautdystrophien gilt es zu unterscheiden zwischen Erkrankungen bedingt durch eine Dysfunktion oder Degeneration, welche durch eine singuläre Mutation erklärt werden kann, und solchen, die eine komplexe Ätiologie aufweisen, d. h. eine krankheitsrelevante Mutation mit oder ohne genetische Kofaktoren, bestimmt durch weitere krankheitsmodulierende Einflüsse. Erkrankungen dieser Art stellen die altersbedingte Makuladegeneration (AMD), die diabetische Retinopathie, das Glaukom oder die Leberʼsche hereditäre Optikusneuropathie (LHON) dar [3, 4]. Der exakte Pathomechanismus bei Leberʼscher hereditärer Optikusneuropathie (LHON) ist bisher nicht endgültig geklärt und lässt sich nicht wie bei anderen mitochondrialen Erkrankungen mit der heteroplasmischen Verteilung der Mutation erklären. Die Variabilität des Phänotyps lässt zusätzliche Manifestationsfaktoren sowie Veränderungen in noch nicht verifizierten Suszeptibilitäts-Genen der nukleären DNA vermuten. Therapeutische Ansätze mit der Gabe von Antioxidanzien konnten bisher keine überzeugenden Ergebnisse liefern [5, 6]. In einer klar strukturierten und umfassenden Darstellung wird von C. Gallenmüller et al. der gegenwärtige Erkenntnisstand zur Klinik und Genetik der Leberʼschen hereditären Optikusneuropathie dargelegt, wie auch therapeutische Optionen. Das Spektrum gegenwärtiger und zukünftiger Möglichkeiten zur Behandlung hereditär bedingter Netzhauterkrankungen wird in dem Beitrag „Therapieansätze für erbliche Netzhauterkrankungen: Von den Genen bis zum Chip“ von M. Ueffing et al. aufgezeigt. Dies reicht von Ansätzen der Neuroprotektion über zellbasierte Vorgehensweisen mittels Zelltransplantation oder der Behandlung mit Stammzellen bis hin zu gentherapeutischen Verfahren mit dem Ziel der Rekonstitution physiologischer Funktionen im retinalen Pigmentepithel und der Photorezeptoren. Der größte Teil dieser interventionellen Studien befindet sich im tierexperimentellen Stadium, in präklinischen oder ersten klinischen Pilotstudien, mit einem

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noch zu leistenden erheblichen Entwicklungsbedarf [7, 8]. Bei der spezifischen Gentherapie werden unterschiedliche Strategien in der Behandlung angestrebt, abhängig davon, ob es sich um eine autosomal-rezessive Erkrankung handelt mit einem Verlust der Funktion des Genprodukts (loss of function) oder eine autosomal-dominante Erkrankung mit einem „Zuviel“ an Funktion (gain of function) mit negativem Effekt. Im ersten Fall bietet sich eine Genersatzbehandlung an. Im Falle der dominant wirkenden Mutation besteht die Notwendigkeit, das „toxische“ Genprodukt über RNA-Interferenz oder Micro-RNAs zu inaktivieren (gene silencing) und zusätzlich in einem zweiten Schritt das nicht regelrecht funktionierende Gen/Genprodukt zu ersetzen [9]. Einen Überblick über die aktuell durchgeführten Studien bei genetisch bedingten Netzhautdystrophien gibt der Beitrag „Spezifische Gentherapie bei erblichen Netzhauterkrankungen“ von K. Stieger et al. Den Arbeitsgruppen von S. Michalakis et al. am Institut für Pharmakologie an der LMU München sowie von M. Seeliger, R. Mühlfriedel et al. an der Universitäts-Augenklinik in Tübingen ist es gelungen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, in einem überschaubaren Zeitraum mit einer gentherapeutischen Studie zur Behandlung von Patienten mit Retinitis pigmentosa mit der spezifischen PDE6A-Mutation und Patienten mit Achromatopsie (CNGA3-Mutationen) zu beginnen [10]. Erste Patienten werden bereits für die differenzierte Diagnostik in die Studie aufgenommen. Das Auge scheint im Besonderen die Voraussetzungen für gentherapeutische Behandlungskonzepte zu erfüllen. Einerseits dadurch, dass das Auge ein geschlossenes Kompartiment darstellt, ein leichter Zugang gewährt ist und das Auge ein Immunprivileg aufweist. Erste bescheidene Erfolge zeichnen sich bei der Behandlung von Patienten mit kongenitaler Leberʼscher Amaurose (LCA) mit Mutationen im RPE65-Gen ab [11, 12]. Gentherapeutische Studien für Patienten mit Choroidermie, Morbus Stargardt, Retinoschisis und Usher-Syndrom sind bereits im Gange [13, 14]. Wir dürfen gespannt sein. Die Zukunft wird den Weg weisen.

Literatur 1 Glöckle N, Kohl S, Mohr J et al. Panel based next generation sequencing as a reliable and efficient technique to detect mutations in unselected patients with retinal dystrophies. Eur J Hum Genet 2014; 22: 99–104

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9 Millington-Ward S, Chadderton M, OʼReilly M et al. Suppression and replacement gene therapy for autosomal dominant disease in a murine model of dominant retinitis pigmentosa. Mol Ther 2011; 19: 642–664 10 Michalakis S, Mühlfriedel R, Tanimoto N et al. Restoration of cone vision in the CNGA3-/- mouse model of congenital complete lack of cone photoreceptor function. Mol Ther 2010; 18: 2057–2063 11 Hauswirth WW, Aleman TS, Kaushal S et al. Treatment of Leber congenital amaurosis due to RPE65 mutations by ocular subretinal injection of adeno-associated virus gene vector: short-term results of a phase I trial. Hum Gene Ther 2008; 19: 979–990 12 Testa F, Maguire AM, Rossi S et al. Three-year follow-up after unilateral subretinal delivery of adeno-associated virus in patients with Leber congenital amaurosis type 2. Ophthalmology 2013; 120: 1283–1291 13 Vasireddy V, Mills JA, Gaddameedi R et al. AAV-mediated gene therapy for choroideremia: preclinical studies in personalized models. PLoS One 2013; 8: e61396 14 Lopes VS, Boye SE, Louie CM et al. Retinal gene therapy with a large MYO7A cDNA using adeno-associated virus. Gene Ther 2013; 20: 824–833

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2 Kohl S, Biskup S. Genetische Diagnostik bei erblichen Netzhautdystrophien. Klin Monatsbl Augenheilkd 2013; 230: 243–246 3 Thumann G. Prospectives for gene therapy of retinal degenerations. Curr Genomics 2012; 13: 350–362 4 Harding AE, Riordan-Eva P, Govan GG. Mitochondrial DNA diseases: genotype and phenotype in Leberʼs hereditary optic neuropathy. Muscle Nerve Suppl 1995; 3: S82–S84 5 Rudolph G, Dimitriadis K, Buchner B et al. Effects of Idebenone on colour vision in patients with Leber hereditary optic neuropathy. J Neuroophthalmol 2013; 33: 30–36 6 Klopstock T, Yu-Wai-Man P, Dimitriadis K et al. A randomized placebocontrolled trial of idebenone in Leberʼs hereditary optic neuropathy. Brain 2013; 136: e230 7 Trifunovic D, Sahaboglu A, Kaur J et al. Neuroprotective strategies for the treatment of inherited photoreceptor degeneration. Curr Mol Med 2012; 12: 598–612 8 Stieger K, Lorenz B. Gene therapy for vision loss – recent developments. Discov Med 2010; 10: 425–433

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