Kommentare Urologe 2015 · 54:210–212 DOI 10.1007/s00120-014-3669-z Online publiziert: 23. Januar 2015 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015

M. Wirth · M. Fröhner Klinik und Poliklinik für Urologie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus,   Technischen Universität Dresden

Minimal-invasive vs. offen-chirurgische Verfahren in der Therapie des Prostatakarzinoms

Die radikale Prostatektomie ist einer der häufigsten urologischen Eingriffe. Neben dem offenen (zumeist retropubischen Zugang) sind auch minimal-invasive Verfahren im Gebrauch. Während die konventionelle Laparoskopie in den vergangenen Jahren an Bedeutung verlor, erfreute sich die roboterassistierte minimal-invasive Operation zunehmender Beliebtheit. Diese Entwicklung wird jedoch durchaus unterschiedlich bewertet. Während einige Autoren die roboterassistierte radikale Prostatektomie bereits als neuen Therapiestandard ansehen [1], bezweifeln andere­jeden wirklichen Vorteil des roboterassistierten Verfahrens, ausgenommen einen geringeren Blutverlust [2–4]. Bei nichtrandomisierten Vergleichen können Selektionseffekte die Ergebnisse gravierend beeinflussen. Fortgeschrittenere Tumoren werden bisher häufig über einen offenen Zugang operiert, auch wenn ein Operationsroboter verfügbar ist [5–7]. Außerdem wird – im Vergleich mit der offenen radikalen Prostatektomie – die roboterassistierte Operation häufiger bei jungen, gesunden, weißen und sozio­ ökonomisch besser gestellten Patienten durchgeführt [6–9]. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die durch die neue Technologie geförderte Zentralisierung und Superspezialisierung. Es ist zu erwarten, dass die arbeitstägliche Durchführung desselben standardisierten Eingriffs die Ergebnisse unabhängig vom Zugangsweg verbessert [10]. Selbst im Fal-

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le einer Randomisierung können Unterschiede in Können und in Vorlieben zwischen den beteiligten Operateuren einen größeren Einfluss auf die Ergebnisse haben als die möglicherweise den Verfahren innewohnenden Unterschiede. Selbst innerhalb derselben High-volume-Institution können beträchtliche Unterschiede zwischen den Ergebnissen einzelner erfahrener Operateure auftreten [11]. Hinsichtlich des Auftretens perioperativer Komplikationen und der Applikation­ zusätzlicher antineoplastischer Therapien waren auch in der Postdisseminationsphase der roboterassistierten Therapie lediglich eine verminderte Transfusions­rate und ein kürzerer Krankenhausaufenthalt eindeutig nachzuweisen. Dafür waren jedoch die Therapiekosten deutlich höher [12]. Die postulierte geringere Invasivität der roboterassistierten Prostatektomie ist nicht notwendigerweise mit weniger perioperativen Schmerzen verbunden, da ­diese auch bei der offenen radikalen Prostatektomie durch moderne Schmerz­ therapieverfahren wie der Periduralanästhesie mittlerweile sehr gut kontrollierbar sind. Ein verminderter perioperativer Pain-Score nach roboterassistierter Prostatektomie ist ohne Kenntnis der eingesetzten Schmerztherapieverfahren kaum zu bewerten [13]. Einige Autoren fanden keinerlei Unterschiede im Schmerzmittelverbrauch und der berichteten Schmerz­ intensität nach offener bzw. roboterassistierter radikaler Prostatektomie [14].

Hinsichtlich des Erhalts der Kontinenz bzw. der Potenz und der Rate der positiven chirurgischen Resektionsränder suggerieren mehrere Studien einen Vorteil für die roboterassistierte radikale Prostatektomie [8, 15–7]. Derartige nicht randomisierte Vergleiche von offener und roboterassistierter radikaler Prostatektomie sind jedoch mit einer Vielzahl potenzieller Fehler behaftet und müssen daher mit großer Vorsicht interpretiert werden. Es ist wahrscheinlich, dass verborgene Verzerrungen und unvollständige Adjustierung für bekannte Verzerrungen Unterschiede vortäuschen können, die ihren Ursprung nicht in den Eigenschaften der Operationstechniken, sondern in denen der dafür ausgewählten Patienten und der beteiligten Operateure haben. Auch die Möglichkeit eines bevorzugten Publizierens von günstigen Ergebnissen roboterassistierter Operationsverfahren oder eine Überinterpretation­ von Daten sowohl durch die Autoren als auch die Herausgeber von Fachzeitschriften sollte in Betracht gezogen werden. So wurde in einer Metaanalyse im Gegensatz zu früheren Untersuchungen [18, 19] eine höhere Kontinenzrate nach roboterassistierter radikaler Prostatektomie im Vergleich zur offenen Operation berichtet [15]. Dabei wurden allerdings zwei populationsbasierte Studien, die zu konträren Ergebnissen kamen und ein Vielfaches der letztendlich in dieser Metaanalyse eingeschlossenen Patientenzahl umfassten [20,

Kommentare 21], aus methodischen Erwägungen ausgeschlossen [15]. Zu den höheren Kosten tragen die Amortisationskosten des Roboters, teure Instrumente mit begrenzter Lebensdauer, Wartungsverträge und – in Abhängigkeit von der Erfahrung des Teams und der Art der durchgeführten Eingriffe – längere Operationszeiten bei. Würde die roboterassistierte Chirurgie komplett die herkömmlichen Operationsverfahren ersetzen, wurden die Mehrkosten in den USA auf etwa 2,5 Mrd. US$/Jahr geschätzt [3]. Wenn – wie möglicherweise im Falle der radikalen Prostatektomie in den USA zu beobachten – auch eine Mengenausweitung hinzukommt, so wären die zusätzlichen Kosten sogar noch höher [3]. Die hohen Zusatzkosten (momentan etwa 2500 US$/Fall [22], bei interdisziplinärer Nutzung des Roboters möglicherweise sogar noch höher) sind gegenwärtig ein Hindernis für eine generelle Einführung der Robotertechnologie insbesondere außerhalb von hochspezialisierten Zentren.

Schlussfolgerung Insgesamt erscheinen zum gegenwärtigen Zeitpunkt in erster Linie die Patientenauswahl und die Erfahrung des Operateurs entscheidend für das Ergebnis der radikalen Prostatektomie, weniger der gewählte Zugangsweg oder die eingesetzte Technologie. Momentan gibt es keine schlüssigen Beweise für eine Überlegenheit eines Zugangswegs, abgesehen vom Blutverlust (zugunsten der roboterassistierten Operation) und den Kosten (zugunsten der offenen Operation). Ob sich das durch die vielversprechenden funktionellen Ergebnisse von hochspezialisierten roboterassistierten Techniken wie der den RetziusRaum schonenden roboter­assistierten radikalen Prostatektomie in Zukunft ändern könnte, ist gegenwärtig noch nicht mit Sicherheit beurteilbar [23]. Hier müssen weitere Ergebnisse abgewartet werden.

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Korrespondenzadresse Prof. Dr. M. Wirth Klinik und Poliklinik für Urologie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Technischen Universität Dresden, Fetscherstraße 74, 01307 Dresden [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  M. Wirth und M. Fröhner geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

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[Minimally invasive vs. open surgical procedures in the treatment of prostate cancer].

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