Korrespondenz | Correspondence

Milde therapeutische Hypothermie Kor espondenz|Cor espondence bei Herz-Kreislauf-Stillstand

Online Publikation: Dtsch Med Wochenschr 0 2014; 1390 0:1181–1182 · © Georg Thieme Verlag KG · Stuttgart · New York · ISSN 0012-04721439-4 13 Mild therapeutic hypothermia in cardiac arrest

Nach der aktuellen Arbeit von H. G. Fritz [1] zur milden therapeutischen Hypothermie bei Herz-Kreislauf-Stillstand handelt es sich bei dieser Maßnahme um das derzeit einzige anerkannte zerebroprotektive Therapiekonzept bei kardiopulmonaler Reanimation (Abschnitt: Konsequenz für Klinik und Praxis). Dem ist leider zu widersprechen. Die beste auch allgemein anerkannte zerebroprotektive Therapie ist die möglichst rasche Defibrillation bei Kammerflimmern. Zwischen der Annahme dieser Arbeit am 17.10.2013 und der Veröffentlichung in der DMW am 24.1.2014 hat sich unser Kenntnisstand zur therapeutischen Hypothermie durch zwei neue Arbeiten grundlegend geändert. Beide Studien wurden auf dem Kongress der American Heart Association in Dallas im November 2013 vorgestellt und am selben Tag online publiziert. Wichtigste Ergebnisse werden kurz dargestellt. In der Arbeit von F. Kim et al. [2] wurden 1364 Patienten mit außerklinischem Herzstillstand nach Wiedererreichen eines Kreislaufs umgehend randomisiert mit 2 Litern 4 °C kühler normaler Salzlösung oder üblicher Standardtherapie behandelt. Bei Eintreffen in der Klinik waren die mit gekühlter Elektrolytlösung behandelten Patienten um 1,2–1,3 °C kühler. Diese rasche Kühlung führte weder zu einem verbesserten Überleben noch zur Verbesserung des neurologischen Status. In der behandelten Gruppe kam es aber zu signifikant häufigeren erneuten Herzstillständen und zu mehr Lungenödemen. Diese Studie legt nicht nahe, Patienten mit behobenem Herzstillstand vor Erreichen einer Klinik mit kühler Elektrolytlösung zu behandeln, auch wenn dies die aktuellen Leitlinien empfehlen. Die Arbeit widerspricht auch in wichtigen Teilen den Aussagen der vorliegenden Übersichtsarbeit. In der Studie von N. Nielsen et al. [3] wurden 950 Patienten mit vermutetem außerklinischem Herzstillstand nach erfolgreicher Reanimation in 36 Krankenhäusern in 10 Ländern randomisiert für 36 Stunden auf 33 °C oder 36 °C Körpertemperatur gebracht. Nach einer Beob-

achtungszeit von 180 Tagen ergab sich trotz unterschiedlicher Kühlung kein Unterschied für das Überleben oder den neurologischen Status. Beide Arbeiten stellen die Bedeutung der Hypothermie nach Herz-Kreislauf-Stillstand in Frage. Widerlegt oder gestützt werden kann das Konzept der milden Hypothermie nach Herz-Kreislauf-Stillstand nur durch eine entsprechende Studie, auf die dringlich gewartet wird. Bis dahin ist es offen, ob entsprechende Patienten sinnvollerweise zu kühlen sind. Für den internistischen Intensivmediziner ist es erstaunlich, welch klare Handlungsanweisungen in der Übersichtsarbeit zur milden therapeutischen Hypothermie angegeben werden [1], obwohl ihr positiver Gesamteffekt unklar ist. Fast alle in der Tabelle 2 empfohlenen Zielparameter sind entweder selbstverständlich oder durch keine entsprechende Untersuchung nach überlebtem Herz-Kreislauf-Stillstand abgesichert. Literatur 1 Fritz HG. Milde therapeutische Hypothermie bei Herz-Kreislauf-Stillstand. Dtsch Med Wochenschr 2014; 139: 141–146 2 Kim F et al. Effect of prehospital induction of mild hypothermia on survival and neurological status among adults with cardiac arrest: A randomized clinical trial. JAMA 2014; 311: 45–52 3 Nielsen N et al. Targeted temperature management at 33 °C versus 36 °C after cardiac arrest. N Engl J Med 2013; 369: 2197– 2206 Prof. Dr. med. H. H. Klein Med. Klinik II, Schwerpunkte Kardiologie/ Pneumologie, Klinikum Idar-Oberstein Dr. Ottmar-Kohler-Str. 2 55743 Idar-Oberstein Tel. 06781/661546 Tel. 06781/46571 eMail [email protected] eMail [email protected] DOI 10.1055/s-0034-1369913

Erwiderung ▼ Vielen Dank an Herrn Prof. Klein für die anregende Kritik. Tatsächlich sind zwischen der Annahme der Arbeit und deren Veröffentlichung zwei wichtige Publikationen erschienen, die aus meiner Sicht

die Anwendung der Hypothermie jedoch nicht grundsätzlich in Frage stellen. Somit können die in der Arbeit enthaltenen Handlungsvorschläge, auch wenn sie aus Sicht des Kritikers als selbstverständlich gelten, durchaus eine Orientierung für die richtige Anwendung der Hypothermie sein. Der Artikel ist nicht konzipiert als systematischer Review, vielmehr war eine Übersicht zu derzeit weitgehend „gesicherten“ Aussagen mit praktischen Hinweisen für die klinische Routine der Auftrag. Die erste zitierte Studie von F. Kim et al. [6] vergleicht eine präklinische Induktion der Hypothermie nach kardiopulmonaler Reanimation mittels kalter Infusion mit einer In-hospital-Induktion. In dieser Untersuchung bringt die präklinische Induktion der Hypothermie keinen zusätzlichen Vorteil gegenüber der In-hospitalHypothermie. Diese Studie stellt den Nutzen der Hypothermie somit nicht in Frage, sondern vergleicht zwei unterschiedliche Zeitpunkte des Beginns der Hypothermie. Für den Eingeweihten sind die Ergebnisse nicht wirklich überraschend, eine entsprechende Skepsis habe ich im Artikel zu dieser Methode bereits angemerkt: „…so dass vielfach die endovaskuläre Verwendung von kalter Infusionslösung (4 °C) propagiert wird, von der in 30 min ca. 30–40 ml/kg KG mittels Druckinfusion appliziert werden, was unter Reanimationsbedingungen oft unzureichend gelingt…“ [5]. Die prähospital gekühlten Patienten trafen zwar schon etwa 1,2– 1,3 °C kälter im Krankenhaus ein, sie erreichten die Zieltemperatur aber nur etwa eine Stunde eher als die im Krankenhaus gekühlten Patienten (4,2 vs. 5,5 h). Die Post-ROSC-Kühlung (ROSC = restoration of spontaneous circulation) mit kalter Infusion ist demnach nicht effektiver als eine In-hospital-Kühlung. Im Artikel wird im Unterschied zur prähospitalen Post-ROSC-Kühlung die Prä-ROSCKühlung, d. h. die Induktion der Hypothermie bereits vor Wiederherstellung der Spontanzirkulation, also schon während der Reanimationsmaßnahmen, favorisiert. Für die Effizienz dieser Methode sprechen die ersten klinischen Daten der PRINCEStudie [2]. Die Ergebnisse einer Nachfolgestudie (PRINCESS) mit deutlich größerer Patientenzahl werden im nächsten Jahre erwartet. Darüber hinaus ist dieser Ansatz experimentell sehr gut belegt [1, 7].

Dtsch Med Wochenschr 2014; 139: 1181–1182

Heruntergeladen von: University of Pittsburgh. Urheberrechtlich geschützt.

Leserbrief

1181

Korrespondenz | Correspondence

Die zweite von Herrn Prof. Klein zitierte Studie von Nielsen et al. [8] konnte keinen Überlebensvorteil für eine Hypothermie von 33 °C hinsichtlich des zerebralen Outcomes belegen. Diese sehr gut konzipierte Studie hat insgesamt 939 Patienten nach kardiopulmonaler Reanimation eingeschlossen, deren Körpertemperatur nach Krankenhausaufnahme entweder bei 36 °C oder mittels endovaskulärer bzw. Oberflächenkühlung bei 33 °C gehalten wurde. Obwohl in dieser Studie 472 Patienten gekühlt worden sind, finden sich leider keine Angaben zu den Kühlprotokollen: Es fehlen Angaben zum Zeitraum vom Herz-Kreislauf-Stillstand bzw. ROSC bis zum Beginn der Kühlung und bis zum Erreichen der Zieltemperatur. Genauso fehlen Angaben über die genaue Dauer der Erhaltungsphase. Lediglich aus einer Grafik lässt sich entnehmen, dass die Zieltemperatur von 33 °C erst nach ca. 8 Stunden erreicht wurde. Etwa 20 Stunden später wurde mit der Wiedererwärmung begonnen. Die Zieltemperatur scheint demnach spät erreicht und die Erhaltungsphase ist relativ kurz. Die Ergebnisse belegen deshalb lediglich, dass die Durchführung der Hypothermie eine große Herausforderung darstellt. Selbst in dieser großen Studie sind grundsätzliche Empfehlungen der Leitlinien [4], auch wenn sie zum Teil aus experimentellen Daten abgeleitet wurden, nicht eingehalten, wie rascher Beginn der Kühlung, rasches Erreichen der Zieltemperatur und ausreichend lange Aufrechterhaltung der Hypothermie. Darüber hinaus kann bei spätem Kühlbeginn eine längere Aufrechterhaltung das Überleben der Neuronen verbessern [3]. Des weiteren muss beachtet werden, dass die Studienpopulation im Vergleich zu anderen Studien erheblich differierte. So war der Anteil von Patienten mit Laienreanimation vergleichsweise hoch (73%) und der Beginn der Reanimation sehr frühzeitig (Median: 1 Minute) [9].

Diese wichtige Studie konnte trotz der aus meiner Sicht zu scharf formulierten Kernaussage vom fehlenden Nutzen der Hypothermie zwei wesentliche Aussagen treffen: 1.  Fieber ist beim reanimierten Patienten in den ersten 72 Stunden unbedingt zu vermeiden und 2. die Hypothermie verursacht keine zusätzlichen Risiken hinsichtlich Infektion und Sepsis. Aufgrund der Heterogenität reanimierter Patienten, unscharfer Zeitfenster in der Rettungskette und der vielfältigen Vorgehensweisen in den Notaufnahmen werden humane Studien zu diesem komplexen Krankheitsbild mit großer Wahrscheinlichkeit immer angreifbar erscheinen. Dem stehen Einzelfallberichte und klinische Erfahrungen gegenüber, die immer wieder positive Effekte der Hypothermie beschreiben. Des Weiteren fehlen derzeit alternative, direkt auf die Zerebroprotektion gerichtete Konzepte, so dass die Hypothermie gegenwärtig aus meiner Sicht ein fester Bestandteil der Post-Resuscitation-Care bleiben sollte. Es werden aber dringend weitere Studien zum geeigneten Patientenklientel und der Durchführung der Hypothermie benötigt. Abschließend möchte ich bemerken, wenn es im Artikel vielleicht nicht klar genug herausgestellt ist, dass für alle Maßnahmen in der Post-Reanimationsphase selbstverständlich die unverzügliche und suffiziente Reanimation die Grundvoraussetzung bleibt. In diesem Zusammenhang möchte ich dem Leserbrief insofern widersprechen, als dass die Defibrillation bzw. Kreislaufwiederherstellung natürlich eine essenzielle Maßnahme zur Vermeidung von Dys- oder Fehlfunktionen der Organsysteme darstellt, die jedoch im engeren Sinne nicht als zielgerichtete zerebroprotektive Maßnahme zählt.

Literatur 1 Abella BS. Intra-arrest cooling improves outcomes in a murine cardiac arrest model. Circulation 2004; 109: 2786–2791 2 Castren M, Nordberg P, Svensson L et al. Intra-arrest transnasal evaporativecooling: a randomized, prehospital, multicenter study (PRINCE: Pre-ROSC Intra Nasal Cooling Effectiveness). Circulation 2010; 122: 729– 736 3 Che D, Li L, Kopil CM et al. Impact of therapeutic hypothermia onset and duration on survival, neurologic function, and neurodegeneration after cardiac arrest. Crit Care Med 2011; 39: 1423–1430 4 Deakin CD, Nolan JP, Soar J et al. Erweiterte Reanimationsmaßnahmen für Erwachsene (advanced life support)Sektion 4 der Leitlinien zur Reanimation 2010 des European Resuscitation Council. Notfall Rettungsmed 2010; 13: 559–620 5 Fritz HG. Milde therapeutische Hypothermie bei Herz-Kreislauf-Stillstand. Dtsch Med Wochenschr 2014; 139: 141–146 6 Kim F, Nichol G, Maynard C et al. Effect of prehospital induction of mild hypothermia on survival and neurological status among adults with cardiac arrest: A randomized clinical trial. JAMA 2014; 311: 45–52 7 Lampe JW, Becker LB. State of theart in therapeutic hypothermia. Annu Rev Med 2011; 62: 79–93 8 Nielsen N, Wtterslev J, Cronberg T et al. Targeted temperature management at 33°C versus 36°C after cardiac arrest. N Engl J Med 2013; 369: 2197–2206 9 Deutsche Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN). Pressemitteilung der DGIIN zum Temperaturmanagement nach Reanimation. http:// www.dgiin.de/index.php?eID=tx_ nawsecuredl&u=0&file=uploads/media/ 20140306_PM_Hypothermie.pdf&t=1396353 375&hash=8bab72d09074fbc38b8a6f5a4185 a3ee5cb62afc (letzter Zugriff: 24.3.2014) PD Dr. med. Harald G. Fritz Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie Krankenhaus Martha-Maria Halle-Dölau Röntgenstr.1 06120 Halle/Saale Tel. 0345/559-1416 Fax 0345/559-1527 eMail [email protected] DOI 10.1055/s-0034-1369914

Dtsch Med Wochenschr 2014; 139: 1181–1182

Heruntergeladen von: University of Pittsburgh. Urheberrechtlich geschützt.

1182

[Mild therapeutic hypothermia in cardiac arrest].

[Mild therapeutic hypothermia in cardiac arrest]. - PDF Download Free
127KB Sizes 2 Downloads 5 Views