Originalarbeit

Methadon und Levomethadon – Dosierung und Nebenwirkungen Methadone and Levomethadone – Dosage and Side Effects

Autoren

Nikola Schoofs, Thomas Riemer, Lena Karoline Bald, Andreas Heinz, Jürgen Gallinat, Felix Bermpohl, Stefan Gutwinski

Institut

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Campus Mitte, Charité – Universitätsmedizin Berlin

Schlüsselwörter

Zusammenfassung

" Substitutionsbehandlung ● " Methadon ● " Levomethadon ● " Dosierung ● " Nebenwirkungen ●

Keywords

" methadone maintenance ● " methadone ● " levomethadone ● " dosage ● " side effects ●

!

Anliegen: Systematische Erfassung der Dosierung sowie der Nebenwirkungen der Opiatsubstitution. Methode: Regionale Befragung von opiatabhängigen Patienten in Berlin. Ergebnisse: Levomethadon wurde signifikant höher dosiert als Methadon trotz adäquater Berücksichtigung der Wirkstärken. 484 Teilnehmer ga-

Einleitung !

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0033-1349627 Online-Publikation: 19.11.2013 Psychiat Prax 2014; 41: 82–87 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0303-4259 Korrespondenzadresse Dr. med. Nikola Schoofs Psychiatrische Universitätsklinik der Charité im St. Hedwig Krankenhaus, Charité – Universitätsmedizin Berlin Große Hamburger Straße 5–11 10115 Berlin [email protected]

Nach Schätzungen der Bundesärztekammer gibt es in Deutschland derzeit etwa 150 000 Patienten mit Opiatabhängigkeit [1]. Neben den ausgeprägten Folgen im sozialen Bereich (Beschaffungskriminalität, sozialer Abstieg) liegen bei diesen Patienten häufig komorbide somatische und psychische Erkrankungen vor, welche gemeinsam mit Opiatintoxikationen eine deutlich erhöhte Mortalität bedingen [2, 3]. Um diesem Umstand entgegenzuwirken, wurde 1988 die Opiatsubstitutionsbehandlung in Deutschland eingeführt [4]. Die Wirksamkeit dieser Maßnahme auf das Überleben und auf psychosoziale Faktoren konnte in einer Vielzahl von Studien belegt werden [5 – 8]. Aktuell nehmen etwa 77 400 Patienten am Opiatsubstitutionsprogramm teil [9], allein in Berlin wurden im Jahr 2011 5032 Personen als substituiert an die Ärztekammer gemeldet. Derzeit ist das razemische (dextro-, levo) d,l-Methadon, im klinischen Gebrauch als Methadon bezeichnet, die am häufigsten verordnete Substanz zur Opiatsubstitution [10]. Aufgrund der umfangreichsten Datenlage und breiten klinischen Erfahrungen [11] sowie der niedrigeren Kosten gegenüber Levomethadon, wird vor allem Methadon zur Substitution opiatabhängiger Patienten empfohlen [12, 13]. Als dritte Substanz wird – allerdings seltener – Buprenorphin zur Substitution eingesetzt.

Schoofs N et al. Methadon und Levomethadon … Psychiat Prax 2014; 41: 82–87

ben Nebenwirkungen an, am häufigsten Sedierung und Schwitzen. Reizbarkeit/Nervosität und gastrointestinale Nebenwirkungen fanden sich signifikant häufiger unter Levomethadon. Schlussfolgerung: Die vorliegenden Ergebnisse weisen darauf hin, dass Methadon im Nebenwirkungsprofil und hinsichtlich der Eigenschaften in der Dosierung gegenüber Levomethadon Vorteile haben könnte.

Die empfohlene therapeutische Tagesdosis liegt bei 80 – 120 mg Methadon [7]. Methadon ist ein synthetischer Agonist am μ-Rezeptor, dessen pharmakologische Aktivität der des Morphins ähnelt. Die Wirkung und damit auch die Nebenwirkungen am μ-Rezeptor werden durch den linksdrehenden Anteil des Methadons vermittelt, sowohl zentral (relevant für die Abhängigkeitsentwicklung) als auch im peripheren Opiatrezeptorsystem. Der d-Anteil des Razemats hat vermutlich keine relevante Wirkung am μ-Rezeptor, sodass auch das linksdrehende Enantiomer isoliert als Medikament verwendet werden kann. Diese Substanz wird als Levomethadon bezeichnet. Neuere Studien weisen darauf hin, dass der d-Anteil eine Wirkung am NMDA-Rezeptor hat und dadurch eine Morphintoleranz reduzieren kann. Diskutiert wird deshalb, ob d-Methadon als Substanz bei morphintoleranten Schmerzpatienten verwendet wird, um die Wirkung opiathaltiger Schmerzmittel zu verstärken [14 – 16]. Bei substituierten Patienten könnte dies bedeuten, dass die Wirkung des d-Anteils am NMDA-Rezeptor die Wirkung des l-Anteils am μ-Rezeptor verstärkt. Dies würde implizieren, dass bei der Gabe von Levomethadon höhere Dosierungen notwendig sind. Hinweise dafür finden sich bei Soyka und Zingg, welche Patienten von Methadon auf Levomethadon umstellten und dabei eine Aufdosierung von durchschnittlich 8,8 mg Methadonäquivalent vornahmen [17]. Unseren Kenntnissen

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nen (diese Ergebnisse werden an anderer Stelle berichtet), mögliche Komorbiditäten sowie soziale und berufliche Umstände erfasst. Der Fragebogen wurde eigens für die Erhebung erstellt. Es wurden verschiedene Fragetypen verwendet: Alter, Dauer der Opiatabhängigkeit und Anzahl der Entgiftungsbehandlungen wurden per Eingruppierungsfragen erhoben. Die Dosis des Substituts, Schuljahre insgesamt, Nebenwirkungen sowie die Dauer der Opiatabhängigkeit wurden mittels offener Fragen erhoben. Die anderen Items wurden per Einfach- bzw. Mehrfachauswahl erfragt. Die anonymisierte Befragung wurde von der lokalen Ethikkommission genehmigt. Es bestand keine Finanzierung durch Drittmittel oder Industrie.

Statistik Zunächst werden Daten für Methadon, Levomethadon und Buprenorphin beschrieben. Danach werden spezielle Vergleiche zwischen Methadon und Levomethadon durchgeführt. Die statistische Auswertung erfolgte mit dem Statistikprogramm SPSS Statistics Version 20. Im Rahmen der deskriptiven Statistik wurden nominale Variablen als absolute und relative Häufigkeiten angegeben. Gruppenvergleiche nominaler Variablen wurden mithilfe des Chi-Quadrat-Tests durchgeführt, Gruppenvergleiche stetiger Variablen durch den t-Test. Binäre logistische Regressionsanalysen wurden durchgeführt mit dem Auftreten der verschiedenen Nebenwirkungen als abhängigen Variablen und den unabhängigen Variablen Substanz (Methadon, Levomethadon), Geschlecht (Frau, Mann), Dauer der Abhängigkeit (in Jahren) und Dosierung (in mg).

Methoden !

Ergebnisse

Es wurden alle 20 psychiatrischen Kliniken sowie die 110 Praxen mit Lizenz zur Opiatsubstitution in Berlin kontaktiert. Von diesen nahmen 10 Kliniken und 47 Praxen teil. 29 Praxen gaben an, derzeit keine Patienten zu substituieren, 34 Praxen lehnten die Teilnahme ab. In den teilnehmenden Praxen wurde jeweils mindestens 1 Patient behandelt, es nahmen jedoch auch Schwerpunktpraxen mit bis zu 300 substituierten Patienten teil. Die 47 teilnehmenden Praxen berichteten insgesamt 2370 Patienten zu behandeln. Die Patienten, welche in einer Klinik befragt wurden, befanden sich zum Zeitpunkt der Befragung in stationärer Behandlung. In Berlin waren zum Zeitpunkt der Befragung 5032 Patienten bei der kassenärztlichen Vereinigung Berlin eingeschrieben. An der Untersuchung nahmen 986 Patienten teil, dies entspricht 19,6 % aller in Berlin substituierten Patienten und 41,6 % der Patienten der teilnehmenden Praxen. Alle Patienten, die im Zeitraum der Erhebung in der Praxis substituiert wurden, erhielten die Möglichkeit zur Teilnahme. Die Erhebung mit Fragebogen fand von Mai bis Oktober 2011 statt. Die Teilnehmer wurden im Vorfeld in mündlicher und schriftlicher Form über die Studie aufgeklärt und nahmen freiwillig an der Studie teil. Die Diagnose der Opiatabhängigkeit war anhand der ICD-10-Kriterien vom behandelnden Psychiater oder Substitutionsarzt gestellt worden. Eingeschlossen wurden Männer und Frauen mit Opiatabhängigkeit, die eine Substitutionsbehandlung erhielten.

!

Stichprobe Die Stichprobe bestand aus insgesamt 986 (männlich: 715, weiblich: 260) Teilnehmern, was einen Anteil von 19,6 % aller in Berlin substituierten Patienten mit Opiatabhängigkeit bedeutet. 885 der Teilnehmer wurden in Praxen rekrutiert, 101 in einer Klinik. Die Mehrzahl der Patienten (n = 460) erhielt Methadon, 371 Patienten erhielten Levomethadon. 110 Patienten wurden mit Buprenorphin substituiert, 45 spezifizierten die Substanz nicht. Die Methadongruppe und die Levomethadongruppe unterschieden sich nicht signifikant voneinander im Hinblick auf Alter, Dauer der Schulbildung, Anzahl der Entgiftungsbehandlungen, Dauer der Substitution, Dauer des Beikonsums und Art des Beikonsums. Signifikante Unterschiede bestanden bezüglich Ge" Tab. 1), wobei sich schlecht und Dauer der Opiatabhängigkeit (● mehr Frauen in der Levomethadongruppe fanden, und Patienten mit Levomethadon länger erkrankt waren.

Dosierung Die mittlere Dosis von Methadon betrug 89,46 ± 41,07 mg, die von Levomethadon betrug 98,78 ± 46,90 mg (dargestellt in der äquivalenten Methadondosis). Die mittlere Buprenorphindosis betrug 9,03 ± 5,69 mg. Die mittleren Äquivalenzdosen von Methadon und Levomethadon unterschieden sich signifikant (t = – 3,8; " Tab. 2). p < 0,001) (●

Erhebungsbogen Zielvariablen der aktuellen Untersuchung waren Dosierung und Häufigkeit von Nebenwirkungen. Darüber hinaus wurden demografische Charakteristika, Angaben zu Verlauf der Abhängigkeitserkrankung und der Substitutionsbehandlung, die Zufriedenheit mit der Substitution und das Interesse an neuen Therapieoptio-

Nebenwirkungen Insgesamt berichteten 484 Teilnehmer über das Auftreten von Nebenwirkungen. Hiervon entfielen 216 auf die Methadongruppe, 213 auf die Levomethadongruppe und 33 auf die Buprenorphingruppe. 22 Patienten, die über Nebenwirkungen klagten, Schoofs N et al. Methadon und Levomethadon … Psychiat Prax 2014; 41: 82–87

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nach ist bisher nicht in einer größeren repräsentativen Stichprobe untersucht worden, ob Patienten mit Levomethadon tatsächlich höhere Äquivalenzdosierungen erhalten als Patienten mit Methadon. Neben der Wirkung am NMDA-Rezeptor, haben sowohl d- als auch l-Methadon eine Wirkung an Noradrenalin- und Serotoninrezeptoren [17], zudem unterliegen beide einem komplexen hepatischen Abbau. Ob diese unterschiedlichen Rezeptorprofile auch ein unterschiedliches Nebenwirkungsprofil bedingen, lässt sich anhand der derzeitigen Datenlage nicht schließen. Die bisher durchgeführten Untersuchungen zeigen uneinheitliche Ergebnisse. So konnte in einigen Studien eine Überlegenheit von Methadon bezüglich der Häufigkeit von Nebenwirkungen nachgewiesen werden [18, 19], andere Studien konnten keine Unterschiede feststellen [20, 21], wieder andere sahen Levomethadon bezüglich des Auftretens von Nebenwirkungen im Vorteil [22]. Bisher gibt es unserer Kenntnis nach keine naturalistische, flächendeckende Erhebung mit einer repräsentativen Stichprobe zur Klärung der Frage, in welcher Häufigkeit unter der Substitutionstherapie Nebenwirkungen auftreten und ob sich Methadon und Levomethadon hinsichtlich der Häufigkeit von Nebenwirkungen unterscheiden. Ziel der vorliegenden Studie war es daher, in einer repräsentativen Befragung Dosierungen und Nebenwirkungen unter substituierten Patienten im Raum Berlin zu erfassen. Besonderes Augenmerk richteten wir dabei auf mögliche Unterschiede zwischen Methadon bzw. Levomethadon.

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Beschreibung der Stichprobea.

Alter zum Zeitpunkt der Befragung (Jahre) – 18 – 20 – 21 – 30 – 31 – 40 – 41 – 50 – 51 – 60 – 61 – 70 Geschlecht – männlich – weiblich Dauer der Schulbildung (Jahre) Mittelwert ± SD 2 Dauer der Opiatabhängigkeit (Jahre) – ≤1 – ≥1–2 – ≥3–4 – ≥5–9 – ≥ 10 Dauer der Substitution Anzahl der Entgiftungsbehandlungen – 0 – ≤1 – ≥2–4 – ≥5–9 – ≥ 10 – 19 – ≥ 20 derzeitiger Beikonsum kein Beikonsum Beikonsum 5 Substanztyp – Benzodiazepine – Heroin – Kokain – Amphetamin – Cannabis – Alkohol – multipler Konsum

Methadon

Levomethadon

(n = 460)

(n = 371)

6 (1,3) 105 (22,8) 128 (27,8) 167 (36,3) 45 (9,8) 8 (1,7)

2 (0,5) 73 (19,7) 100 (27,0) 141 (38,0) 50 (13,5) 3 (0,8)

344 (74,8) 110 (23,9) 10,25 ± 1,71

255 (68,7) 115 (31,0) 10,28 ± 1,57

4 (0,9) 9 (2,0) 30 (6,5) 84 (18,3) 286 (62,2) 6,95 ± 5,77

3 (0,8) 10 (2,7) 17 (4,6) 48 (12,9) 259 (69,8) 8,22 ± 6,22

105 68 122 59 47 31 284 (61,7) 143 (31,1)

53 48 116 58 56 27 227 (61,2) 124 (33,4)

24 (5,2) 61 (13,4) 6 (1,3) 3 (0,7) 83 (18,0) 35 (7,6) 97 (22,7)

16 (4,3) 37 (10,1) 14 (3,8) 3 (0,8) 59 (15,9) 19 (5,1) 87 (24,8)

Testergebnis

p

χ² = 1,765 1

0,184

χ² = 7,460

0,024

t = 0,794

0,427

χ² = 5,404 3

0,02

t = 1,216 χ² = 3,398 4

0,224 0,074

χ² = 0,289

0,591

χ² = 1,397 2,165 3,190 1,876 1,667 2,436 0,488

0,497 0,141 0,203 0,391 0,434 0,296 0,485

a Daten als n (%) soweit nicht anders benannt; 1 Subgruppen für χ2: Patienten < 40 Jahren vs. Patienten ≥ 40 Jahren; 2 SD = Standardabweichung; 3 Subgruppen für χ2: Dauer der Opiatabhängigkeit < 10 Jahren vs. ≥ 10 Jahren; 4 Subgruppen für χ2: Anzahl der Entgiftungsbehandlungen < 5 vs. ≥ 5; 5 Substanzkonsum innerhalb der letzten 4 Wochen

Dosis des Substituts (mg) Mean ± SD Dosen in Gruppen (mg) 2 5 – 75 80 – 120 125 – 250

Methadon

Levomethadon

(n = 460)

(n = 371)

89,46 ± 41,07

147 (37,2) 184 (46,6) 64 (16,2)

49,41 ± 23,98 98,78 ± 46,90 1

Testergebnis

p

t = – 3,8

< 0,001

Tab. 2

Dosierung.

137 (41,8) 155 (47,3) 36 (11,0)

Dosis des Levomethadons in äquivalenter Methadondosis; 2 Gruppeneinteilung nach Literaturangabe, dass 80 – 120 mg Methadonäquivalent die empfohlene Tagesdosis ist

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spezifizierten ihr Substitut nicht ausreichend. Die Häufigkeitsverteilung der spezifischen Nebenwirkungen findet sich in " Tab. 3. Die am häufigsten berichteten Nebenwirkungen unter ● beiden Substanzen sind Schwitzen und Sedierung. Nebenwirkungen traten signifikant häufiger unter Levomethadon als unter Methadon auf: 47 % der Patienten unter Methadon gaben Nebenwirkungen an, unter Levomethadon waren es 57,4 % " Tab. 3). (χ² = 9,055; p = 0,011) (● Um den Einfluss der Substanzen (Methadon versus Levomethadon) auf das Auftreten der verschiedenen Nebenwirkungen näher zu untersuchen und für die Variablen Dosierung, Geschlecht Schoofs N et al. Methadon und Levomethadon … Psychiat Prax 2014; 41: 82–87

und Dauer der Abhängigkeit zu korrigieren, wurden binäre logistische Regressionsanalysen durchgeführt. In diese Analysen wurden nur solche Fälle einbezogen, in denen eine eindeutige Dosisangabe zu nur einer Substanz gemacht wurde (n = 720) " Tab. 4). (● " Tab. 4 ist zu entnehmen, dass die Nebenwirkungen Reizbar● keit/Nervosität und gastrointestinale Nebenwirkungen einen signifikanten Zusammenhang mit der Substanz aufweisen (häufiger unter Levomethadon), auch wenn für die Variablen Dosis, Geschlecht und Dauer der Abhängigkeit korrigiert wurde.

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Tab. 1

Tab. 3

Häufigkeiten der Nebenwirkungen in n (%).

Art der NW

Gesamt NW Schwitzen Schmerzen Sedierung Gewichtsänderung Reizbarkeit/Nervosität Schlafstörungen Depressivität gastrointestinale NW erektile Dysfunktion oder Libidoverlust Antriebsarmut andere somatische NW 1 mehrere 1

Methadon

Levometha-

Buprenor-

(n = 460)

don

phin

(n = 371)

(n = 110)

216 (47,0) 114 (24,9) 6 (1,3) 52 (11,4) 18 (3,9) 2 (0,4) 20 (4,4) 27 (5,9) 22 (4,8) 4 (0,9)

213 (57,4) 105 (28,2) 3 (0,8) 45 (12,1) 31 (8,3) 21 (5,6) 24 (6,5) 28 (7,5) 34 (9,1) 7 (1,9)

33 (30,0) 9 (8,2) 1 (0,9) 8 (7,3) 4 (3,6) 4 (3,6) 9 (8,2) 4 (3,6) 4 (3,6) 1 (0,9)

7 (1,5) 8 (1,8) 76 (16,6)

7 (1,9) 8 (2,1) 88 (23,6)

1 (0,9) 3 (2,7) 13 (11,8)

Zittern, Zahnprobleme, Kreislaufbeschwerden, Atembeschwerden, Hautprobleme, Appetitänderung

Tab. 4 Einfluss der Substanz auf das Auftreten der verschiedenen Nebenwirkungen.

Nebenwirkung

Schwitzen Schmerzen Sedierung Gewichtsänderung Reizbarkeit/Nervosität Schlafstörungen Depressivität gastrointestinale NW erektile Dysfunktion Antriebsarmut andere somatische NW

p-Wert

0,337 0,859 1,000 0,185 0,005 0,169 0,282 0,002 0,322 0,961 0,901

Odds Ratio

95 %-Konfidenz-

(OR)

intervall (KI)

1,198* 0,871 1,000 1,636 18,729 1,679 1,444 2,953 1,924 1,027 0,933

0,829 – 1,730 0,188 – 4,027 0,612 – 1,634 0,790 – 3,389 2,454 – 142,950 0,802 – 3,515 0,740 – 2,819 1,493 – 5,838 0,527 – 7,021 0,357 – 2,837 0,314 – 2,777

* Odds Ratio zugunsten von Levomethadon; binäre logistische Regression mit den verschiedenen Nebenwirkungen als abhängigen Variablen und den unabhängigen Variablen Substanz, Dosis, Geschlecht, Dauer der Abhängigkeit. Dosis, Geschlecht und Dauer der Abhängigkeit = Regressors of no interest.

Diskussion !

Die vorliegende Studie bietet eine umfassende Erhebung zum Zwecke der repräsentativen Erfassung von Dosierung und Nebenwirkungen bei opiatabhängigen Patienten im Substitutionsprogramm in Berlin. Unsere Daten zeigen, dass die Dosierungen des Substituts häufig von den empfohlenen 80 – 120 mg/d Methadonäquivalent abweichen. Dabei wird Levomethadon im Durchschnitt höher dosiert als Methadon, möglicherweise um dadurch die gleiche Wirksamkeit zu erreichen. Fast die Hälfte aller befragten Patienten berichten Nebenwirkungen unter Substitution, am häufigsten Sedierung und erhöhtes Schwitzen. Gastrointestinale Nebenwirkungen und Reizbarkeit/Nervosität zeigen sich häufiger unter Levomethadon als unter Methadon. Insgesamt unterstützen unsere Befunde die bestehenden Empfehlungen, welche Methadon als erste Wahl in der Substitutionsbehandlung ansehen. Die den Patienten unserer Stichprobe verordneten Dosierungen unterschieden sich teils erheblich von der derzeit offiziell empfohlenen durchschnittlichen Dosierung von Methadon bzw. Me-

thadonäquivalenten (80 – 120 mg täglich). So erhielten etwa 40 % der Befragten weniger als 80 mg Methadonäquivalent täglich, während etwa 15 % der Befragten deutlich höhere Dosen (bis zu 250 mg Methadonäquivalent) erhielten. Die Patientengruppen, welche mit Levomethadon und Methadon behandelt wurden, zeigten keine Unterschiede hinsichtlich des Alters, der Bildungsdauer, der Dauer der Substitution, dem bestehenden Beikonsum und der Anzahl der Entgiftungsbehandlungen. Unterschiede bestanden bezüglich Geschlecht und der Dauer der Abhängigkeit, wobei sich mehr Frauen in der Levomethadongruppe fanden und Patienten mit Levomethadon in der Regel länger erkrankt waren. Diese unterscheidenden Parameter (Geschlecht und Dauer der Abhängigkeit) ergaben nach Einbezug in die Analysen keine Veränderung des Studienergebnisses. Die Patienten unter Levomethadon erhielten eine signifikant höhere Dosierung als unter Methadon (durchschnittlich 8,8 mg Methadonäquivalent). Die höhere Dosierung der Patienten mit Levomethadon ist möglicherweise Ausdruck dafür, dass diese Patienten schwerer erkrankt sind und daher einer höheren Dosierung bedürfen, es kann ebenfalls diskutiert werden, ob höhere Dosierungen notwendig sind, um unter Levomethadon die gleiche Wirksamkeit zu erreichen. Dies ließe sich durch den fehlenden d-Anteil bei Levomethadon erklären, der über eine NMDA-Aktivität vermutlich die Opiattoleranz vermindert [14, 15]. Der zweite Schwerpunkt der Erhebung war die Erfassung der berichteten Nebenwirkungen; etwa die Hälfte der untersuchten Population gab Nebenwirkungen an. Die am häufigsten genannten Nebenwirkungen (bei allen Patienten, unabhängig von der Substanz, mit der substituiert wurde) waren Schwitzen und Sedierung. Betrachtet man die Gruppen der Patienten, die mit Methadon bzw. Levomethadon substituiert wurden, traten Nebenwirkungen insgesamt häufiger unter Levomethadon als unter Methadon auf. Zum Vergleich der spezifischen Nebenwirkungen zwischen beiden Gruppen führten wir binäre logistische Regressionsanalysen durch. Diese ergaben, dass Reizbarkeit/Nervosität sowie gastrointestinale Nebenwirkungen auch nach Korrektur für Dosisunterschiede, Geschlecht und Dauer der Opiatabhängigkeit häufiger unter Levomethadon auftraten. Die häufigeren Nebenwirkungen unter Levomethadon könnten durch die NMDA-Wirkung des d-Anteils bedingt sein [14 – 16], welcher möglicherweise auch das Nebenwirkungsprofil der Substanzen beeinflusst. Ebenfalls ist es möglich, dass die unter Levomethadon häufiger auftretenden Nebenwirkungen noch über andere Transmittersysteme verursacht werden, da die d- und l-Anteile des Methadons auch an anderen Rezeptoren, z. B. an Serotonin- und Noradrenalinrezeptoren wirken. Ein weiterer Erklärungsansatz für das vermehrte Auftreten einiger spezifischer Nebenwirkungen könnte sein, dass es im klinischen Alltag eine Differenzialindikation zwischen Methadon und Levomethadon gibt. So könnte es sein, dass – analog der gängigen Empfehlung – die Patienten zunächst Methadon erhalten, bei Auftreten von Nebenwirkungen jedoch möglicherweise eine Umstellung auf Levomethadon erfolgt sein könnte. Anhand unserer Daten kann nicht ausgeschlossen werden, dass dies der Grund ist, warum in unserer Erhebung bei diesen Patienten insgesamt häufiger Nebenwirkungen beobachtet wurden. Auch kann in Einzelfällen die Differenzierung von Nebenwirkungen und Dosiseffekten (Überdosierungssymptome) durch das Substitut schwer abzugrenzen sein, sodass vor allem bei gastrointestinalen Beschwerden und fehlendem Craving auch eine Dosisanpassung zu erwägen ist. Ein relevanter Nebenbefund unserer Erhebung sind die erfassten Beikonsumraten. So geben sowohl in der Methadon- als auch in Schoofs N et al. Methadon und Levomethadon … Psychiat Prax 2014; 41: 82–87

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der Levomethadongruppe rund 60 % der Befragten einen aktuellen Beikonsum an. Hierbei sind vor allem der Beikonsum von Cannabis und Heroin zu nennen. Berichtenswert ist ebenfalls der Beikonsum multipler (mehr als 2) Substanzen bei 22,7 % der Patienten unter Methadon und 24,8 % der Patienten unter Levomethadon. Es ist aber hervorzuheben, dass das vorrangige Ziel der Substitutionsbehandlung die Senkung der Mortalität, insbesondere durch Reduktion von Infektionserkrankungen und schweren Intoxikationen ist [3]. Die anhaltende Opiatabstinenz und die Abstinenz von anderen Suchtmitteln werden nach Scherbaum als mittel- und hochgradige Ziele [11] definiert. Allerdings kann der Beikonsum die Patienten gefährden, da beispielsweise Mischintoxikationen vor allem mit mehreren zu Atemdepression führenden Substanzen ein hohes Risiko darstellen. Dies ist relevant, da Methadon auch auf dem Schwarzmarkt verkauft wird und zu schweren Intoxikationen bei nicht regelhaft substituierten Patienten führen kann [22]. Möglicherweise ist daher in Einzelfällen eine Veränderung des Therapieregimes notwendig, beispielsweise durch regelmäßige Urinkontrollen und Reduktion der Dosierung des Substituts. Auch sollten komorbid bestehende manifeste Abhängigkeitssyndrome erkannt werden, da diese möglicherweise adaptierter Therapiestrategien bedürfen. Dennoch zeigen mehrere Arbeiten, zuletzt die PREMOS-Studie, dass eine vollständige Abstinenz nur bei einem Teil der Patienten erreicht werden kann [23, 24]. Unsere praxisnahe, naturalistische Erhebung in einer großen Stichprobe erlaubt einen repräsentativen Einblick in die gängige Praxis der Substitutionstherapie. Um unsere Annahme zu sichern, dass Levomethadon im Durchschnitt höher dosiert wird, um die gleiche Wirksamkeit wie Methadon zu erzielen, wäre allerdings eine prospektive randomisierte Studie erforderlich. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass bei der Wahl des Präparates neben den Fragen der Dosierung und Nebenwirkungen auch noch andere Aspekte eine Rolle spielen. Zum Beispiel zeigte die STABIL-Studie von Cimander und Poehlke [25] zur Umstellung von Methadon auf Levomethadon, dass bei unzureichender klinischer Wirksamkeit bei einigen Patienten eine Umstellung von Methadon auf Levomethadon eine Verringerung des Suchtdrucks (Craving) und des Beigebrauchs bedingte. Angesichts der engen Interaktionen des glutamatergen Systems und seiner NMDA-Rezeptoren und der dopaminergen Neurotransmission [26], sollten die neurobiologischen Korrelate differenzieller pharmakologischer Wirkungen weiter untersucht werden.

Fazit für Klinik und Praxis

▶ Die in der Berliner Opiatsubstitutionsbehandlung am häufigsten verwendete Substanz ist Methadon. Die Dosierung des Substituts weicht häufig von den empfohlenen 80 – 120 mg/d ab. Levomethadon wird signifikant höher dosiert als Methadon. ▶ Fast die Hälfte aller befragten Patienten berichtet über das Auftreten von Nebenwirkungen. ▶ Reizbarkeit/Nervosität und gastrointestinale Nebenwirkungen treten unter Levomethadon häufiger auf. Ist ein Patient hiervon betroffen, könnte er ggf. von einer Umstellung des Substituts profitieren. Unsere Ergebnisse stehen im Einklang mit der gängigen Praxis, Methadon als Substitutionsmittel der ersten Wahl zu verschreiben.

Schoofs N et al. Methadon und Levomethadon … Psychiat Prax 2014; 41: 82–87

Interessenkonflikt !

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Abstract

Methadone and Levomethadone – Dosage and Side Effects !

Objective: The aim of our survey was to assess the dosage and the frequency of side effects in patients with opioid dependency receiving opioid maintenance therapy (OMT). Methods: A region-wide anonymous survey was carried out in the city of Berlin. The dosage, the frequency of side effects, data on the dependence disorder and type of OMT was assessed. Results: Out of all 5032 patients receiving OMT in Berlin 986 participated in the study. Of all included patients 460 were treated with methadone, 371 with levomethadone. The average dose of levomethadone was significantly higher than the dose of methadone even when adequately adjusting for differential effect sizes. In the total sample, 484 participants reported side effects. The most frequent named ones were sweating and sedation. The incidence of the side effects irritability and gastrointestinal troubles was significantly higher under OMT with levomethadone, although when an adjustment for dosage was performed. Conclusions: Levomethadone is dosed significantly higher than methadone. After an adjustment for dosage was performed, some of the specific side effects occurred more often under OMT with levomethadone. The results of our survey support the use of methadone as first line treatment for OMT.

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Originalarbeit

21 Verthein U, Reimer J, Ullmann R et al. Psychische Befindlichkeit in der Substitutionsbehandlung mit Levomethadon und d,l-Methadon – eine doppelblinde randomisierte Cross-over-Studie. Sucht 2007; 53: 32 – 41 22 Heinemann A, Iwersen-Bergmann S, Stein S et al. Methadone-related fatalities in Hamburg 1990–1999: implications for quality standards in maintenance treatment? Forensic Sci Int 2000; 113: 449 – 455 23 Wittchen HU, Bühringer G, Rehm J. Ergebnisse und Schlussfolgerungen der PREMOS-Studie. Suchtmedizin in Forschung und Praxis 2011; 13: 200 – 300 24 Wittchen H, Trautmann S, Träder A et al. Abstinenz als ein Behandlungsziel der opiatgestützten Substitutionstherapie: Häufigkeit und Risiken. Suchtmed 2011; 13: 253 – 257 25 Cimander KF, Poehlke T. STABIL-Studie: Umstellung von Methadon-Razemat auf Levomethadon bei klinisch unzureichender Wirksamkeit. Suchtmed 2010; 12: 187 – 196 26 Heinz A. Dopaminergic dysfunction in alcoholism and schizophrenia – psychopathological and behavioral correlates. Eur Psychiatry 2002; 17: 9 – 16

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13 Benkert O, Hippius H. Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie. 7. Aufl. Heidelberg: Springer; 2009 14 Inturrisi CE. Pharmacology of methadone and its isomers. Minerva Anestesiol 2005; 71: 435 – 437 15 Davis AM, Inturrisi CE. d-Methadone blocks morphine tolerance and N-methyl-D-aspartate-induced hyperalgesia. J Pharmacol Exp Ther 1999; 289: 1048 – 1053 16 Gottschalk A, Durieux ME, Nemergut EC. Intraoperative methadone improves postoperative pain control in patients undergoing complex spine surgery. Anesth Analg 2011; 112: 218 – 223 17 Soyka M, Zingg C. Feasibility and safety of transfer from racemic methadone to (R)-methadone in primary care: clinical results from an open study. World J Biol Psychiatry 2009; 10: 217 – 224 18 Poehlke T. Anmerkungen zur Diskussion um die Umstellung von L-Polamidon auf Methadon. Westfälisches Ärzteblatt 1994; 48: 16 – 18 19 Raschke P, Verthein U, Kalke J. Substitution in Hamburg, Methadonbehandlung Opiatabhängiger von 1990 bis 1995. Hamburg: Forschungsbericht; 1996 20 Scherbaum N, Finkbeiner T, Leifert K et al. The efficacy of l-methadone and racemic methadone in substitution treatment for opiate addicts – a double-blind comparison. Pharmacopsychiatry 1996; 29: 212 – 215

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Schoofs N et al. Methadon und Levomethadon … Psychiat Prax 2014; 41: 82–87

[Methadone and levomethadone - dosage and side effects].

The aim of our survey was to assess the dosage and the frequency of side effects in patients with opioid dependency receiving opioid maintenance thera...
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