Prävention & Versorgungsforschung | Review article

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Die Versorgungssituation bei psychischen Störungen in Deutschland Aktueller Stand und Perspektiven Mental healthcare in Germany – current situation and perspectives

Autoren

S. Kowitz1 J. Zielasek1 W. Gaebel1

Institut

1 Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, LVR-Klinikum Düsseldorf,

Nehmen psychische Störungen zu? ▼

Bund belegen, dass in der ambulanten Versorgung die Inanspruchnahmen durch psychisch komorbid Erkrankte sowie aufgrund von neurotischen, Belastungs- und somatoformen Störungen (F4), affektiven Störungen (F3) und Suchterkrankungen (F1) dominieren [16] (q Tab. 1).

In den letzten Jahren ist die Inanspruchnahme des Versorgungssystems aufgrund von psychischen Störungen erheblich gestiegen. Die altersstandardisierte Fallzahl pro 100 000 Einwohner von stationären Behandlungen mit Hauptdiagnose einer psychischen Störung nahm von 2000 bis 2011 um 31 % zu [39]. Dies ist vor allem durch Suchterkrankungen (ICD-10 Gruppe F1) und affektive Störungen (F3) bedingt (q Abb. 1).

Der Anstieg der Fallzahlen, der Arbeitsunfähigkeitsfälle und der Erwerbsminderungsrenten bedingt durch psychische Störungen [4, 10, 11] legen den Verdacht nahe, dass psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung zunehmen. Die im aktuellen Deutschen Gesundheitssurvey (DEGS1) ermittelte Gesamt-12-Monats-Prävalenz aller psychischen Störungen zeigt im Vergleich zum Bundesgesundheitssurvey 1998 (BGS 98) nur geringe Veränderungen (BGS 98: 31,1 %, 95 %-KI [29,7–32,6]; DEGS1: 29,9 %, 95%-KI [28,3–31,7]; jeweils 18- bis 65-Jährige [25, 27]). Aufgrund einiger Unterschiede in Studiendesign und Methoden steht ein endgültiger und differenzierter Vergleich noch aus [27]. Richter et al. zeigen, dass auch in anderen westlichen Industrienationen kein hinreichender Beleg für einen Anstieg der Prävalenz psychischer Störungen existiert [33]. Mögliche Erklärungsansätze für die gestiegene Inanspruchnahme (bei eher stabiler Prävalenz) wären

Für den ambulanten Bereich zeigen Daten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, dass sich die Fallzahl psychischer Störungen in der psychiatrisch-psychosomatisch-psychotherapeutischen Versorgung von 1994 bis 2004 nahezu verdoppelt hatte (1994: 8,7 Mio. Fälle; 2004: 16 Mio. Fälle [1]). Steigende Tendenz zeigen auch die Anzahl ambulanter Behandlungsfälle je 100 Personen bei psychiatrischen/psychosomatischen Fachärzten und ärztlichen/psychologischen Psychotherapeuten sowie die Behandlungsrate bei diesen Fachgruppen (Anteil der Bevölkerung in Behandlung bei den genannten Behandlergruppen [5]). Eigene Analysen von Sekundärdaten dreier Ersatzkassen und der Deutschen Rentenversicherung 50

2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011

45 40 35

25 20 15 10 5

F8

8 –



F9

9 F9 0

9 0 F8

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F7

9 F6 F7

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9 – F6 0

F4 9 –

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9 F3 0

9 F2

0

– 0



F1

9 F0 –

F1

n

9

0

F0 0

× 10000

30

Abb. 1 Entwicklung der Fallzahl vollstationärer Patientinnen und Patienten in Deutschland mit Hauptdiagnose einer psychischen Störung 2005–2011.  Eigene Grafik nach Daten des Statistischen Bundesamtes [39].

Psychiatrie, Versorgungsforschung Prävention & Versorgungsforschung | Review article

Schlüsselwörter psychische Störung Prävalenz Inanspruchnahme Versorgung

q q q q

Keywords mental disorder prevalence utilization treatment

q q q q

eingereicht 16.12.2013 akzeptiert 13.02.2014 Bibliografie DOI 10.1055/s-0034-1370039 Dtsch Med Wochenschr 0 2014; 1390 0:1249–1252 · © Georg Thieme Verlag KG · Stuttgart · New York · ISSN 0012-04721439-4 13 Korrespondenz Sandra Kowitz, M.A. Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, LVR-Klinikum Düsseldorf, Kliniken der Heinrich-HeineUniversität Düsseldorf Bergische Landstr. 2 40629 Düsseldorf Tel. 0211/922-2755 Fax 0211/922-2020 eMail [email protected]

Korrekturexemplar: Veröffentlichung (auch online), Vervielfältigung oder Weitergabe nicht erlaubt! n

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Heinrich-Heine-Universität, Medizinische Fakultät, Düsseldorf

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Tab. 1 Diagnosegruppen psychischer Störungen gemäß Kapitel V ICD-10GM. Eigene Darstellung nach [14]. Diagnosecodes

Diagnostische Gruppe

14 12 10

F00-F09

Organische, einschl. symptom. psychische Störungen

8

F10-F19

Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen

6

F20-F29

Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen

4

F30-F39

Affektive Störungen

2

F40-F48

Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen

F50-F59

Verhaltensauffälligkeiten mit körperl. Störungen u. Faktoren

F60-F69

Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen

Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie

F70-F79

Intelligenzstörung

Fachärzte für Nervenheilkunde

F80-F89

Entwicklungsstörungen

Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie

F90-F98

Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend

Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie

F99

Nicht näher bezeichnete psychische Störungen

z. B. eine bessere Diagnostik, die Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen, ein zunehmendes Behandlungsbedürfnis und eine zunehmende Behandlungsbereitschaft der Betroffenen [26].

kurzgefasst Seit mehreren Jahren steigt die Inanspruchnahme von Versorgungs- und Sozialleistungen aufgrund psychischer Störungen. Aktuelle Untersuchungen zur Prävalenz zeigen, dass die Häufigkeit psychischer Störungen nicht zuzunehmen scheint. Derzeit können nur Vermutungen über die Gründe des deutlichen Anstiegs der Inanspruchnahme angestellt werden.

Wer versorgt Betroffene? ▼ In Deutschland existiert ein gut ausgebautes Versorgungsnetz bei psychischen Störungen, welches ambulante, voll- und teilstationäre kurative, rehabilitative und komplementäre Angebote umfasst (Übersicht bei [28]). Insgesamt ist in den letzten Jahren eine Steigerung der Kapazitäten in der psychiatrischen, psychotherapeutischen und psychosomatischen Versorgung zu verzeichnen. Die in psychiatrischen und psychosomatischen Fachkliniken vorgehaltenen Betten wurden – entgegen dem Trend der Deinstitutionalisierung im Rahmen der Psychiatrie-Enquete – von 2005 bis 2012 um 5 Betten pro 100 000 Einwohner aufgestockt (2005: 47,1 Betten pro 100 000 Einwohner; 2012: 52,6 Betten [40]). Die Zahl der niedergelassenen Ärzte in der psychiatrischen, psychosomatischen und psychotherapeutischen Fachversorgung stieg in den letzten Jahren ebenfalls [41] (q Abb. 2; eine Ausnahme sind die Fachärzte für Nervenheilkunde – diese Facharztgruppe ist in der Weiterbildungsordnung seit 2003 nicht mehr vorgesehen). Trotz stetig zunehmender Arztzahlen steigt die Fallzahl je Facharzt bzw. psychologischem Psychotherapeuten [1] – ein Indikator dafür, dass die Nachfrage nach psychiatrisch-psychotherapeutisch-psychosomatischer Versorgung auch über die zunehmenden Kapazitäten bisher nicht hinreichend gedeckt werden kann. Ein weiterer Indikator für den steigenden Druck in der ambulanten Versorgung findet sich im Leistungsprofil der Behandler: die beiden größten fachärztlichen Behandlergruppen – Nervenärzte und Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie – rechnen fast ausschließlich Gebührenpositionen der psychiatrischen Grundversorgung ab (Grundpauschale, Diagnostik). Diese Verfahren sind zeitlich weniger aufwendig, d. h. es können in

0 1991

1995

2000

2005

2010

2011

2012

Abb. 2 Bei den Ärztekammern registrierte Ärztinnen und Ärzte nach Gebiets- und Facharztbezeichnung je 100 000 Einwohner. Eigene Graphik nach Daten des Statistischen Bundesamtes [41].

kürzerer Zeit mehr Fälle behandelt werden. Zeitlich aufwendigere Verfahren wie z. B. die Richtlinienpsychotherapie finden bei diesen Behandlergruppen nur sehr selten statt [29]. Im stationären Bereich werden Kapazitäten durch weitere Betten und kürzere Verweildauern geschaffen. Diese sanken in psychiatrischen, psychotherapeutischen und psychosomatischen Fachabteilungen von 2000 bis 2012 im Durchschnitt um mehr als 4 Tage pro Fall (2000: 29,3 Tage; 2012: 24,9 Tage [42]), bei gleichzeitigem Anstieg der Wiederaufnahmerate [37, 47]. Neben der psychiatrisch-psychotherapeutisch-psychosomatischen Fachversorgung haben allgemeinmedizinische und somatische Fachrichtungen einen erheblichen Anteil an der Versorgung von Betroffenen mit psychischen Störungen. Hausärzte sind oft erster Ansprechpartner [9, 21, 29]. Die Mehrheit der Betroffenen befindet sich ausschließlich in allgemeinmedizinischer Behandlung [16]. Im Falle einer Depression betrifft dies knapp drei Viertel aller Betroffenen [17]. Ein besonders hoher Anteil (rein) hausärztlicher Versorgung konnte auch bei Suchterkrankungen (F1), neurotischen, Belastungs- und somatoformen Störungen sowie Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren (F5) gezeigt werden [16, 30, 45]. Im stationären Bereich belegen Auswertungen zu psychiatrischen (Entlass-) Hauptdiagnosen, dass diese zu einem nicht unerheblichen Anteil in somatischen Fachabteilungen gestellt wurden (32,4 % [31] bzw. in Abhängigkeit von der Diagnosegruppe zwischen 27 –64 % [16]). Für die beobachtete überwiegende (rein) allgemeinmedizinische Versorgung kommen mehrere Gründe in Frage. Überlange Wartezeiten bei einem Übergang in die psychiatrisch-psychosomatisch-fachärztliche oder psychotherapeutische Versorgung [8] deuten auf Zugangsbarrieren zu fachspezifischer – insbesondere psychotherapeutischer – Versorgung hin. Zudem könnten Betroffene eine allgemeinmedizinische Versorgung bevorzugen, da der Kontakt zu Allgemeinmedizinern als weniger stigmatisierend erachtet wird [34]. Des Weiteren belegen neuere Studien eine unzureichende Kooperation der Leistungserbringer. Analysen der Versorgungswege depressiv Erkrankter zeigen wenig disziplinenübergreifende Versorgung [16]. Bei weniger als einem Drittel der Betroffenen mit psychischen Störungen wird eine ambulante Weiterbehandlung beim Nervenarzt/Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie nach stationärer Entlassung eingeleitet [38]. Es erfolgt insgesamt selten eine inter-

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disziplinäre Kooperation, und wenn, dann vorwiegend in flexiblen Netzwerken ohne explizites Kooperationskonzept [43, 44]. Sektorübergreifende Versorgung wird vor allem durch die Fragmentierung des Versorgungssystems bei der Versorgung psychischer Erkrankungen erschwert. Ambulante, stationäre und rehabilitative Versorgung fußen auf unterschiedlichen gesetzlichen Grundlagen und es liegen unterschiedliche Abrechnungssysteme zugrunde, die eine vernetzte, integrierte Versorgung erschweren [35]. Mit der Einführung des neuen Entgeltsystems für Psychiatrie und Psychosomatik wurde – neben der gesetzlichen Verankerung zu Projekten zur Integrierten Versorgung (§ 140a-d, SGB V) – mit § 64b SGB eine weitere Option zur Etablierung sektorenübergreifender Versorgung gesetzlich festgeschrieben. Es wurden Modellprojekte zur Integrierten Versorgung und zum Regionalen Psychiatriebudget initiiert. Jedoch sind derartige Versorgungsmodelle noch weit von einer flächendeckenden Etablierung entfernt [35].

kurzgefasst Parallel zum Fallzahlanstieg ist auch eine Steigerung der Kapazitäten in der psychiatrisch-psychosomatisch-psychotherapeutischen Versorgung zu verzeichnen. Trotz zunehmender Kapazitäten zeichnet sich im ambulanten und im stationären Versorgungsbereich eine zunehmende Belastung ab. Ein nicht unerheblicher Anteil der Versorgung entfällt auf allgemeinmedizinische und somatische Fachrichtungen, wobei wenig koordinierte Kooperation zwischen dem allgemeinmedizinischen/somatischen und dem psychiatrisch-psychosomatisch-psychotherapeutischen Bereich stattfindet.

Herausforderungen und Perspektiven ▼ In Abhängigkeit von der Anzahl der psychiatrischen Diagnosen hatten zwischen 11–40 % der Betroffenen im letzten Jahr Kontakt zum Versorgungssystem wegen ihrer psychischen Erkrankung(en) [27]. Diese im aktuellen Deutschen Gesundheitssurvey berichteten niedrigen Behandlungsraten decken sich mit weiteren Ergebnissen aus deutschen und internationalen Studien [2, 3, 19, 25, 46]. Eine adäquate Therapie nach modernen wissenschaftlichen Kriterien erhielten nur etwa 10 % der Betroffenen [45]. Dies wird als Unterversorgung interpretiert [18, 45, 46]. Hier wäre Ursachenforschung erforderlich, warum auch in relativ gut ausgebauten Versorgungssystemen wie in Deutschland nur ein Teil der Erkrankten den Weg in die Versorgung findet. Um die „Versorgungslücke“ schließen zu können, bedarf es valider Daten aus der Versorgungsforschung und aus Befragungen von Betroffenen sowie von Institutionen des Gesundheitswesens. Erst damit lassen sich adäquate Strategien entwickeln, um möglichst vielen Betroffenen den Zugang zu adäquater Versorgung zu ermöglichen bzw. zu erleichtern. Des Weiteren zeigt sich in der Versorgung bei psychischen Störungen in Deutschland eine ausgeprägte Inanspruchnahme allgemeinmedizinischer und somatischer Versorgungsangebote. Inwieweit dies Auswirkungen auf die Qualität der Versorgung hat, ist noch unklar, da Referenzmaßstäbe fehlen [1, 28]. Es konnte zwar gezeigt werden, dass in den USA ein weitaus höherer Anteil an psychisch Erkrankten den Weg in die psychiatrische Fachversorgung wählt als in Deutschland. Explizit erwähnt wird jedoch, dass unklar ist, welches System zu den besseren Versorgungsergebnissen führt [24]. In der psychiatrisch-fachärztlichen Versorgung besteht eine höhere Chance, eine leitlinienkonforme Behandlung zu erhalten [15, 36].

Vor dem Hintergrund der spärlichen Datenlage, einhergehend mit einer stark durch Hausärzte und Allgemeinmediziner geprägten Versorgung ist es künftig unerlässlich, das Qualitätsmanagement der Versorgung psychischer Erkrankungen weiter voranzutreiben, um festzustellen, ob die Versorgungsqualität in einzelnen Bereichen optimierungsbedürftig ist. Vor allem sektorübergreifende Qualitätsindikatoren, wie sie z. B. von der DGPPN entwickelt wurden [48, 20], sind standardisierte Messinstrumente, anhand derer sich Qualität psychiatrischer Versorgung erheben lässt. Die fragmentierte Bedarfsplanung in den einzelnen Versorgungsbereichen und die Fragmentierung der Kostenträger erschweren eine sektorübergreifende Versorgungsplanung und die Etablierung kooperativer Versorgungsformen. Zudem lässt sich der Versorgungsbedarf nicht ausschließlich aus Prävalenz- oder Inanspruchnahmedaten ableiten. Die gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen wie die Einführung neuer Vergütungsstrukturen, wie aktuell mit dem neuen Entgeltsystem für Psychiatrie und Psychosomatik im stationären Bereich, können Auswirkungen auf Versorgungsangebote und die Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen haben. Befürchtet wird z. B., dass das neue stationäre Entgeltsystem Anreize zur Verweildauerverkürzung liefert, zu Lasten der Behandlungsqualität [13]. Im ambulanten Bereich wird bemängelt, dass durch unzureichende Vergütung fachärztlicher Versorgung eine leitlinienkonforme Behandlung und der notwendige Therapieumfang nicht gewährleistet werden können [13]. Des Weiteren bestehen in der Psychiatrie generell „NachwuchsProbleme“. Ein Gutachten der Deutschen Krankenhausgesellschaft aus dem Jahr 2010 zeigte, dass etwa 7 % aller Arztstellen in psychiatrischen Krankenhäusern unbesetzt sind – in Allgemeinkrankenhäusern sind es nur 4 % [7]. Derartige Nachwuchs-Probleme sind vor allem hinsichtlich der zunehmenden Belastung der fachärztlichen Versorgung im Bereich Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik eine zunehmende Herausforderung für die Versorgungsplanung, denen entgegengesteuert werden muss [18]. Die aufgezeigte geringe disziplinenübergreifende und koordinierte Kooperation bei der Versorgung psychischer Erkrankungen erscheint vor allem vor dem Hintergrund der hohen somatischen Komorbidität problematisch. Die faktisch hohe Relevanz belegen aktuelle Auswertungen zum Vorliegen somatischer Komorbidität bei psychisch erkrankten Versicherten mit Kontakt zum Versorgungssystem [16]. Gut belegt ist ebenfalls, dass somatisch Erkrankte ein erhöhtes Risiko für komorbide psychische Störungen aufweisen [12, 22, 23, 32]. Das gleichzeitige Vorliegen psychischer und somatischer Erkrankungen erhöht Morbidität und Mortalität, erhöht Versorgungskosten signifikant und verschlechtert die Lebensqualität der Betroffenen (Übersicht bei [6]). Hier bedarf es einer guten Kooperation des allgemeinmedizinisch-somatischen mit dem psychiatrisch-psychosomatisch-psychotherapeutischen Versorgungsbereich.

Konsequenz für Klinik und Praxis 3Psychische Erkrankungen sind häufig, werden jedoch oft nicht erkannt oder nicht adäquat behandelt. 3Spezielle Fortbildungsmaßnahmen für den hausärztlichen Versorgungsbereich sind empfehlenswert (z. B. die Einführung eines Moduls „Psychiatrische Grundversorgung“). 3Kooperative, sektoren- und disziplinenübergreifende Versorgungsmodelle sollten entwickelt und in Modellversuchen erprobt werden. 3Es bedarf valider Daten aus der psychiatrischen Versorgungsforschung, um den Versorgungsbedarf besser abschätzen und eine am Bedarf orientierte Versorgungsplanung gestalten zu können.

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Autorenerklärung: Die Autoren erklären, dass sie keine finanzielle Verbindung mit einer Firma haben, deren Produkt in diesem Beitrag eine Rolle spielt (oder mit einer Firma, die ein Konkurrenzprodukt vertreibt). Literatur 1 Albrecht M, Fürstenberg T, Gottberg A. Strukturen und Finanzierung der neurologischen und psychiatrischen Versorgung. Berlin, IGES Institut 2007 2 Alonso J, Angermeyer MC, Bernert S et al. Use of mental health services in Europe: results from the European Study of the Epidemiology of Mental Disorders (ESEMeD) project. Acta Psychiatr Scand 2004; 109: 47–54 3 Andrews G, Henderson S, Hall W. Prevalence, comorbidity, disability and service utilisation. Br J Psychiatry 2001; 178: 145–153 4 Barmer GEK. Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse: Barmer GEK Report Krankenhaus 2013. Berlin, 2013 5 Barmer-GEK. Barmer GEK-Arztreport 2011. http://www.barmergek.de/barmer/web/Portale/Versicherte/Komponenten/gemeinsame__PDF__Dokumente/Reports/Arztreport-2011-PDF,property=Data.pdf (letzter Zugriff: 9.4.2014) 6 Baumeister H, Härter M. Auswirkungen komorbider psychischer Störungen bei chronischen körperlichen Erkrankungen. Z Med Psychol 2005; 14: 175–189 7 Blum K, Löffert S. Ärztemangel im Krankenhaus. Ausmaß, Ursachen, Gegenmaßnahmen. Forschungsgutachten im Auftrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Düsseldorf, 2010 8 Bundespsychotherapeutenkammer. BPtK-Studie zu Wartezeiten in der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung. Berlin, 2011; www.bptk.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/BPtK-Studien/belastung_moderne_arbeitswelt/Wartezeiten_in_der_Psychotherapie /20110622_BPtK-Studie_Langfassung_Wartezeiten-in-der-Psychotherapie.pdf (letzter Zugriff: 9.4.2014) 9 Cibis A, Bramesfeld A, Blume A et al. Optimierte Versorgung depressiv Erkrankter. Bundesgesundheitsbl Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz 2008; 51: 430–435 10 DAK Gesundheit. DAK Gesundheitsreport 2013. Hamburg, 2013 11 Dannenberg A, Hofmann J, Kaldybajewa K et al. Rentenzugang 2009: Weiterer Anstieg der Zugänge in Erwerbsminderungsrenten wegen psychischer Erkrankungen. RV aktuell 2009; 9: 283–293 12 De Hert M, Detraux J, Vancampfort D et al. Severe mental illness and diabetes mellitus Type 2. Psychiatrie 2012; 3: 159–154 13 DGPPN. Psychisch erkrankt: gesundheitspolitische Anforderungen an eine bedarfsgerechte Behandlung im richtigen Umfeld. Positionspapier Nr. 7, 24.06.2013 14 DIMDI. Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme10. Revision. German Modification. Version 2013. Kapitel 5: Psychische und Verhaltensstörungen. www.dimdi.de/static/de/klassi/icd-10-gm/kodesuche/onlinefassungen/htmlgm2013/index.htm#V (letzter Zugriff 9.4.2014) 15 Fernandéz A, Haro J, Martinez-Alonso K et al. Treatment adequacy for anxiety and depressive disorders in six European countries. Br J Psychiatry 2007; 190: 172–173 16 Gaebel W, Kowitz S, Fritze J et al. Use of health care services by people with mental illness – secondary data from three statutory health insurers and the German statutory pension insurance scheme. Dtsch Arztebl Int 2013; 110: 799–808 17 Gaebel W, Kowitz S, Zielasek J. The DGPPN research project on mental healthcare utilization in Germany: inpatient and outpatient treatment of persons with depression by different disciplines. Eur Arch Psychiatr Clin Neurosci 2012; 262: 51–55 18 Gaebel W, Zielasek J. Psychiatry in Germany 2012. Int Rev Psychiatry 2012; 24: 371–378 19 Grabe HJ, Alte D, Adam C et al. Seelische Belastung und Inanspruchnahme psychiatrischer und psychotherapeutischer Versorgung. Psychiat Prax 2005; 32: 299–303 20 Großimlinghaus I, Falkai P, Gaebel W et al. Entwicklungsprozess der DGPPN-Qualitätsindikatoren. Nervenarzt 2013; 84: 350–365 21 Harfst T, Marstedt G. Bertelsmann-Stiftung: Gesundheitsmonitor 2009. Psychische Gesundheit in Deutschland: Erkrankungen bleiben oft unentdeckt. www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xbcr/SID-5628213981979E47/bst/Gesundheitsmonitor_Newsletter_2009-01.pdf (Letzter Zugriff 9.4.2014) 22 Härter M, Baumeister H, Reuter K et al. Increased 12-month prevalence rates of mental disorders in patients with chronic somatic diseases. Psychother Psychosom 2007; 76: 354–360 23 Hassan A, Wobrock T, Falkai P. Somatische Komorbidität bei Schizophrenie. Psychiatrie 2012; 3: 152–158 24 Häussler B, Sturm R, Rehberg W et al. Psychiatric outpatient care in Germany and the United States. Psychiatric Services 2002; 53: 1373

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[Mental healthcare in Germany--current situation and perspectives].

For several years, there has been a significant increase of the utilization of health care due to mental disorders in Germany. Epidemiologic studies d...
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