Kurze Originalarbeit

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Psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz aus Sicht von Unternehmensmitarbeitern

Autoren

Johannes Hamann, Rosmarie Mendel, Werner Kissling

Institut

Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Technische Universität München

Schlüsselwörter

Zusammenfassung

" psychische Gesundheit ● " Arbeitsplatz ● " Burnout ●

Keywords

" mental health ● " workplace ● " burnout ●

!

Ziel der Studie: Einstellung von Unternehmensmitarbeitern mit Personalverantwortung zum Thema psychische Erkrankungen. Methodik: Querschnittsbefragung von 348 Personen. Ergebnisse: Mitarbeiter werden als psychisch belastet angesehen, 14 % als psychisch krank einge-

schätzt, wobei es in den letzten Jahren zu einer Zunahme gekommen sei. Es erfolge kein offener Umgang mit psychischen Erkrankungen und Betroffene würden häufig diskriminiert. Schlussfolgerung: Entsprechende Schulungsprogramme, v. a. für Führungskräfte, und andere Maßnahmen zur Integration von Mitarbeitern mit psychischen Erkrankungen sind notwendig.

▶ Einschätzung, wie stark die Mitarbeiter des

Einleitung !

Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen haben in den vergangenen 10 Jahren um 60 – 80 % zugenommen [1]. Gleichzeitig ist das mediale Interesse an möglicherweise arbeitsassoziierten Erkrankungen („Burnout“) massiv gestiegen [2]. In jedem Fall handelt es sich um ein zunehmendes Problem, dem bisher nur unzureichend begegnet wird [3].





Methodik !

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0033-1349524 Psychiat Prax 2013; 40: 447–449 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0303-4259 Korrespondenzadresse PD Dr. Johannes Hamann Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Technische Universität München Möhlstraße 26 81675 München [email protected]

Im Rahmen einer Großveranstaltung „Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz“, die im Herbst 2010 in Berlin stattfand, wurden Mitarbeiter deutscher Unternehmen, die im Rahmen ihrer Tätigkeit mit psychisch kranken Mitarbeitern zu tun haben (v. a. Mitarbeiter von Personalabteilungen, Führungskräfte, Betriebsräte etc.), befragt. Eingeladen waren die 500 größten deutschen Unternehmen und Behörden, der Verband deutscher Betriebsund Werksärzte, die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände sowie die Gewerkschaften. Die Teilnehmer machten in einem Fragebogen Angaben zu den folgenden Bereichen: ▶ Angaben zur eigenen Person (Alter, Geschlecht, Branche, aktuelle Tätigkeit)



▶ ▶

Unternehmens psychisch belastet sind (von 0 = gar nicht belastet bis 4 = sehr belastet) und wie viele an einer psychischen Erkrankung leiden (in %) Einschätzung, wie sich die Zahl der psychisch kranken Mitarbeiter in den letzten 10 Jahren entwickelt hat (1 = stark zurückgegangen bis 5 = stark zugenommen) Angaben dazu, ob der Befragte im Falle einer eigenen psychischen Erkrankung mit seinen Vorgesetzten sprechen würde und ob er eine neutrale (Hausarzt) oder eine vom Psychiater ausgestellte AU-Bescheinigung vorziehen würde Einschätzung, ob körperlich oder psychisch erkrankte Mitarbeiter am Arbeitsplatz offener über ihre Erkrankung sprechen können und wie viele Mitarbeiter aufgrund einer psychischen Erkrankung am Arbeitsplatz diskriminiert werden (in %) Angaben zu möglichen Maßnahmen, die Unternehmen zum Thema „psychische Gesundheit am Arbeitsplatz“ anbieten können Einschätzung, wie gut die Führungskräfte im jeweiligen Unternehmen auf den Umgang mit psychisch kranken Mitarbeitern vorbereitet sind (0 = sehr schlecht bis 4 = sehr gut)

Hamann J et al. Psychische Erkrankungen am … Psychiat Prax 2013; 40: 447–449

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Mental Health at the Workplace – the View of Companies

Kurze Originalarbeit

Tab. 1

Einschätzung der psychischen Belastung von Mitarbeitern aus Sicht von Personalern, Führungskräften und Betriebsräten.

Personaler

Führungskräfte

Betriebsräte

(n = 101)

(n = 73)

(n = 115)

Wie stark sind Ihrer Meinung nach die Mitarbeiter Ihres Unternehmens am Arbeitsplatz psychisch belastet? Wie viel Prozent der Mitarbeiter in Ihrem Unternehmen leiden Ihrer Ansicht nach an einer psychischen Erkrankung?

(ANOVA)

2,7 ( 0,7)

2,6 ( 0,7)

3,0 ( 0,8)

< 0,001

12,5 (13,0)

10,0 (13,1)

16,3 (16,6)

0,02

4,1 ( 0,6)

4,0 ( 0,6)

4,3 ( 0,5)

< 0,001

38,2 (31,2)

31,2 (27,1)

38,9 (27,3)

0,25

Wie hat sich in den letzten 10 Jahren Ihrer Meinung nach die Zahl der psychisch kranken Mitarbeiter in Ihrem Unternehmen entwickelt? Bei wie viel Prozent Ihrer psychisch kranken Mitarbeiter – glauben Sie – war die Arbeitssituation der Hauptauslöser Ihrer Erkrankung?

p-Wert

dargestellt sind Mittelwerte und Standardabweichungen (SD)

Statistische Auswertung Basisdaten werden mittels deskriptiver Statistiken dargestellt. Die Angaben von Mitarbeitern der Personalabteilungen, Führungskräften sowie von Betriebsräten werden mittels ANOVAs verglichen.

Tab. 2 Mögliche Maßnahmen zur Verbesserung des Umgangs mit psychischen Erkrankungen.

mögliche Maßnahmen zur Verbesserung

geeignet

des Umgangs mit psychischen

bereits durchgeführt

Erkrankungen

Ergebnisse !

N = 348 Personen (davon 214 Frauen [62 %], Alter M = 47,9 Jahre; SD = 9,0) beantworteten den Fragebogen. 101 Personen (29 %) arbeiteten in Personalabteilungen, 73 (21 %) waren Führungskräfte, 19 Betriebsärzte (6 %) und 115 (33 %) waren Angehörige von Betriebsrat oder Schwerbehindertenvertretung (40 sonstige). Die meisten Teilnehmer kamen aus dem öffentlichen Dienst (36 %), dem Dienstleistungssektor (13 %), der Industrie (13 %) sowie dem Kreditwesen (11 %).

Einschätzung der psychischen Belastung von Mitarbeitern Unternehmensmitarbeiter werden als eher psychisch belastet eingeschätzt (M = 2,8; SD = 0,7). Etwa 14 % (SD = 14,8) der Mitarbeiter litten an einer psychischen Erkrankung. Diese Anzahl sei in den letzten 10 Jahren gestiegen (M = 4,2; SD = 0,6). In 37 % (SD = 28,7) der Fälle seien die Arbeitsbedingungen Hauptauslöser für die psychische Erkrankung. Betriebsräte kamen dabei insgesamt zu schwerwiegenderen Ein" Tab. 1). schätzungen, als Personaler oder Führungskräfte (●

Angaben zum innerbetrieblichen „Klima“ beim Thema psychische Erkrankungen 196 Teilnehmer (57 %) würden im Falle einer eigenen psychischen Erkrankung eine neutrale AU-Bescheinigung vom Hausarzt vorziehen (18 % vom Psychiater, 25 % egal), 192 (57 %) würden mit ihrem Vorgesetzten nicht über die psychische Erkrankung sprechen. 289 der Befragten (84 %) gaben an, dass Mitarbeiter über körperliche Erkrankungen offener sprechen könnten, als über psychische Erkrankungen. Etwa 25 % (SD = 29,5) der psychisch kranken Mitarbeiter würden aufgrund ihrer Erkrankung von Vorgesetzten oder Kollegen diskriminiert.

Kompetenz der Führungskräfte und Maßnahmen vonseiten der Unternehmen Die Führungsebene der Unternehmen sei auf den Umgang mit psychisch kranken Mitarbeitern schlecht vorbereitet (M = 1,19).

Hamann J et al. Psychische Erkrankungen am … Psychiat Prax 2013; 40: 447–449

Gesundheitstage bzw. Aufklärungskampagnen zum Thema „Psychische Gesundheit“

300 (90 %)

98 (28 %)

Gefährdungsbeurteilung „Psychische Belastung“

268 (83 %)

51 (15 %)

Gesundheitszirkel

223 (73 %)

92 (27 %)

Sozialberatung

254 (83 %)

122 (35 %)

Sport-/Fitnessangebote

253 (84 %)

198 (58 %)

Spezialseminare (z. B. Burn-out, Stressmanagement …)

306 (94 %)

107 (31 %)

Seminar „Gesundes Führen“

309 (95 %)

59 (17 %)

Führungskräfteseminar „Umgang mit psychisch belasteten/erkrankten Mitarbeitern“

317 (95 %)

40 (12 %)

Mögliche Maßnahmen zur Verbesserung des Umgangs mit psychisch kranken Mitarbeitern und der meist geringe Grad deren " Tab. 2 dargestellt. Umsetzung sind in ●

Diskussion !

Unternehmensmitarbeiter sehen psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz in den letzten Jahren zunehmend als ein Problem an. Mitarbeiter werden als belastet eingeschätzt, die Zahl der Betroffenen habe zugenommen und die Unternehmen seien eher schlecht auf diese Problematik vorbereitet. Die Einschätzung, wonach es in den letzten Jahren zu einer Zunahme psychisch kranker Mitarbeiter gekommen sei, deckt sich gut mit den entsprechenden Auswertungen der Ursachen von Fehltagen (z. B. [1]). Epidemiologische Untersuchungen konnten jedoch keine eindeutige Zunahme psychischer Störungen feststellen [4]. Eine vermehrte Aufmerksamkeit gegenüber psychischen Erkrankungen oder die erhöhte Bereitschaft von Mitarbeitern, ihre Diagnose zu nennen, sind mögliche Erklärungen für die wahrgenommene Zunahme psychischer Erkrankungen in der Arbeitswelt [5]. Eine weitere Erklärung könnten geänderte Arbeitsbedingungen sein. Arbeitsverdichtung, Zeitdruck, ständige Erreichbarkeit der Mitarbeiter, engmaschigere Leistungskontrollen und Angst vor Arbeitsplatzverlust werden hier immer wieder genannt [6].

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Abstract

Mental Health at the Workplace – the View of Companies !

Objective: To assess the views of employees (human resource, works council, supervisors, and executives) of German business companies and administrations toward the issue of mental health at the workplace. Methods: Cross sectional survey of N = 348 employees with staff responsibility. Results: Employees of German companies see their colleagues as moderately mentally stressed. About 14 % of all employees are judged to suffer from a mental disease. These numbers have risen in recent years. About 37 % of all mental illnesses are seen as caused by work conditions. The handling of mental illness at the workplace is seen as insufficient and in many cases stigmatizing. Conclusion: At least subjectively the issue of mental illness in the workplace has gained in importance in recent years. Possible interventions should especially address executives and supervisors.

Literatur

Limitationen Die untersuchte Stichprobe ist nicht repräsentativ für deutsche Wirtschaftsunternehmen. Möglicherweise wurden vermehrt Personen befragt, die bereits ein ausgeprägtes Bewusstsein für die Problematik hatten bzw. die von psychisch kranken Mitarbeitern besonders betroffen sind.

Schlussfolgerung Mindestens subjektiv hat das Thema psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz bei Unternehmen in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Vermehrte Schulungsmaßnahmen, vor allem für Führungskräfte, könnten den Umgang mit psychisch kranken Mitarbeitern verbessern.

Konsequenzen für Klinik und Praxis

▶ Unternehmensmitarbeiter und Psychiater sehen psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz als ein zunehmendes Problem an. ▶ Vor allem der Umgang (z. B. Offenheit, mögliche Diskriminierung) mit psychisch kranken Mitarbeitern scheint verbesserungsbedürftig. ▶ In diesem Zusammenhang besteht offenbar ein Bedarf an speziellen Schulungsprogrammen, vor allem für Führungskräfte.

1 Badura B, Ducki A, Schröder H, Klose J, Macco K. Fehlzeiten-Report 2011. Berlin: Wissenschaftliches Institut der AOK; 2011 2 Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde. Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) zum Thema Burnout. Berlin: DGPPN; 2012 3 Dietrich S, Mergl R, Rummel-Kluge C et al. Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt aus der Sicht von Betriebs- und Werksärzten. Psychiat Prax 2012; 39: 40 – 42 4 Richter D, Berger K, Reker T. Nehmen psychische Störungen zu? Eine systematische Literaturübersicht. Psychiat Prax 2008; 35: 321 – 330 5 Riedel-Heller SG, Matschinger H, Angermeyer MC. Mental disorders – who and what might help? Help-seeking and treatment preferences of the lay public. Soc Psychiatry Psychiatr Epidemiol 2005; 40: 167 – 174 6 Riedel-Heller SG, Luppa M, Seidler A et al. Psychische Gesundheit und Arbeit. Nervenarzt 2013; 84: 832 – 837 7 Schomerus G, Matschinger H, Kenzin D et al. Public attitudes towards mental patients: a comparison between Novosibirsk, Bratislava and German cities. Eur Psychiatry 2006; 21: 436 – 441 8 Mendel R, Hamann J, Kissling W. Vom Tabu zum Kostenfaktor – warum die Psyche plötzlich ein Thema für Unternehmen ist. Wirtschaftspsychologie aktuell 2010; 2: 23 – 27 9 Ulich E. Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz, in Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz in Deutschland (2008). Im Internet: http://www. bdp-verband.org/aktuell/2008/bericht/BDP-Gesundheitsbericht-2008. pdf (Stand: 09.08.2013)

Interessenkonflikt !

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Hamann J et al. Psychische Erkrankungen am … Psychiat Prax 2013; 40: 447–449

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Die befragten Führungskräfte und Personaler würden eher zurückhaltend über eine eigene psychische Erkrankung Auskunft geben. Damit spiegeln sich gesellschaftliche Vorbehalte (z. B. [7]) offenbar auch in der Arbeitswelt wider, indem die Angst vor einer möglichen Ausgrenzung oder Benachteiligung dazu führt, dass in der Arbeit nicht offen über psychische Erkrankungen gesprochen wird. Unternehmen werden als schlecht vorbereitet auf den Umgang mit psychisch kranken Mitarbeitern angesehen. Hier besteht möglicherweise Nachholbedarf z. B. an Schulungen, in denen das frühzeitige Erkennen psychischer Belastungen, die Gesprächsführung über dieses heikle Thema und die Wiedereingliederung Erkrankter Thema sein könnten [8]. Zudem könnte in solchen Seminaren auch der Zusammenhang zwischen Führungsstil/Unternehmenskultur und Gesundheit der Mitarbeiter angesprochen werden [6, 9]. Dass Betriebsräte Mitarbeiter als belasteter ansehen als Personaler oder Führungskräfte, ist möglicherweise damit erklärbar, dass psychisch kranke Mitarbeiter gegenüber dem Betriebsrat offener mit ihren Erkrankungen umgehen, als gegenüber der Personalabteilung oder den Vorgesetzten, aber auch damit, dass Betriebsräte überproportional von belasteten Mitarbeitern konsultiert werden.

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[Mental health at the workplace - the view of companies].

To assess the views of employees (human resource, works council, supervisors, and executives) of German business companies and administrations toward ...
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