Kasuistiken Urologe 2016 · 55:68–70 DOI 10.1007/s00120-015-3953-6 Online publiziert: 12. September 2015 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015

J. Wöllner1 · J. Janzen2 · J. Pannek1 1 Neuro-Urologie, Schweizer Paraplegiker Zentrum, Nottwil 2 Praxis für Histopathologie, Bern

Melanose der Harnblase Die Melanosis der Harnblase stellt eine Rarität dar. In der Literatur sind nur wenige Fälle beschrieben. Wir berichten über eine im Rahmen einer Routineabklärung diagnostizierte derartige Veränderung bei einer asymptomatischen 80-jährigen Patientin. Zur Diagnosesicherung sollte eine bioptische Entnahme zur histologischen Abklärung durchgeführt werden, um einen malignen Prozess (z. B. Melanom) auszuschließen. Wir berichten über diese seltene Erkrankung der Harnblase.

batorische Therapie mit Trospiumchlorid brachte keine Besserung und musste aufgrund unerwünschter Nebenwirkungen (Mundtrockenheit, Obstipation) wieder abgesetzt werden.

Klinischer Befund Die Patientin präsentierte sich in einem eingeschränkten Allgemeinzustand, unauffällige körperliche Untersuchung und sonographisch unauffälliger oberer Harntrakt. Die Blase stellte sich sonographisch

unauffällig dar, jedoch bestand eine signifikante Restharnbildung von 280 ml. Die zwischenzeitlich durchgeführte Fremdkatheterisierung zur Reduktion des Restharns brachte keine wesentliche Besserung der Beschwerden.

Diagnostik Aufgrund der Blasenfunktionsstörung mit subjektiv belastender Drangsymptomatik, Dranginkontinenz und Restharnbildung erfolgte bei Therapiewunsch

Falldarstellung Anamnese Die Erstvorstellung der 80-jährigen Patientin erfolgte im Oktober 2014 zur Diagnostik und Therapie einer neurogenen Blasenfunktionsstörung. Die Patientin leidet seit Jahren an einer spastischen hereditären Spinalparalyse. Im häuslichen Umfeld kann die Patientin einige Schritte an Unterarmgehstützen laufen, ansonsten ist die Patientin auf den Rollstuhl angewiesen. Eine arterielle Hypertonie wird mit einem ACE-Hemmer („angiotensin-converting enzyme“) und einem Diuretikum behandelt. Ansonsten liegen keine anderen relevanten Vorerkrankungen oder Therapien vor. An abdominellen Vor­ operationen ist eine offene Hysterektomie mit Ovarektomie vor 10 Jahren bekannt. Die Vorstellung erfolgte bei Drangsymptomatik und Dranginkontinenz, die tägliche Miktionsfrequenz betrug 4- bis 6-mal und 3- bis 4-malige Nykturie. Es lagen keine rezidivierenden Harnwegsinfekte, keine Makrohämaturie, kein Restharngefühl, keine urologischen Voroperationen oder Vorerkrankungen vor. Aktuell bestand keine blasenrelevante Medikation. Eine auswärts durchgeführte pro-

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Abb. 1 8 In der Zystoskopie zeigt sich eine trabekulierte Blase mit flächigen und konfluierenden schwarzen Verfärbungen. Nebenbefundlich zeigt sich eine deutliche Trabekulierung bei neurogener Detrusorüberaktivität

Abb. 2 9 In der histologischen Aufarbeitung zeigen sich urotheliale und suburotheliale Melanosis mit Dominaz im Suburothel. Die Deckschicht war intakt, Nachweis vermehrter Makrophagen

die videourodynamische Untersuchung. Hier zeigte sich eine neurogene Blasenfunktionsstörung mit Detrusorüberaktivität und inkompletter Blasenentleerung mit Restharn von 360 ml. Da der Patientin aufgrund des Allgemeinzustands und der Spinalparalyse der intermittierende Selbstkatheterismus nicht möglich war, planten wir die Einlage einer suprapubischen Zystostomie. Als Vorbereitung erfolgte zum Ausschluss einer morphologischen Ursache des Restharns eine Zystoskopie. Hierbei zeigte sich eine trabekulierte Blase mit flächigen, z. T. punktförmigen schwarzen Verfärbungen der Blasenschleimhaut in allen Bereichen der Blase (. Abb. 1). In der entnommenen Blasenspülzytologie zeigten sich vereinzelte melaninspeichernde Zellen, freies Pigment und Zeichen der chronischen Zystitis.

Therapie und Verlauf Aufgrund der beschriebenen makroskopischen Veränderungen der Blasenschleimhaut erfolgte zur histologischen Abklärung eine transurethrale Resektionsbiopsie an der Hinter- und Seitenwand der Blase.

Histopathologie In der histologischen Aufarbeitung zeigte sich in allen übersandten Proben eine Melanosis mit Dominanz im suburothelialen Gewebe. Das Urothel war stellenweise hyperplastisch angelegt, die Deckzellschicht war intakt. Im suburothelialen Gewebe fielen geringfügig vermehrte Makrophagen auf (. Abb. 2). Immunhistochemisch wurde die Präsenz von Melanozyten ausgeschlossen (HMB45-, MelanAund S100-Negativität). Das Pigment war diffus im Zytoplasma und intraurothelial lokalisiert. Die PAS-Reaktion („periodic acid-Schiff “) und auch die Berliner-BlauFärbung waren negativ. Histopathologisch wurden sowohl ein uroheliales Neoplasma als auch ein malignes Melanom ausgeschlossen. Die Patientin erhielt eine antimuskarinerge Therapie mit Fesoterodine 8 mg und eine suprapubische Zystostomie. Hierunter ist sie kontinent und die Drangsymptomatik ist suffzient behandelt.

Diskussion Die suburotheliale Melanosis vesica urinaria stellt eine absolute Rarität dar. Aufgrund des makroskopischen Befunds war eine Dignitätsbeurteilung nicht sicher möglich, so dass durch Resektionsbiopsie

und anschließender histologischer Analyse die Diagnose gestellt werden konnte (. Abb. 1). In der Literatur sind weniger als 10 Fälle mit isolierter Melanose der Blase publiziert [3, 5, 6, 7, 8]. In den meisten Fällen zeigte sich die Melanosis als Zufallsbefund im Rahmen der Abklärung von Blasenfunktionsstörungen und Drangsymptomen. Wesentlich ist ein Ausschluss eines malignen Geschehens. Daher erfolgte in allen Fällen eine Resektionsbiopsie mit his­tologischer Aufarbeitung. Zumeist handelt es ich um eine benigne Einlagerung von Melanin im Urothel respektive suburothelial ohne malignes Potential [5]. In einem Fall zeigte sich neben der Melanosis ein Urothelkarzinom des oberen Harntraktes [4]. In einem Fall mit Langzeitverlauf erfolgten nach der Primärdiagnose im Verlauf mehrfache Biopsien, wobei hier keine Malignität nachgewiesen werden konnte. Aufgrund einer therapierefraktären Detrusorüberaktivität und der Blasenmelanose erfolgte die Zys­ tektomie mit orthotoper Ileumblase. In der endgültigen Histologie zeigte sich eine Plattenepithelmetaplasie und intestinale Metaplasie der Blase [3]. Differentialdiagnostisch ist insbesondere das maligne Melanom auszuschließen. Auch dieses kann sich in seltenen Fällen als PriDer Urologe 1 · 2016 

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Zusammenfassung · Abstract märtumor oder als Metastase in der Blase manifestieren [10]. Die Differentialdiagnose impliziert eine histologische Aufarbeitung, um hier definitiv ein Malignom bzw. atypische Melanozyten/Melanophagen auszuschließen [1]. Auch bei der Lipofuszinose, Pseudomelanose oder Hämosiderose können bräunliche Pigmente in der Harnblasenschleimhaut auftreten [9]. Das Lipofuszin (Alterspigment) ist jedoch kleiner und meistens perinukleär lokalisiert sowie PAS-positiv. Hämosiderin lässt sich mit der Berliner-Blau-Färbung nachweisen. Die Lipofuszinose wurde bei einer chronischen interstitiellen Zystitis nach Ciprofloxacin-Einnahme beschrieben [9]. Das maligne Melanom der Blase hat eine extrem schlechte Prognose und hohe Mortalitätsrate [10]. Die Genese der urothelialen Melanose ist unklar, zudem besteht auch Uneinigkeit über das Nachsorgeprotokoll. Die meisten Autoren empfehlen auch bei benigner urothelialer Melanose eine jährliche Zystoskopie. Sollten sich Veränderungen der Melanose zeigen, ist eine erneute Biopsie indiziert [5]. Inwieweit die Symptomatik (Drang, Inkontinenz) mit der histologischen Veränderung in Zusammenhang steht, kann nicht abschließend geklärt werden. Jedoch haben alle Patienten eine Blasenfunktionsstörung angegeben, die zur Diagnose geführt hat [2, 3, 5]. Möglicherweise führen die suburothelialen Melanineinlagerung zu einer lokalen Entzündungsreaktion mit Mastzelldegranulation, was über Reizung der suburothelialen Nervenfasern zu einer vermehrten Aktivierung der afferenten Fasern führt und sich in der Drangsymptomatik äußert. Diese These unterstützt auch die Anwesenheit von Mastzellinfiltraten in unseren Präparaten. Aufgrund der seltenen Entität und unklarer Leitlinien bezüglich Diagnostik und Therapie ist eine regelmäßige Nachsorge mit Zystoskopie und Blasenspülzytologie indiziert.

Fazit für die Praxis Die Melanose der Blase stellt eine Rarität dar. Eine histologische Abklärung ist insbesondere zum Ausschluss eines malignen Melanoms indiziert.

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Korrespondenzadresse Dr. J. Wöllner Neuro-Urologie, Schweizer Paraplegiker Zentrum Guido A. Zäch Straße 1, CH-6207 Nottwil Schweiz [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  J. Wöllner, J. Janzen und J. Pannek geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

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Urologe 2016 · 55:68–70 DOI 10.1007/s00120-015-3953-6 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 J. Wöllner · J. Janzen · J. Pannek

Melanose der Harnblase

Zusammenfassung Die urotheliale Melanose der Blase stellt eine Rarität dar. In der Literatur sind weniger als 10 Fälle beschrieben. Wir berichten über eine 80-jährige Patientin mit neurogener Blasenfunktionsstörung, bei der sich im Rahmen der Duagnostik eine histologisch gesicherte benigne Melanose des Urothels ergab. Differentialdiagnostisch ist eine maligne Erkrankung im Sinne eines malignen Melanoms auszuschließen. Bei zystoskopischem Verdacht auf eine Melanose sollte in jedem Fall eine Biopsie erfolgen. Regelmäßige zystoskopische Kontrollen sind zu empfehlen. Schlüsselwörter Melanose, suburotheliale · Blasenfunktionsstörung, neurogene · Zystoskopie · Biopsie · Drangsymptomatik

Melanosis of the urinary bladder Abstract Melanosis of the bladder is rare. Only 10 cases have been described in the literature. We present the case of an 80-year-old woman with neurogenic lower urinary tract dysfunction due to spinal paralysis. During the diagnostic work-up which included cystoscopy, black spots in the bladder wall were observed. Histopathological evaluation revealed a benign suburothelial melanosis. Thus, with cystoscopic suspicion of a malignancy (melanoma), a biopsy is mandatory and regular cystoscopic follow-up is recommended. Keywords Suburothelial melanosis · Neurogenic lower urinary tract function · Cystoscopy · Biopsy · Urinary incontinence, urge

[Melanosis of the urinary bladder].

Melanosis of the bladder is rare. Only 10 cases have been described in the literature. We present the case of an 80-year-old woman with neurogenic low...
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