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Teil VI Allgemeine Themen aus Gyniikologie und Geburtshilfe

a) Medizin und Recht

Festvortrag: Medizin und Recht M. Kohlhaas, Eppingen Wer das Programm liest, wird entsetzt darfiber sein, dab ffir eine halbe Stunde ein Thema ,,Medizin und Recht" angesetzt wird. Ein Thema, das so vMschichtig ist und fiber das so viel geschrieben worden ist, dab man das einfach nicht in einem Vortrag, geschweige denn in einem kurzen Vortrag behandeln kann. Weshalb ich dieses vermessene Thema gew/ihlt babe oder besser w/ihlen mul3te, ergibt sich aus der Korrespondenz, die ich mit Herrn Prof. Dr. Thomsen vor Jahresfrist geffihrt habe. Man konnte vor mehr als einem Jahr noch gar nicht wissen, was an aktuellen Themen auf uns zukommt. Wenn ich mir vorstelle, dab damals, in unserem vorangegangenen Schriftwechsel, der w 218 eine grof3e Rolle spielte und mit dem eng zusammenh~ingend nat/irlich die Pille nachher und empf/ingnisverhfitende Maf3nahmen, im gewissen Sinne auch die Sterilisation, so zeigt sich ganz deutlich, dab ein festes Thema gar nicht gew/ihlt werden konnte. Sie w/irden vermutlich sehr ver/irgert sein, wenn ich Ihnen nun hier das allmfihlich doch reichlich abgedroschene Thema des w 218 des Strafgesetzbuches vorsetzen wfirde, so sehr es vor einem Jahr auf den N~igeln gebrannt hat. Natfirlich brennt es im gewissen Sinne auch heute noch auf den N~igeln und mag im Podiumsgespr~ich noch eine Rolle spielen. Ffir einen Festvortrag abet paBt es nicht mehr. Ich habe daher letztlich, auf eigene Verantwortung, zwei Schwerpunkte gewfihlt, fiber die ich hier sprechen will. Es ist die leidige AufkHirungspflicht, mit der dann letzten Endes die sehr aktuelle, neue Frage, nach dem Recht des Patienten auf seinen eigenen Tod eng verbunden ist.

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Aber diese neue aktuelle Frage, die so viel durch die Publizistik geistert, kann man eben gerade nicht, ohne die altausgetragene Frage nach der Aufkl~irung, bejahen oder verneinen. Die Problematik fiber die ~irztliche Aufkl~irungspflicht ist, soweit ich zurfickblikke, erstmals so um 1955 in besonderer Sch/irfe aufgeflammt, als der Bundesgerichtshof begann, seine Rechtsprechung etwas zu konsolidieren. Er ist ja bekanntlich erst 1950 in personell schwacher Besetzung gegr/indet worden und hatte sehr viel aufzuarbeiten. Es waren vor allem, wie ich mich an die ersten Streitgespr/iche entsinne, an denen ich aktiv mitgewirkt habe, die Gyn/ikologen, die ganz besondere Besorgnis hatten. In Wirklichkeit waren all die F/ille, die der BGH entschieden hatte, in denen er eine Aufkl~irung postulierte, richtig entschieden. Es handelte sich durchweg um F/ille, in denen man ohne Not, weil der Eingriff nicht dringlich war, well drohende Folgen auger Verh~iltnis zu dem therapeutischen Erfolg standen und/ihnliches mehr, ohne weiteres h/itte aufkl~iren k6nnen. Da aber der BGH immer, nicht einmal mit Unrecht dazu geneigt hat, bestimmte Leits~itze voranzustellen, entwickelte sich ein Falschbild, als ob gewissermaBen eine schrankenlose Aufkl/irung gefordert werde, was, wie ich schon sagte, neben den Strahlen~irzten, vor ahem die Gyn/ikologen tief bestfirzte. Es wurde nicht mit Unrecht darauf hingewiesen, daB diese abstrakt im Raume stehenden S~itze dazu ffihren, daB der Arzt den Patienten seelisch geradezu totschlagen mfisse. Mein Vortragsthema ist viel zu ernst, als dab ich der Versuchung unterliegen k6nnte, einige witzige Bemerkungen einzustreuen. Der einzige Punkt, an dem Sie vielleicht l~icheln k6nnten, war der, dab sich ein beriihmter Chirurg, dessen Namen ich nicht nennen will, weil er allgemeine Verehrung geniel3t, schlieBlich in einem Streitgespr/ich mit mir sich zu dem Ruf hinreil3en lieg: ,,Bei mir sterben die Patienten glficklich!" Darauf konnte ich nur erwidern, dab ich nicht daran zweifle, dab seine Patienten etwas euphorisch sterben; dab abet ein Patient, der Wochen, wenn nicht gar Monate in einer Klinik liege und von Mann und Kinder getrennt sei, ja wohl kaum insgesamt glficklich sei. Ich will die Problematik, so wie ich sie sehe, an vier F/illen darlegen. Zwei stammen aus meiner Praxis, zwei habe ich selbst erlebt. Im einen Fall meiner Praxis hatte ein junger Arzt zwar erkannt, dab Krebs vorliegen mfisse, er hat aber, um den Patienten sich zu erhalten, die Sache bagatellisiert, den Patienten bewul3t falsch belehrt und nach eigenen, nicht fiberm~il3ig grogen Erfahrungen behandelt, so dab der Patient starb. Hier konnte das Gericht davon ausgehen, dab bei richtiger Aufkl/irung, in schonender Form, worauf ich noch kommen werde, m/Sglicherweise eine Therapie erfolgreich oder wenigstens sinnvoll lebensverl~ingernd h/itte durchgeffihrt werden k6nnen. Ich gebrauche das Wort sinnvoll lebensverl~ingernd bewul3t im Hinblick auf das, was ich sp/iter zur nutzlosen Lebensverl~ingerung ausffihren werde. Der zweite Fall war der, dab ein Arzt die Diagnose, Krebs, ebenfalls richtig gestellt hatte und dab er den Patienten auch in schonender Form, soweit es notwendig war, aufgekl~irt hatte, ihn auf die Risiken einer Operation hingewiesen hatte,

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ebenso, wie er auf das Risiko einer unterlassenen Operation hinwies und wo nun der Patient eindeutiger Operationsverweigerer war, sich nicht operieren liel3 und dann auch starb. Der Arzt wurde freigesprochen, weil ihm kein Fehler bei der Aufkl~irung vorgeworfen werden konnte under zugleich ja den Patienten, der freien Willens war, nicht zu einer zwangsweisen Operation h~itte bringen k6nnen. Allerdings war das Glfick ffir den Arzt, dab sich Angeh6rige fanden, die ihm nach eingetretenem Tod best/itigten, dab der Verstorbene Operationsverweigerer gewesen war. Sonst h/itte die Sache natfirlich leicht schlecht ausgehen k6nnen. Ich werde auf den Operationsverweigerer, soweit die Zeit reicht, noch im Zusammenhang mit Bluttransfusionen zurfickkommen, wo die Frage der freien Willensbestimmung eine Rolle spielt. Die beiden anderen F/ille habe ich nun, wie ich schon sagte, selbst erlebt. In einem Fall handelte es sich um ein Karzinom an der GeNirmutter, das einerseits soweit fortgeschritten war, dab es nicht mehr operabel war, andererseits aber noch so, dab eine Strahlenbehandlung Erfolg versprach. Diese Strahlenbehandlung wurde ambulant vorgenommen, eine Aufklfirung fiber die Schwere des Leidens erfolgte nicht, es wurden aber genaue therapeutische Anweisungen gegeben. Die Frau richtete sich nicht nach den therapeutischen Anweisungen und ihr Zustand verschlechterte sich, worauf dann allerdings ich eine schonungslose Aufkl/irung vorgenommen habe mit dem Erfolg, dab die Frau noch heute lebt. Umgekehrt war es in dem anderen Fall. Dort war ein Blasenkarzinom vorhanden, das sich aus gutartig erscheinenden Papillomen entwickelt hatte. Die Patientin hatte im Konversationslexikon gelesen, dab Papillome meist gutartig sind und wenig zu Krebs fiihren. Auf die Idee, daB sie ein Fall mit Seltenheitswert sein k6nne, kam sie nicht. Sie liel3 alle Behandlungen fiber sich ergehen und erziihlte allen Leuten, dab sie keinen Krebs habe, aber dab man ihre gutartigen Papillome eben genauso behandeln mfisse, wie wenn sie Krebs habe. Da nun therapeutisch alles was m6glich war getan wurde, und die Patientin alles mit sich geschehen liel3, wgre eine Aufkl/irung geradezu verbrecherisch gewesen, denn sie h/itte nun jeden Lebenswillen und jede Lebensfreude, wie sie gelegentlich doch im starken Mab auftrat, nutzlos gel/ihmt. Natfirlich spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle, die ich einmal auf einem Kongrel3 miter6rtern mul3te, dab man von theologischer Sicht aus meint, man dfirfe einen Patienten nicht unvorbereitet sterben lassen. Es wurde dabei die Ansicht vertreten, man mfisse Patienten, die im Sterben liegen, nun aus dem Krankenzimmer in einen wfirdigen Raum bringen. Ich babe in diesem Zusammenhang entsetzt auf den Roman von Thomas Mann, ,,Der Zauberberg" hingewiesen, wo die Stelle kommt, wie ein junges M/idchen, das fr6hlich in seiner Krankheit lebt, nun pl6tzlich dadurch aufgeschreckt wird, dab der Priester mit Monstranz und Kreuz hereingestfirmt kommt und nunmehr das M/idchen unter schrecklichem Geschrei die letzte (3lung nehmen mug. Ich bin kein Theologe. Ich werde mich auch in solche Fragen nicht einmischen. Ich hatte natfirlich insofern Glfick; ich hatte einen Kriegskameraden, der Pfarrer am Ort der Klinik war und habe den Kameraden gebeten, er solle doch einmal einen Krankenbesuch machen. Die Patientin werde sich sehr freuen.

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Nun hat aber nicht jeder solches Glfick, dab er gerade einen befreundeten Pfarrer an der Hand hat. Es ist in diesem Zusammenhang auch immer wieder die Frage aufgeworfen worden, daB es Gesch~iftsleute gibt, die dringend wegen wesentlicher Transaktionen wissen wollen, wie es um sie steht. Gut, wenn sie die WiUenskraft haben und den Wunsch ausdrficklich ~iuf~ern, das Letzte zu wissen, warum soll man es ihnen nicht gew/ihren? Ich bin aber auch in diesem Punkt sehr skeptisch. T~iglich sterben Hunderte yon Menschen auf den Straffen. Der groffe Politiker auf der Fahrt zu einer Wahlreise kann t6dlich verunglfikken. Warum, frage ich, soil dann nicht jedermann sein Haus so bestellen, wie, wenn er t/iglich abtreten miiffte. Kann man also dem Arzt hier die Verantwortung aufbiirden, wegen irgendwelcher geschiiftlicher oder famili~irer Transaktionen nun ein Tabu zu brechen and das mitleidige Schweigen nicht mehr gebrauchen zu d~irfen? Ich daft also zu diesem Punkt meine Meinung zusammenfassen: Dort, wo der Patient alles tut oder an sich tun l~igt, was medizinisch vertretbar ist, braucht man ihn nicht fiber die Schwere seines Leidens aufzukl/iren. Umgekehrt mug dort, notfalls schrankenlos, aufgekl/irt werden, wo der Patient sich, sei es durch Uneinsicht, sei es durch Leichtfertigkeit, den richtigen therapeutischen MaBnahmen nicht unterzieht. Aber auch dort kann die Aufkl~irung nut in der Form notwendig sein, dab man ihm in etwa sagt, was auf ihn zukommt und dab er notfalls ernste Folgen davontragen kann, wogegen man ihm die schreckliehe Diagnose nicht unbedingt sagen mug. Lassen Sie mich nun aber doch etwas abschweifen. Wenn ich in den Zeitungen so lese, dab eine bestimmte Krankheit, und sie wechselt sogar oft noch, eine besondere Geiffel der Menschheit sei, so mug ich immer an eine Geschichte denken, die mich im Alter von 6 Jahren sehr beeindruckt hat. Mein Vater war damals als Reservearzt Chefarzt eines Lazaretts und eines Tages kam er sehr entriistet nach Hause, weft irgendein Statistiker festgestellt hatte, dab seit der Einfiihrung des Stahlhelms die Kopfverletzungen angestiegen seien. Natfirlich waren sie das. Denn bevor der Stahlhelm eingeffihrt wurde, war eine groffe Statistik durch KopfschuB Toter vorhanden, wogegen eine Statistik Kopfverletzter wesentlich geringer gewesen sein muff. In dem Fall, den ich vorher erw~ihnte, mit der Frau, die an den b6sartigen Papillomen starb, w~ire dieselbe Frau 10 Jahre frfiher an einer schweren Lungenentzfindung gestorben, wenn man nicht damals gliicklicherweise schon Antibiotika hatte, die es drei, vier Jahre vorher eben noch nicht im deutschen Handel gegeben hatte. Die Fortschritte der Medizin sind immer mit Nachteilen gekoppelt und statistisch liifft sich vieles eben einfach nicht erfassen. Ich m6chte die Frage, wie man aufkl/iren soil und wie sich ein Arzt gegen den Vorwurf absichern kann, er habe nicht genfigend aufgekl~irt, hier jetzt nicht er6rtern, da die Zeit aul3erordentlich dr~ingt. Ich werde vielleicht, wenn ich noch Zeit habe, am Ende des Vortrages oder, wenn es gewfinscht wird, im Podiumgespriich auf einzelne Sachen zurfickkommen. Bloffe Reverse, die man irgendwie unterschreibt mit den Worten ,,ich bin fiber alle Risiken aufgekl/irt worden", sind v611ig sinnlos, weil sich aus ihnen far nichts ergibt.

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Umgekehrt ist eine Aufklfirung in die Details gegenfiber einem Laien auf3erordentlich geffihrlich, weil man den Patienten damit v611ig vor den Kopf st6f3t und schlief31ich ist auch das Spielen mit Prozentzahlen recht verfehlt. Ich habe es einmal in einem B/ichlein dahin entwickelt, daB, wenn in einem Krankenhaus einem Chefarzt unter 50 Ffillen noch niemals ein Mil3griff passiert ist, wogegen der Bundesdurchschnitt ffir den Eingriff bei etwa 4,5% liegt, der Arzt ja unm6glich sagen kann: ,,Mir ist noch nie etwas passiert, aber der Durchschnitt liegt bei 4,5% und wenn ich morgen krank werde, weil3 ich nicht, ob mein Oberarzt dieselbe Erfahrung hat wie ich". Damit mui3 ich das Thema der Aufklfirung zunfichst abbrechen und ich mug hier auch die Sterilisation iiberspringen, obgleich in den letzten Wochen das Thema wieder einmal, anhand einer v611ig richtigen Entscheidung des BGH, in der Presse halbverstanden hochgespielt worden ist. Es ging dabei darum, dab eine Sterilisation bei einer Frau vorgenommen worden war, obwohl der Mann nicht zugestimmt hat, was dem Grundsatz der Gleichberechtigung v611ig entspricht, dab aber dann nachher die Frau, weil sie der Eingriff reute (was ja sehr oft vorkommt, wenn etwa lebende Kinder krank werden oder gar wie frfiher durch Fliegerangriffe zugrundegehen oder nach einer Scheidung pl6tzlich ein Kinderwunsch auftritt) nun auf einmal aus der fehlenden Einwilligung des Mannes, eine rechtswidrige Handlung des Arztes konstruieren wollte. Auch hier kommt es eben entscheidend darauf an, ob der Arzt vor dem Eingriff die Frau fiber die Gefahren einer m6glichen Irreparabilitfit des Eingriffs aufgeklfirt hatte. Dag nat/irlich eine Sterilisation in einem Zeitalter, da man die Beseitigung einer bereits empfangenen Leibesfrucht unter bestimmten weitgehenden Kriterien gestattet, frei sein mug, wenn richtig aufgeklfirt wird, kann in diesem Zusammenhang wohl kaum bezweifelt werden. Damit komme ich zu dem vorhin schon angeschnittenen Thema der Lebensverlfingerung. DaB der Mensch an sich einen Anspruch auf einen wiirdigen Tod hat, habe ich schon erwfihnt, ich habe aber auch bereits davor gewarnt, nun vor lauter Wfirde des Todes den Patienten fibermfil3ig zu erschrecken und ibm die letzten Stunden wom6glich noch zu verbittern. Es ist neuerdings sehr aktuell geworden, daf3 man vertritt, man solle einem unheilbar Kranken nicht unn6tige Qualen bereiten. Das ist schon richtig, nur ist ffir jeden Arzt und Juristen, der filter als 45 Jahre ist, die Problematik nicht so einfach, wie es sich die jungen Herrschaften vorstellen, welche die Jahre vor 1949 und vor allem nicht die Jahre der sogenannten ,,Bew/iltigung der Vergangenheit" zu erleben hatten. Die Frage, ab wann ein Leben lebensunwert ist und wo eine Vernunft des Heilens in den Unsinn des Weitervegetierens und die Wohltat des Kampfes um das Leben in die Plage der Qual fiberschlfigt, ist sehr schwierig. Ich mul3 aus dem bereits genannten Erleben heraus und aus der Grundlage der vielen Vortrfige, die ich gehalten habe, folgendes festhalten: Solange unser Strafgesetzbuch den Tatbestand der ,T6tung auf Verlangen" enthfilt, kann ein Arzt auf das eigene Risiko hin, keinesfalls dazu aufgefordert wer-

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den, dem leidenschaftlichsten Begehren des Patienten zu folgen und das Leben abzukiirzen. Dabei spielen die von mir erw/ihnten theologischen Fragen gar keine Rolle. Dagegen halte ich die nutzlose Verl/ingerung des Lebens, im Gegensatz zu der lindernden Verkfirzung, durchaus ffir nicht angezeigt. Allerdings gehen hier mitunter, im Schrifttum und in der Publizistik, die Dinge vSllig durcheinander. Ich habe mit Entsetzen gelegentfich in Krankenhausordnungen, die sich zwar nicht mit der TStung, aber etwa mit Transplantationen und/ihnlichen Dingen befaBt haben, so eine Art Katalog der Reihenfolge Verwandter gesehen, die man befragen mfisse. Ich halte das Abstellen auf den Willen der AngehSrigen f/Jr vSllig verfehlt. Ich habe es frfiher, als der w 218 noch eine Rolle spielte, auch stets vertreten, dab der Ehemann sich in die Belange der Frau, die ja allein leidet, nicht einzumischen babe, wie ich es auch in der Frage der Blutfibertragung stets erkl/irt babe, dab jeder Einzelne zwar Herr seines Schicksals sein mag, dab es aber ein Unding ist, dab Verwandte oder gar Eltern fiber unmfindige Kinder verffigen. Das ffihrt hier allerdings zu welt. Aber was sollen denn die Verwandten in einem solchen Fall? Weil3 man denn im Falle einer Schwerkranken, ob der Ehemann nun der Richtige ist, den Zustand zu beurteilen? Weil3 man denn, ob nicht die Schwester der Sterbenden sp/iter sagen wird, der Mann babe einer Nichtverl/ingerung des Lebens gern zugestimmt, weil er ja alsbald eine junge, schSne Frau wieder heiraten wolle. Und wie kann ein anderer AngehSriger, der vielleicht die Kranke in einem Stadium erlebt hat, wo sie, um den bekannten Chirurgen zu zitieren, ,,glficklich" war, sp/iter das Verhalten des Arztes beurteilen? Der Arzt steht in solchen F/illen immer, wenn er eine Verkfirzung vornimmt, vor der Situation, dab ihn irgendeiner der AngehSrigen sp~iter als einen Totschl/iger auf Verlangen, wenn nicht gar als M6rder hinstellt. Sofern also der Gesetzgeber nicht klare Regelungen trifft, gibt es nur die MSglichkeit, dab der Arzt sich nach dem Willen der AngehSrigen und des Patienten gar nicht richten kann, sondern daB er alle therapeutischen M6glichkeiten ausnfitzen mull Das findet erst dort sein Ende, wo der Patient, der dem Tode unrettbar verfallen ist, nur noch durch sinnlose MaBnahmen, die ohne Zweck das Leben verl/ingern, nun weitervegetieren mfil3te. Ich daft vielleicht doch wieder auf das PersSnliche kommen, weil ich meine, dab das persSnliche Beispiel besser ist, als das abstrakte. In dem von mir benannten Fall, es war der Fall mit den bSsartigen Papillomen, liel3 sich das vollkommen klar zeigen. Die Arzte taten alles, was sie konnten, die Organe verfielen mehr und mehr und schliel31ich kam dann auch der Tag, wo der Mann sagte, man solle doch mit der Qu/ilerei aufh6ren, worauf der Arzt dem Mann aus dessen eigenen Schriften sagen mul3te, dab jedenfalls in diesem Stadium ein AufhSren nicht mSglich sei.

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Das war insofern auch v o n d e r Sicht des Arztes aus richtig, weil, wie gesagt, andere Verwandte den besten Eindruck yon der Frau hatten, die voller strahlender Euphorie bereits die Karten ffir die Festspiele in Bayreuth hatte bestellen lassen. Dann aber kam eines Tages der Moment, wo der Arzt dem Mann erkl/irte, jetzt sei eigentlich der letzte Eingriff einer Darmoperation wohl kaum mehr sinnvoll und er fragte nun den Mann, was er dazu meinte. Der hat daraufhin gesagt, wenn der Arzt meine, das Aufh6ren jetzt verantworten zu k6nnen, so sei er, der Mann, ganz gewil3 der Letzte, der noch ein weiteres Vorgehen verlange. In diesem Fall war das Aufh6ren sogar richtig indiziert, da eine weitere Operation nur Schmerzen bereitet h/itte, die auBerhalb jeder Relation standen. Ich darf an dieser Stelle allerdings, auch auf die Gefahr hin, dab ich grol3es Argernis errege, etwas sagen. Nie hat mich ein Spruch so sehr ge/irgert, wie er durch die Presse geht: ,,Weil du arm bist, muBt du fr/iher sterben." Ich habe Anlal3 gehabt, mitunter auch die Meinung zu haben: ,,Well du wohlhabende Angeh6rige hast, muBt du dich noch 1/inger qu/ilen lassen." Das nur nebenbei. Ganz anders ist es nun natiJrlich mit der Benfitzung technischer Ger/ite in vflliger Hoffnungslosigkeit. Hier hat der Arzt nicht nur das Recht, sondern meines Erachtens auch die Pflicht, nutzlose Qu/ilereien aufzugeben und der Natur ihren Lauf zu lassen. Ebenso ist zul/issig, schmerzlindernde Mittel zu geben, die den Tod lindern, ohne ihn richtig bewuBt zu beschleunigen. Als Nebenwirkung 1/iBt sich eine Beschleunigung natiirlich auch nicht ausschliel3en. Dringend aber m6chte ich wieder davor warnen, hier die Angeh6rigen einzuschalten. Der Gesetzgeber wird sich das/iberlegen miissen und darf meines Erachtens nach nicht dem Fehler verfallen, den ich schon vorher bei bestimmten Krankenhausordnungen geriigt habe. Man weil3 ja nie, wie die Angeh6rigen reagieren. Vielleicht denkt die Tochter ganz anders als der Ehemann. Vielleicht denkt die Mutter anders als der Vater und so schlimm es klingt, ich mul3 es sagen, es gibt mitunter auch im Gebiet der Erbschaft Schwierigkeiten insoweit, dab ein Angeh6riger gerne m6chte, dab der Sterbende noch etwas 1/inger lebt, bis eine bestimmte Transaktion vorbei ist, wogegen der andere vielleicht Interesse daran hat, daft der Tod etwas rascher eintritt. Meines Erachtens sind das alles rein ~irztliche Entscheidungen und der Gesetzgeber darf nicht in Schematismus verfallen, wie man ihn vielfach leider beobachtet. Wenn der Patient selbst nicht mehr Herr seines klaren Entschlusses ist und von sich aus sagen kann, er wolle jetzt, dab man mit der Nierenblutreinigungsmaschine aufh6re, haben die Angeh6rigen meines Erachtens nichts zu sagen; wie meines Erachtens bei der Transplantation yon Organen Verstorbener, die Rechtsprechung und auch die Bestrebungen des Gesetzgebers, auf einen v611ig falschen Weg gekommen sind. Das Thema interessiert die Gyn/ikologen ja weniger, ich mug es aber doch erw/ihnen, dab ich immer die Meinung vertreten habe, dab dort, wo jemand irreversibel tot ist, der Wille der Angeh6rigen gar nicht mehr relevant ist, wenn es darum geht, das Leben anderer zu retten.

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Ich habe einmal in einer juristischen Wochenschrift das makabre Bild gemalt, dab die Frau eines, nur durch eine Transplantation zu Rettenden, der Witwe eines eben t6dlich Verunglfickten gegenfibersteht und an dem harten Willen der Frau nun zerbricht und diese praktisch als M6rderin ihres, dem Tode geweihten Mannes, betrachten muB. Ich bin am Ende meiner Zeit, sonst k6nnte ich gerade fiber die Frage des Rechts auf einen wiirdigen Tod einerseits und die /iberspitzte Achtung der sogenannten Totenruhe noch einiges beisteuern. Das Thema war ohnehin ernst genug. Ich hoffe, dab ich Sie nicht allzusehr bedrfickt habe. Festlich, in Form eines Festvortrages, kann man dieses Thema eigentlich kaum mehr nennen. Ich danke Ihnen ffir Ihre Aufmerksamkeit.

[Medicine and the law (proceedings)].

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