Arzneimitteltherapie Internist 2015 · 56:573–582 DOI 10.1007/s00108-015-3693-0 Online publiziert: 9. April 2015 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 Redaktion:

M.J. Richter1, 2 · H. Gall2 · K. Tello2 · N. Sommer2 · W. Seeger2 · F. Grimminger2 · H.A. Ghofrani1, 2 1 Abteilung für Allgemeine Pneumologie, Lungenzentrum, Kerckhoff-

Klinik Bad Nauheim, Kerckhoff-Klinik GmbH, Bad Nauheim 2 Medizinische Klinik II/V, Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH, Standort Gießen, Mitglied des Deutschen Zentrums für Lungenforschung (DZL)

M. Wehling, Mannheim

Medikamentöse Therapie der pulmonalen Hypertonie Was ist neu?

Pathogenese, Symptomatik, Epidemiologie Die pulmonale Hypertonie (PH) kennzeichnet ein multifaktorieller, progressiver Umbau des pulmonalen Gefäßsystems. Unbehandelt führt die Erkrankung durch einen erhöhten pulmonalarteriellen Druck (PAP) und pulmonalen Gefäßwiderstand [“pulmonary vascular resistance“ (PVR)] zu einer zunehmenden Rechtsherzbelastung bis hin zum Rechtsherzversagen [44]. Als Hauptsymptom beschreiben Patienten eine Belastungsdyspnoe, je nach Schweregrad der Erkrankung bereits bei geringer Belastung, ferner werden Synkopen, Müdigkeit und thorakales Engegefühl beschrieben [41]. Oftmals vergehen jedoch viele Jahre bis zur definitiven Diagnose einer PH, z. B. bis zu 4 Jahre vom Auftreten erster Symptome bis zur Diagnosestellung der idiopathischen Form der pulmonalarteriellen Hypertonie (IPAH; [41]). Daher steht neben einer leitliniengerechten medikamentösen Therapie eine zielgerichtete, frühe Diagnostik im Mittelpunkt der Behandlung von Patienten mit PH. D Belastbare epidemiologische Daten

zur Prävalenz der pulmonalen Hypertonie fehlen bislang.

Nach Daten aus einer großen echokardiographischen Screeningstudie an einem unselektierten Patientenkollektiv, das durch einen systolischen PAP (sPAP) >40 mmHg definiert war, lag die Prävalenz von erhöhten Lungendruckwerten bei etwa 10,5% des untersuchten Kollektivs, jedoch ohne nähere Beschreibung der Ätiologien bzw. pathogenetischen Relevanz [42].

Klassifikation Erstmals wurde die PH im Jahr 1973 auf dem Kongress der World Health Organization (WHO) klassifiziert. Initial wurde nach damaligem Kenntnisstand eine PH mit unbekannter (primäre PH) oder bekannter Ätiologie (sekundäre PH) unterschieden. Aufgrund der Fortschritte in der Grundlagenforschung und dem begrenzten klinischen Nutzen dieser ursprünglichen Einstufung wurde das Klassifizierungssystem mehrfach überarbeitet. Die aktuelle Klassifikation nach der WHOWeltkonferenz 2013 in Nizza unterteilt die PH in fünf Gruppen. Unterschieden wird zwischen Patienten mit [37] F pulmonalarterieller Hypertonie (PAH, Gruppe 1),

F Lungenvenenverschlusskrankheit und/oder pulmonaler kapillärer Hämangiomatose (Gruppe 1‘), F PH bei Linksherzerkrankung (Gruppe 2), F PH infolge von Lungenerkrankungen und/oder Hypoxie (Gruppe 3), F chronischer thromboembolischer PH (CTEPH, Gruppe 4) und F einer PH mit unklaren und/oder multifaktoriellen Mechanismen (Gruppe 5). Die Prävalenzen der verschiedenen Gruppen variieren innerhalb der epidemiologischen Register. Die Prävalenz der PAH wird mit 15–50/1.000.000 angegeben. Für Gruppe 2 wurden je nach Stadium der Linksherzerkrankung Raten einer PH von 60–70% ermittelt, für Gruppe 3 je nach Lungenerkrankung 20–39% und bei der CTEPH etwa 4% nach Lungenembolie [45].

Diagnostik Die Diagnostik der PH umfasst die exakte Diagnosestellung und im Anschluss die Einordnung der PH innerhalb der aktuellen Klassifikation. Bei Verdacht auf eine PH sollte neben dem Elektrokardiogramm, der Laboruntersuchung und der Röntgenuntersuchung des Thorax eine Der Internist 5 · 2015 

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Arzneimitteltherapie Supportive Therapie

Vasoreagibilitätstestung im Rechtsherzkatheter Positiv

Negativ

Hochdosierte Kalziumantagonisten

Erreichen der Therapieziele

Therapie mit spezifischer PAH-Medikation WHO-Klasse II: Nein

Ja Fortführung der Therapie

Macitentan Ambrisentan Bosentan Riociguat Sildenafil Tadalafil

WHO-Klasse III:

WHO-Klasse IV:

Macitentan Ambrisentan Bosentan Riociguat Sildenafil Tadalafil Inhalatives Iloprost Epoprostenol i.v. Treprostinil s.c.

Epoprostenol i.v.

Erreichen der Therapieziele Nein Sequenzielle Kombinationstherapie Nein Evaluation für Lungentransplantation

Abb. 1 9 Therapieoptionen bei der pulmonalen Hypertonie. PAH Pulmonalarterielle Hypertonie; WHO World Health Organization

Diagnose: PAH Vasoreagibilitätstestung negativ

Definition von Therapiezielen nach Diagnosestellung und 2- bis 6-monatiger Reevaluation: 6-min-Gehstrecke >380 m, Peak- VO2 >10,4 ml•min-1•kg-1, systolischer Blutdruck >120 mmHg unter Belastung, WHO-Klasse II, TAPSE >2,0 cm, kein Perikarderguss, RAP 2,5 l•min-1•m-2

Therapieziel nicht erreicht

Therapieziel erreicht

Monotherapie (ERA/PDE-5Inhibitor/sGC-Stimulator) Kombinationstherapie mit komplementären Substanzen (cave: keine Kombination von PDE-5-Inhibitoren und sGCStimulatoren)

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Fortführung der Therapie

Fortführung der Therapie

Addition von Prostanoiden

Fortführung der Therapie

Evaluation für Lungentransplantation

Fortführung der Therapie

Abb. 2 9 Beispiel für einen zielorientierten Therapiealgorithmus bei der PAH aus der Publikation von Hoeper et al. Verschiedene Medikamentenkombinationen und Sequenzen sind möglich (s. Text; cave: keine Kombination von PDE-5-Inhibitoren und sGC-Stimulatoren). ERA Endothelinrezeptorantagonisten; PAH pulmonalarterielle Hypertonie; PDE-5 Phosphodiesterase Typ 5; RAP rechtsatrialer Druck („right atrial pressure“); sGC lösliche Guanylatcyclase („soluble guanylate cyclase“); TAPSE „tricuspid annular plane systolic excursion“; VO2 Sauerstoffaufnahme; WHO World Health Organization. (Adaptiert nach [18]; mit freundl Genehmigung der European Respiratory Society)

Echokardiographie mit Fokussierung auf das rechte Herz erfolgen. Obwohl gerade bei Messung des sPAP mit einer gewissen Abweichung gegenüber der Rechtsherzkatheteruntersuchung gerechnet werden sollte [6], bleibt die Echokardiographie im Rahmen der primären Identifizierung einer PH unersetzlich. Die anschließende Zuordnung zu einer der PH-Gruppen erfordert eine Vielzahl von weiterführenden Untersuchungen. Eine Vorstellung von Patienten mit hochgradigem Verdacht auf eine PH in spezialisierten Zentren ist eine zwingende Voraussetzung für die definitive Diagnosestellung und Therapieeinleitung mit Rechtsherzkathetertestung [44].

Medikamentöse Therapieoptionen Seit Mitte der 1990er-Jahre konzentriert sich die Grundlagenforschung auf die PAH als Modelerkrankung. Dies führte in den folgenden Jahren zu einer beispiellosen translationalen Erfolgswelle im Hinblick auf Neuzulassungen von spezifischen Medikamenten in den Gruppen 1 und 4. Für die Behandlung von Gruppe 2 (PH bei Linksherzerkrankungen) ist derzeit keine spezifische PH-Therapie zugelassen. Die Identifizierung essenzieller PAHSignalwege resultierte letztendlich in der Zulassung von Medikamenten aus vier Substanzklassen (. Abb. 1, 2, 3): F Prostanoide F Endothelinrezeptorantagonisten (ERA) F Phosphodiesterase-Typ-5(PDE-5)-­ Inhibitoren F Stimulatoren der löslichen Guanylatcyclase [“soluble guanylate cyclase“ (sGC)]

Signalwege In den vergangenen Jahren wurden eine endotheliale Dysfunktion und ein hyperproliferatives Verhalten der pulmonalen glatten Muskelzellen [“pulmonary smooth muscle cells“ (pSMC)] im Zusammenhang mit einer Vielzahl von Signalwegen als wesentliche Mechanismen in der Pathogenese der PAH identifiziert. Hierbei spielen Ungleichgewichte von Vasokonstriktoren gegenüber Vasodilatato-

Zusammenfassung · Abstract ren, Aktivatoren gegenüber Inhibitoren, prothrombotischen gegenüber antithrombotischen Mediatoren und proinflammatorischen gegenüber antiinflammatorischen Signalen eine entscheidende Rolle (. Abb. 3; [31]). Das Ungleichgewicht von Vasodilatatoren und Vasokonstriktoren ist durch eine verminderte Produktion der Vasodilatatoren Stickstoffmonoxid (NO) und Prostazyklin (PGI2) sowie eine erhöhte Produktion des Vasokonstriktors Endothelin-1 (ET-1) charakterisiert. Die NO-Effekte werden über die Achse von Guanylatcyclase und zyklischem Guanosinmonophosphat (cGMP) vermittelt. NO aktiviert die sGC, diese bildet cGMP in den pSMC und führt zu einer Vasorelaxation und konsekutiven Antiproliferation. Die Endstrecke dieses Signalwegs ist der Abbau des Second Messengers cGMP durch die PDE-5 (. Abb. 3). PGI2 wirkt vasodilatativ über die Bildung von zyklischem Adenosinmonophosphat (cAMP), ferner moduliert PGI2 die Proliferation von pSMC und verringert die Thrombozytenaggregation. ET übt durch seine Bindung an die zwei ET-Rezeptor-Isoformen A und B vasokonstriktive und mitogene Effekte aus (. Abb. 3).

Medikamentenklassen Die gegenwärtige Therapie der PAH zielt primär auf das Ungleichgewicht von Vasodilatatoren und Vasokonstriktoren und setzt daher im Wesentlichen am Gefäßtonus und vaskulären Remodeling an [31]. Die aktuellen Therapien führen bisher nicht zu einer Heilung der PAH, sondern zu einer Verlangsamung der Krankheitsprogression [31].

Prostanoide

Prostanoide wurden erstmals 1990 in der Therapie der PAH eingesetzt. Die Anwendung kann inhalativ, i.v., s.c. und p.o. erfolgen. Die inhalative Applikation von Iloprost war eine der ersten in Deutschland eingesetzten spezifischen Therapien zur Behandlung der PAH [20, 27]. Das Konzept basiert auf dem Prinzip hoher lokaler (pulmonaler) Wirkstoffkonzentrationen nach Verneblung und Inhalation des Prostanoids und somit unter Vermeidung

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Internist 2015 · 56:573–582  DOI 10.1007/s00108-015-3693-0 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 M.J. Richter · H. Gall · K. Tello · N. Sommer · W. Seeger · F. Grimminger · H.A. Ghofrani

Medikamentöse Therapie der pulmonalen Hypertonie. Was ist neu? Zusammenfassung Die pulmonale Hypertonie (PH) ist eine chronisch progrediente Erkrankung der pulmonalen Zirkulation multifaktorieller Ursache. Die aktuelle diagnostische Klassifikation der PH unterscheidet fünf Hauptgruppen, die als Gemeinsamkeit einen erhöhten mittleren pulmonalarteriellen Druck und pulmonalen Gefäßwiderstand aufweisen. Klassifiziert werden die pulmonalarterielle Hypertonie (PAH), die PH durch Linksherzerkrankung, die PH bei Lungenerkrankungen und/oder Hypoxie, die chronische thromboembolische pulmonale Hypertonie (CTEPH) und die PH mit unklaren bzw. multifaktoriellen Mechanismen. Aktuelle Fortschritte in der Grundlagenforschung sowie die Zulassung neuer Medikamente und

Etablierung von Therapiestrategien vor allem bei der PAH und CTEPH erfordern eine differenzierte Betrachtung der Erkrankung, eine sorgfältige Diagnosestellung und Therapieeinleitung sowie regelmäßige Verlaufskontrollen. In diesem Beitrag möchten wir einen aktuellen Überblick über die komplexe medikamentöse Therapie der PAH geben. Schlüsselwörter Pulmonale Hypertonie · Prostanoide · Endothelinrezeptorantagonisten · Phosphodiesterase-5-Hemmer · Stimulatoren der löslichen Guanylatcyclase

Medical treatment of pulmonary hypertension. What’s new? Abstract Pulmonary hypertension (PH) is a chronic progressive disease of the pulmonary circulation of multifactorial causes. The current diagnostic classification of PH distinguishes five main groups, which have as a common feature an increased pulmonary arterial pressure and pulmonary resistance. The classification differentiates pulmonary arterial hypertension (PAH), PH due to left heart disease, PH in lung diseases and/or hypoxia, chronic thromboembolic pulmonary hypertension (CTEPH), and PH with unclear/multifactorial mechanisms. Recent advances in basic research with the approval of new drugs and

oder Minimierung systemischer Nebenwirkungen. In der zulassungsrelevanten randomisierten Phase-III-Studie zeigte sich mit inhalativem Iloprost eine signifikante Zunahme der körperlichen Leistungsfähigkeit, Verbesserung der pulmonalen Hämodynamik und reduzierte klinische Verschlechterung bei PH-Patienten [28]. Zur Verfügung stehen zwei verschiedene Dosierungen mit 2,5 und 5 μg für 6–9 Inhalationen pro Tag [28]. Intravenöses Epoprostenol wurde in 3 offenen, teils kontrollierten klinischen Studien eingesetzt, in 2 Studien bei IPAH bzw. familärer/hereditärer PAH (HPAH) und in einer Studie bei assoziierter PAH [1, 3, 34]. Epoprostenol verbesserte signifikant die Belastungsfähigkeit und die pul-

the establishment of therapeutic strategies, mainly in PAH and CTEPH, require a differentiated view of the disease, a careful diagnosis and initiation of therapy, and regular followups. In this article, we provide an overview of the complex drug therapy currently available for PAH patients. Keywords Pulmonary hypertension · Prostanoids · Endothelin receptor antagonists · Phosphodiesterase 5 inhibitors · Soluble guanylate cyclase stimulators

monale Hämodynamik, das Gesamtüberleben wurde bei der IPAH und HPAH positiv beeinflusst. Jedoch ist die klinische Anwendbarkeit von Epoprostenol bei einer sehr kurzen Halbwertszeit von

[Medical treatment of pulmonary hypertension: what's new?].

Pulmonary hypertension (PH) is a chronic progressive disease of the pulmonary circulation of multifactorial causes. The current diagnostic classificat...
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