Originalien Nervenarzt 2014 DOI 10.1007/s00115-014-4093-8 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

K. Paheenthararajah1 · T. Ladas2, 3 · S. Gauggel4 · S. Prinz5, 6 · M. Grözinger7 1 Klinik für Strahlentherapie, Klinikum Bielefeld Mitte, Bielefeld 2 Institut für Ausbildung und Studienangelegenheiten der medizi-

nischen Fakultät (Ifas), Universitätsklinikum Münster, Münster 3 Institut für Bioinformatik, Universitätsklinikum Münster, Münster 4 Institut für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Uniklinik RWTH Aachen, Aachen 5 Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsspital Zürich, Zürich 6 Psychiatrische Universitätsklinik Zürich, Standort Rheinau, Zürich 7 Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Uniklinik RWTH Aachen, Aachen

Einstellung von Medizinstudenten zur Elektrokonvulsionstherapie Auswirkungen des Blockpraktikums

Die Elektrokonvulsionstherapie (EKT) wurde seit den 1930er Jahren durch kontinuierliche Innovationen zu einer sehr sicheren, hochwirksamen und relativ nebenwirkungsarmen medizinischen Maßnahme weiterentwickelt. Häufig bestehen irrationale Vorbehalte, die den evidenzbasierten Einsatz verhindern. Damit die EKT als selbstverständlicher Bestandteil der psychiatrischen Versorgung integriert werden kann, sollte die Therapie im Medizinstudium vorgestellt werden. Prädestiniert dafür ist das psychiatrische Praktikum. Dieser Beitrag beschäftigt sich damit, wie dies umgesetzt werden kann und wie es von den Studenten aufgenommen wird. Die praktische Ausbildung ist für jedes medizinische Fach von hoher Bedeutung. Sie kann dazu beitragen, Nachwuchsärzte für Kliniken zu gewinnen. Dieser Aspekt hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen [11]. Daneben prägen Praktika das Bild eines Faches dadurch, dass zukünftige Ärzte es einer breiten Öffentlichkeit weitergeben. Dieser Mechanismus ist insbesondere für die Psychiatrie wichtig, weil Menschen dem Fachgebiet instinktiv mit Zurückhaltung begegnen. Auch in westli-

chen Kulturen sind Vorurteile gegen die Psychiatrie ubiquitär zu finden [8]. Angehende Ärzte bilden dabei keine Ausnahme [2, 4, 5, 6, 7, 9, 12, 21, 22]. Deshalb sollte die Effizienz psychiatrischer Lehrveranstaltungen nicht nur durch routinemäßige Evaluation erfasst werden, sondern auch Haltungen und Einstellungen gegenüber stigmatisierenden Themen einbeziehen. Die Elektrokonvulsionstherapie (EKT) ist als stark somatisch ausgerichtete Therapie über einige Jahrzehnte ein Kristallisationspunkt antipsychiatrischer Bewegungen gewesen und stellt ein konkretes Beispiel dar für die hartnäckige Tradierung solcher Vorbehalte [3, 13, 15, 24]. Sie bildet immer noch eine der wirksamsten Behandlungsmethoden bei schweren depressiven Erkrankungen [23]. Effekte auf die Lebensqualität konnten bereits 2 Wochen nach Anwendung beobachtet werden [17] und die Rückmeldung von Patienten sind überwiegend positiv [10]. Die technischen, juristischen und sozialen Voraussetzungen haben sich seit Einführung der EKT drastisch verbessert [20]. In den deutschsprachigen Ländern erfährt sie derzeit eine allmählich zunehmende Akzeptanz [16, 18]. Damit ergibt sich im Hinblick auf die beschriebenen Vorbehalte die Frage, auf welche Weise die The-

rapiemethode in den psychiatrischen Unterricht integriert werden kann und wie die Einstellung der Studenten dadurch beeinflusst wird. Um diesem Thema nachzugehen, haben wir Medizinstudenten zu Beginn des Praktikums zufallsgemäß in drei Gruppen eingeteilt: F die erste Gruppe nahm aktiv an einer EKT-Behandlung teil (EKT-Gruppe), F der zweiten Gruppe wurde ein Lehrvideo zur EKT gezeigt (Videogruppe), F die dritte Gruppe diente als Kontrollgruppe. Alle Teilnehmer wurden vor Beginn und zu Ende des einwöchigen Blockpraktikums zum Fach Psychiatrie und zur EKT befragt.

Methode Design und Probanden Während der Datenerhebung wurden am Universitätsklinikum der RWTH Aachen ein Regel- und ein Modellstudiengang Medizin parallel angeboten. Bis zum Beginn des Praktikums war der Unterricht im Fach Psychiatrie in beiden StudienDer Nervenarzt 2014 

| 1

Originalien Tab. 1  Demographische Daten der Teilnehmer im Gruppenvergleich Variablen Teilnehmerzahl

Geschlecht Studiummodus Station Berufliche Vorerfahrung Private Vorerfahrung Semesterc Alterc (Jahre)

Zeitpunkt A Drop-outsb Zeitpunkt B Weiblich Männlich Regelstudium Modellstudium Offene Geschlossene Zeitpunkt A: Ja Zeitpunkt A: Ja (Mittelwertvergleich) (Mittelwertvergleich)

Gruppe EKT Video 57 53 5 3 52 50 32 29 20 21 19 27 33 23 34 36 18 14 8 8 12 10 9,2 9,6 24,6 25,2

pa Kontrolle 48 1 47 23 24 23 24 31 16 6 16 9,6 24,9

gesamt 158 9 149 84 65 69 80 101 48 22 38 9,4 24,9

0,39

0,43 0,19 0,73 0,89 0,45 0,20 0,38

aχ2-Test; b wegen der geringen Besetzungszahl wurde der exakte Test von Fisher verwendet; c Vergleich mittels

Kruskal-Wallis-Test. EKT Elektrokonvulsionstherapie.

gängen inhaltlich gleich. Im Regelstudiengang dauerte das Blockpraktikum eine Woche, im Modellstudiengang 2 Wochen. Um gleiche Bedingungen sicherzustellen, wurde die Untersuchung in beiden Gruppen während der ersten Woche durchgeführt. Jeweils 4 bis 8 Studenten nahmen gleichzeitig an dem ganztägigen Praktikum teil. Sie wurden vollständig in den Stationsablauf integriert. Zusätzlich fand in den Nachmittagsstunden ein 90-minütiges Seminar statt. Am Morgen des ersten Unterrichtstages wurde den Studenten wahrheitsgemäß mitgeteilt, dass die Einstellung zum Fach Psychiatrie und zur EKT untersucht werden solle. Dabei wurde auf die Freiwilligkeit der Teilnahme und die Anonymität der Daten hingewiesen. Anschließend (Zeitpunkt A) erfolgte die Ausgabe des Fragebogens A. Der erste Abschnitt des Fragebogens enthielt 5 Items zur Erfassung der Einstellung zur EKT (Items E1; E2; E3a; E3b; E3c) und 6 Items zur Erfassung des Wissens über die EKT (Items W1 bis W6). Der zweite Abschnitt erfragte demographische Daten (5 Items). Am Ende der Woche (Zeitpunkt B) wurde der Fragebogen B ausgegeben, dessen Fragen bezüglich der EKT mit denen des Fragebogens A identisch war. Nach Abgabe der Fragebögen A wurden die Studenten per Losentscheid zufällig der Kontrollgruppe, der Video- und der EKT-Gruppe zugeteilt. Die Kontrollgruppe konnte nach Ausfüllen von Frage-

2 | 

Der Nervenarzt 2014

bogen B wahlweise eine der beiden Interventionen wahrnehmen. Die Einhaltung der bei der Auslosung festgelegten Aufgaben wurde mit Anwesenheitslisten kontrolliert. Studenten, die ihre Zuteilung nicht einhielten wurden als Drop-outs gewertet. Die Kontrollgruppe absolvierte das Praktikum ohne Interventionen. Im Rahmen ihrer Tätigkeit auf Station wurden sie aber nicht vom Kontakt mit Patienten ausgeschlossen, die mit EKT behandelt wurden. Die Videogruppe nahm gemeinsam an der Vorführung eines 12minütigen EKT-Lehrvideos teil. Der Film wurde von einem der Autoren erstellt und vermittelt schrittweise den Ablauf einer EKT von der Vorbereitung der Patienten bis zum Aufwachen aus der Narkose. Nach der Präsentation wurde auf Fragen der Studenten eingegangen. Die Studenten der EKT-Gruppe waren bei jeweils einer EKT-Behandlung anwesend und beteiligten sich unter Anleitung mit Hilfstätigkeiten wie dem Ankleben von Elektroden. Während dieser Zeit konnten sie den anwesenden Ärzten Fragen zur Behandlungsmethode stellen.

Statistische Auswertung Die Auswertung erfolgte mittels SPSS Software, Version 20. Bei den meisten Items konnte eine der 5-fach gestuften Antworten „stimmt voll und ganz“, „stimmt etwas“, „neutral“, „stimmt eher

nicht“, „stimmt gar nicht“ angekreuzt werden. Für die Auswertung wurden den fünf Ausprägungsmöglichkeiten Zahlen zugeordnet („stimmt voll und ganz“=1 bis „stimmt gar nicht“=5) und diese im Sinne einer Intervallskala behandelt. Es wurden Mittelwerte und Standardabweichungen sowie Differenzen zwischen den Zeitpunkten A und B berechnet. Da die Datenverteilung entsprechend dem Kolmogoroff-Smirnoff-Test von der Normalverteilung abwich, wurden parameterfreie Tests angewandt [19]. Die Differenzen der Bewertungsskala zwischen den Zeitpunkten A und B wurden mit dem Kruskal-Wallis-Test auf Unterschiede (Rangmittelwerte) zwischen den drei Gruppen geprüft. Bei signifikantem Ergebnis wurden die Gruppen paarweise mit dem Mann-Whitney-Test für unabhängige Stichproben und Signifikanzkorrektur nach Bonferroni verglichen. Das festgelegte Signifikanzniveau von p≤0,05 wurde demnach entsprechend der Anzahl der durchgeführten Tests korrigiert zu p=0,05/3=0,017. Die Scores zu den Zeitpunkten A und B wurden (für jede Gruppe getrennt) mittels Wilcoxon-Test für verbundene Stichproben auf Signifikanz überprüft. Als Signifikanzniveau wurde p≤0,05 gewählt.

Ergebnisse Demographische Daten Es fanden sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den drei Gruppen hinsichtlich der Anzahl der Drop-outs, der Geschlechtsverteilung, des Studienmodus (Regel- oder Modellstudiengang), der zugeordneten Stationsart (offen oder geschützt), der beruflichen, privaten oder studienbedingten psychiatrischen Vorerfahrungen, der Anzahl der studierten Semester und des Alters (. Tab. 1).

Einstellung zur EKT Die Einstellung zur EKT wurde mit 5 Items erfragt, die jeweils 5-fach gestufte Antworten vorgaben. Die Items E1: „EKT ist eine rückständige Behandlungsmethode, die nur von Kliniken mit schlechtem psychopharmakologischem Standard angewandt wird“ und E2: „EKT ist ei-

Zusammenfassung · Summary ne sehr unangenehme und schmerzhafte Behandlungsmethode“ wurden zu Beginn des Praktikums im Mittel zwischen „neutral“ und „stimmt eher nicht“ eingestuft. Bei beiden Items fand sich mit dem Kruskal-Wallis-Test kein spezifischer Einfluss der Interventionen. Im Gesamtkollektiv entwickelte sich eine der EKT stärker zugewandte Haltung als unspezifische Auswirkung des Praktikums (WilcoxonTest Items E1 und E2: p

[Medical students' attitude towards electroconvulsive therapy: Impact of patient-oriented training].

As a particular aspect of psychiatric clinical training many students instinctively harbor reservations towards the field of electroconvulsive treatme...
393KB Sizes 2 Downloads 3 Views