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Institut für Medizinische Genetik, Universität Zürich, Schiieren Katharina Steindl

Marfan-Syndrom und andere genetisch bedingte Aortenerkrankungen Marfan Syndrome and Related Connective Tissue Disorders

Zusammenfassung Beim Marfan-Syndrom (MFS) handelt es sich um eine autosomal-dominant vererbte Erkrankung des Bindegewebes mit einer Prävalenz von ca. 1:5000 Personen. Typische Manifestationen betreffen das Herz-Kreislauf-System, Auge, Skelett sowie Lunge, Haut und Dura mater. Die meisten Patienten weisen einen sogenannten marfanoiden Habitus mit Hochwuchs, langen und schmalen Gliedmassen, einer langen und schmalen Kopfform und anderen skelettalen Auffälligkeiten auf. Von medizinischer Bedeutung sind insbesondere die möglichen Komplikationen wie schwerwiegende Skoliose oder Trichterbrust, Spontanpneumothorax, Netzhautablösung oder ein durch Linsenluxation hervorgerufenes akutes Glaukom. Die gefährlichste Komplikation ist jedoch die akute Dissektion der aufsteigenden Aorta, die in der Regel die Folge einer langsam fortschreitenden Aortendilatation darstellt. Mit Einführung moderner Therapieformen konnte die durchschnittliche Lebenserwartung von nur 32 auf über 60 Jahre gehoben werden. Schlüsselwörter: Marfan-Syndrom Loeys-Dietz-Syndrom - Aortendissektion - Netzhautablösung - Skoliose

Bis vor wenigen Jahren ist man davon ausgegangen, dass ca. 80% der thorakalen Aortenaneurysmen und Aortendissektionen durch arterielle Hypertonie und Atherosklerose bedingt seien © 2013 Verlag Hans Huber, Hogrefe AC, Bern

Tab. 1: Differenzialdiagosen des Marfan-Syndroms

Erkrankung

..^^^^ggj^

Verantwortliche Gene

Kongenitale kontrakturelle Arachnodaktylie (CCA), auch Beals-Hecht-Syndrom

FBN2

Familiäres thora kales Aortenaneurysma

TGFBR1/2,ACTA2

Familiäre Ektopia lentis

FBN1,LTBP2,ADAMTSL4

Familiärer marfanoider Habitus

?

MASS-Syndrom (Myopie, Mitralklappenprolaps, geringe Aortenerweiterung, Hautstreifen und Skelettbeteiligung)

FBN1

Familiäres Mitralklappenprolaps-Syndrom

NOTCHl

Stickier-Syndrom (hereditäre Arthro Ophthalmopathie)

COL2A1,COL11A1,COL11A2

Neonatales Marfan-Syndrom

FBN1

und nur ca. 20% dieser Erkrankungen durch genetische Erkrankungen wie das Marfan-Syndrom oder die bikuspidal angelegte Aortenklappe verursacht werden [1-3]. Heute ist man sich bewusst, dass die genetische Ursache der Aortenerkrankung sich keineswegs auf diese beiden Entitäten beschränkt. In den letzten Jahren sind eine Vielzahl von neuen Genen und syndromale Formen, die für die thorakale Aortenerkrankung verantwortlich sind, identifiziert worden (Tab. 1). Wichtig erscheint ausserdem, dass Prognose und Therapie der Aortenerkrankung in Abhängigkeit ihrer genetischen Grunderkrankung unterschiedlich sind und die diagnostische Aufarbeitung dieses Hintergrundes zunehmend an therapeutischer Bedeutung gewinnt.

Klinik des Marfan Syndroms Das Marfan-Syndrom (MFS) ist eine autosomal-dominant vererbte, pleiotro-

pe Erkrankung des Bindegewebes, deren Prävalenz auf ca. 1:5000 geschätzt wird. Mutationen im Gen für Fibrillin-1, eine Hauptkomponente der MikrofibriUen, sind für diese Systemerkrankung verantwortlich. Variable Kombinationen von klinischen Merkmalen und Manifestationen weisen die betroffenen Personen im Herz-Kreislauf-System, Auge, Skelett sowie Lunge, Integument und Dura mater auf. Eindrücklich ist auch in den betroffenen Familien die intraIm Artikel verwendete Abkürzungen: EDS Ehiers-Danlos-Syndrom EGF Epidermiswachstumsfaktor FBNi Fibrillin-Cen LDS Loeys-Dietz-Syndrom MASS Myopie, Mitralklappenprolaps, Aortendilatation, Striae, skelettale Beteiligung MFS Marfan-Syndrom TAAD Thorakale Aortenaneurysmen oder Dissektionen TGFBR Transforming growth factor beta receptor DOI 10.1024/1661-8157/a001496

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und interfamiliäre Variabilität des Erscheinungsbildes. Häufig imponieren diese Patienten durch einen sogenannten marfanoiden Körperbau mit Grosswuchs, langen schmalen Gliedmassen (Dolicostenomelie), langer schmaler Kopfform (Dolicozephalie) und skelettalen Auffälligkeiten wie Skoliose und Platt- und Senkfüsse (Abb. 1). Diese skelettalen Veränderungen treten bei ca. 60% der Betroffenen auf. Kiel- und Trichterbrust bei ca. 75%. Bei ca. 60% der Betroffenen kommt auch eine Ectopia lentis (Linsenluxation) vor. Die zugrundeliegenden Veränderungen des Bindegewebes sind verantwortlich für frühzeitigen Tod durch die plötzliche Ruptur oder akute Dissektion der Aorta insbesondere im Bereich der Aortenvmrzel, durch Aorten- und Mitralinsuffizienz, Endokarditiden oder plötzlichen Herztod. Linsenluxation, Myopie, Amblyopie. Strabismus, sekundäre Glaukombildung oder Amotio retinae können zu schweren Visuseinschränkungen führen. Die skelettalen Veränderungen, insbesondere im thorakalen Bereich benötigen oft operative Eingriffe. Die Lungengerüstbeteiligung führt mehrfach zu Emphysemblasenbildung mit akutem Pneumothorax. Nur die frühzeitige Diagnose mit entsprechenden therapeutischen Massnahmen erlauben heute, dass die durchschnittliche Lebenserwartung von 32 auf fast 60 Jahre angehoben werden konnte.

Molekulargenetik des Marfan-Syndroms Das Fibrillin-Gen, FBNl, ist auf dem Chromosom 15q21 lokalisiert, umfasst 65 Haupt-Exone sowie drei alternativ gespleisste nicht kodierende Exone. Das offene Leseraster kodiert für ein Cystein-reiches Glykoprotein. FBNl und das mit ihm eng verwandte Fibrillin 2 sind die Hauptkomponenten der 10-12 nm grossen extrazeUulären MikrofibriUen, die zusammen mit Elastin die elastischen Fasern in Geweben wie

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Abb. 1: Äusserliehe Merkmale des Marfansyndroms. a) Skoliose mit thorakaler Deformierung, b)-e) Araehnodaktylie und Gelenküberstreekbarkeit. b) Positives Daumenzeiehen (Daumen über Handteller beweglieh), c) Positives Handgelenkszeiehen (Daumen und Kleinfinger können sieh beim Griff um das andere Handgelenk berühren bzw. überragen).

der Aorta bilden. Fibrillin kommt ferner auch in elastinfreien Bündeln wie z.B. den Zonulafasern und anderen Geweben vor. Die Aminosäurensequenz des FBNl-Gens weist zahlreiche wiederholte Motive auf, die eine Homologie mit dem Epidermiswachstumsfaktor (EGF) besitzen, wovon wiederum 43 zusätzlich Kalziumbindungssequenzen darstellen und somit als Kalzium-bindende EGF-Module bekannt sind. «Missense»Mutationen stellen ca. zwei Drittel aller bekannten FBNl-Mutationen dar, wobei die meisten der «missense»-Mutationen jeweils eines der EGF-Module des FBNl-Gens betreffen. Damit ist meist eines der in Fibrillin-1 konservierten Cystein-Reste bzw. einer der Reste der Kalziumbindungskonsensus-Sequenz betroffen. Die klinische Verdachtsdiagnose des klassischen Marfan-Syndroms basierte auf einem komplizierten Scoring-System, das als Ghent-Nosologie bekannt ist. Hierbei wurden die klinischen Manifestationen nach diagnostischer Sensitivität und Spezifität in Hauptkriterien, Nebenkriterien, Organbeteiligungen und

Einzelmanifestationen, deren Kombination ein Haupt- oder Nebenkriterium ergeben können, unterteilt. Seit 2010 liegt eine revidierte Version dieser Nosologie vor, die eine vereinfachte Diagnostik ermöglichen soU [4]: • Bei Patienten ohne gesichertes Marfan-Syndrom in der Eamüienanamnese kann bei Nachweis einer Aortendilatation mit Ectopia lentis, oder mit einer kausativen FBNl-Mutation oder mit einem systemischen Score a7 Punkte ein Marfan-Syndrom diagnostiziert werden. • Auch der Nachweis einer Ectopia lentis mit einer FBNl-Mutation, von der der kausale Zusammenhang mit einer Aortenerkrankung gesichert ist, reicht zur Diagnosesicherung eines MarfanSyndroms. • Wenn eine Familienanamnese mit gesichertem Marfan-Syndrom besteht, reicht der Nachweis einer Aortendilatation oder ein systemischer Score a7 Punkte oder einer Ectopia lentis, um ein Marfan-Syndrom zu sichern. In der revidierten Ghent-Nosologie wurden der systemische Score und die Krite-

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Tab. 2: Revidierte diagnostische Kriterien nach Loeys et al. [4] («revidierte Ghent»-Kriterien) Das Marfan-Syndrom kann diagnostiziert werden, wenn Folgendes zutrifft: Ohne vorbelastende familiäre Vorgeschichte

• Aortenwurzelerweiterung(Z>2)oder Aortenwurzeldissektion und Ectopia lentis • Aortenwurzelerweiterung(Z 22) oder Aortenwurzeldissektion i/nrf FBNI-Mutatlon • Aortenwurzelerwelterung (Z >2) oder Aortenwurzeldissektion und systemischer Score S7 • Ectopia lentis und bekannte FBNI-Mutation mit Aortenwurzelerweiterung oder Aortenwurzeldissektion

Bei positiver FamilienVorgeschichte

• Ectopia lentis und familiäre MFS-Vorgeschichte • Systemischer Score S7 wnc/familiäre MFS-Vorgeschichte • Aortenwurzelerweiterung (Z >2 ab 20. Lebensjahr, Z >3 unter 20. Lebensjahr) oder Aortenwurzeldissektion und familiäre MFS-Vorgeschichte

rien für eine kausative FBNI-Mutation festgelegt. Da Mutationen in FBNl auch zu anderen Erkrankungen als dem Marfan-Syndrom führen können, sollte Letzteres nicht diagnostiziert werden, ohne zuvor das Vorhandensein klinischer Zeichen alternativer Diagnosen auszuschliessen. Erkrankungen, die durch Veränderungen des FibriUins und Mutationen im FBNl-Gen verursacht werden, umfassen die neonatale Form des MarfanSyndroms, mit einer durchschnittlichen Überlebensprognose unter einem Jahr, bis zum Marfan-artigen Habitus, der nicht mit einer aortalen Erkrankung assoziiert ist und auch keine Einschränkung der Lebenserwartung mit sich bringt. Bei den neonatalen Formen des Marfan-Syndroms können schon intrauterin Aortendissektionen nachgewiesen werden. Weiterhin gibt es den MASS-Phänotyp (Myopie, Mitralklappenprolaps, Aortendilatation, Striae, skelettale Beteiligung), als abgemilderte Form des Marfan-Syndroms. Dieses Krankheitsbild kann durch Mutationen im FBNl-Gen verursacht werden, in der Regel sind die Mitralklappe, die Aorta, das Skelett und die Haut daran beteiligt. Bisher konnten keine Mutationen für das familiäre MitralklappenprolapsSyndrom im FBNl-Gen identifiziert werden. Da das Marfan-Syndrom sicherlich die häufigste Ursache für ein genetisch bedingtes Aortensyndrom darstellt und

viele seiner extraaortalen klinischen Manifestationen auch bei verschiedenen anderen Aortensyndromen auftreten, ist es sicherlich wichtig, eine Evaluation auf das Vorliegen der klinischen Kriterien durchzuführen. Sollten zu der Aortenerkrankung auch extraaortale Manifestationen (revidierte Ghent Kriterien; Tab. 2) zu erkennen sein, ist vorerst die Sequenzanalyse des FBNl-Gens vorzunehmen. Sollten die klinischen Merkmale auch auf ein Loeys-DietzSyndrom Typl/2 (Tab. 4) oder auf ein Aneurysma-Osteoarthritis-Syndrom

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hinweisen, sollten sequeziell die Gene TGFBRl/2 und SMAD3 untersucht werden. Die klinischen Merkmale für das Marfan-Syndrom werden seit langer Zeit in den sogenannten Ghent-Kriterien festgehalten. Diese enthalten in ihrer revidierten Form von 2010 (Tab. 2 und 3) jedoch auch die differenzialdiagnostisch infrage kommenden Syndrome wie das MASS-Syndrom, das Ectopialentis-Syndrom und das Mitralklappensyndrom. Wobei für das Ehlers-DanlosSyndrom die Villefranche-Nosologie herangezogen wird. Keine Scoringsysteme gibt es dagegen für die Loeys-DietzSyndrome und das Aneurysma-Osteoarthritis-Syndrom.

Loeys-Dietz-Syndrom Seit 2004 bzw. 2006 ist nachgewiesen, dass die ebenfalls dem Formenkreis des Marfan-Syndroms zuzuordnenden Loeys-Dietz-Syndrome durch Mutationen im transforming growth factor beta receptor Typ 1 und 2 (TGFBRl/2) bedingt sein können. Mutationen in diesen beiden Genen können bei syndromalen Aortenerkrankungen mit extraaortalen

Tab. 3: Systemisches Punkte-Scoring: 27 Punkte = Marfan-Syndrom System Punkte-Bewertung Handgelenk-und Daumenzeichen Handgelenk oder Daumenzeichen

3 1

Pectus carinatum

2

Pectus excavatum oder Thoraxasymmetrie

1

MedialeVerschiebung des medialen Knöchels

2

Pes planus

1

Pneumothorax

2

Duraektasie

2

Protrusio acetabulae im Röntgen

2

Herabgesetztes Verhältnis von Oberlänge zu Unterlänge (unter 0,85) oder Verhältnis von Armspanne zu Körperlänge grosser als 1,05

1

Skoliose oder Kyphoskoliose

1

Mitralklappenprolaps Eingeschränkte Extension der Ellenbogen

1 1

Kraniofaziale Auffälligkeiten (ä3 aus Dolichocephalie.Enophthalmus,abfallende Lidspalten, malare Hypoplasia und Retrognathie) Striae distensae Myopie (>3 dpt)

1 1 1

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ab. 4 : Vergleich Marfan- (MFS) und Loeys-Dietz-Syndrom (LDS) Lokalisation

MFS und LDS

MFS

LDS

Auge

Netzhautablösung

Hohe Myopie Ectopia lentis Irishypoplasie

Blaue Skleren

Haut

Striae distensae

Schädel und Gesicht

Mittelgesichtshypoplasie Hoher, schmaler Gaumen, Mikrognathie,antimongoloide Lidachsenstellung

Dolichozephalie

Hypertelorismus, Kraniosynostose. Uvula bifida, Gaumenspalte

Skelett

Thorakodeformität Skoliose Arachnodaktylie

Mitralklappenprolaps

Andere primäre Aneurysmen und Dissektionen, arterielle Tortuositas persistierender Ductus arteriosus Vorhofseptumdefekte

Dystrophe Narben, durchscheinende Venen, Hämatomneigung, weiche Hautbeschaffenheit

Begleiterscheinungen und bei isolierten Formen von Aortenerkrankungen auftreten. Dabei ist das Loeys-DietzSyndrom (LDS) Typ 1 durch kardiovaskuläre, kraniofaziale, neurokognitive und skelettale klinische Manifestationen vom klassischen Marfan-Syndrom zu unterscheiden. Zu den kraniofazialen Auffälligkeiten gehören ein weiter Augenabstand, Caumenspalte, gespaltene oder breite Uvula, blaue Skleren und Craniosynostosen. Seltenere Manifestationen können auch ein atrialer Septumdefekt, ein persistierender Ductus BotaUi, Arnold-Chiari-Malformation Typ 1, Hydrocephalus, Entwicklungsretardierung und Klumpfüsse sein. Das Loeys-Dietz-Syndrom Typ 2 (LDS Typ 2) ist gekennzeichnet durch Mutationen in den beiden Cenen TCFBRl/2. Hauptsymptom und dominierender Phänotyp ist die arterielle AneurysmaBildung, weshalb es klinisch oft nicht vom vaskulären Typ des Ehlers-DanlosSyndroms (EDS) unterschieden werden kann. Typisch beim LDS Typ 2, wie beim vaskulären EDS sind spontane Rupturen von Hohlorganen sowie Uterusrupturen während der Schwangerschaft, eine durchscheinende, samtartige, brüchige oder überelastische Haut oft assoziiert auch mit atrophischer Narbenbildung.

Patienten mit LDS Typ 1/2 entwickeln oft ausser der häufigen proximalen Aortenerweiterungen auch zusätzlich distale Aneurysmen und eine übermässige Elongation anderer arteriellen Cefässe, die oft zu lebensbedrohlichen Komplikationen wegen erhöhter Rupturgefahr und Dissektionsrisiko führen. Seit Kurzem ist ein weiteres Aortensyndrom bekannt, was durch Mutationen im SMAD3-Cen verursacht werden kann. Das Erscheinungsbild ähnelt sehr dem LDS und es zeigen sich auch ähnliche kraniofaziale Veränderungen, wie Dysmorphien (Hypertelorismus), Uvula bifida, Hautveränderungen und skelettale Veränderungen. Osteoarthritiden hingegen sind typisch für das SMAD3-assoziierte Syndrom. Ausser den vaskulären Komplikationen treten auch Mitralldappenerkrankungen, Pulmonalklappenstenosen, Septumdefekte und ein offener Ductus arteriosus auf. Die Aneurysmen treten hauptsächlich in der Aortenwurzel auf, können aber in allen Cefässabschnitten auch extraaorta1er Cefässe auftreten, auch übermässige Cefässwindungen werden bei den Betroffenen beobachtet. Seltenere thorakale Aortenaneurysmen oder Dissektionen (TAAD) können im Rahmen eines syndromalen monoge-

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nen Erscheinungsbildes in Assoziation mit extraaortalen Manifestationen auftreten: Dazu gehört das Cutis-laxaSyndrom, verursacht durch Mutationen im FBLN4-Cen und das arterielle Tortuositas-Syndrom, verursacht durch Mutationen im CLUTIO-Cen. Ein weiteres TAAD-Syndrom kann auch durch Mutationen im MYHll-Cen ausgelöst werden. Mutationen hingegen im ACTA2-Cen sind oft geprägt durch eine livedo reticularis und einer koronaren Herzerkrankung. Therapie Das klinische Management sieht bei Marfan-Patienten folgende Massnahmen vor [5]: • Anpassung des Lebensstils und der Lebensplanung mit moderater Einschränkung der körperlichen Tätigkeiten • Durchführung der Endokarditisprophylaxe • Serielle Verlaufskontrollen inklusive der Schnittbilddiagnostik zum Monitoring der Aortenerweiterung, gegebenenfalls augenärztliche Betreuung und orthopädische Verlaufskontrollen • Verordnung eines Betabiockers zur Aortenprotektion (weitere Medikamente werden derzeit in klinischen Studien erprobt) • Prophylaktischer Ersatz der Aortenwurzel, das korrekte Timing und die Risikobewertung sind abhängig von den zugrundeliegenden Cenmutationen. Massnahmen bei Kinderwunsch und Schwangerschaft: • Aufklärung über das 50%ige Risiko der Vererbung des Marfan-Syndroms an Kinder • Hochrisikoschwangerschaft bei Aortenwurzeldiameter bei >40mm oder bei Status nach kardiochirurgischem Eingriff bei schwergradiger Herzerkrankung • Bei geplanter Schwangerschaft bei Frauen mit Aortenwurzeldiameter >40 mm prophylaktischer rekonstruktiver Ersatz der Aortenwurzel

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• Serielle dreimonatliche echokardiograpische Verlaufskontrollen bis drei Monate nach der Entbindung • Stillen erhöht vermutlich die Gefahr einer postpartalen Aortenruptur

Abstract Marfan syndrome is an autosomal dominantly inherited connective tissue disorder with a prevalence of approximately 1:5000 people. Typical manifestations affect the cardiovascular system, eyes, skeleton, lungs, skin and dura mater. Most patients have a so-called marfanoid habitus with tall stature, long and narrow limbs, a long and narrow head shape and other skeletal abnormalities. Of particular medical importance are the possible complications such as severe scoliosis or pectus excavatum, spontaneous pneumothorax, retinal detachment, or an acute glaucoma evoked by lens luxation. However, the most dangerous complication is acute dissection of the ascending aorta, which is usually the result of a slowly progressive aortic dilatation. With the introduction of therapies the average life expectancy of previously just 32 years could be raised to above 60 years. Keywords: Marfan syndrome - LoeysDietz syndrome - aortic dissection retinal detachment - scoliosis

Résumé Le syndrome de Marfan est une maladie héréditaire du tissu conjonctif qui se transmet sur le mode autosomique dominant, avec une prévalence d'environ 1:5000 personnes. Les manifestations typiques concernent le système cardiovasculaire, les yeux, le squelette, les poumons, la peau et la dure-mère. La plupart des patients ont un aspect appelé habitus marfanoïde, avec une grande taille, des membres longs et fins, une forme longue et étroite de la tête et d'autres anomalies

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Key messages • Kongenitale Bindegewebserkrankungen aus dem Formenkreis des MarfanSyndroms sind relativ häufig und gehen oft mit teilweise lebensbedrohlichen Komplikationen einher. • Die Diagnosesicherung eines Marfan-Syndroms ist bei klinischen Anzeichen für eine Therapieoptimierung wichtig. • Die äusserlich sichtbaren klinischen Merkmale des Marfan-Syndroms und verwandter Erkrankungen können sehr variabel ausgeprägt sein und umfassen unter anderem: hoher, schmaler Körperbau, Thoraxdeformitäten, lange Finger, Zehen und Gliedmassen, Gelenküberstreckbarkeit, Wirbelsäulenverkrümmungen, Myopie und Linsenluxation, Striae distensae, Varizen, Uvula bifida, hoher Gaumen und Dolichozephalie. • Bei Schwangeren mit Marfansyndrom ist ein erhöhtes Risiko für eine Aortenruptur insbesondere auch in der Stillzeit zu beachten.

Lernfragen 1. Welcher Erbgang liegt beim Marfan-Syndrom vor? ' (Einfachauswahl, 1 richtige Antwort) a) Geschlechtsgebundener Erbgang b) Autosomal-rezessiver Erbgang mit 25% Wiederholungsrisiko für Geschwister c) Autosomal-dominanter Erbgang mit 50% Wiederholungsrisiko d) Mitochondrialer Erbgang mit betroffenen Nachkommen nur über die Mutter e) Multifaktorielle Ursache ohne erkennbaren Erbgang 2. Was ist die häufigste Komplikation? (Einfachauswahl, 1 richtige Antwort) a) Ektasie der Dura mater b) Aortenruptur c) Pneumothorax d) Linsenluxation e) Schulterluxation

du squelette. Les complications médicales importantes à prendre en compte sont la scoliose sévère ou le pectus excavatum, le pneumothorax spontané, le décollement de rétine, et le glaucome aigu engendré par la luxation du cristallin. Cependant, la complication la plus dangereuse est la dissection aiguë de l'aorte ascendante, qui est en général la conséquence d'une dilatation de l'aorte de progression lente. Avec l'introduction de traitements adaptés, l'espérance de vie moyenne est passée de 32 ans à plus de 60 ans.

Mots-dés: syndrome de Marfan - syndrome de Loeys-Dietz - dissection aortique - décollement de rétine - scoliose

Korrespondenzadresse

Dr. med. Katharina Steindl Institut für Medizinische Genetik Universität Zürich Wagistrasse 12 8952 Schlieren steindl@medgen. uzh. ch

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Interessenskonflikt: Die Autorin erklärt, dass kein Interessenskonflikt besteht. Manuskript angenommen: 1.10.2013.

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[Marfan syndrome and related connective tissue disorders].

Le syndrome de Marfan est une maladie héréditaire du tissu conjonctif qui se transmet sur le mode autosomique dominant, avec une prévalence d'environ ...
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