Langenbecks Arch. Chir. 345 (KongreBbericht 1977)

Langenbecks Archiv fi3r Chirurgie © by Springer-Verlag1977

5. Mammacarcinom: Strahlentherapie H. Kuttig Universifiits-Strahlenklinik - Czerny-Krankenhaus (Direktor: Prof. Dr. med. K. zum Winkel), VoBstr. 3, D-6900 Heidelberg

Mammary Carcinoma: Radiotherapy Summary. Radiotherapy for mammary carcinoma has special indications, depending upon the TNM stage and the localization. The use of megavoltage irradiation, a well-defined technique , and consideration of radiobiologic factors are necessary. Radiotherapy is the only therapeutic possibility in cases of recurrences.

Key words: Mammary carcinoma, radiotherapy - Mammary carcinoma, therapeutic indications.

Zusammentassung. Die Strahlentherapie des Mammacarcinoms hat ihre besonderen Indikationen in Abhfingigkeit vom TNM-Stadium und der Lokalisation. Erforderlich ist die Anwendung von Megavoltstrahlen, einer speziellen Technik und die Beachtung strahlenbiologischer Faktoren. Besonders bei Rezidiven stellt die Strahlentherapie die einzige therapeutische M6glichkeit dar. Schliisseiw~irter: Mammacarcinom - Strahlentherapie - Indikationen - Megavolttherapie.

Die Beurteilung des Wertes der Strahlentherapie beim Mammacarcinom ist seit der Einfiihrung der postoperativen Bestrahlung durch Anschiitz u. Meyer stets schwankend unterschiedlich gewesen. Als Gegenargumente wurden herangezogen der fehlende Nachweis einer Verbesserung der Behandlungsergebnisse sowie das Auftreten von mehr oder weniger starken Strahlenreaktionen, wenn nicht gar von Schadigungen. Das erste Argument stiitzt sich nicht nur auf durch Chirurgen erstellte Statistiken, sondem auch auf Erhebungen groBer radiologischer Zentren, insbesondere in den angelsfichsischen Lfindem. Eine schlfissige Aussage fiber den Wert oder Unwert entweder des Verzichtes auf die Nachbestrahlung oder seiner DurclffiJhrung ist aber gar nicht zu machen, solange eine streng zuf~illige Zuteilung der Patienten zu einer

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der beiden Verfahren nicht erfolgte. Damit kann der Behauptung der Ineffektivit~it der postoperativen Bestrahlung nicht gefolgt werden. Auf den Vorwurf von Strahlenreaktionen wird noch eingegangen werden. Die postoperative Bestrahlung leitet ihre Berechtigung in erster Linie v o n d e r M6glichkeit des Befalles regionaler, vom Chirurgen nicht erfa6ter Lymphknoten beiderseits parasternal l~ings der Aae. mammariae int. sowie der supra- und infraclavicul~iren Region ab. Darauf sollte sich auch die Nachbestrahlung konzentrieren, jedoch unter Beriicksichtigung des Krankheitsstadiums, der Lokalisation des Prim~irtumors und des Befalles der Axilla. Bei Beginn der Prim~irbehandlung ist mit der Hiiufigkeit positiver parasternaler Lymphknoten in 30-36,5 % der Fiille zu rechnen (Tabelle 1), aul3erdem wirkt sich die Gr6Be des Prim~irtumors, also des T-Stadiums mit einer H~iufigkeit zwischen 16,3% bei < 3 cm und 52,2% bei > 8 crn aus (Tabelle 2). Den Einflul3 der Lokalisation des Prim~irtumors zeigt die Tabelle 3 mit 28,7-31% in den medialen Quadranten, 16-17% in den lateralen und erstaunlich hoch bei zentralem Sitz mit 43-47%. Einen sehr wichtigen Hinweis ergibt der Befall der axill~ren Lymphknoten. So wurden parasternale Metastasen bei positiven axill~iren Lymphknoten in 13,7-35 % nachgewiesen gegentiber nur 1,8-8% bei fehlender axill~irer Metastasierung (Tabelle 4). Daraus ergibt sich die Indikation zur Nachbestrahlung, n~imlich Verzicht in den Stadien TI-2NoMo und Lokalisation des Prim~irtumors in den lateralen Quadranten, Nachbestrahlung allein der parasternalen Region in T2NoM0 bei Lokalisation in den medialen Quadranten und Bestrahlung der parasternalen Lymphbahnen und der supra- und infraclavicul~iren Region in allen anderen Stadien, vor allem bei positiven axill~iren Lymphknoten (Abb. 1).

Tabeile 1. Mammacarcinom. H~iufigkeitparasternaler Metastasierung

Parastemale Metastasierung. Abh~ingigkeit von Prim~irtumorgr613e

Tabelle 2.

Tabelle

Haagensen Denoix Smulders u. Smets

32,5 % 30,2% 36,5%

< 3 cm 3 - 8

16,3% 20,1% 39,4% 57,2%

3. Parastemale Metastasierung. Lokalisation des Primiirtumors Medial %

Haagensen Handley Denoix

Zentral %

28,7 43 31 47 unabh~ingig von Lokalisation

Lateral % 17,1 16

Mammacarcinom: Strahlentherapie

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Tabelle 4. Parasternale Metastasierung bei Befall oder Abwesenheit axill/irer Metastasen Axill/ire Metastasen % Handley Denoix Margottini et al. Andreassen et al. Veronesi Caceras Dahl-Iversen Handley

35 27,6 20,9

Ohne axill. Metastasen % 2,6 1,8 5,2 5,1 3,0 3,1 8

20,3 16,0 13, 19

j Abb. 1. Lage der Bestrahlungsfelder

Die Strahlendosis sollte unter weitgehender Schonung gesunden Gewebes mit einem ausreichenden Sicherheitsrand exakt auf die interessierenden Zielvolumina konzentriert werden (Abb. 2 u. 3). Dies gelingt allein durch Anwendung ultraharter Strahlenarten wie Kobalt-60, ultraharte R6ntgenstrahlen oder hochenergetische Elektronen, mit Eimchr/inkung mit der Hartstrahltherapie yon 300 kV. Zus/itzlich ist eine entsprechende Bestrahlungstechnik anzuwenden, die bei Beriicksichtigung der strahlenbiologischen Erkennmisse, vor ahem des Dosis-Zeit-Faktors, eine maximale und optimale Schonung bei gleichzeitiger Dosiskonzentrierung gew/ihdeistet. Auf die routinem/iBige Bestrahlung der Thoraxwand, also des Operationsgebietes, kann verzichtet werden. Durch die operativ bedingte schlechtere O2-Versorgung

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I

I

I

0

1

3

I

5 cm

Abb. 2. Dosisverteilung bei Elektronen-Pendelbestrahlung mit Jalousietubus. 15 MeV, Filter 2, Pendelwinkel 120 °, Achsenfiefe 6 cm

30

I

1

3

5cm

Abb. 3. Dosisverteilung bei Kobalt-60-Teletherapie der supra-infraclavicul~iren Region fiber je ein ventrales und dorsales Feld

Mammacarcinom: Strahlentherapie

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//

Abb. 4. Dosisverteilung bei Schalenbestrahlung der Thoraxwand mit hochenergetischen Elektronen

Abb. 5a und b. Thoraxwandrezidive vor und nach Elektronentherapie

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Abb. 6a und b. Inoperables inflammatorischesMammacarcinom vor und 8 Monate nach Strahlentherapie dieser Region ist die Strahlenempfindlichkeit eingeschr~inkt, es w~iren also relativ hohe Dosen erforderlich. AuBerdem liiBt sich dadurch ein lokales Rezidiv nicht mit Sicherheit verhindern. Die angegebenen Rezidivquoten liegen zwischen 7 und 35 %, die eigenen Beobachtungen belaufen sich je nach Stadium und Operateur auf 7-14 % in 5 Jahren, sind demnach nicht h6her als nach Nachbestrahlung.

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Mammacarcinom: Strahlentherapie Tabelle 5. 5-Jahres-Ergebnisse mit vorangegangenerTumorektomie

Ohne Mastektomie Mit negativer Mastektomie Mit positiver Mastektomie

Erfolg

MiBeffolg

Gesamt

130 2 8

19 3

149 2 11

140

22

162

J. M. Spitalier, R. Amalric et al., Marseille, 1976 Einen wichtigen Faktor betrifft aber die erforderliche Behandlung des lokalen Rezidives. Diese kann nicht allein operativ sein. Erfahrungsgemiil3 treten nach Resektion oft erneute Rezidive in der Nachbarschaft auf. Eine vorangegangene Bestrahlung der Thoraxwand schr~inkt aber die M6glichkeit einer wirkungsvollen Rezidivbestrahlung wegen der erforderlichen relativen hohen Dosis ein und fiihrt mit Sicherheit zu starken Reaktionen bis zur Nekrotisierung. Die Rezidivbestrahlung sollte mit relativ groBen Feldern erfolgen mit Strahlenarten geringer Eindringungstiefe wie z. B. Elektronen. Die oberfl~ichliche Strahlendosiskonzentrierung erm/Jglicht dadurch die Schonung vor allem des Lungengewebes und der Rippen (Abb. 4). Die Abbildung 5 a und b zeigt eine kleinknotige Rezidivierung im Bereiche der Thoraxwand vor und nach Bestrahlung mit hochenergetischen Elektronen. Diese Rezidivformen ist relativ h~iufig und operativ nicht mehr beherrschbar. Die Elektronentherapie erm6glicht die Applikation der erforderlichen hohen Strahlendosen (6500 Rad) bei ausgezeichneten kosmetischen Verh~ltnissen, jedoch nur bei radiologisch nicht vorbelastetem Gewebe. Eine weitere Indikation zur Strahlentherapie stellen inoperable, weiterfortgeschrittene oder inflammatorische Carcinome dar. Die Abbildung 6 a und b zeigen einen derartigen Fall vor und 8 Monate nach Strahlenbehandlung mit Megavoltstrahlen. Auch hier sei auf alas Fehlen, d. h. die Vermeidung von Strahlenspiitreaktionen verwiesen. AbschlieBend m6chte ich noch auf eine von Amalric u. Spitalier in Marseille seit Jahren ge~ibte Methode hinweisen. Es handelt sich um eine kurative Radiotherapie des operablen Brustkrebses mit Aussicht auf Erhaltung der Brust. Sie ist beschfiinkt auf histologisch gesicherte Fiille T1_2 ohne Zeichen schnellen Wachstums und kam bisher bei etwa 1700 Patientinnen zur Anwendung, davon 162 fiber 5 Jahre nachbeobachtet (Tabelle 3). Die Strahlentherapie hat beim Mammacarcinom ihre unbestrittene Bedeutung. Voraussetzungen sind jedoch eine klare und gesicherte Indikationsstellung, eine Bestrahlungstechnik mit weitgehender Schonung des gesunden Gewebes zur Vermeidung von Strahlenfriih- und -spiitreaktionen - wozu die Anwendung ultraharter Strahlenarten als obligat angesehen wird - und die Beachtung der heutigen strahlenbiologischen Erkenntnisse, insbesondere des Dosis-Zeit-Faktors. Wenn diese Voraussetzungen erfiJllt sind, ist auch eine radiologische Behandlung noch bei Rezidiven mit guten Resultaten m6glich.

[Mammary carcinoma: radiotherapy (author's transl)].

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