GESCHICHTEN AUS DER PRAXIS

WAS MMW-LESER ERLEBEN © A. Klementiev/Fotolia

Ärztliche Erfahrung beschränkt sich nicht auf medizinisches Fachwissen. Sie entsteht auch aus den mehr oder minder alltäglichen, heiter, ärgerlich oder nachdenklich stimmenden Erlebnissen mit Patienten, Kollegen und Mitarbeitern. Senden Sie uns Ihre Geschichte an: [email protected]. Für jeden veröffentlichten Text erhalten Sie bis zu 100 Euro. Folge 142

Diese Liebe sickert durch jeden Verband



© F. Backes

Viele Erlebnisse auf einer Palliativstation entbehren wider Erwarten nicht einer einzigartigen Situationskomik. Ein Patient Mitte Siebzig wurde somnolent aufgenommen. Er war exsikkiert und sollte neben einer intravenösen Flüssigkeitssubstitution eine intensive Mundpflege erhalten. Diese pflegerische Maßnahme wurde durch seinen erstaunlichen Beißreflex sehr erschwert. Er zermalmte alles, was ihm zwischen die Zähne kam, mit Leichtigkeit zu Brei. Sein Sohn berichtete, dass der Vater schon immer Zahntechniker zur Verzweiflung gebracht habe, da er sowohl die eigenen Zähne als auch jeden Ersatz verschlissen hätte. Die Ehefrau beteiligte sich couragiert an der Mundpflege und wurde von ihrem Mann in den Finger gebissen. Die Wunde wurde mit fünf Stichen genäht und verbunden. Nach einer Stunde kam ein Zeichen der Versöhnung durch den Verband gesickert. Frauke Backes, Saarbrücken ■

Die Super-Notärztin vergisst ihre Elektroden



Es ist ja immer wieder toll, im Notdienst zu Todesfeststellungen gerufen zu werden. Neulich war es wieder soweit: Eine Notärztin rief mich an und forderte mich recht barsch auf, zur Ausstellung eines Totenscheines auszurücken. Der Verstorbene war Patient in unserer Praxis gewesen, aber nicht in meiner Behandlung. Darum wusste ich nichts über seine Erkrankungen und fragte, ob die (ebenso ahnungslose) Kollegin nicht die Todesfeststellung treffen könne. Dazu sei sie nicht verpflichtet, sagte sie brüsk. Das wäre mein Job als hausärztliche

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Diensthabende. Sie wäre allerdings bereit, zur Untermauerung der Diagnose „Tod“ ein Nulllinien-EKG zur Verfügung zu stellen. Ich hielt die Bemerkung für Sarkasmus. Nach einem Telefonat mit dem betreuenden Kollegen fuhr ich in die angegebene Wohnung. Vor Ort warteten die Angehörigen, und ich schaute mir den Toten an. Er war über 80 Jahre alt geworden und offensichtlich friedlich auf seinem Bett eingeschlafen – allerdings, den alten Totenflecken und der ausgeprägten Totenstarre nach, schon vor einiger Zeit, vielleicht sogar vor

ein oder zwei Tagen. Doch siehe da: Auf seiner Brust klebten doch tatsächlich die EKGElektroden der Notärztin. Einen Ausdruck fand ich nicht vor. Hatte die hochnäsige Super-Notärztin das EKG geschrieben, um den Tod sicher feststellen zu können? Hatte sie daraufhin vielleicht ein Augenrollen der Sanitäter bemerkt und den Ausdruck kurzerhand vernichtet, weil er ihr peinlich war? Ich jedenfalls brauchte ihn zur Todesfeststellung nicht. Warum sie ihn angefertigt hat, werde ich nicht erfahren. Dr. Frauke Höllering, Arnsberg ■

MMW-Fortschr. Med.

2015; 157 (11)

[Love seeps through every bandage].

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