Referiert – kommentiert

Referat

N. Marx

Lohnt sich die intensive Einstellung für Patienten mit Typ-2-Diabetes? Ref riert–kom entiert JAMA Intern Med 2014; 174: 1227–1234 Hintergrund: Bei Patienten mit Typ-2-Diabetes ist die intensive Einstellung mit dem Ziel eines HbA1c-Wertes unter 7% mittlerweile Standard. Allerdings zeigte sich hierdurch bisher in Studien kein Vorteil bezüglich klinisch relevanter Endpunkte. Vijan et al. gingen nun der Frage nach, wie sehr eine solche intensive Behandlung die Patienten belastet.

wicklung und Progression. Ziel der Analyse war es, die Frage zu beantworten, wie die Belastung durch die Behandlung den Vorteil einer intensiven gegenüber einer moderaten Einstellung beeinflusst. Hierzu berechneten die Autoren die Auswirkungen der Therapie auf die Behandlungsergebnisse und die Lebensqualität in Form von qualitäts-adjustierten Lebensjahren (QALYs). Primäre Endpunkte waren die QALYs und die Risikoreduktion mikrovaskulärer und kardiovaskulärer Diabetes-Komplikationen.

Methoden: Die Autoren nutzten für ihre Analyse die aktualisierte Version eines kürzlich publizierten Markov-Modells zu Diabetes mellitus, um den Nutzen der glykämischen Kontrolle zu evaluieren. Das Modell berücksichtigt mikrovaskuläre und kardiovaskuläre Komplikationen durch die Erkrankung und untersucht vor allem den Einfluss von Risikofaktoren auf deren Ent-

Ergebnisse: Im besten Fall führte eine Reduktion des HbA1c-Wertes von 8,5 auf 7,5% bei einem 45-jährigen Patienten mit lebenslanger Behandlung zu einem Gewinn von 0,906 QALYS. Bei älteren Patienten nahm dieser Zugewinn ab: Bei einem 65jährigen Patienten betrug er noch 0,269 QALYs, und bei einem 75-jährigen Patienten sank er weiter auf 0,104 QALYs. In der

Gesamtanalyse schwankten die Zugewinne bei den 45-jährigen Patienten zwischen 0,77 und 0,91 QALYs, bei den 75-jährigen zwischen 0,08 und 0,10. Allerdings hatte die von den Patienten empfundene Belastung durch die Behandlung einen deutlichen Effekt auf das Ergebnis. Über alle Altersgruppen hinweg ergab sich bei Patienten, die die Behandlung als belastend empfanden, netto ein Verlust an QALYs. Folgerung: Eine intensive glykämische Kontrolle kann für jüngere Patienten deutliche Vorteile bringen. Bei Patienten über 50 Jahren ist der Effekt aber allenfalls mäßig. Je nachdem, wie belastend die Patienten die Therapie empfinden, kann diese auch nachteilig sein, so die Autoren. Dr. med. Johannes Weiß, Bad Kissingen

Kommentar

Die Diabetestherapie sollte stärker individualisiert werden Die von Vijan et al. in JAMA veröffentlichte Studie befasst sich mit der im Alltag und im Rahmen klinischer Leitlinien häufig übersehenen Fragestellung, inwieweit eine Therapie die Lebensqualität des Patienten Prof. Dr. N. Marx, im Vergleich zu dem Aachen im Lauf der Zeit erzielten Nutzen einschränkt. Diese Fragestellung ist von besonderer Relevanz bei Patienten mit Diabetes, bei denen eine blutzuckersenkende Therapie z.B. durch häufige Blutzuckerkontrollen, Insulininjektionen und das Risiko von Hypoglykämien oft als Belastung des Alltags empfunden wird. Die Studie von Vijan et al. untersuchte in einem komplexen Modell die Belastung durch die Therapie und verglich eine intensive vs. eine moderate Blutzuckerkontrolle bei Patienten mit Typ-2-Diabetes. Betrachtet man den Nutzen einer blutzuckersenkenden Therapie in Bezug auf mikro- und makrovaskuläre Ereignisse, so profitieren vor allem jüngere Patienten ohne kardiovaskuläre

Dtsch Med Wochenschr 2014; 139, Nr. 44

Vorerkrankung von einer intensiven Blutzuckerkontrolle. Bei älteren Patienten ist dieser Vorteil im Vergleich zu anderen Therapiestrategien – z. B. Blutdruck- oder Lipidsenkung – moderat und geht mitunter mit massiven Nebenwirkungen wie Hypoglykämie einher. Dies zeigt sich in der Studie an dem geringen Zugewinn an QALYs bei älteren Patienten. Die hier veröffentlichte Studie unterstreicht und „quantifiziert“ in dem applizierten Modell sehr eindrucksvoll die Tatsache, dass im klinischen Alltag die Belastung, die eine Therapie für den Patienten mit sich bringt, mitunter übersehen wird. Die hochrangig veröffentlichte Studie sollte dazu beitragen, die Individualisierung der Therapie in den Vordergrund zu rücken. Dies bedeutet, dass der Aufklärung im Rahmen des Arzt-Patienten-Gespräches vor Initiierung einer Therapie größere Bedeutung zukommen muss und dass der Patient umfassend über die Risiken einer Therapie einschließlich der oft nicht leicht zu quantifizierenden Einschränkungen der Lebensqualität aufgeklärt werden sollte. Darüber hinaus sollte im Verlauf der Therapie im Gespräch mit dem Patienten nicht nur auf den erreichten HbA1c-

Wert, sondern auch auf die Alltagseinschränkung durch die Therapie fokussiert werden. Somit adressiert diese Studie einen Punkt, welcher in der Behandlung von Patienten selbstverständlich sein sollte. Im Zeitalter der evidenzbasierten Medizin, der Fokussierung auf Laborwerte und des hohen Zeitdrucks in der täglichen Praxis droht die Abwägung zwischen lang- bis mittelfristigem Vorteil einer blutzuckersenkenen Therapie und der Belastung durch die Therapie mitunter in den Hintergrund zu geraten. Auf dieser Grundlage ruft die Studie einmal mehr dazu auf, die Diabetes-Behandlung nicht allein unter dem Aspekt zu betrachten, welcher HbA1c Zielwert werden kann, sondern auch, wie der Patient individuell mit den eventuellen Alltagsbelastungen der Therapie zurechtkommt. Prof. Dr. med. Nikolaus Marx Universitätsklinikum Aachen Interessenkonflikte: keine DOI 10.1055/s-0033-1353924

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[Is intensive glycemic control for patients with type 2 diabetes profitable? - Diabetes therapy should be more individualised].

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