Aus der Praxis — für die Praxis 265

1st die Endothelmikroskopie vor KataraktChirurgie notwendig? P. Vivell, O.-E. Lund Augenklinik der Universitat Munchen (Direktor: Prof. Dr. 0.-F. Lund)

Einleitung

Zusammenfassung

Annahernd dreieinhalbtausend Patienten wurden vor geplanter Katarakt-Operation mit dem Endothelmikroskop untersucht. Bei lediglich 4¾ dieser Patienten erschien die Implantation einer Intraokularlinse nicht ratsam. Sehr haufig hatten diese Patienten zusätzliche okulare Erkrankungen. 40 Patienten wurden dennoch mit intraokularer Linse versorgt, 48 Pa-

tienten ohne Implantation kataraktextrahiert. Postoperative Hornhautirritationen traten gleich haufig in beiden Gruppen auf. Vor aliem Zellpolymorphien und ausgeprägte Cornea guttata scheinen hierfür verantwortlich. Die Beurteilung von Zelipolymorphien an der Spaitlampe ist schwierig. Zumindest fur Patienten mit weiteren okularen Erkrankungen und an der Spaitlampe auffailigen Hornhautbefunden wird die Endothelmikroskopie vor Katarakt-Operation mit geplanter Implantation einer Intraokularlinse empfohlen. Is Specular Microscopy Necessary Before Cataract Surgery?

Specular microscopy was performed before cataract surgery in approximately 3,500 patients. In 127 cases (approx. 4¾), implantation of an intraocular lens (IOL) did not appear appropriate, in view of the condition of the cornea. Many of these patients had additional ocular pathology, such as retinal detachment, glaucoma, and intraocular inflammation. In 40 of the patients, lOLs were implanted in spite of the results of specular microscopy, while 48 patients underwent surgery without lens implantation. The incidence of postoperative corneal complications in the two groups was the same. The main problems were caused by cell polymorphism and severe cornea guttata. It is extremely difficult to assess cell polymorphism at the slitlamp. Especially in patients with other ocular diseases and corneal lesions visible at the slitlamp, it is recommended that specular microscopy be performed prior to cataract surgery with implantation of an IOL. ________________________________________________

Der Ausgang einer Katarakt-Operation ist nicht nur davon abhangig, ob die getrubte Linse in toto aus dem Auge entfernt werden konnte, oder ob die eventueli eingesetzte intraokulare Linse optimal placiert ist und, daB sich kein postoperatives Macuiaoedem entwickelt. Ebenso wichtig fur den Erfoig einer Katarakt-Operation sind die

Hornhautverhaltnisse. Die entscheidende postoperative Komplikation nach Katarakt-Chirurgie von seiten der Hornhaut ist die Endotheldekompensation mit Hornhautoedem. Das Endothel spielt zur Aufrechterhaltung der Hornhauttransparenz eine entscheidende Rolle (Reim, 1972). Sowohi fur den Patienten wie auch fur den Operateur ist es wichtig zu wissen, weiche Hornhautendothelverhaltnisse vor einer geplanten Katarakt-Operation vorliegen (Masket, 1988 und Siezak et al., 1989). Bei geringer Endotheizelireserve und veranderter Morphologie kann es auch

nach einwandfrei ausgefuhrter Katarakt-Operation zur Hornhautdekompensation kommen (sofort oder nach einer Latenzzeit). Fur die Beurteilung des Hornhautendotheis stehen uns bereits seit den 20cr Jahren klinisch praktikable Methoden zur Verfugung. Die vorliegende Studie soil der Frage nachgehen, ob eine Endothelmikroskopie vor Ausfuhrung einer Katarakt-Operation notwendig ist.

Praoperative Endothelbeurteilung 1920 beschrieb Vogt seine Untersuchungs-

methode, die Endotheloberfläche der Hornhaut mit der von Gui/strand eingefuhrten Spaltiampe am lebenden Auge sichtbar zu machen. HierfUr pragte er den Begriff ,,Spiegelmikroskopie". Mit dieser Methode konnte er die hintere Kornea illuminieren und Oberflachendetails sowie Endothelzellgrenzen beobachten. 1968 beschrieb Maurice das erste Spiegelmikroskop zur Beobachtung des Endothels in hoher VergroBerung (Maurice, 1968). Heute sind verschie-

dene Geräte zur Endothelmikroskopie kiinisch im Gebrauch; so die Kontaktspiegelmikroskope, die die Hornhautoberfth.che touchieren und die Non-Kontakt-Geräte, die beruhrungsfrei arbeiten. Patientenkollektiv und Methoden An der Augenklinik der Universit.t Munchen

Kiln. Mbi. Augenheiik. 197 (1990) 265—267 1990 F. Enke Verlag Stuttgart

untersuchten wir von 1985 bis 1989 gemeinsam mit L. Neubauer

3457 Patienten mit dem Keeler-Konan Pockhngton wide-field

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Herrn Prof. Dr. med. Roif Marquardt zum 65. Geburtstag gewidmet

P. V/veil, O.-E. Lund

Z66 Kim. Mb!. Augenheilk. 197 (1990)

Altersverteilung 1.200 1.150 1.008

1.000

800 671

600 400

-

l2fln - n 142

56

—F-., 30—40

41-50 51-60 61-70 71-80 81-90 .90 Alter (Jate)

Abb. 1 Altersverteilung der Patienten, bei denen eine Katarakt-Operation mit Hinterkammerlinsenimplantation geplant wu rd e

Spiegelendothelmikroskop vor geplanter Hinterkammerlinsenim-

plantation. Hierbei wurde das Endotheizelimuster, die Zelldichte, Zeilveranderungen (cornea guttata) sowie die Pachymetrie herangezogen. Das Endothelzeilmuster sowie eine eventuell vorhandene

cornea guttata wurden direkt durch den Untersucher beurteilt. Die Zelizahi wurde in der Regel vom Untersucher geschatzt; in Zweifelsfällen wurden die Zellen auf angefertigten Fotoabzugen ausgezahit. Die Pachymetrie wird an diesen Gertiten direkt angegeben.

Ergebnisse

In 96% der untersuchten Hornhhute (58% Frauen, 42% Manner) sprach der Endothel- und Pachymetriebefund für die Durchfuhrung der Katarakt-Operation

Abb. 2 Haufigkeitsverteilung des Endothelbefundes. Patienten mit schlechter Endothelsituation wurden zu 48% extrakapsulär Katarakt extrahiert, zu 40% mit Hinterkammerlinsenimplantation versorgt und zu 1 2% nicht operiert.

Z.n. Ablatio retinae (3%) und Dehnungsherde bei Myopia permagna (5%). Bei den intraokularen EntzUndungen (12%) fanden sich sieben Patienten mit rezidivierenden Intiden, drei mit chronischen Uveitiden, em Patient hatte nach einer perforierenden Verletzung eine sekundäre Iritis entwickelt und bei einem Patienten bestand eine Heterochromiezyklitis (vergi. hierzu L. Neubauer, 1980 und Ch. Hartmann, 1987).

Es ergeben sich nunmehr anhand der Ergebnisse von reduzierten Endothelbefunden (Abb. 2) folgende Fragen:

1. Wie entwickelte sich die HornhautFunktion nach der Katarakt-Operation, mit Hinterkam-

unter gleichzeitiger Implantation einer Hinterkam- merlinsen Implantation, im Vergleich zur reinen primaren merlinse.

8% aller Falle wiesen eine Endotheizell-Po-

e.c. Katarakt-Operation, d. h. ohne Hinterkammerlinsenimplantation?

lymorphie auf und 28% boten eine cornea guttata unterschiedlicher Auspragung (21 % minimal, 7% deutlich bis

Bei jenen nachkontrollierten 99 Patienten (von 127), bei denen nach Endothelmikroskopie die Immassiv). Die Pachymetrie ergab em Maximum in der plantation einer Hinterkammerlinse nicht ratsam schien, Gaussschen Verteilungskurve bei 0,59 mm; 99% alter un- wurde in 40% (40 Patieriten) trotz des reduzierten Endotersuchten Augen wiesen Pachymetriewerte zwischen 0,46 thelbefundes eine Intraokularlinse implantiert. Bei 48 Paund 0,68 mm auf. tienten (48%) wurde die Katarakt-Operation ohne Implantation einer Intraokularlinse durchgefuhrt. 11 Patienten Die Altersverteilung des Patientengutes er- (12%) wurden nicht operiert.

gab, daB em Uberwiegender Teil jenseits des 70. bis 80. Le-

bensjahres sich befand und nur 10% junger als 60 Jahre waren. 4% hatten das 90. Lebensjahr (Abb. 1).

Obwohl Endothelzellveranderungen — auch in Anbetracht dieser Alterszusammensetzung unseres

Untersuchungsgutes — relativ haufig sind, war der Befund indes nur in 4% (127) so ausgeprägt, daB man von einer

Linsenimplantation abriet. Von diesen 127 Patienten konnten 99 unmittelbare post-operative Verläufe ausgewertet werden.

Bei den operierten Patienten dieser Gruppe kam es in 12,5% zu einer verstärkten postoperativen Hornhautirritation, die vom prolongierten Hornhautodem his zum Vollbild der Hornhautdekompensation reichte. Die Hornhautirritation trat in gleicher Häufigkeit bei den Patienten mit Implantation einer intraokularen Linse und ohne Implantation einer solchen auf.

2. Wie reagierte die Hornhaut postoperativ in jenen Fallen, in denen die Endothelmikroskopie kei-

ne Kontraindikation zur Operation und/oder Implantation erkennen hell?

Wesentlich ist, daB viele Patienten zusätzliche Augenveranderungen boten wie Glaukome (34%), reti-

nale Erkrankungen, z.B. Retinopathia diabetica (3%),

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In einer Kontroligruppe von 100 Patienten, 7 Patienten mit postoperativ dekompenbei der die Hinterkammerlinsenimplantation als moglich sierter Hornhaut konnten Uber einen langeren Zeitraum beurteilt wurde, fand sich lediglich in 2% cm prolongiertes beobachtet werden. Bei vier Patienten trat nach der HinterHornhautoedem. kammerlinsenimplantation eine persistierende, bullöse Keratopathie auf, die zur Keratoplastik fuhrte. Bei drei Pa3. Welche der spiegelmikroskopisch ermit- tienten indes hat sich die Hornhaut postoperativ nach 1 bis telten pathologischen Befunde wiesen die schlechtere post- 4 Wochen wieder erholt. operative Prognose auf? Als 6. und letzte Frage ergibt sich, oh es unter diesen Gesichtspunkten der routinema]3igen HornhautBezuglich der Cornea guttata: endothelmikroskopie vor Katarakt-Operation bedarf oder Bei mit Hinterkammerlinse versorgten Pa- oh die Endothelbeurteilung lediglich an der Spaitlampe tienten zeigte sich 2lmal eine zentrale Cornea guttata, 7 mittels Vogtscher Spiegelmikroskopie ausreichend ist. mal eine Cornea guttata bis in die Peripherie. Die Patienten ohne Hinterkammerlinse wiesen 1 imal eine zentrale Nach unseren Erfahrungen genugt fur den Cornea guttata und l7mal eine Cornea guttata bis in die weitaus graBten Teil der Katarakt zu operierenden PatienPeripherie konfluierend auf. ten die praoperative Endothelbeurteilung uber die reine Spiegelmikroskopie mit der Spaitlampe nach Vogt. In all Bezuglich der Endothelzelldichte: jenen Fallen indes, in denen eine Hornhautvorschadigung

(Glaukom, intraokulare Entzundung, Hornhaut-VeratEine deutlich reduzierte Endothelzelldichte lag in beiden Gruppen gleich haufig vor (24 bzw. 26).

Bezuglich der Zeilpolymorphie:

Deutliche bis extreme Polymorphien zeigten sich in der mit Hinterkammerlinsen versorgten Gruppe in 55¾, bei Patienten ohne eine soiche in 69¾. Patienten mit Hornhautproblemen nach Katarakt-Operation: Ohne

Hinterkammerlinse fanden sich bis auf eine Ausnahme Guttata—Veranderungen bis in die Peripherie und nur in drei Beobachtungen eine deutliche bis extreme Polymorphie der Endotheizellen.

zung etc.) vorliegen oder bei hoherem Lebensalter der Patienten (Laing, 1976) sollte nach Moglichkeit eine Endothelmikroskopie erfolgen. Ohne Zweifel gibt uns die Endothelmikroskopie — gerade bei nicht mehr optimalem Endothel — gute Hinweise für em moglichst schonendes Operieren mit Anwendung viskoelastischcr Substanzen,

zugigem Verlauf der Operation und sparsamer Anwendung von Spulflussigkeit. Literatur Harlmann, C/i.: Klinische Hornhautspiegelmikroskopie. Fortschr. Ophthalmol. (1987) 3 13—322

Unter den Patienten mit implantierter Hinterkammerlinse zeigten nur zwei Patienten eine Cornea

guttata bis in die Peripherie. Auffallend war in dieser Gruppe, dalI vier von funf Patienten eine deutliche bis extreme Polymorphie aufwiesen. Es zeigt sich deutlich, dalI in erster Linie bei

Hinterkammerlinsenimplantationen endothelpolymorphe Augen eine deutlich schlechtere Prognose aufwiesen.

4. Sind die Endothelzellbefunde im Hinbuck auf die Operationsindikation nur durch die Endothelmikroskopie oder ggf. aber auch durch die Vogtsche Spiegelmikroskopie mit genugender Sicherheit beurteilbar?

Laing, L. A. und Mitarb.: Changes in the endothelium as a function of age. Exp. Eye Res. 22 (1976) 578—594

Masket, S. (ed): How do you evaluate the cornea! endothelium prior to routine cataract surgery? 3. Cataract Refract Surg. 14 (5) (1988) 574—577 Maurice, M. D.: Cellular membrane activity in the corneal endothelium of the intact eye. Experimentia 24 (1968) 1094—1095 Neubauer, L.: Endothelbefunde bel Erkrankungen des vorderen Augenabschnittes. Ber. Dtsch. Ophthalmol. Ges. 77 (1980) 497—501

Reim, M.: Waruni ist die Hornhaut durchsichtig? Ber. Dtsch. Ophthalmol. Ges. 71(1972)58—77 Sherrard, E. S.: Endothelial specular photomicrography. European Journal of Implant and Refractive Surgery; 5 (1) (1987) 25—36 Slezak, H., J.-H. Greite, R. Dannheim, E. G. Weidle, M. Vogel, R. We/I: Was ist zu tun bei .. . Katarakt und Fuchs'scher Hornhautdystrophie? Urnfrage in: Ophthalmochirurgie 1 (1989) 91—95

Manuskript erstmals eingereicht 14. 3. 1990, zur Publikation in der vorliegenden Form angenommen 16. 5. 1990.

Im Vergleich zwischen Endothelmikroskopie und Vogtscher Spiegelmikroskopie lalIt sich erkennen, Dr. P. V/veIl daB Guttata-Veranderungen gut auch mit dem Vogtschen Augenklinik der Universitgt MUnchen Verfahren diagnostizierbar und eine Schatzung der Zell- Mathildenstral3e 8 D-8000 Munchen 2 zahl moglich war. Indes konnten nur uber die Endothelmikroskopie sichere Aussagen Uber Polymorphien und Pachymetriewerte gegeben werden. Dies entspricht den Angaben von Sherrard, 1987. Prof. Dr. O.-E. Lund

5. Wie sind die Langzeitauswirkungen der unmittelbar postoperativ aufgetretenen Hornhautdekompensationen?

Direktor der Augenklinik der liniversität Munchen MathildenstraiJe 8 D-8000 Munchen 2

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K/in. JvIb/. Augenhei/k. 197 (1990) 267

1st die Endothelmikroskopie vor Kataraki-Chirurgie notwendig?

[Is endothelial microscopy necessary before cataract surgery?].

Specular microscopy was performed before cataract surgery in approximately 3,500 patients. In 127 cases (approx. 4%), implantation of an intraocular l...
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