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Funktionelle gastrointestinale Erkrankungen

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Reizdarm und Reizmagen erfordern viel Fingerspitzengefühl

Reizdarm- und Reizmagensyndrom (funktionelle Dyspepsie) sind die häufigsten praktisch relevanten gastrointestinalen Erkrankungen. Die Diagnose sollte so früh wie möglich gesichert werden. Dazu gehört der Ausschluss organischer Ursachen. Die Grenzen zwischen organisch und funktionell sind allerdings fließend. Vermeiden Sie unbedingt unnötige Wiederholungsuntersuchungen!



Nach der DGVS-S3-Leitlinie versteht man unter einem Reizdarmsyndrom (RDS) chronische darmbezogene Beschwerden (Schmerzen, Blähungen, Obstipation, Diarrhö), die in der Regel mit Veränderung der Stuhlkonsistenz einhergehen, die die Lebensqualität relevant beeinträchtigen und für die keine andere Krankheit als Ursache zu finden ist. Prof. Tilo Andus, Stuttgart, wies darauf hin, dass Stuhlveränderungen nicht mehr obligat sind. Ein Teil der Patienten weist weder Obstipation noch Diarrhö auf. Pathophysiologisch handelt es

sich wahrscheinlich um ein multifaktorielles Geschehen, bei dem gastrointestinale Dysmotilität, viszerale Überempfindlichkeit, Darm-ZNS-Interaktionen, Neurotransmitter wie Serotonin sowie genetische und immunologische Faktoren zusammenspielen. Ausführliche Anamnese, körperliche Untersuchung inkl. rektaler Palpation, Abdomenultraschall, bei Frauen eine gynäkologische Untersuchung, psychosoziales Screening und Basislabor (Blutbild, BSG, CRP, Urinstatus) gehören zur Diagnostik und werden durch eine Ko-

Reich an FODMAP

Arm an FODMAP

Äpfel, Aprikosen, Kirschen, Trockenobst

Bananen, Blau- und Himbeeren, Grapefruits

Spargel, Broccoli, Kohl, Auberginen, Pilze Karotten, Sellerie, grüne Bohnen, Kartoffeln, Zucchini Weizen, Nudeln, Brot, Kekse, Roggen (große Menge)

Glutenfreies Brot, Reis, Haferflocken, Polenta

Kuhmilch, Pudding, Eiscreme, Weichkäse Laktose-freie Milch und Joghurt, Hartkäse Kichererbsen, Linsen, Sojabohnen

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Zucker, Ahornsirup

loskopie ergänzt, um organische Ursachen auszuschließen. Dies ist besonders wichtig bei Alarmsymptomen wie Fieber, Blut im Stuhl, kurzem Verlauf, Gewichtsverlust, nächtlichen Beschwerden, höherem Alter, progredient zunehmenden Beschwerden oder Fällen von Darmkrebs oder chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen in der Familie. Nicht empfohlen wird eine IgG-Untersuchung auf Nahrungsmittelallergene oder eine quantitative Erfassung der Stuhlflora (Darm-Ökogramm). Für die Hypothese, dass Aerobier im Darm mit den RDS-Beschwerden etwas zu tun haben, gibt es keinerlei Beleg. FODMAP-arme Ernährung hilft Eine Ernährungsumstellung kann die Symptome lindern. Mehrere kleine Mahlzeiten, fett- und FODMAP-arme Kost bekommen dem RDS-Patienten besser. FODMAP steht für Fermentable Oligosaccharides, Disaccharides, Monosaccharides and Polyoles. Eine randomisierte, kontrollierte Cross-over-Studie hat gezeigt hat, dass eine FOPMAP-arme Kost RDS-Beschwerden signifikant bessert. Patienten mit psychiatrischen Begleiterkrankungen sollten auch ein psychotherapeutisches Angebot bekommen. Stehen Schmerzen im Vordergrund, profitieren RDS-Patienten von selektiven Serotoninwiederaufnahmehemmern (SSRI) oder trizyklischen Antidepressiva – auch ohne psychische Komorbidität. Ansonsten können Spasmolytika, lösliche Ballaststoffe, Probiotika, Phytotherapeutika oder Linaclotide helfen. Metamizol, NSAR, Opioide oder Pregabalin sollten nicht zum Einsatz kommen. Für Patienten mit Diarrhö eignen sich Loperamid, Ballaststoffe, Cholestyramin, Probiotika und Phytotherapeutika. Bei Obstipation und Blähungen helfen Ballaststoffe in Form wasserlöslicher Gelbildner (Flohsamenschalen), osmotische

MMW-Fortschr. Med. 2015; 157 (6)

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Laxanzien, Probiotika, Phytotherapeutika (Iberis-amara-Extrakt), in therapierefraktären Fällen auch Prucaloprid. Funktionelle Dyspepsie: Schlüssel zur Diagnose ist die Anamnese Nach den ROME-III-Kriterien liegt eine funktionelle Dyspepsie (Reizmagensyndrom) vor, wenn mindestens eines der folgenden Symptome vorliegt, ohne dass es Hinweise auf eine organische Erkrankung gibt, die die Symptome erklären kann: Postprandiales Völlegefühl, frühes Sättigungsgefühl, epigastrischer Schmerz und/oder epigastrisches Brennen. Pathophysiologisch spielen Motilitätsstörungen eine wichtige Rolle, die wahrscheinlich durch eine Imbalance des autonomen Nervensystems, z. B. infolge von Stress, hervorgerufen werden. Die subtile Befragung des Patienten ist der Schlüssel zur Diagnose. Welches Symptom dominiert? Treten die Beschwerden kontinuierlich auf oder intermittierend? Wie lange halten sie an? Auch die Abhän-

gigkeit von der Nahrungsaufnahme, von Stress oder die Tageszeit des Auftretens sollten festgehalten werden. Überdies sollten die Lebensumstände des Patienten und seine Alltagsbelastungen beleuchtet werden. Zur Basisdiagnostik gehören die körperliche Untersuchung, eine Oberbauchsonografie, einige Laborwerte (kleines Blutbild, CRP/BSG, Gamma-GT, GOT/ GPT, Kreatinin und Lipase) und eine Ösophago-Gastro-Duodenoskopie. Der Ausschluss organischer Ursachen ist auch hier besonders dringlich, wenn Alarmsymptome (s. o.) auftreten. Die Therapie umfasst eine Modifi kation der Ernährung (s. o.), Bewegung, Stressreduktion und ggf. eine Psychotherapie. Die medikamentöse Therapie erfolgt leitsymptomorientiert, z. B. mit Prokinetika, Erythromycin, Protonenpumpenhemmern (PPI), Spasmolytika oder Phytotherapeutika, bei psychischer Komorbidität auch mit Antidepressiva. Dr. med. Angelika Bischoff ■ ■ Medizin 2015, Stuttgart, 30. Januar 2015

Funktionelle GI-Erkrankungen

Die Beschwerden sind nicht eingebildet! Steht die Diagnose Reizdarmsyndrom oder funktionelle Dyspepsie, sollten Sie den Patienten in verständlichen Worten über das Krankheitsbild und die angenommenen Ursachen aufklären. Sagen Sie ihm nicht nur, dass keine organische Ursache gefunden wurde, sondern beschreiben Sie ein nachvollziehbares Krankheitsmodell. Nehmen Sie die Beschwerden ernst! Sie sind nicht eingebildet, auch wenn eine organische Ursache fehlt. Wenn der Patient spürt, dass der Arzt seine Beschwerden für eingebildet hält, wird er kein Vertrauen gewinnen und wahrscheinlich nicht mehr wiederkommen. Er wird aber sicher den nächsten Arzt aufsuchen und dort wieder durch die „Mühle“ gedreht. ab ■

[Irritable bowel and dyspepsia require fingertip sensitivity].

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