Originalarbeit

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Zwangsunterbringung und Zwangsbehandlung in der Psychiatrie Eine beziehungsethische und narrative Perspektive Involuntary Treatment in Psychiatry An Ethical and Narrative Perspective

Autor

Gerrit Hohendorf1, 2

Institute

1

Schlüsselwörter

" Zwang und Autonomie in der ●

Psychiatrie

" forensische Begutachtung ● " Zwangsbehandlung ● " narrative Ethik der Beziehung ●

Keywords

" involuntary treatment and ●

Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Technische Universität München Abteilung für klinische Toxikologie, Klinikum rechts der Isar, München

Zusammenfassung !

Zwangsunterbringung und Zwangsbehandlung in der Psychiatrie sind 2011 durch zwei Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts und 2012 durch die „Affäre Mollath“ neu in die öffentliche Diskussion geraten. Der Beitrag problematisiert die Definitionsmacht psychiatrischer Diagnosen anhand

der Geschichte von Gustl Mollath und schlägt eine beziehungsethische Reflexion über die Anwendung von Zwang in der Psychiatrie vor. Zugleich sollte die Geschichte der Psychiatrie in ihrer ordnungspolizeilichen und disziplinierenden Funktion kritisch bedacht werden. Zwang in der Psychiatrie kann dann immer nur eine „Ultima Ratio“ sein.

autonomy in psychiatry

" forensic assessment ● " narrative ethics of physician●

patient-relationship

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0034-1370014 Psychiat Prax 2014; 41, Supplement 1: S49–S53 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 1611-8332 Korrespondenzadresse PD Dr. Gerrit Hohendorf Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Technische Universität München Ismaninger Straße 22 81675 München [email protected]

Die Geschichte von Gustl Mollath !

„[D]as Gesetz soll doch jedem und immer zugänglich sein“, denkt der Mann vom Lande in Franz Kafkas Parabel „Vor dem Gesetz“. Doch ein Türhüter verwehrt ihm den Eintritt in das Gesetz. Als der Mann versucht, in das Innere des Tores zum Gesetz zu blicken, wird ihm die folgende Warnung zuteil: „Wenn es dich so lockt, versuche es doch, trotz meines Verbotes hineinzugehn. Merke aber: Ich bin mächtig. Und ich bin nur der unterste Türhüter. Von Saal zu Saal stehn aber Türhüter, einer mächtiger als der andere. Schon den Anblick des dritten kann nicht einmal ich mehr ertragen.“ Der Mann vom Lande macht viele Versuche eingelassen zu werden, doch der Einlass selbst in das erste und geringste Tor zum Gesetz bleibt ihm verschlossen. Über die Jahre vergeblichen Wartens wird der Mann vom Lande alt und müde, bis ein unverlöschlicher Glanz aus dem Dunkel des Tores dringt und der Mann vom Lande stirbt [1]. Auch ein Mann aus Nürnberg, Reifenhändler und Restaurateur von Oldtimern, mag gedacht haben, dass das Gesetz und das Recht in Deutschland jedem zugänglich sein sollten. Er wäre jedoch von der bayerischen Justiz beinahe endgültig – vorbehaltlich des Wiederaufnahmeverfahrens – eines Besseren belehrt worden. Er mag sich in den „Dunkelkammern des Rechts“, wie Heribert Prantl die Unterbringung nach § 63 StGB nennt [2], ähnlich gefühlt haben wie der Mann vom Lan-

de in Kafkas Parabel. Seine Geschichte ist schwer zu glauben, man möchte sie weder als Psychiater noch als Jurist für wahr halten. Sie wirft wichtige Fragen der Ethik in der Psychiatrie auf. Daher soll die Geschichte von Gustl Mollath anhand der öffentlich zugänglichen Informationen dargestellt werden [3]. Gustl Mollath ist kein einfacher Mensch: In der Friedens- und Ökologiebewegung aktiv war der Maschinenbauer ein begeisterter Ferrarista, richtete Oldtimer-Sportwagen für Rennen her, galt in der Szene als Könner, auch wenn ihm mit seiner Werkstatt kein finanzieller Erfolg beschieden war. Er begleitete seine Frau gelegentlich auf Reisen in die Schweiz, wo sie Bankgeschäfte für vermögende Kunden tätigte. Das Paar verband eine langjährige Beziehung, doch man lebte sich auseinander. Es kam zu Auseinandersetzungen wegen der Bankgeschäfte der Ehefrau, welche an ihrem Arbeitgeber, einer namhaften bayerischen Bank, vorbeigeführt wurden. Die Vermutung kann und konnte nicht von der Hand gewiesen werden, dass die Vermögensverschiebungen in die Schweiz unversteuertes Geld zum Gegenstand hatten. Um das Jahr 2000 kam es wegen der mutmaßlichen „Schwarzgeldgeschäfte“ der Ehefrau zu heftigen, z. T. auch tätlichen Auseinandersetzungen zwischen den Eheleuten, schließlich zu Trennung und Scheidung. Gustl Mollath konnte die Geschäfte seiner Frau nicht mehr mit seinem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn vereinbaren. Im Jahr 2002 zeigte Frau Mollath ihren Ehemann wegen einer angeblichen,

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9 Monate zurückliegenden schweren körperlichen Misshandlung an und reichte ein Jahr später das Attest einer Nervenärztin bei Gericht nach, indem diese – ohne den Betroffenen selbst je gesehen zu haben – allein aufgrund der Angaben der Ehefrau feststellte, dass Gustl Mollath an einer ernst zu nehmenden psychischen Erkrankung leide und als gefährlich einzustufen sei. Währenddessen schrieb Gustl Mollath Briefe an die Bank seiner Ehefrau, die Steuerbehörden und verschiedene Staatsanwaltschaften, in denen er – sicherlich nicht formvollendet und nicht eingängig zu lesen – die „Schwarzgeldgeschäfte“ im Umfeld seiner Ehefrau beschrieb und auch Details nannte, die Anlass zu weiteren Nachforschungen und Ermittlungen hätten geben können. Doch von der Bank wurde er hingehalten, die Staatsanwältin gab den Eingaben von Mollath keine Folge, die Steuerfahndung schloss die Akten im Februar 2004 nach Rücksprache mit dem Richter, der Gustl Mollath im Jahr 2006 im Maßregelvollzug unterbringen sollte. Ein handschriftlicher Vermerk laute: „M. = Spinner“ ([3], S. 88 – 90). Gustl Mollath entwickelte immer mehr das Gefühl, mit seinen Eingaben ins Leere zu laufen, misstraute den Behörden und dem Staat. Das auf die Anzeige der Ehefrau hin eingeleitete Strafverfahren wurde um den Vorwurf erweitert, er habe die Reifen von Autos persönlicher Gegner und Unbeteiligter zerstochen. Gustl Mollath sollte auf seinen Geisteszustand hin untersucht werden, verweigerte jedoch die Begutachtung auch dann, als er zu diesem Zweck mit Polizeigewalt in das Bezirkskrankenhaus Bayreuth gebracht wurde: Er wollte mit dem Gutachter nur unter Zeugen sprechen. Gleichwohl kam der Gutachter allein aufgrund der Aktenlage und seines unangepassten, als „bizarr“ gewerteten Verhaltens während des erzwungenen Aufenthalts in der Psychiatrie zu dem Ergebnis, dass Gustl Mollath an einer wahnhaften Störung oder an einer paranoiden Schizophrenie leidet. Dass Gustl Mollath sich auf seine Grundrechte berief und den Stationsärzten empfohl, erst einmal das Grundgesetz zu lesen, wurde als „paralogisch“ eingeschätzt ([4], S. 16). Die Feststellung eines „paranoiden Gedankensystems“ stützte sich vor allem auf Gustl Mollaths „unkorrigierbare“ und angeblich auf immer mehr Personen ausgeweitete Überzeugung, dass seine Frau in ein komplexes System von „Schwarzgeldverschiebungen“ verwickelt sei. Weiterhin nannte der Gutachter eine „krankhaft überzogene“ Sorge um seine Gesundheit, die sich darin äußere, dass Gustl Mollath die meisten Körperpflegemittel außer Kernseife und Nahrungsmittel aus nicht biologischem Anbau ablehne und er an der „paranoiden Größenidee“ leide, dass er sich den von dem damaligen Bundeskanzler Schröder geforderten Mentalitätswechsel in der Gesellschaft als persönlichen Erfolg zurechne ([4], S. 26f.). Aufgrund der paranoiden Symptomatik habe der Angeklagte die ihm vorgeworfenen Straftaten zumindest im Zustand eingeschränkter Steuerungsfähigkeit verübt. Unbehandelt seien weitere Straftaten gegenüber Dritten zu erwarten ([4], S. 29). Im August 2006 kam es zur Hauptverhandlung, in welcher Gustl Mollath von dem Vorsitzenden Richter aufgefordert wurde, über die Schwarzgeldvorwürfe gegen seine Ehefrau zu schweigen ([3], S. 66). Eine effektive Verteidigung fand nicht statt, Gustl Mollath hatte sich mit seinem Pflichtverteidiger überworfen, einem Wechsel des Pflichtverteidigers wurde nicht stattgegeben ([3], S. 81f.). Aufgrund der Aussage der Ehefrau und des psychiatrischen Gutachtens wurde Gustl Mollath 2006 zwar von dem Vorwurf der Körperverletzung freigesprochen, aber auf unbestimmte Zeit in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht [5]. In den Krankenhäusern des bayerischen Maßregelvollzugs verweigerte Gustl Mollath jegliche, auch medikamentöse Therapie. Er würde sich auch heute noch

dort befinden, hätte sich nicht ein Unterstützerkreis gebildet, hätten sich nicht Journalisten seiner Sache angenommen und wäre nicht 2012 ein interner Revisionsbericht der in Rede stehenden Bank aufgetaucht, der die von Gustl Mollath beschriebenen Schwarzgeldverschiebungen bereits im Jahr 2003 in ihrem Kern bestätigt hatte [6]. Die psychiatrischen kriminalprognostischen Gutachten indes haben die Einschätzung des Erstgutachtens bestätigt, z. T. ohne mit Gustl Mollath sprechen zu können. Dem Gutachten des Psychiaters P. lässt sich allerdings eine einfühlsame Wiedergabe eines Gesprächs mit Gustl Mollath entnehmen. Sein Anliegen sei gewesen, seine Frau von den illegalen Schwarzgeldverschiebungen abzubringen. Erst nachdem sie ihn angezeigt und die Scheidung eingereicht habe, habe er sich an die Behörden gewandt. Gustl Mollaths Geschichte in der Darstellung des Gutachters P. wirkt detailverliebt, vielleicht auch rigide, aber eine paranoide Bedeutungsgebung der Wirklichkeit lässt sich ihr – für sich genommen – nicht entnehmen ([7], S. 7 – 32). Gleichwohl bestätigte der Gutachter gestützt auf die Aktenlage und das Einweisungsgutachten die Diagnose einer wahnhaften Störung ([7], S. 42 – 46). Gustl Mollath gilt weiterhin als gefährlich. Sowohl die Verteidigung als auch die Staatsanwaltschaft beantragten schließlich im Frühjahr 2013 die Wiederaufnahme des Verfahrens, nachdem der bayerische Ministerpräsident eine unvoreingenommene Aufklärung gefordert hatte. Das Oberlandesgericht Nürnberg beschloss schließlich im August 2013 die Freilassung von Gustl Mollath. Es geht an dieser Stelle nicht darum, die Qualität und Richtigkeit der psychiatrischen Gutachten zu bewerten. Von außen betrachtet lässt sich nicht beurteilen, ob Gustl Mollath an einer psychiatrischen Erkrankung gelitten hat oder leidet. Das ist für die ethische Bewertung auch nicht entscheidend. Das eigentlich Bedenkliche ist: Gustl Mollath wurde aufgrund einer vermeintlichen psychischen Erkrankung von Gerichten und Staatsanwaltschaft von vornherein als unglaubwürdig angesehen; seine Strafanzeigen zu den Schwarzgeldverschiebungen seiner Ehefrau wurden nicht ernst genommen und ad acta gelegt, vor Gericht konnte er seine Sicht der Dinge nicht zur Darstellung bringen. Dass sich aus dieser Erfahrung heraus ein Misstrauen gegen die Psychiatrie und gegen eine Begutachtung, die seine Klassifikation als „Verrückter“ festschreibt, entwickeln kann, erscheint zumindest aus der subjektiven Erfahrung heraus nachvollziehbar. Aus ethischer Perspektive ergeben sich aus der Geschichte von Gustl Mollath drei Schlussfolgerungen, die für die Anwendung von Zwang in der Psychiatrie von Bedeutung sind: 1. Psychisch kranke Menschen haben wie alle anderen Menschen auch das Recht, in ihren Anliegen, seien sie auch anscheinend wahnhaft motiviert, ernst genommen zu werden, andernfalls geraten sie in gesellschaftliche Isolation. Unverständnis, Ablehnung und Diskriminierung verstärken den Rückzug des Kranken und seine Fähigkeit, seine Sicht der Welt kommunikativ mit anderen zu teilen. Das gilt insbesondere auch für gerichtliche Entscheidungen zu Zwangsunterbringung und Zwangsbehandlung. 2. Bei Begutachtungen, die psychiatrische Zwangsmaßnahmen zum Gegenstand haben, insbesondere die gravierendste, weil unbefristete Unterbringung im Maßregelvollzug, sollte der Gutachter dem Betroffenen unvoreingenommen gegenübertreten können. Er sollte sich auf dessen Lebensgeschichte einlassen, die subjektiven Erfahrungen und die Erlebniswelt des Betroffenen nachvollziehen können. Erst durch die zeitweise Ausklammerung des aktenmäßig Vorgegebenen kann es ge-

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lingen, das für eine gelungene Begutachtung notwendige Vertrauen des Betroffenen zu gewinnen. 3. Dem Psychiater obliegt das zweifelhafte Privileg, bestimmte Formen der Wahrnehmung und des Erlebens der Welt für „verrückt“, d. h. aus der intersubjektiven Verständigung über die Wirklichkeit herausgefallen, zu erklären. Mit der Diagnose eines Wahns sind für den Betroffenen gravierende Konsequenzen verbunden. Gleichwohl lässt sich „Wahn“ kriteriologisch schwer fassen, im Wesentlichen nur aus der unmittelbaren Kommunikation mit dem Betroffenen heraus erschließen. Karl Jaspers nennt die unvergleichliche subjektive Gewissheit einer Überzeugung, die Unbeeinflussbarkeit derselben durch Erfahrung und durch logische Schlussfolgerungen sowie die Unmöglichkeit des Inhalts ([8], S. 80). Dabei wirft das letzte Kriterium die meisten Fragen auf: Nicht alle Wahninhalte sind so bizarr, dass sie sich in der intersubjektiv geteilten Wirklichkeit als unmöglich erweisen, andererseits können sich auch bei angeblich psychisch kranken Menschen unwahrscheinliche Behauptungen als wahr erweisen ([9], S. 109). Daher sollte – und dies lehrt der Fall Mollath – auch der psychiatrische Gutachter seinerseits jederzeit unvoreingenommen prüfen und prüfen können, ob das, was der Betroffene berichtet, nicht doch einen Realitätsbezug hat, also wahr – im alltagssprachlichen Sinne – sein könnte.

Die Ordnungsmacht der Psychiatrie und die rechtliche Regelung von Zwangsunterbringung und Zwangsbehandlung !

Es gehört zu den unumstrittenen Grundsätzen der modernen Medizinethik, dass jede medizinische Behandlung, jeder ärztliche Eingriff der freiwilligen und aufgeklärten Zustimmung des Patienten bedarf ([10], S. 117 – 121). Allein in der Psychiatrie gibt es das zweifelhafte Privileg, Behandlungen auch gegen den (natürlichen) Willen des Patienten durchführen und dabei auch unmittelbaren Zwang anwenden zu können. Dieses Privileg ist historisch bedingt: Seit Anfang des 19. Jahrhunderts war die Einweisung eines psychisch kranken Menschen in eine staatliche Heilund Pflegeanstalt weniger eine ärztliche als vielmehr eine polizeiliche Aufgabe. Der Polizei oblag es nach dem Allgemeinen Preußischen Landrecht, die Öffentlichkeit vor den schädlichen Handlungen „gemeingefährlicher Geisteskranker“ zu schützen und sie nach ärztlicher Feststellung einer Geisteskrankheit in einer geschlossenen Heil- und Pflegeanstalt unterzubringen ([11], S. 22). Hier hatte sich der Betroffene der Anstaltsordnung zu unterwerfen und wurde je nach Fügsamkeit auf den Stationen für ruhige oder unruhige Kranke verwahrt. Bei Fluchtversuchen, Gewalttätigkeit, Unruhe oder Widersetzlichkeit kamen verschiedene Disziplinierungsmittel in Betracht: die Isolierung, die mechanische Fixierung mit der Zwangsjacke, die Bettbehandlung, die Badbehandlung, sedierende Medikamente und ab den 1930er-Jahren auch die therapeutischen Mittel des Insulinschocks und der Elektrokrampftherapie ([12 – 14], S. 289f.). In den 1950er-Jahren wurde die Psychochirurgie eingesetzt, um die Patienten – wie es damals hieß – anstaltssozial, d. h. ruhig und gefügig, zu machen ([13], S. 264). In Deutschland gab es bis in die 1950er-Jahre hinein keine regelmäßige richterliche Kontrolle polizeilicher Einweisungen und der Anwendung von Zwangsmitteln in der Psychiatrie. Nach der Katastrophe der nationalsozialistischen Psychiatrie wollten viele Psychiater die Welt der Anstalten vor dem politischen Einfluss der Gesellschaft

schützen und sich ganz auf die medizinisch indizierte Behandlung der Patienten konzentrieren [15]. Die Forderungen nach richterlicher Kontrolle von Zwangsunterbringung und Zwangsbehandlung empfanden viele Psychiater als unzulässige Einmischung medizinischer Laien in rein ärztliche Entscheidungen. Jürg Zutt, der Leiter der Frankfurter Universitätsnervenklinik, prägte 1956 den Satz: „Ein geschäftsuntüchtiger Gemüts- oder Geisteskranker oder Süchtiger ist seiner Natur nach und der Definition nach ein Mensch, bei dem die freie Willensbestimmung ausgeschlossen ist. Ein solcher Mensch kann seiner Freiheit gar nicht beraubt werden, weil er sie nicht mehr besitzt.“ ([16], S. 483) Erst mit dem gesellschaftlichen Aufbruch der 1968er-Jahre und der Psychiatrieenquete der 1970er-Jahre wurden in vielen Bundesländern moderne Gesetze geschaffen, die den Aspekt der Hilfe und der Fürsorge für psychisch kranke Menschen betonen und eine stärkere Einbindung der sozialpsychiatrischen Dienste in das Unterbringungsverfahren verankern. Demgegenüber steht das bayerische Unterbringungsgesetz noch ganz in der Tradition der ordnungspolizeilichen Funktion der Psychiatrie: „Wer psychisch krank oder infolge Geistesschwäche oder Sucht psychisch gestört ist und dadurch in erheblichem Maß die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet, kann gegen oder ohne seinen Willen in einem psychiatrischen Krankenhaus [...] untergebracht werden.“ ([17], S. 182 – 187) Das Bundesverfassungsgericht hat 2011 in zwei Beschlüssen zum Maßregelvollzug deutlich gemacht, dass Zwangsbehandlungen bei untergebrachten Patienten an strenge gesetzliche Voraussetzungen zu knüpfen sind. Aus der Unterbringung eines psychisch kranken Menschen wegen Eigen- oder Fremdgefährdung ergibt sich nicht automatisch die Berechtigung zur Zwangsbehandlung. Jede Zwangsbehandlung greift – zusätzlich zur freiheitsentziehenden Unterbringung – in das Recht auf körperliche Unversehrtheit ein und bedarf daher einer gesonderten rechtlichen und ethischen Rechtfertigung. Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an zulässige Zwangsbehandlungen gehören: 1. Eine Zwangsbehandlung bei untergebrachten Personen ist nur zulässig, wenn eine krankheitsbedingte Einsichtsunfähigkeit in die Notwendigkeit der medizinischen Behandlungsmaßnahmen besteht. Gerechtfertigt wird der Grundrechtseingriff durch den Gedanken, dass der Betroffene, wenn er unbehandelt bleibt und nicht entlassen werden kann, sein Freiheitsinteresse nicht verfolgen kann. Eine medizinisch notwendige Zwangsbehandlung gegen den Willen des Betroffenen ist nur bei krankheitsbedingter Einwilligungsunfähigkeit zulässig. Dabei ist die Einwilligungsunfähigkeit immer auf die konkrete Situation und die jeweils anstehende Behandlung zu beziehen. 2. Weiterhin ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren: die Zwangsbehandlung muss Erfolg versprechend sein, Risiken und Nutzen müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen und sie darf nur als Ultima Ratio angewendet werden. 3. Schließlich muss ein effektiver Rechtsschutz gewährt werden, d. h. die Möglichkeit richterlicher Überprüfung der Maßnahme, bevor die Zwangsbehandlung beginnt. 4. Die gesetzlichen Regelungen zur Zulässigkeit von Zwangsbehandlungen müssen klar und bestimmt sein [18 – 20]. Das Bundesverfassungsgericht hat damit seine bereits 1981 und 1998 vertretene Auffassung präzisiert, dass die staatliche Fürsorge für psychisch kranke Menschen zwar das Recht beinhalte, einsichtsunfähige Patienten auch gegen ihren Willen in einer geschlossenen Einrichtung unterzubringen, wenn sich dies als unumgänglich erweise, um einen schwerwiegenden gesundheitli-

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chen Schaden abzuwenden, aber zugleich eine sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebende „Freiheit zur Krankheit“ anzuerkennen sei [21]. Im Frühjahr 2013 hat der Deutsche Bundestag eine Änderung des Betreuungsrechts beschlossen: Auf Antrag des Betreuers soll nun neben der Zwangsunterbringung auch die Möglichkeit zur Zwangsbehandlung gegen den Willen von betreuten Menschen entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts explizit möglich sein [22 – 24]. Leider ist dieser Gesetzesänderung kein Tetralog zwischen Betroffenen, Angehörigen psychisch Kranker, Juristinnen und Psychiaterinnen vorausgegangen.

Ethische Perspektiven zur Zwangsbehandlung in der Psychiatrie !

Jeder Psychiater kennt den Einsatz der Zwangsmedikation, die damit verbundene Gewaltausübung über den Patienten, der unter Umständen überwältigt und fixiert werden muss, um die Injektion eines Medikaments durchführen zu können. Das kann für die Betroffenen eine sehr traumatisierende Erfahrung sein, insbesondere wenn die Zwangsbehandlung nicht mit dem notwendigen Respekt durchgeführt und angemessen nachbearbeitet wird. Psychiater kennen aber auch die seelische Not von Patienten, die sich aus den verschiedensten Gründen – sei es durch die befürchtete Stigmatisierung, sei es aus ihrer Persönlichkeit heraus, sei es aufgrund einer verzerrten Selbst- und Realitätswahrnehmung – einer sinnvollen und oft Erfolg versprechenden Behandlung ihrer Erkrankung verweigern und die gleichzeitig unter der psychotischen Veränderung ihrer Wahrnehmung, ihres Fühlens und Denkens leiden. Gerade bei wahnhaften Patienten sind Psychiater oft mit einer doppelten Botschaft konfrontiert, dem Wunsch nach Verständnis und Hilfe bei gleichzeitiger Ablehnung des psychiatrischen Krankheitsmodells und der daraus folgenden medikamentösen Behandlung. Diese hoch ambivalente therapeutische Beziehung zwischen Patient und Psychiater lässt sich oft schwer mit dem Idealbild des wohlinformierten und autonom entscheidungsfähigen Patienten in Einklang bringen, von dem das Prinzip des „informed consent“ ausgeht. Aus ethischer Sicht gibt es drei Möglichkeiten zur Rechtfertigung einer Zwangsbehandlung bei psychisch kranken Menschen, nämlich das Prinzip der Fürsorge, das Prinzip der Autonomie und das Prinzip gesellschaftlicher Gerechtigkeit und Fairness: 1. Nahe liegt zunächst, eine Zwangsbehandlung durch das Prinzip der Fürsorge (zusammen mit dem Prinzip der Abwendung von Schaden) zu rechtfertigen: Psychisch kranke Menschen können ihr Leben und ihre Gesundheit durch Suizid und Selbstverletzung in erheblicher Weise gefährden. Diese Gefährdung aber kann dauerhaft nur abgewendet werden, wenn die zugrunde liegende Krankheit behandelt wird. Insofern dient die Zwangsbehandlung unter Abwägung von Nutzen und Schaden letztlich dem Wohl des Patienten, auch wenn dies für ihn nicht einsichtig ist. Das Problem der Rechtfertigung durch Fürsorge besteht darin, dass die Definitionsmacht über das, was dem Wohl des Patienten dient, dem Arzt bzw. dem gesetzlichen Vertreter obliegt. Insofern merkt das Bundesverfassungsgericht auch kritisch an, dass eine Zwangsbehandlung nicht einfach aus einer Vernunfthoheit des Staates oder der Ärzte legitimiert werden kann ([18], Nr. 55). Vielmehr muss das Wohl des Patienten aus seiner Binnenperspektive heraus bestimmt werden, aus seinem nicht durch die psychische Krankheit verzerrten Selbstverständnis, aus seinen Zielen und

Wertvorstellungen, also seinem mutmaßlichen oder vor der Erkrankung erklärten Willen, der von der aktuellen krankheitsbedingten Ablehnung der Behandlung zu unterscheiden ist. Dabei ist es seine durch die Erkrankung noch nicht veränderte Persönlichkeit, seine Wertorientierung und sein Lebensentwurf, woran sich die Entscheidung für die Durchführung einer Zwangsbehandlung als Ultima Ratio orientieren muss ([25], S. 159f.). 2. Daraus folgt, so paradox es klingt, dass das Prinzip der Patientenautonomie selbst die Durchführung einer Zwangsbehandlung rechtfertigen kann. Nimmt man den natürlichen Willen eines akut psychotischen oder deliranten Patienten, der sich gegen jegliche medizinische Maßnahme zur Wehr setzt, als Maßstab und lässt ihn medikamentös unbehandelt, so achtet man nur scheinbar seine Autonomie: Vielmehr gebietet es die Autonomie der nicht psychotisch oder delirant veränderten Person, ihm im Zustand der Psychose oder des Delirs eine notwendige medizinische Hilfe nicht zu versagen. Dass hierbei im Einzelfall auch körperlicher Zwang angewendet werden muss, ist ein tragisches Dilemma, das sich jedoch nicht einseitig in Richtung Versagung notwendiger medizinischer Hilfe auflösen lässt. Die Zwangsbehandlung ist hier letztlich dadurch gerechtfertigt, dass sie – so weit möglich – die Fähigkeit zu autonomen Entscheidungen und authentischer Selbstbestimmung wiederherstellen und schwerwiegenden gesundheitlichen Schaden abwenden soll ([11], S. 231 – 235). 3. Schließlich ist es auch eine Frage gesellschaftlicher Gerechtigkeit und Fairness, Patienten mit psychischen Erkrankungen nicht einem Schicksal der Verwahrlosung, der gesellschaftlichen Isolation und der Vereinsamung zu überlassen. Von daher sollen alle Anstrengungen unternommen werden, psychisch kranke Menschen zu wirklich selbstbestimmten Entscheidungen über ihr Leben zu befähigen, wozu als letztes Mittel auch eine Behandlung gegen den durch die Psychose veränderten Willen des Patienten erwogen werden kann. Gleichwohl dürfen Vorstellungen gesellschaftlichen Funktionierens und gesellschaftlicher Normalität nicht als Maßstab für Zwangsmaßnahmen gelten, insofern muss im Einzelfall auch ein Lebensentwurf, der ein Scheitern an gesellschaftlichen Normalisierungsvorstellungen beinhaltet, akzeptiert werden. Selbstverständlich darf die in der Geschichte der Anstaltspsychiatrie so alltägliche Disziplinierung der Patienten, ihre Anpassung an die Anstaltsordnung, kein Grund für eine Zwangsbehandlung sein.

Durchführung von Zwangsbehandlungen !

Viele Patienten erleben bei Zwangsbehandlungen das Gefühl von Willkür und Ohnmacht. Immer wieder wird über eine unzureichende Aufklärung über die bevorstehende Zwangsbehandlung, die fehlende Suche nach Alternativen und ein Gefühl von Demütigung geklagt. Nur wenige der von Pieters interviewten Patienten sahen die Maßnahmen im Nachhinein als richtig an [26]. Zwangsbehandlungen müssen sich immer ganz konkret an der Würde des Menschen orientieren. Auch wenn Zwangsbehandlungen zweifelsohne in die leiblich-seelische Integrität eines Menschen eingreifen, so dürfen sie den Betroffenen doch niemals zum reinen Objekt staatlicher, ärztlicher oder institutioneller Gewalt machen ([27], S. 31 – 38; [28], S. 91 – 93). Die Betroffenen dürfen nicht gedemütigt und erniedrigt werden. Vielmehr mehr muss die Zwangsbehandlung um der Betroffenen selbst willen

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Konsequenzen für Klinik und Praxis

▶ Zwangsunterbringung und Zwangsbehandlung in der Psychiatrie sollen primär dem Ziel dienen, die Fähigkeit des Patienten zu autonomen Entscheidungen wiederherzustellen. Dabei spielen die (nicht durch die Erkrankung abgewandelten) Lebensentwürfe und Ziele des Betroffenen die entscheidende Rolle, soweit die Rechte Dritter nicht verletzt werden. Gesellschaftlich geprägte oder psychiatrisch definierte Vorstellungen von Normalität sind demgegenüber kein Maßstab. ▶ Zwang in der Psychiatrie darf immer nur Ultima Ratio, nicht Mittel zur Disziplinierung der Patienten sein. ▶ Insbesondere die Praxis der Zwangsmedikation muss die Würde des Menschen wahren, d. h. eine Zwangsbehandlung muss mit Einfühlungsvermögen, Wertschätzung und entsprechender Nachbearbeitung durchgeführt werden.

Interessenkonflikt !

Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Abstract

Involuntary Treatment in Psychiatry !

Involuntary treatment in psychiatry should be reflected under the German constitutional right of self-determination und the ethical principles of autonomy and beneficience. Forced treatment in psychiatry should be applied only as a last resort. A narrative perspective reconstructs the case of Gustl Mollath who was hospitalized in forensic-psychiatric institutions because of an alleged delusion. Psychiatric experts should be aware of the potential of misuse when defining what is real and what seems to be a delusion.

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durchgeführt werden – zur Abwendung von schweren gesundheitlichen Schäden bzw. zur Wiederherstellung ihrer Selbstbestimmungsfähigkeit. Daraus folgt, dass es keinen Automatismus der Zwangsbehandlung bei der Aufnahmeroutine in der Psychiatrie geben darf und dass alle Alternativen deeskalierender Maßnahmen und Gespräche ausgeschöpft sein müssen. Dem Patienten muss die Maßnahme ruhig und klar erläutert werden, er muss das Gefühl haben, auch in der Situation des Zwangs als menschliches Gegenüber ernst genommen zu werden. Dazu gehört auch die gleichzeitige tröstende menschliche Zuwendung und die Nachbearbeitung der Zwangsmaßnahme, vielleicht auch in Form einer versöhnenden Geste, um zu verhindern, dass die traumatischen Erfahrungen der Zwangsbehandlung das Vertrauen des Patienten in die Psychiatrie und die therapeutischen Perspektiven für die Zukunft verbauen. In jedem Falle aber gehört dazu eine Psychiatrie, die die Zeit und die räumlichen und personellen Voraussetzungen hat, um Zwangsbehandlungen, wo immer es geht, zu vermeiden. Zur Prophylaxe von Zwangsbehandlungen gehört, die besonderen Wünsche des Patienten, z. B. mit welchen Medikamenten in welcher Dosierung er im Falle einer Krise behandelt werden möchte, zu berücksichtigen. Psychiatrische Behandlungsvereinbarungen oder sehr spezifische Patientenverfügungen können zur Ermittlung des mutmaßlichen bzw. vorausverfügten Willens des Betroffenen eine Hilfe sein.

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[Involuntary treatment in psychiatry].

Involuntary treatment in psychiatry should be reflected under the German constitutional right of self-determination und the ethical principles of auto...
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