Originalien Ophthalmologe 2015 · 112:155–161 DOI 10.1007/s00347-014-3107-z Online publiziert: 12. Oktober 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

T. Bertelmann1 · T. Stief2 · W. Sekundo1 · M. Witteborn3 · S. Strodthoff1 · S. Mennel4 · N. Nguyen5 · M. Koss5 1 Augenklinik, UKGM GmbH, Standort Marburg und der Philipps Universität Marburg 2 Abteilung für Labormedizin und Pathobiochemie, molekulare Diagnostik, Philipps-Universität Marburg 3 Zentrum Gesundheit, Leer 4 Abteilung für Augenheilkunde, Landeskrankenhaus Feldkirch 5 Abteilung für Netzhaut- und Glaskörperchirurgie, Augenklinik, Goethe-Universität Frankfurt a. M.

Intravitreale Fibrinolyse und retinaler Venenverschluss Retinale Venenverschlüsse (RVO) sind nach den diabetischen Folgeschäden die am zweithäufigsten auftretenden Erkrankungen der retinalen Gefäßarchitektur. Die konsekutiv auftretenden intraretinalen Hämorrhagien, Ischämien der Makula sowie die Entwicklung eines zystoiden Makulaödems (ZMÖ) können bei einem Zentralvenen- (ZVV) oder Venen­ astverschluss (VAV) zu einer schweren und chronischen Visusminderung führen [35]. Als besonders schwerwiegend ist das Auftreten von Neovaskularisationen in den verschiedenen Kompartimenten des Auges als Spätkomplikation anzuführen [21]. Die Einführung der intravitrealen Anti-VEGF-Therapie [10, 11, 24] sowie der intravitrealen Steroidgabe [16] hat die Therapie eines ZMÖs aufgrund eines RVOs revolutioniert. Zur Vermeidung von Neovaskularisationen werden periphere ischämische Netzhautareale mit einer Lasertherapie behandelt [3]. Einen wichtigen Risikofaktor in der Entstehung und für den weiteren klinischen Verlauf eines RVOs spielt der Anheftungsstatus der hinteren Glaskörpergrenzschicht (PVC) an der Lamina limitans interna (ILM) der neurosensorischen Netzhaut. Augen mit einem retinalen Venenverschluss zeigen häufiger eine anliegende PVC [4, 42]. Zusätzlich werden die Chronifizierung eines ZMÖs sowie die Ausbildung von Neovaskularisationen durch ei-

ne anliegende PVC gefördert [21]. Diese pathophysiologischen Vorgänge werden allerdings weder durch eine intravitreale Anti-VEGF („vascular endothelial growth factor“)- bzw. Steroidgabe noch durch die Durchführung eines (peripheren) Netzhautlasers adressiert. Durch die enzymatische Vitreolyse ist eine komplette Abhebung der PVC von der ILM durch eine einmalige intravitreale Gewebsplasminogenaktivator (t-PA)-Gabe möglich [20]. In Augen mit ZVV [5] und VAV [43] ist durch den Zusammenbruch der Blut-Retina-Schranke (BRS) intravitreales funktionales Plasminogen signifikant höher als in Kontrollaugen ohne BRS-Störung. Plasminogen wird durch t-PA-Gabe in die Serinprotease Plasmin umgewandelt bzw. aktiviert, die wiederum die Adhäsionsmoleküle zwischen PVC und ILM spaltet, wodurch es zur Induktion einer hinteren Glaskörperabhebung (PVD) kommt [20]. Ziel der vorliegenden Studie war es, die intravitrealen Aktivitäten/Konzentrationen von Plasminogen und anderer Parameter der Fibrinolysekaskade in Glaskörperflüssigkeit zu analysieren und zwischen Augen mit ZVV, VAV und einer Kontrollgruppe zu vergleichen sowie die­ se Ergebnisse mit den intravitrealen VEGF-Konzentrationen als einem möglichen Indikator für die Schwere der BRS-Störung [31] zu korrelieren. Das genaue Wissen und Verständnis der intraokulären

Fibrinolyse können helfen, weitere therapeutische Möglichkeiten für Augen mit einem RVO zu eröffnen.

Material und Methoden Diese Studie wurde gemäß den Leitsätzen der European Guidelines for Good Clinical Practice (GCP) sowie der Deklaration von Helsinki von 1975 (6. Revision, 2008) durchgeführt. Vor Studienbeginn lag ein positives Votum der Ethikkommissionen der Goethe Universität Frankfurt/Main sowie der Philipps Universität Marburg für die Entnahme und Auswertung der entnommenen Glaskörperproben vor. Vor Aufnahme in die Studie wurde in einem ausführlichen Gespräch mit jedem Patienten über das Ziel der Studie, die Durchführung der Glaskörperprobenentnahme sowie deren mögliche Risiken und Nebenwirkungen gesprochen und anschließend das schriftliche Einverständnis zur Studienteilnahme eingeholt. In einem prospektiven Ansatz wurden 14 Augen mit einem frischen ZVV und 22 Augen mit einem frischen VAV nicht älter als 6 Wochen in die Studiengruppen aufgenommen, wenn typische klinische Zeichen in der Funduskopie für Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit wurden auf dem 112. DOG-Kongress in Leipzig im September 2014 präsentiert. Der Ophthalmologe 2 · 2015 

| 155

Originalien Tab. 1  Basischarakteristika der untersuchten Gruppen Verschlussart Anzahl (%) Alter der Patienten Geschlecht (m/w)

ZVV 14 (30%) 69,7±14,5 Jahre 5 (36%)/9 (64%)

VAV 22 (47%) 69,1±12,6 Jahre 9 (19%)/13 (59%)

Kontrolle 11 (23%) 59,1±14,1 Jahre 5 (46%)/6 (55%)

p-Wert   0,107  

ZVV retinaler Zentralvenenverschluss, VAV retinaler Venenastverschluss.

einen RVO vorlagen, die ggf. durch eine Fundusphotographie und eine 50°-Fluoreszenzangiographie (OIS WinStation, 11KTM; CCS Pawlowski GmbH, Jena, Germany) bestätigt wurden. Die ZVVs wurden als ischämisch klassifiziert, wenn in der durchgeführten Fluoreszenzangiographie 10 PD oder mehr an Netzhautfläche ischämisch waren [41], in der VAVGruppe bei 5 PD oder mehr [1]. Die zentrale Makuladicke (CMT) als Maß für ein vorliegendes ZMÖ wurde mit der Standard-Spectral-Domain optischen Kohärenztomographie (3D OCT-2000; Topcon, Tokyo, Japan) durchgeführt. Alle Schnitte wurden mit einer Scantiefe von 2,3 mm mit einer horizontalen Auflösung von 20 µm und einer longitudinalen Auflösung von 5–6 µm mit einer Scangeschwindigkeit von 27.000 A Scans/min durchgeführt. Die CMT wurde aus der Distanz von der ILM bis zur Basalmembran des retinalen Pigmentepithels (RPE) errechnet. Es wurden 11 Augen ohne BRSStörung (jeweils 4 Augen mit Glaskörperfloatern und Makulaforamina, 3 Augen mit epiretinaler Gliose; [36]) in die Kontrollgruppe eingeschlossen. Ausschlusskriterien für beide Gruppen waren: vitreomakuläres Traktionssyndrom, Neovaskularisationen in jeglichem Kompartiment des Auges [Neovaskularisation der Papille (NVD), Neovaskularisationen andernorts (NVE), Neovaskularisationen der Iris (NVI)], vorangegangene intravitreale Medikamentenapplikationen, Laserphotokoagulation, vorherige Vitrektomie, jegliche andere intraokuläre Chirurgie an beiden Augen innerhalb der letzten 6 Monate inklusive Kataraktoperation, Zeichen einer Glaukomerkrankung, diabetische Netzhautveränderungen, intra­ okulärer Reiz- oder Entzündungszustand, vorheriges Trauma, die Teilnahme an jeglicher anderer Studie, Gebrauch von Immunsuppressiva oder eine Vorgeschichte an malignen Erkrankungen jeglicher Entität und Lokalisation.

156 | 

Der Ophthalmologe 2 · 2015

Entnahme und Aufbereitung der Glaskörperproben Alle Probenentnahmen wurden in einem antiseptischen Operationsraum durchgeführt. In den beiden Studiengruppen wurde eine limitierte Core-pars-planaVitrektomie (cppV) mit einem 23-Gauge-Vitrektor (Intrector©, Insight Instruments, Stuart, Fla., USA) durchgeführt [23]. Nach topischer Desinfektion und Betäubung sowie Verschieben der Bindehaut wurde eine schräge Sklerotomie angelegt und die Spitze des Intrectors© im zentralen Glaskörper positioniert. Zur visuellen Kontrolle dienten ein Kopfophthalmoskop und eine 28-dpt-Linse. Nach Beginn der cppV aspirierte ein Assistent etwa 500 µl Glaskörperflüssigkeit gemäß der Anleitung des Chirurgen, der auf eine relevante Bulbushypotonie achtete. Am Ende der cppV wurden eine isotonische Lösung (BSS®, Alcon, Freiburg, Germany), 1,25 mg (100 µl) Bevacizumab (Avastin ®, Genentech, San Francisco, Calif., USA) und 0,8 mg (200 µl) Dexamethason (Dexaratiopharm®, Ulm, Germany) in Anlehnung an die intravitreale Kombinationstherapie injiziert [25]. In der Kontrollgruppe wurden zu Beginn einer Standard-23-Gauge-Pars-plana-Vitrektomie (ppV) nach dem Einsetzen der 3 Trokare etwa 500 µl unverdünnte Glaskörperproben aus dem zentralen Glaskörper entnommen, bevor die Infusion eröffnet wurde. Die unverdünnten Proben aus allen 3 Gruppen wurden in ein 1,5 ml Eppendorf®-Gefäß transferiert und unmittelbar nach Entnahme in einem −20°CGefrierschrank eingefroren. Nach dem Auftauen der Proben auf 23°C wurden 200 µl Probe mit 200 µl 5% Humanalbumin (CSL Behring, Marburg, Deutschland) gemischt, und 200 µl dieser Mischung wurden mit 200 µl 2,5 M Arginin (pH 8,6) stabilisiert. Funktionelles Plasminogen wurde ultrasensitiv chromogen gemessen nach Aktivierung von Plas-

minogen mit Streptokinase (Chromogenix-Hämochrom, Essen, Deutschland). Die PAP-Konzentrationen wurden mittels ELISA (DRG Marburg) am PHOmo (Mikrotiterplattenphotometer) und die VEGF-Konzentrationen mittels ELISA (R&D Wiesbaden) mittels eines Luminolverstärkten Lumineszenztests am LUmo (Mikrotiterplattenluminometer) in Arginin-stabilisierten Proben gemessen mit 1,25 M Arginin oder 0,4 M Arginin in der Antigen-Capture-Phase des Testes.

Statistische Auswertung Die statistische Auswertung erfolgte unter Zuhilfenahme von SPSS 14.0® für Windows® (IBM®). Die Abbildungen wurden mittels SigmaPlot 12.0 (Systat®) und CorelDraw12® erstellt. Zur Testung auf statistisch signifikante Unterschiede des Alters sowie von Plasminogen, PAP und VEGF zwischen den 3 analysierten Gruppen wurde der Kruskal-Wallis-Test angewendet. Zur Testung auf statistisch signifikante Unterschiede von bestkorrigiertem Fernvisus (BCVA) und CMT zwischen Augen mit ZVV und VAV wurde der Mann-Whitney-U-Test angewendet. Korrelationen wurden mittels SpearmanKorrelation errechnet. Signifikante Ergebnisse wurden bei p-Werten

[Intravitreal fibrinolysis and retinal vein occlusion].

The aim of this study was to analyze and compare intravitreal activity and concentrations of different components of the fibrinolytic cascade in eyes ...
525KB Sizes 1 Downloads 8 Views