Langenbecks Arch. Chir. 345 (KongreBbericht 1977)

Lang~tx~ks Arc~hl Eir Ghirurgie © by Springer-Verlag1977

86. Intraven6se Regionfiranaesthesie K. M. Pfeiffer Poliklinik, Department fiir Chirurgie der Univ., Kantonspital, CH-4031 Basel

Intravenous Regional Anesthesia Summary. Experiences, with about 1500 cases of intravenous regional anesthesia in outpatient surgery of the limbs over 10 years are reported. In 1975, 158 operations out of 5960 were done using this technique. Intravenous regional anesthesia is suitable for surgery of the limbs, but time of operation should not exceed 90 rain, nor should hemostasis be a major problem to consider and the course of surgery should be predictable. Contraindications for this type of anesthesia are hypertonia, lack of accessible veins, heart failure, children, as well as surgery of undefinite extent or for local sepsis. When these rules were followed, no serious complications were seen.

Key words: Anesthesia, intravenous regional. Zusammenfassung. Es wird iiber die Erfahrungen berichtet, welche in der ambulanten Extremitfitenchirurgie mit rund 1500 intraven6sen Region~iranaesthesien im Verlaufe von 10 Jahren gesammelt wurden. Unter 5960 Operationen wurden 1975 deren 158 mit dieser Technik durchgefiihrt. Ernsthafte Komplikationen wurden bisher nicht beobachtet. Die Anaesthesie eignet sich fiir Extremit~itenoperationen, deren Dauer 90 rain nicht iibersteigt, welche keine besonderen Anforderungen an die Blutstillung stellen und deren Umfang voraussehbar ist. Ungeeignet ist die Methode bei Hypertonie, Herzpatienten, Kindern, beim Fehlen punktierbarer Venen, bei nicht genau voraussehbaren und bei septischen Eingriffen.

Sehliisselwikter: Regionfiranaesthesie, intraven6se. Die intraven6se Region~iranaesthesie wurde 1908 von A. Bier unter der Bezeichnung ,,Venenanaesthesie" erstmals beschriebcn. Der Autor berichtete am 37. KongreB Ihrer Deutschen Gesellschaft ftir Chirurgie fiber die yon ihm entwickelte Methode, welche er in 138 Extremit~itenoperationen erprobt hatte. Im wesentlichen handelte es sich dabei um Amputationen, Gelenkresektionen und Sequestrotomien.

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Das Verfahren fand jedoch trotz seiner guten Resultate keine allgemeine Verbreitung und blieb wfihrend 50 Jahren weitgehend unbekannt bis es 1963 vom neuseel~indischen Anaesthesisten Holmes wieder aufgegriffen und modifiziert wurde. Seither hat die intraven6se Region~anaesthesie raschen Eingang in die Extremit~iten-, vor allem die Handchirurgie gefunden, obschon ihre Wirkungsweise auch heute noch erstaunlich wenig aufgekl~irt ist. In Basel wurde die Methode durch Holmes selbst eingeffihrt, welcher kurze Zeit in unserem Institut ffir Anaesthesiologie t~itigwar. Pers6nlich vefffigen wir fiber eine Erfahrung, welche jetzt 10 Jahre zurfickreicht und sich auf rund 1500 intraven6se Region~iranaesthesien begrfindet. Die Verteilung der verschiedenen Anaesthesiemethoden in der chirurgischen Universit~itspoliklinik Basel wird aus dem Operationsmaterial des Jahres 1975 ersichtlich: Von 5960 ambulanten Operationen wurden 158 in intraven6ser Region~iranaesthesie, 142 in Allgemeinnarkose, 295 in supraclavicul~irer, 439 in axill~irer Plexusanaesthesie, 1480 in einer ,,kurzen" Leitungsanaesthesie von Hand, Ful3, Fingern oder Zehen, 2901 in lokaler Infiltrationsanaesthesie und 185 ohne Anaesthesie durchgeffihrt.

Anaesthesietechnik Die intraven6se Region~iranaesthesie wird bei unseren ambulanten Patienten ausschliei31ich von Chirurgen durchgeffihrt, ein Anaesthesist ist immerhin kurzfristig im Hause erreiehbar. Eine Pr~imedikation wird nur sehr ausnahmsweise bei besonders ~ingstlichenund unruhigen Patienten verabreicht. Nach einer kurzen Anamnese und einer kursorisehen Allgemeinuntersuchung, welche besonders die Blutdruckmessung umfafSt, wird eine flexible Verweilkanfile in eine geeignete Vene der zu operierenden Extremit~it gelegt. Es hat sich dabei als belanglos erwiesen, ob diese Punktion distal oder proximal an der Extremit~it erfolgt und in der Regel wird deshalb eine Cubitalvene kanfiliert. Die Blutleere des Gliedes wird bei uns meist durch einfache Elevation erzeugt und wir verzichten meist auf das Auswickeln mit Esmarchscher Binde, das bei akuten Verletzungen und bei Infektionen ohnehin problematiseh ist. Nun wird der proximale Tell einer Doppelmanschette am Oberarm raseh bis zu einem Druek aufgeblasen, welcher je nach Dieke des Weichteilmantels 50-100 mm fiber dem systolischen Blutdruckwert liegt. Nun kann das mehr oder weniger blutleere GefiifSnetz distal der Manschette mit Hilfe der vorher gelegten Kanfile mit der Anaesthesiel6sung aufgeffillt werden. Ffir einen mitteldicken, erwachsenen Arm werden 40 ml 1Q%iges Lidocain oder Mepivacain ben6tigt, ffir einen Unterschenkel 60-80 ml derselben L6sung. Nach fund 10 rain ist die Anaesthesie sensibel und motorisch vollst~ndig und die Operation kann beginnen. Liegt die Kaniile nicht st6rend im Operationsfeld, so wird sie mit Vorteil bis zum Ende der Operation belassen. Ob die Anaesthesie mehr durch Wirkung an den Nervenst/immen oder an den nerv6sen Endorganen zustande kommt, ist bis heute unklar. Sieher beruht sie nicht

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auf einem anoxischen Schaden, denn Kochsalzinjektion unter denselben Bedingungen fiJhrt nicht zur Anaesthesie. Nach einem Intervall von 15-45 rain wird der Manschettendruck als sehr unangenehm empfunden. Sp~itestens in diesem Moment wird deshalb der Druck in die distale Manschette verlagert und die proximale entliiftet. Im anaesthetischen Gebiet liegend wird aber auch die zweite Manschette allm/~hlichschmerzhaft durch Abfliel3en der Anaesthesie am proximalen Manschettenrand. Die Anaesthesiedauer wird dadurch auf 11/:-2 h begrenzt. Zur Verl~ingerung dieser Zeit wurde von einigen Autoren eine Infiltrationsanaesthesie auf H6he der Manschette gelegt. Da wir Blutsperren wenn irgendm6glich nicht l~inger als 90 rain liegen lassen, haben wir dieses Verfahren nicht angewendet. Das Offnen der Blutsperre, welches das Anaestheticum in die Zirkulation abflieBen l~ifSt,wird bei uns intermittierend fiber ca. 5 min ausgedehnt. Wie beim Offnen jeder Blutsperre kommt es dabei zu leichteren Bludrucksenkungen, die selten zum Eingreifen zwingen. Von manchen Patienten wird auch leichteres Ohrensausen oder Schwindel angegeben, Symptome, welche sich durch kontrolliertes Auswaschen des Anaestheticums leicht in ertr~iglichen Grenzen halten lassen. Sie treten um so h~iutiger auf, je kfirzer die Anaesthesie gedauert hat, da die Fixation des Anaestheticums an die Lipoide mit zunehmender Zeit offenbar fester und schwerer 16sbar wird. Trotzdem kehren Sensibilit~itund Motorik wenige Minuten nach Offnen der Sperre zurfick.

Komplikafionen AuBer den beschriebenen, harmlosen Nebenwirkungen konnten wir in den vergangenen 10 Jahren nie emsthafte Komplikationen wie Konvulsionen, Atemst6rungen oder bedrohliche Herziiberleitungsst6rungen beobachten, einzelne Extrasystolen sind dagegen keine Seltenheit. Nach der Anaesthesie werden die Patienten mindestens 30 rain in der Poliklinik fiberwacht und anschlief3end nach Hause entlassen, wobei das F~ihren eines Fahrzeuges verboten wird. Es sei hier noch erw~ihnt, dab auch die intramedulliire Injektion zum Beispiel in ein Frakturh~imatom oder mit einer Sternalpunktionsnadel direkt in den Markraum zur genau gleichen Anaesthesie ffihrt. Diese Methode stammt vom Russen Orlov.

Indikationen F/Jr die intraven6se Region~iranaesthesie eignen sich Operationen an den Extremit~iten, deren Zeitbedarf einigermal3en exakt zu sch~itzen ist und mindestens 20 und h6chstens 90 rain betr~igt. Eine genfigende Blutstillung sollte auch bei liegender Blutsperre m6glich sein und selbstverst~indlich mfissen punktierbare Venen vorhanden sein. Allerdings hat Bier seine Anaesthesien immer durch eine Venaesectio gelegt. Der bei Hypertonikern efforderliche hohe Manschettendruck wird oft sehr rasch als schmerzhaft registriert, so dal3 wir bei systolischen Druckwerten fiber 150 ram Hg andere Anaesthesieformen vorziehen.

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Ebenso ziehen wir bei Kindern die dort sehr leichte axill~ire Leitungsanaesthesie vor, da die zul~issige Dosierung des Anaestheticums bei intraven6ser Applikation etwas unsicher ist. Schliel31ich sollen die Patienten anamnestisch und klinisch herzgesund sein.

Kontraindikationen Die Kontraindikationen ergeben sich somit aus der Operationsdauer, besonderen Anforderungen an die Blutstillung, aus dem Fehlen genfigender Venen, ferner durch Hypertonie, Herzkrankheiten, besonders Rhythmusst6rungen und Alter unter 16 Jahren. Aus uns nicht bekannten Griinden ist die Anaesthesie bei akuten Infektionen oft unvollst~indig und kurzdauernd. Wir betrachten darum diese F~ille for ungeeignet, zumal ein Auswickeln der Extremit~it hier auf alle F~ille fehl am Platze w~ire. Fiir die intravenOse Regioniiranaesthesie geeignete Operationen sind nach unserer Erfahrung iJberblickbare Wundversorgungen mit Versorgung h6chstens einer Sehne und eines einzelnen Digitalnerven, Osteosynthesen einzelner Mittelhand- oder Fingerfrakturen, Metallenffernungen, Fremdk6rperexcisionen, Operationen wegen Ganglien und Tumoren, sowie die Medianusdekompression im Carpaltunnel. Ganglien in der Nachbarschaft der Art. radialis oder Gef~iBgeschwiilste werden aber wegen der Notwendigkeit einer Kontrolle der Blutstillung bei oftener Blutsperre besser in axill~irer oder supraclavicul~irer Anaesthesie operiert. Zusammenfassend kann die intraven6se Region~iranaesthesie in der angegebenen Technik und mit den geschilderten Indikationen als sehr niitzlich und gefahrenarm bezeichnet werden. Es mul3 aber auch darauf hingewiesen werden, dab sie nur dort erlaubt ist, wo die notwendigen Ger~ite und Medikamente zur Behandlung unerw/mschter Komplikationen bereit stehen.

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[Intravenous regional anesthesia (author's transl)].

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