HaMiPla/2014-06-0706-103/1.7.2015/MPS

Fallbericht

Intraossäre Gichterkrankung der Hand: Falldarstellung und Literaturübersicht Intraosseous Tophaceous Gout of the Hand: Case Report and Literature Review

Autoren

L. Mannil1, T. Witte1, C. D. Gerharz2, F. Jostkleigrewe1, H. H. Homann1

Institute

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Schlüsselwörter ▶ Intraossäre Gichterkrankung ● ▶ Chiragra ● ▶ Tumor ●

Zusammenfassung

Abstract

Wir berichten über eine intraossäre Gichtmanifestation im Mittelglied des linken Zeigefingers eines 54-jährigen Patienten.

We report on an intraosseous gout manifestation in the middle phalanx of the left index finger of a 54-year-old patient.

eingereicht 30.6.2014 akzeptiert  5.4.2015 Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0035-1549952 Online-Publikation: 2015 Handchir Mikrochir Plast Chir © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0722-1819 Korrespondenzadresse Dr. Lijo Mannil Plastische Chirurgie und ­Handchirurgie Zentrum für Schwerbrand­ verletzte BG Unfallklinik Duisburg Großenbaumer Allee 250 47249 Duisburg [email protected]

 Plastische Chirurgie und Handchirurgie, Zentrum für Schwerbrandverletzte, BG Unfallklinik Duisburg, Duisburg  Pathologie, Ev. Krankenhaus Bethesda Duisburg, Duisburg



Fallbeschreibung



Ein 54-jähriger Patient berichtete bei seiner ­ Vorstellung über eine zunehmende Verdickung des Mittelgliedes seines linken Zeigefingers ▶  Abb. 1) seit 5 Jahren sowie ­Kribbelparästhesien ( ● beider Händen in den letzten Monaten als auch ein Schnappen des Mittel- und Ringfingers bei vorbekannter chronischer Gicht. Neurologisch wurde ein Karpaltunnelsyndrom beidseits diagnostiziert mit stärkerer Ausprägung links. Die Röntgenuntersuchung des linken Zeigefingers in 2 Ebenen ergab einen ausgedehnten Tumor des Mittelgliedes mit Zerstörung der radialen Korti▶  Abb. 2a, b). Die Serumharnsäure war kalis (  ● präoperativ normwertig mit 4,4 mg/dl bei vorbestehender Therapie mit Allopurinol. Bei der Operation erfolgte neben der vollständigen Exzision des tumorösen Gewebes am Mittelglied, die Spaltung des Retinaculum flexorum und der A1-Ringbänder an Mittel-und Ringfinger. Makroskopisch imponierte das entnommene ­Gewebe am ehesten wie ein Gichttophus. Das entnommene Gewebe wurde zur histologischen Aufarbeitung verschickt. Auch wenn die Mittelphalanx stark ausgedünnt ▶  Abb. 3), schien der Knochen doch so fest, war ( ● dass keine Indikation zu einer Knochenstabilisierung oder Ruhigstellung gesehen wurde. Die histologische Untersuchung ergab Bindegewebe mit ausgeprägten Einlagerungen von ­nadelartigen kristalligen Strukturen mit amorphen Eiweißniederschlägen und dystrophen ­Verkalkungen. In der Umgebung befanden sich vereinzelt Lymphozyten und Vater-Paccini-­ ▶  Abb. 4). Lamellenkörperchen ( ●



In der Verlaufskontrolle nach 7 Wochen zeigte sich ein reizfreier Hautweichteilmantel. Der Faustschluss gelang für den Zeigefinger unvollständig bei lediglich Wackelbeweglichkeit im Endgelenk und einem Fingerkuppenhohlhandabstand von 2 cm. Radiologisch zeigte sich im Vergleich zu den Voraufnahmen eine zunehmende Konsolidierung der ulnaren Kortikalis des ­Zeigefingermittelgliedes ▶  Abb. 5a, b). Bei der Kontrolle nach 72 Wochen ( ● fand sich der klinische Befund unverändert ▶  Abb. 6a–c). Radiologisch zeigte sich eine voll( ● ständige knöcherne Kon­solidierung ohne Hin▶  Abb. 7a, b). weis auf ein Rezidiv ( ●

Intraossäre Gichterkrankung



Die Hyperurikämie ist eine Stoffwechselserkrankung, bei der die Harnsäure im Blut erhöht ist und es zu schmerzhaften Entzündungen der ­Gelenke kommen kann. Wenn die maximale Löslichkeit von Harnsäure in der extrazellulären Flüssigkeit überschritten wird, entsteht ein Gichtanfall. Der Pathomechanismus für die Entstehung liegt in einer verminderten renalen Ausscheidung, welche durch genetische Prädisposi­ tion (vermindertes Ausscheidungsvermögen der Nieren), Medikamente (Azetylsalizylsäure, Cyclosporin A, Diuretika, Methothrexat), purinhaltige Ernährung oder exzessiven Alkoholkonsum negativ beeinflusst werden kann. Ist die Ausscheidung gestört, kommt es zur Ablagerung von Harnsäurekristallen (Urate = Abbauprodukt von Purinen) im Gelenkknorpel, Gelenkkapsel, Sehnenscheiden und den Schleimbeuteln. Die Kristalle können auch im Havers-Kanal eines Osteons

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Key words ▶ intraosseous tophaceous ● gout ▶ chiragra ● ▶ tumour ●

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Fallbericht

Abb. 1 Präoperativer klinischer Befund: aufgetriebenes Mittelglied des linken Zeigefinger.

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Abb. 2  a, b Prä­ operativer radiologischer Befund in 2 Ebenen mit Darstellung des knöchernen ­Tumors der Zeigefingermittelphalanx.

a

a

Abb. 3  Histomorphologischer Aspekt eines Gichttophus nach Fixierung in wässrigem Formalin: Histiozytär-granulomatöse Fremdkörperreaktion in Umgebung weitgehend amorpher Eiweißniederschläge mit optisch leeren, z. T. nadelartig-kristallinen Lücken.

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Abb. 5  a, b Post­ operative Verlaufskontrolle nach 7 Wochen in 2 Ebenen nach erfolgter Tophusexzision.

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Abb. 6  a–c Funktionsaufnahmen in 3 Ebenen mit reizfreiem Hautweichteilmantel und leichter Radialdeviation des Zeigefingermittel- und endgliedes.

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Abb. 4  Intraoperativer Befund nach radialem Zugang mit Blick auf den Gichttophus.

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Abb. 7  a, b Langzeitverlaufskontrolle nach 72 Wochen, vollständige knöcherne Konsolidierung nach erfolgter Tophusexzision.

Fallbericht und Ruhigstellung. Nach radialer Inzison der proximalen Phalanx erfolgte die operative Entfernung des Gichttophus und das Knochendebridement. Eine Knochenstabilisierung war nicht erforderlich. Postoperativ war der Patient beschwerdefrei, in der ­Verlaufskontrolle nach 11 Tagen, 5 Wochen und 17 Wochen kam es zu keinem Rezidiv. Die Wunde heilte regelrecht ab [10]. Auch in unserer Fallbeschreibung bestand keine Indikation zur Knochenstabilisierung und bei der Nachuntersuchung nach 7 und 72 Wochen kam es nach erfolgter Exzision des Tophus ebenfalls zu keinem Rezidiv. Zusammenfassend sollte somit bei unklaren Tumoren der Hand differenzialdiagnostisch eine intraossäre Gichterkrankung in ­Betracht gezogen werden.

der Substantia compacta akkumulieren. Sobald die Tophi zu wachsen beginnen, breiten sie sich auf den Knochenschaft aus und verdrängen die Kortikalis, welche papierdünn konfiguriert sein kann [1, 2]. Am häufigsten betreffen intraossäre Gichtmanifestationen die untere Extremität. Die Podagra treten zu 56–78 % am häufigsten an der Basis der Großzehengrundphalax auf mit Übertritt zum Großzehengrundgelenk. Wiederholte Traumen und ein niedriger pHWert begünstigen dabei die Natriumuratkristallbildung. An der Hand sind hingegen nur wenige Fälle eines intraossären Befalles beschrieben. Jerome et al. beschrieben den Fall eines 40-jährigen Mannes mit multiplen Gichttophi an beiden Großzehen und Osteolysen am Kahnbein, Kopfbein und kleinem ­Vieleckbein. Unter konservativer Behandlung mit NSAR, Physiotherapie und Gewichtsreduktion kam es zu einer Befundverbesserung [3]. Die Arthritis urica der Hand kann mannigfaltige Ausprägungen besitzen, z B. als akute Tenosynovitis, Karpaltunnelsyndrom, ­Tophi-Ablagerungen in Phalangen, in den Metakarpalia und ­Karpalknochen [3, 4]. Die Inzidenz von Gicht als Ursache eines Karpaltunnelsyndrom beträgt 0,6–1,1 % [5, 6]. Sano et al. berichtete 2009 von intratendinösen Gichtablagerungen in der oberflächlichen Beugesehne eines Fingers [7]. In ­einem weiteren Fall führten die Ablagerungen zur Spontanruptur der oberflächlichen und tiefen Beugesehnen eines Zeige­ fingers [8]. Iwamoto berichtete 2010 von einem Fall mit intratendinösen Gichtablagerungen in den Extensorsehnen am ­Zeige- und Mittelfinger, die ebenfalls zur Ruptur führten [9]. Yaegashi et al. berichteten über die pathologische Fraktur des 2. Mittelhandknochens bei intraossärem Gichttophus bei einem 5-jährigen Mädchen mit einem hypoplastischen Linksherzsyndrom. Unter konservativer Therapie kam es zur Verkleinerung des Tophus [4]. Oti et al. berichtete 2012 von einem intraossären Gichtbefall bei einem 88-jährigen Mann an der proximalen Phalanx des Kleinfingers mit einhergehender Schwellung und Druckempfindlichkeit. Es kam zu keiner Befundverbesserung unter der eingeleiteten konservativen Therapie mit Paracetamol, Prednisolon, Colchicin

Lijo Mannil 2002–2008 Studium der Humanmedizin an den Universitäten Halle/Saale und ­Duisburg-Essen 2012 Promotion an der Universität ­Duisburg-Essen 2008–2009 Assistenzarzt in der Klinik für HNO, Kopf-Halschirurgie, Plastische Opera­ tionen, Lukaskrankenhaus Neuss (Prof. Dr. A. N ­ eumann) 2009–2011 Assistenzarzt in der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Unfallchirurgie (Common Trunk), St. Josef Krankenhaus Essen (Dr. J. Friedrich/Dr. A. Horst) 2011–2012 Assistenzarzt in der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, BG Unfallklinik Duisburg (Prof. Dr. D. Rixen) seit 11/2012 Assistenzarzt in der Klinik für Handchirurgie, Plastische Chirurgie, Zentrum für Schwerbrandverletzte, Hand Trauma Center (FESSH), BG Unfallklinik Duisburg (Dr. F. Jostkleigrewe/Prof. Dr. H.H. Homann)

Interessenkonflikt: Nein Literatur

1 Ertuğrul Sener E, Güzel VB, Takka S. Surgical management of tophaceous gout in the hand. Arch Orthop Trauma Surg 2000; 120: 482–483 2 Larmon WA. Surgical management of tophaceous gout. Clin Orthop 1970; 71: 56–69 3 Jerome JT, Sankaran B, Thirumagal K. Carpal bone involvement in gout. Arch Orthop Trauma Surg 2007; 127: 971–974 4 Yaegashi Y, Nishida J, Oyama K. Gouty tophus of the second metacarpal simulating a malignancy with pathologic fracture. J Hand Surg Am 2013; 38: 208–209 5 Rich JT, Bush DC, Lincoski CJ et al. Carpal tunnel syndrome due to tophaceous gout. Orthopedics 2004; 27: 862–863 6 Patil VS, Chopra A. Watch out for ‘pins and needles’ in hands – it may be a case of gout. Clin Rheumatol 2007; 26: 2185–2187 7 Sano K, Kohakura Y, Kimura K et al. Atypical triggering at the wrist due to intratendinous infiltration of tophaceous gout. HAND (NY) 2009; 4: 78–80 8 Wurapa RK, Zelouf DS. Flexor tendon rupture caused by gout: a case report. J Hand Surg Am 2002; 27: 591–593 9 Iwamoto T, Toki H, Ikari K et al. Multiple extensor tendon ruptures caused by tophaceous gout. Mod Rheumatol 2010; 20: 210–212 10 Oti FE, Reichert B, Bär I. Intraosseous tophaceous gout in the proximal phalanx of the small finger. J Hand Surg Eur 2012; 37: 696–697

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[Intraosseous Tophaceous Gout of the Hand: Case Report and Literature Review].

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