Leitthema Bundesgesundheitsbl 2014 · 57:666–672 DOI 10.1007/s00103-014-1967-7 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

J. Angenendt Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Freiburg, Freiburg/Brsg.

Psychische Folgen von Unfällen und deren Versorgung

Unfallhäufigkeit und Verbreitung psychischer Folgestörungen Verkehrs-, Arbeits-, Heim- und Freizeitunfälle sind mit einer Lebenszeitprävalenz von ca. 20 % die häufigsten zivilen Traumata in den hoch entwickelten Ländern [1]. In Deutschland ereigneten sich 2013 ca. 300.000 Verkehrsunfälle mit Personenschäden. Dabei wurden über 66.000 Personen schwer verletzt und etwa 3350 getötet [2]. Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) hat für 2012 1,07 Mio. Arbeitsunfäl‑ le mit mehr als 3-tägiger Arbeitsunfähigkeit und 880 getötete Unfallopfer gemeldet [3]. Für die nicht systematisch erfassten Heim- und Freizeitunfälle liegen keine genauen Zahlen vor. Nach Schätzungen machen diese aber jährlich etwa zwei Drittel aller Unfälle aus [4]. Insgesamt geht man für 2011 in Deutschland bei geschätzten 8,7 Mio. Unfällen von etwa 20.000 Unfalltoten aus [5]. Unfälle führen in bedeutendem Ausmaß zu akuten und/oder überdauernden psychischen Symptomen und Störungen (wie der posttraumatischen Belastungsstörung, PTBS; Angststörungen, Depression, somatoformen Schmerzstörung) [6, 7] (s. auch unten). Das Risiko, nach einem schweren Unfall eine chronische PTBS zu entwickeln, liegt nach epidemiologischen Studien in den USA bei ca. 8 % [1]. In Deutschland wurden zwar geringere PTBS-Quoten nach Unfällen beobachtet [8, 9], häufig wurde aber primär das Auftreten eines PTBS-Vollbildes untersucht, während die anderen oben genannten Folgestörungen und auch psychischen Anpassungsstörungen unberücksichtigt blieben. Insgesamt wird die unfallbeding-

te psychische Morbidität auf 10–30 % geschätzt [10]. Die große Spannbreite ergibt sich dabei aus methodischen Unterschieden der Einzeluntersuchungen (z. B. Rekrutierung der Studienteilnehmer, Zeitpunkt der Diagnostik, Art der Symptomerfassung).

Das Spektrum psychischer Folgestörungen nach Unfalltraumata Es ist eher von einem Spektrum möglicher psychischer Traumafolgestörungen als von einem uniformen Störungsbild im Sinne des PTBS-Syndroms auszugehen [7, 11]. In klinischen Studien wurden zumeist die akute Belastungsreaktion und PTBS untersucht. Neben diesen primären Folgestörungen können als unfallbedingte begleitende psychische Beschwerden oder als eigenständige – sekundäre – Folgestörungen aber auch andere Syndrome (wie Angst-, depressive, somatoforme Störungen) auftreten [11]. Die akute Belastungsreaktion ist nach der „Internationalen Klassifikation psychischer Störungen“ (ICD-10) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gekennzeichnet durch ein vielschichtiges, wechselndes Beschwerdemuster unmittelbar nach dem Unfalltrauma und weist definitionsgemäß eine zeitliche Begrenzung von wenigen Tagen bis zu 4 Wochen auf (. Übersicht 1) [12].

Übersicht 1  Diagnostische Kriterien der akuten Belastungsreaktion A) Auftreten einer außergewöhnlichen psychischen oder physischen Belastung B) Unmittelbarer Beginn der Symptome innerhalb von Minuten

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C 1) Typische vegetative Angstsymptome, wie z. B. Herzklopfen, erhöhte Herzfrequenz, Schweißausbrüche, Tremor, Mundtrockenheit C 2) Rückzug von sozialen Interaktionen, Einengung der Aufmerksamkeit, Desorientiertheit, Ärger oder verbale Aggression, Verzweiflung oder Hoffnungslosigkeit, unangemessene, sinnlose Überaktivität, unkontrollierte Trauer D) Abklingen der Symptomatik gewöhnlich innerhalb von 2 Tagen E) Die Symptomatik ist nicht auf andere psychische Störungen zurückzuführen

Einzelne Symptome können zunächst als „eine normale Reaktion der menschlichen Psyche auf eine außergewöhnliche Situation“ angesehen werden und sind nicht per se krankheitswertig. Sie können aber bei großem Schweregrad oder bei Vorliegen von Risikofaktoren (s. auch unten) auf Behandlungsbedürftigkeit verweisen [13, 14]. Im amerikanischen „Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störungen“ (DSM-IV) [15] wird die „acute stress disorder“ in Abweichung vom Konzept der WHO als eine frühe Manifestationsform der PTBS konzeptualisiert, in der initiale dissoziative Bewusstseinsveränderungen als zentral hervorgehoben werden. Für die Diagnose einer PTBS wird in Studien und bei Begutachtungsfragen häufig wegen der – im Vergleich zu den klinischen Leitlinien der ICD-10 – präziseren Definition der diagnostischen Kriterien auf das amerikanische Klassifikationssystem DSM-IV [15] zurückgegriffen. Hier müssen für die Diagnose der PTBS 6 Kriteriengruppen (A bis F) erfüllt sein (. Übersicht 2).

Übersicht 2  Diagnostische Kriterien der posttraumatischen Belastungsstörung (nach dem “Diagnostic and Statistical Manual of mental disorders – fourth edition (DSM-IV)”: [15] A-1) Vorliegen einer objektiv ernsthaften oder lebensbedrohlichen Verletzung oder Gefährdung für die eigene oder andere Personen A-2) Peritraumatisches Erleben von intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen B) Sich aufdrängendes Wiedererleben des Traumas (z. B. in Form von Albträumen oder sich aufdrängenden Wiedererinnerungen) C) Vermeidung traumabezogener Situationen, Gedanken oder Gespräche D) Andauernde physiologische und mentale Übererregung (z. B. Konzentrationsstörungen, Schreckhaftigkeit, Schlafstörungen, Gereiztheit) E) Zeitdauer der Symptomatik mehr als 4 Wochen F) Gravierende Funktionsbeeinträchtigungen

Persistieren die oben genannten Symptome (sog. „Symptomtrias“ C, D, F) für mehr als 4 Wochen, ist zunächst von einer akuten PTBS auszugehen. Bestehen diese für länger als 3 Monate, wird von einer chronischen PTBS gesprochen (Zeitkriterium E). In der ICD-10 [12] wird die PTBS als spezifisches Syndrom beschrieben, das auftritt nach einem „Ereignis oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung oder mit katastrophalem Ausmaß …, das nahezu bei jedem“ – auch bislang psychisch gesunden und stabilen Menschen (Einfügung des Autors) –. „tiefgreifende Verzweiflung auslösen würde“. Typischerweise tritt das PTBS-Syndrom unmittelbar oder zeitnah nach dem Unfall auf. Bei schweren Verletzungen mit vitaler Bedrohung, intensiven Behandlungsmaßnahmen oder Verordnung psychoaktiver Medikamente können Vorhandensein oder Ausmaß psychischer Symptome sowohl für die Behandelnden als auch für die Betroffenen zunächst „verdeckt“ bleiben. Eine punktuelle Überforderung der Psyche durch Stress und dem Überleben dienende Prozesse führt dazu, dass diese erst später in vollem Umfang wahrgenommen werden (z. B. nach der Klinikentlassung, bei Realisierung irreversibler Unfallfolgen im Alltag, „wenn man mehr zur Ruhe kommt“). Die Entwicklung einer unfallbedingten PTBS mit einer Latenz

Tab. 1  Ereignis- und personenbezogene Risikofaktoren für Traumafolgestörungen Prätraumatisch Weibliches Geschlecht Jüngeres Lebensalter Niedriger Bildungsgrad Vorbestehende Traumatisierung Vorbestehende psychische Störungen Familienanamnese für psychische Störungen

Peritraumatisch Intendierte/Menschengemachte Ereignisse Schwere des Unfalls Spezielle Merkmale des Geschehens (z. B. erlebte Hilflosigkeit, absurde Aspekte der Unfallsituation) Peritraumatische Dissoziation

von mehreren Monaten oder gar Jahren tritt nach Unfällen selten auf [16]. Die oben genannten Belastungsstörungen sind von anderen koexistenten oder sekundären Störungen wie einer Angststörung (z. B. Autofahrphobie, Maschinenangst), Depression, Somatisierungsstörung (vor allem Schmerzstörungen) und substanzbedingten Störung zu unterscheiden [7]. Auch diese können nach schweren Unfällen und wegen der häufig anhaltenden oder sogar irreversiblen Unfallfolgen auftreten. Eine differenzialdiagnostische Abgrenzung zu den Anpassungsstörungen (ICD-10 F43.2) ist erforderlich. Diese sind als eine weniger stark oder nicht voll ausgebildete psychoreaktive Symptomatik konzeptualisiert, z. B. eine depressive oder ängstlich-phobische Reaktion (unterhalb des Vollbildes einer Depression oder Angststörung). Sie können auch nach Unfallereignissen diag­ nostiziert werden, die nicht notwendigerweise die oben genannten diagnostischen Traumakriterien erfüllen. Schwere Beeinträchtigungen der privaten, beruflichen und sozialen Alltagsbewältigung, hoher Leidensdruck sowie erhebliche gesundheitsökonomische Auswirkungen unterstreichen die klinische Relevanz aller psychischen Unfallfolgestörungen [6, 7].

Risikofaktoren Nach einem potenziell traumatischen Unfall entwickelt nur eine Minderheit von Betroffenen eine chronische psychische Folgestörung [17]. Bei den meisten Unfallopfern bleiben psychische Stress- und Belastungssymptome auf einen begrenzten Zeitraum nach dem Ereignis limitiert. Die Mehrzahl kann diese mit eigenen Ressourcen bzw. mit Unterstützung des sozialen Umfeldes auch ohne profes-

Posttraumatisch Fehlende soziale Unterstützung Persistierende und intensive Stress-/Belastungssymptome über Wochen Belastung durch ungewöhnliche Symptome (Flashbacks, Albträume, Panikattacken) Irreversible körperliche Schädigungen Behinderungen Chronische Schmerzen

sionelle Behandlung wieder bewältigen. Welche prä-, peri- und posttraumatischen Faktoren neben dem Unfallereignis selbst für die Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer Folgestörungen bedeutsam sind, wurde intensiv erforscht. Aus der Vielzahl dabei untersuchter Merkmale wurden die in . Tab. 1 aufgeführten als die wichtigsten und am häufigsten bestätigten Risikofaktoren identifiziert [18]. Die klinische Relevanz allgemeiner Risikofaktoren darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich das Traumatisierungspotenzial von Unfallereignissen häufig nur über die individuelle Bedeutung und Bewertung erschließen lässt. Ein frühzeitiges Erkennen ereignisbezogener und personenbezogener Risikound Schutzfaktoren ist unabdingbar für die Einschätzung des weiteren Unterstützungsbedarfs und seiner Umsetzung in der klinischen Versorgung.

Ein gestuftes Versorgungskonzept zur psychosozialen Intervention nach akuter Unfalltraumatisierung Die Organisation der Bergungs- und Rettungsdienste sowie die medizinische Akut- und Rehabilitationsbehandlung von Unfallverletzten befinden sich in ständiger Weiterentwicklung und haben hohe Versorgungsstandards erreicht. Eine frühzeitige Wahrnehmung und Sekundärprävention psychischer Folgebeschwerden ist dagegen nicht obligat [19]. Gestufte Unterstützungs- und Behandlungskonzepte sind kein Standard in der Routineversorgung und wissenschaftlich noch unzureichend untersucht [20]. Um hier vergleichbare Fortschritte zu erreichen, ist eine Sensibilisierung für die psy-

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Zusammenfassung · Abstract chischen Aspekte von Unfällen bei allen involvierten Professionen erforderlich, vor allem bei Mitarbeitern der Rettungsdienste, Polizei, erstversorgenden Kliniken. Weiterführend sind Haus- und Fachärzte (Durchgangsärzte, Arbeits- und Betriebsmediziner), Physio- und Ergotherapeuten, aber auch Angestellte der Kostenträger wichtige Netzwerkpartner in der Versorgung. Studienergebnisse und klinische Expertenurteile wurden 2008 in der Leitlinie „Diagnostik und Behandlung von akuten Folgen psychischer Traumatisierung“ der „Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich medizinischen Fachgesellschaften – AWMF“ [6] zusammengefasst. Diese sehen idealerweise eine „psychosoziale Versorgungskette“ [21] nach Notfällen und Unfalltraumata vor (. Abb. 1). Drei sich ergänzende und im Bedarfsfall möglichst rasch ineinander übergehende Phasen werden unterschieden: 1. Einwirkungsphase: Notfallversorgung (psychische Erste Hilfe), 2. Stabilisierungsphase: psychosoziale Notfallnachsorge und psychotherapeutische Akutbehandlung, 3. Weiterbehandlungsphase: traumafokussierte Psychotherapie und Rehabilitation.

Akute und Notfallversorgung vor Ort Umfassende Erfahrungen mit individuellen Extrembelastungen, aber auch Großschadensereignisse unterstreichen die Wichtigkeit einer bei Bedarf unmittelbaren und unfallnahen psychischen Begleitung und psychosozialen Unterstützung der Betroffenen [22, 23]. Das betrifft vor allem die direkten Unfallopfer und mittelbar Beteiligten (z. B. Beobachter und Zeugen), kann aber auch Angehörige und besonders stark belastete Mitarbeiter der Rettungsdienste einschließen. Entsprechend einem phasenspezifischen Modell der Traumaverarbeitung [24] geht es in der Einwirkungs- und Rettungsphase nicht um eine Anwendung spezifischer psychotherapeutischer Methoden oder Verfahren. Primäres Ziel ist vielmehr die „Abpufferung“ der akuten Notfall- und Stressreaktionen (Ängste, Übererregung, Bedrohungs-, Unsicherheitser-

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Psychische Folgen von Unfällen und deren Versorgung Zusammenfassung Die Notfallpsychologie und Psychotraumatologie befassen sich mit den psychischen Folgen von Extremereignissen, ihrer Präventi­ on und Behandlung. Unfälle zählen zu den häufigsten potenziell traumatisierenden Ereignissen in der Allgemeinbevölkerung, die zu schweren psychischen Folgebeschwerden und -störungen führen können. Unfälle ereignen sich plötzlich, unvorhersehbar und sind mit einer Gefährdung von Gesundheit, Identität und Leben verbunden. 5–30 % der Unfallopfer entwickeln kurz- oder langfristige Folgebeschwerden mit Krankheitswert. Für die Betroffenen sind – insbesondere chronisch anhaltende – psychische Symptome mit schwerem Leid, gravierenden Auswirkungen auf ihre Funktionstüchtigkeit und Lebensqualität verbunden. Für die Gesellschaft ergeben sich daraus hohe direkte und indirekte Folge­ kosten. Eine frühe Erkennung und Sekundärprävention psychischer Unfallstörungen sind in der klinischen Versorgung bisher nicht die Regel: Bei schweren körperlichen Unfallverletzungen stehen psychische Begleitsymp-

tome zunächst nicht im Fokus der Aufmerksamkeit. Allzu häufig bleiben sie aber auch im weiteren Verlauf unbeachtet und uner­ kannt. In der primärärztlichen Versorgung ist das Wissen über spezielle Diagnose- und Behandlungsoptionen unzureichend. Vorbehalte, Abwehrmechanismen und Stigmatisierungsängste bei Betroffenen sowie Schnittstellenprobleme bei der Weitervermittlung (Verfügbarkeit, Wartezeiten) können den Zugang zu wirksamen Hilfestellungen erschweren oder verunmöglichen. Im vorliegenden Überblicksbeitrag werden – orientiert an entsprechenden AWMF-Leitlinien – Ziele, Konzepte und Inhalte einer gestuften psychologischen Unterstützung nach schweren Unfällen dargestellt. Schlüsselwörter Unfälle · Psychische Folgestörungen · Posttraumatische Belastungsstörung · Akuttraumatisierung · Frühintervention · Gestufte Versorgungsmodelle

Interventions for mental health sequelae of accidents Abstract Emergency psychology and psychotraumatology deal with the psychological sequelae of traumatic experiences, i.e., the prevention and early intervention of posttraumatic mental health disorders. Accidents are the most prevalent traumatic events in the general population that may result in a range of severe trauma and adjustment disorders. Accidents happen suddenly, unexpectedly, and can gravely threaten health, personal integrity, and life. The prevalence of intermittent and chronic psychiatric disorders in the aftermath of severe accidents varies between 5 and 30 %. Victims suffer from unknown and frightening posttraumatic symptoms, often irreversible handicaps as a consequence of their injuries, impairments in everyday functioning, and negative impact on the quality of life. The direct and indirect burden for society is high. Comprehensive secondary prevention, starting with early detection and early intervention of post-accident disorders, is not well established in clinical care. In case

leben), die Wiederherstellung von Orientierung und Sicherheit. Menschliche Präsenz, einfühlsamer Beistand, praktische

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of severe accidental injuries, emergency and medical treatment has absolute priority. But all too often, severe mental health problems remain undetected in later treatment phases and therefore cannot be addressed adequately. In primary care, knowledge of specific psychodiagnostic and treatment options is still insufficient. Prejudices, denial, and fear of stigmatization in traumatized victims as well as practical constraints (availability, waiting time) in the referral to special evidencebased interventions limit the access to adequate and effective support. This overview presents the objectives, concepts, and therapeutic tools of a stepped-care model for psychological symptoms after accidental trauma, with reference to clinical guidelines. Keywords Accidental trauma · Psychological sequelae · Posttraumatic stress disorder · Acute traumatization · Early intervention · Steppedcare model

und organisatorische Unterstützung sowie dosiertes Informieren sind realistische und wirksame Unterstützungsmaß-

Traumatherapie Frühintervention Verlaufsbeobachtung Identifizierung von Risikopersonen Information, Edukation, Beratung Soziale + praktische Unterstützung

(Familie, Umfeld, Arbeitgeber, psychosoziale Nachsorge)

Abb. 1 8 Gestuftes Maßnahmenmodell nach akuter Traumatisierung. Dargestellt werden gestufte Formen psychosozialer Unterstützungsmaßnahmen nach akuten Traumatisierungen. Basale unspezifische Maßnahmen sollten für viele (potenziell) Betroffene bereitgehalten werden. Weiterführende spezifische Maßnahmen kommen selektiv für besonders Betroffene nach professioneller Diagnostik und Indikation zur Anwendung (nach [6, 21, 22])

nahmen in der unmittelbaren Notfallsi­ tuation. Die Erfüllung basaler menschlicher Grundbedürfnisse in einer existenziell bedrohlichen Situation steht im Mittelpunkt. Die Notfallpsychologie hat pragmatische Regeln im Umgang mit Unfallopfern formuliert, die für Rettungskräfte, aber auch für Laien als Orientierungshilfe in der Akutsituation fungieren können. Psychische Erste Hilfe ist raumzeitlich begrenzt, endet in der Regel, sobald die weitere professionelle Versorgung und/oder menschliche Betreuung der Unfallbeteiligten durch das soziale Umfeld und Angehörige gewährleistet ist. In einem aufwendigen Abstimmungs- und Konsensusprozess hat das „Bundesamt für Bevölkerungs- und Katastrophenschutz“ [25] Zuständigkeiten, Organisationsstrukturen und Inhalte der psychosozialen Notfallnachsorge vor allem für Großschadensereignisse definiert. Die Konzepte sind auch für alltagsnahe individuelle Unfalltraumata anwendbar, wobei deren quanti­ tative und qualitative Umsetzung organisatorisch und regional sehr große Unterschiede aufweisen kann.

Psychosoziale Notfallnachsorge In den ersten Stunden und Tagen nach ei­ nem potenziell traumatisierenden Unfall sollten für besonders Betroffene Angebote der psychosozialen Notfallnachsorge zur Verfügung stehen. Diese werden von verschiedenen Professionen, in unterschied-

lichen institutionellen Settings und mit ei­ genen inhaltlichen Akzentsetzungen organisiert: u. a. speziell qualifizierte Rettungsdienstmitarbeiter (z. B. Kriseninterventionsdienste), betriebliche Unfallhelfer oder -manager, Mitarbeiter von psychosozialen Beratungsstellen (Diplom-Psychologen, Sozialarbeiter) und kirchliche Notfallseelsorger stellen solche Angebote bereit. Da akute unfallbedingte Beschwerden nicht per se als spezifische psychische Symptome oder Störungen anzusehen sind, sind viele frühe psychosoziale Hilfsangebote außerhalb der ärztlichen oder psychotherapeutischen Versorgung angesiedelt. Zu den frühen und unspezifischen psychologischen Unterstützungsmaßnahmen zählen: aktives Zuhören, emotionale Entlastung, die Normalisierung akuter Folgebeschwerden, Informationen über typische („normale“) psychische Symptome und deren zumeist allmähliche Rückbildung über die Zeit, die Empfehlung stressreduzierender körperlicher Aktivitäten (Bewegung, Sport), die Förderung menschlicher Kontakte und eines – so­weit möglich – Anknüpfens an vertraute Alltagsroutinen. Informationen über weiterführende professionelle Hilfen für den Fall eines Fortbestehens oder sogar einer Verschlechterung der Symptomatik sollten vermittelt werden. Eine solche – zumeist ehrenamtliche oder in anderem beruflichen Kontext erbrachte – psychologische Nachsorge erfordert eine vorherige qualifizierende theoretische und prak­

tische Vorbereitung auf diese Tätigkeit und eine kontinuierliche Supervision. Ei­ ne Reflexion der Möglichkeiten, aber auch Grenzen der eigenen Unterstützungsmöglichkeiten und Helferrolle sowie das Erkennen untypischer oder besonders stark ausgeprägter Krisenreaktionen oder Symptome, die eine rasche (u. U. auch sofortige) psychodiagnostische Klärung notwendig machen (z. B. bei Suizidalität), sind unverzichtbar. Durch die Unterstützungsmaßnahmen dürfen keine zeitlichen Verzögerungen entstehen, um die im Bedarfsfall notwendige Durchführung spezifischer Diagnostik- und Behandlungsmaßnahmen nicht zu verzögern.

Screeningverfahren Diese sind ein Hilfsmittel zur frühen Identifizierung von Risikopatienten: Ih­ re einfache Anwendung und Auswertbarkeit sowie überprüfte Vorhersagequalität erlauben einen orientierenden Einsatz bei Unfallopfern, ohne dass im Rahmen der Erstversorgung oder Nachsorge bereits eine qualifizierte Psychodiagnostik erfolgen muss. Im deutschen Sprachraum existieren verschiedene ScreeningFragebogen (z. B. der „Kölner Risiko-Index“ [26] oder der „Trauma Screening Fragebogen“ [27]). Der „Freiburger Screening-Fragebogen (FSQ)“ enthält 2 Aussagen zum peritraumatischen Erleben und 8 Aussagen zu posttraumatischen Symptomen, die von Betroffenen mit „Ja“ oder „Nein“ rasch beantwortet werden können. Bei 4 (oder mehr) „Ja“-Antworten konnte mit einer Sensitivität von 89 % und einer Spezifität von 70 % das Auftreten einer PTBS (bzw. subklinischen PTBS) 6 Monate nach einem Verkehrsunfall vorhergesagt werden [28]. In 2 Studien mit schwer verletzten Arbeitsunfallpatienten konnte der FSQ seine klinische Nützlichkeit belegen: 6 Monate nach dem Unfall wiesen die Gruppen der identifizierten Nichtrisiko- vs. Risikopatienten bezüglich ihrer subjektiven Symptombelastung (PTBS, Angst und Depression), „objektiven“ Indikatoren der medizinischen, beruflichen und psychosozialen Rehabilitation sowie der eingeschätzten Lebensqualität signifikante Unterschiede auf [29, 30]. Bei den Risikopatienten war mehrheitlich eine Persistenz der initialen Symptomatik

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Leitthema zu beobachten, die mit einem signifikant ungünstigen Heilungsverlauf einherging. Mögliche Nachteile (z. B. nicht notwendige Maßnahmen bei „falsch positiven“ Fällen; mögliche Sensibilisierung) müssen gegen die Vorteile einer Screening-basierten Früherkennung abgewogen werden [31]. Die massiven Folgen (Chronifizierung, Progredienz und zunehmende Störungskomplexität) einer unerkannten und nicht rechtzeitig behandelten psychischen Folgesymptomatik sprechen – nicht nur aus Kostengründen – für sekundärpräventive Interventionen. Um die Quote „falsch positiver“ Screeningfälle ins­ besondere durch eine zu „frühe“ Durchführung zu reduzieren, wird in SteppedCare-Ansätzen ein zweistufiges Vorgehen aus Fragebogen-Screening – frühestens 1 Woche nach dem Ereignis –, weiterer aktiver Verlaufsbeobachtung und qualifizierter psychodiagnostischer Untersuchung empfohlen, wenn gravierende psychische Belastungssymptome für mehr als 4 bis 6 Wochen fortbestehen [32].

Psychotherapie bei Risikopersonen und manifest Erkrankten Spezifische psychotherapeutische Maßnahmen zur Prävention und Behandlung von Unfallfolgestörungen unterscheiden sich bezüglich Zeitpunkt, Dauer und Intensität sowie Zielsetzungen ihres Einsatzes: 55psychologische Frühintervention, 55traumafokussierte Psychotherapie, 55pharmakologische Interventionen.

Psychologische Frühintervention

Die psychologische Frühintervention ist zwischen „psychischer Erster Hilfe“ bzw. „psychosozialer Notfallversorgung“(s. oben) und längerfristiger traumafokussierter Psychotherapie bei bereits manifesten Traumastörungen (s. oben) positioniert. Sie hat kurativen und sekundärpräventiven Charakter und ist indiziert, wenn besondere Unfallumstände mit hohem Traumatisierungspotenzial und/oder gravierende Symptome (z. B. schwere Angstsymptome, Albträume, Verzweiflung) vorliegen, die eine umgehende professionelle therapeutische Unterstützung notwendig machen.

Eine Frühintervention verfolgt das Ziel, langfristige Folgestörungen nach einem Trauma zu verhindern oder zumindest zu mildern. Sie beginnt in den ersten 4 (bis 10) Wochen nach dem Unfalltrauma und ist als Kurzzeittherapie mit 5 bis etwa 10 Sitzungen konzipiert. Die Psychotherapie beinhaltet therapeutische Verfahren, die nach vorheriger Psychodiagnostik die oben beschriebene typische Belastungssymptomatik adressieren (. Übersicht 3). Übersicht 3  Ziele bzw. therapeutische Verfahren kognitiv-verhaltenstherapeutischer Frühinterventionsprogramme FF A  ufbau einer tragfähigen, Sicherheit vermittelnden Therapiebeziehung FF Rekonstruktion des Unfallgeschehens/ Verbalisierung des Unfallerlebens FF Aufklärung über typische Reaktionen nach traumatischen Ereignissen (Psychoedukation) FF Vermittlung von Methoden der Erregungskontrolle (z. B. Entspannungsverfahren) FF Vermittlung im Umgang mit starken Ängsten und Übererregung FF Verfahren der Konfrontation mit traumabezogenen Erinnerungen in der Vorstellung oder in der Realität FF Förderung von Fertigkeiten im Umgang mit starken Emotionen (wie depressive Symptome, Scham-, Schuld-, Wut- und Ärgergefühle) FF Unterstützung bei der Rehabilitation und Integration des Traumas FF K  lärung weiterführenden Therapie‑ bedarfs

Eine spezifische psychotherapeutische Frühintervention ist auf ausgewählte Betroffene mit manifester Symptomatik und/oder mit Risikofaktoren zu begrenzen. Eine obligate Psychotherapie für alle Unfallopfer ist weder erforderlich, realisierbar noch wünschenswert. Therapiestudien zeigen auch auf, was nicht getan werden sollte. Für Verfahren (wie z. B. das sog. Psychological Debriefing [33]), die auf eine einzelne Sitzung mit definiertem Vorgehen in den ersten 48 h nach dem Trauma begrenzt sind, konnte in einer Cochrane Metaanalyse [34] keine präventive Wirkung nachgewiesen werden. Die oben skizzierte kognitiv-verhaltenstherapeutische (abgekürzt KVT) Frühinterven-

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tion unterscheidet sich in zentralen Merkmalen vom Debriefing (z. B. individuelle Psychodiagnostik, mehrere einzeltherapeutische Sitzungen; Evaluation der Effekte im Therapieverlauf; Einsatz von empirisch erprobten Verfahren). Ihre Wirksamkeit konnte in einer Reihe kontrollierter Therapiestudien nachgewiesen werden [35]. KVT-Frühinterventionsprogramme mit mehreren Sitzungen sind nach den Schlussfolgerungen einer aktuellen Cochrane-Analyse aber nur bei Behandelten mit klinischer Symptomatik im Sinne einer „akuten Belastungsreaktion“ oder akuten PTBS überlegen [36]. Detailfragen zur weiteren Gestaltung und Optimierung der Frühinterventionsprogramme sind im Rahmen zukünftiger Studien zu klären.

Traumafokussierte Psychotherapie posttraumatischer Störungen

Wird im Verlauf erkennbar, dass bereits angewandte Maßnahmen der Frühintervention nicht ausreichen, oder erfolgt eine Erstvorstellung erst mehrere Monate nach einem Unfall, ist eine traumafokussierte Behandlung angezeigt. Diese ist durch eine zumeist höhere Frequenz, Intensität und längere Dauer gekennzeichnet [21]. Individuelle Aspekte der Disposition, Entstehung und Aufrechterhaltung der Störung sowie individuelle Therapieziele können stärker berücksichtigt werden. Neben der Behandlung der unfallbedingten Symptomatik ist eine umfassende Maßnahmenplanung bezüglich der beruflichen und psychosozialen Rehabilitation erforderlich, die für eine langfristige Bewältigung und Integration der körperlichen und/oder psychischen Unfallfolgen unverzichtbar ist. Für die Behandlung der chronischen PTBS sind vor allem die kognitive Verhaltenstherapie [37] und das „Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR)“ [38] Behandlungen der Wahl. Beide Verfahren sehen eine wiederholte therapeutische Konfrontation (in der Vorstellung oder in der Realität) mit den traumatischen Erinnerungen bzw. mit traumaassoziierten situativen Auslösern vor, um eine Reduktion der dabei ausgelösten Ängste und Übererregungssymptome und eine bessere Verarbeitung des Traumas zu fördern. Zeit-

lich verlängerte Konfrontationen mit den traumabezogenen Erinnerungen innerhalb eines Sicherheit vermittelnden therapeutischen Rahmens unterstützen – ähnlich wie das verhaltenstherapeutische Expositionsvorgehen bei anderen Angststörungen – eine Angstreduktion durch Habituation. Im EMDR-Vorgehen erfolgen bei eher kürzeren Konfrontationssequenzen parallel zur Traumakonfrontation sog. „bilaterale Stimulationen“ (z. B. das Induzieren von sakkadischen Augenbewegungen), die eine zentralnervöse Verarbeitung und Integration fördern sollen. In der KVT bedürfen Emotionen wie starke Schuldgefühle und Ärger einer eigenständigen Bearbeitung in Form spezifischer kognitiver Techniken [39], weil Expositionsverfahren hier in der Regel nicht ausreichend sind. Ziele sind die Auseinandersetzung mit und die Modifikation von verzerrten und nicht hilfreichen Bewertungen des Traumas und seiner Folgen. Zum Beispiel sind viele Unfallopfer übersensibilisiert für die Risiken und Bedrohungen im Straßenverkehr („ich kann mich nie mehr sicher fühlen“), empfinden ständiges Misstrauen gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern („ich kann keinem Autofahrer mehr vertrauen“), zweifeln an ihren Fähigkeiten, wieder verlässlich und verantwortlich („Was ist, wenn ich das Steuer plötzlich herumreiße?“) ein Fahrzeug zu steuern. Häufig generalisieren solche Zweifel auf die Einschätzung, das eigene Leben noch bewältigen („nichts wird wieder wie früher“) und mit Schwierigkeiten umgehen zu können („ich bin nicht mehr belastbar“). Kognitive Verfahren beinhalten eine explizite therapeutische Auseinandersetzung mit solchen problematischen und Symptom aufrechterhaltenden Annahmen [40]. Bei der Behandlung der PTBS haben sich die traumafokussierten Therapieverfahren der KVT und das EMDR als wirksam erwiesen [41]. Traumaadaptierte psychodynamische Verfahren wurden bislang nicht ausreichend im Rahmen kontrollierter Therapiestudien überprüft [7]. Bei psychischen Anpassungsstörungen kommen je nach vorliegender Psychopathologie Methoden zur Anwendung, die an den störungsspezifischen Verfahren, z. B. der Angstbewältigung, Trauerarbeit oder Ärgerkontrolle, orientiert sind

[42]. Für die Behandlung anderer sekundärer Folgestörungen, z. B. somatoformer Schmerzstörungen, Depression und Angststörungen, sollte ein möglichst leitlinienorientiertes Vorgehen erfolgen.

Pharmakologische Behandlungen

Für eine unterstützende medikamentöse Behandlung der chronischen PTBS sind Antidepressiva aus der Gruppe der Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) Mittel der ersten Wahl [43]. Sie wirken auf die Symptomtrias der PTBS, auf die häufigen komorbiden Störungen der Angst und Depression sowie auf impulsives und aggressives Verhalten. Bezüglich alternativer pharmakotherapeutischer Strategien, die sich noch in Erprobung befinden und derzeit keine Zulassung in Deutschland haben, sei auf die spezielle Literatur verwiesen [44]. Eine medikamentöse Monotherapie ohne psychotherapeutische Mitbehandlung wird nicht empfohlen. In der akuten Phase nach einem Unfall kann eine pharmakologische Begleitbehandlung erforderlich sein, besonders wenn massive Übererregung, Aggressivität oder Selbstgefährdung vorliegt. Im Sinne einer Krisenintervention geht es dabei zunächst um eine symptomatische Entlastung (z. B. bei massiven Schlafstörungen). Anxiolytisch wirksame Benzodiazepine sollten wegen ihres Suchtpotenzials und möglichen Beeinträchtigungen der frühen psychischen Adaptationsprozesse immer nur in zeitlich begrenztem Umfang und unter Beachtung möglicher Kontraindikationen (Suchtanamnese) angewendet werden. Es existieren zurzeit keine Studien, die eine präventive Wirksamkeit einer medikamentösen Frühintervention belegen [45, 46].

Fazit Fortschritte im wissenschaftlichen Erkenntnisstand und klinische Erfahrungen sind in internationalen und deutschsprachigen Leitlinien für akute und chronische Traumafolgestörungen zusammengefasst. Gleichzeitig ist eine gestiegene Sensibilität für diese Thematik in den Rettungsorganisationen und ihren übergeordneten Behörden/Strukturen zu verzeichnen. Auch von Unfallopfern und

der Öffentlichkeit wird eine im Bedarfsfall angemessene psychologische Unterstützung zunehmend erwartet. Außerhalb spezialisierter Arbeitsgruppen und Schwerpunktzentren ist aber eine leitlinienorientierte therapeutische Versorgung nicht durchgängig gewährleistet. Eine analog zur medizinischen Notfallbehandlung funktionierende notfallpsychologische Interventionskette kann durch systematische Information, die Definition gestufter Maßnahmen sowie eine bessere Zusammenarbeit der beteiligten Dienste weiter verbessert werden [47]. Bezüglich der Früherkennung, Diagnostik und Behandlung psychischer Unfallfolgen wurden speziell im Bereich der Arbeits- und Wegeunfälle richtungweisende strukturelle und inhaltliche Innovationen realisiert. Die hier zuständige Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) hat sich intensiv mit dem Thema „Arbeitsunfall und Psyche“ auseinandergesetzt. Sie hat dabei nicht nur den aktuellen Erkenntnisstand rezipiert, sondern durch Forschungsförderung auch versorgungsrelevante Studien aktiv begleitet. Deren Schlussfolgerungen wurden im Hinblick auf ihre praktische Umsetzbarkeit im Heilverfahren ausgewertet. An allen Berufsgenossenschaftlichen Unfallkliniken sind inzwischen psychotraumatologische Abteilungen bzw. Ambulanzen eingerichtet. Mit dem 2012 reformierten „Psychotherapeutenverfahren“ wurden die strukturellen und prozessualen Bedingungen für eine frühzeitige Diagnostik und Behandlung unfallbedingter psychischer Störungen definiert [48]. Eine enge Verzahnung mit dem sog. „RehaManagement“ soll den medizinischen, psychischen und sozialen Verlaufsfaktoren insbesondere in sog. Komplexfällen gerecht werden [49]. Nach Einschätzung des Autors hat die DGUV für psychische Folgen akuter Arbeits- und Wegeunfälle, die etwa ein Drittel aller Unfälle ausmachen, ein Versorgungskonzept geschaffen, das an der oben genannten AWMFLeitlinie [6] orientiert ist. Dabei wird die Grundidee einer Berufsgruppen-übergreifenden, Schweregrad-gestuften und auf die individuellen Erfordernisse abgestimmten Behandlung unfallbedingter psychischer Störungen „mit allen erfor-

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Leitthema derlichen Mitteln“ verfolgt. Auch wenn Besonderheiten des Heilverfahrens der Gesetzlichen Unfallversicherung eine direkte Übertragung einschränken, sollte die gezielte Sekundärprävention psychischer Folgestörungen nach schweren Unfällen – mit oder ohne körperliche Verletzungen – auch von den anderen Kostenträgern der Sozialversicherung stärker gefördert werden.

Korrespondenzadresse Dr. J. Angenendt Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Universitätsklinikum Freiburg Hauptstr. 5, 79104 Freiburg/Brsg. [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  J. Angenendt war Forschungsleiter der „Freiburger Arbeitsunfall Studien I und II“, die mit Mitteln des Forschungsfonds der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, Berlin, gefördert wurden.

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[Interventions for mental health sequelae of accidents].

Emergency psychology and psychotraumatology deal with the psychological sequelae of traumatic experiences, i.e., the prevention and early intervention...
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