Risler u. a.: Interaktion von Chinidin und Digoxin beim Menschen

Nr. 43, 26. Oktober 1979, 104. Jg.

1523

Dtsch. med. Wschr. 104 (1979), 1523-1526 © Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Interaction of quinidine and digoxin in humans After full digitalisation, 11 healthy subjects received 0.375 mg digoxin daily as mainT. Risler, U. Peters, B. Grabensee und L. Seipel tenance dose. Under steadyTechnische Assistenz: J. Krokou state conditions and determinaMedizinische Klinik und Poliklinik, Klinik A (Direktor: Prof. Dr. W. Schneider) und Klinik B (Direktor: Prof. Dr. F. Loogen) tion of serum concentration and der Universität Düsseldorf renal clearance of digoxin, they were then given 500 or 1000 mg Elf gesunde Probanden erhielten nach Voildigitalisierung als Erhaltungs- quinidine daily in addition to the digoxin. While serum condosis 0,375 mg Digoxin täglich. Nach Steady-state-Bedingungen und centration of digoxin rose signiMessungen von Serumkonzentration und renaler Clearance erhielten sie ficantly from 0.75 ± 0.2 ng/ml after one week on 500 mg gleichzeitig 500 oder 1000 mg Chinidin täglich. Während sich die quinidine, and to 1.8 ± 0.6 ng/ml after 1000 mg of quinidine, Digoxin-Serumkonzentration von 0,75 ± 0,2 ng/ml nach einwöchiger renal digoxin clearance fell Einnahme von 500 mg Chinidin signifikant auf 1,3 ± 0,4 ng/ml und nach from 186.2 ± 67.4 to 125.4 ± 61.8 mi/mm after 1000 mg Chinidin auf 1,8 ± 0,6 ng/ml erhöhte, sank die renale Digoxin- 500 mg of quinidine. Raising Clearance von 186,2 ± 67,4 vor auf 125,4 ± 61,8 ml/mm nach zusätzquinidine 1osage to 1000 mg caused no further digoxin licher Einnahme von 500 mg Chinidin ab. Die Erhöhung der Chinidin- daily clearance reduction. During the total experimental period dosis auf 1000 mg täglich bewirkte keine weitere Abnahme der creatinine clearance Digoxin-Clearance. Während des gesamten Versuchsablaufes blieb die endogenous remained unchanged. The endogene Kreatinin-Clearance unverändert. Die Ergebnisse weisen darauf results indicate that the rise in serum digoxin concentration hin, daß der Anstieg der Digoxin-Serumkonzentration bei gleichzeitiger on simultaneous quinidine administration is largely due to Chinidingabe zu einem wesentlichen Teil auf eine Einschränkung der reduction in renal digoxin renalen Digoxin-Clearance zurückzuführen ist, wobei eine Hemmung clearance. A clinical observation confirms the considerable der tubulären Sekretion eine Rolle spielen dürfte. Eine klinische practical importance of this Beobachtung bestätigt die große praktische Bedeutung dieser Interaktion. interaction.

Die Gefahr einer Kombinationstherapie von Digitalisglykosiden und Chinidin bzw. Chinin wurde erstmals von Davis und Sprague (7) 1929 vermutet. Gold und Mitarbeiter (14) warnten 1932 vor der gleichzeitigen Gabe von Chinidin und Digitalisglykosiden. Bis heute gibt es zahlreiche Beschreibungen von verschiedenen Rhythmusstörungen nach gleichzeitiger Gabe von Herzglykosiden und Chinidin (1, 4, 5, 8, 12, 16, 20, 22, 24, 26, 28, 33, 35, 38, 40, 44). Über Digoxin-Serumspiegel im toxischen Bereich bei regeirechter Dosierung und gleichzeitiger Einnahme von Chinidin wurde erst in den letzten Jahren berichtet (6, 9, 13, 17, 25, 30, 31). Hooymans und Merkus (17) diskutierten die Möglichkeit einer

Beeinflussung der renalen Digoxinelimination durch Chinidin.

Folgende klinische Beobachtung veranlaßte uns zu witeren Untersuchungen: Ein 68jähriger Patient (Körpergewicht 100 kg), dessen Nierenfunktion eingeschränkt

war (Kreatinin 203 .tmol/l, entsprechend 2,3 mg/dl), * Mit Unterstützung des Sonderforschungsbereiches 30 Kardiologie, Dusseldorf 0012-0472/79

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hatte über mehrere Monate 0,4 mg

-Acetyidigoxin

(Novodigal®) eingenommen Bei der Aufnahme in der Klinik wurde eine Serum-Digoxinkonzentration von 2,0 ng/ml (Norm: 1,0-1,8 ng/mi) gemessen, die in Anbetracht der normfrequenten absoluten Arrhythmie unbedenklich erschien. Es wurde der Versuch einer Rhythmisierung unternommen. Dazu wurden dem Patienten 1200 mg Chinidinsulfat (Chinidin-Duriles®) täglich zusätzlich zu der Digoxintherapie verordnet, die bis auf eine zusätzliche Einnahme von 0,2 mg -Acetyldigoxin während dreier Tage wegen eines technischen Fehlers unverändert weitergeführt wurde. Nach 6 Tagen traten die Zeichen einer Digitalis-Intoxikation mit Übelkeit, Erbrechen und Apathie, jedoch ohne über die absolute Arrhythmie hinausgehende EKG-Veränderungen, auf, die zum Absetzen der Digoxinmedikation zwangen. An diesem Tag wurde eine Serum-Digoxinkonzentration von 5,6 ng/ml gemessen. Der unerwartet schnelle Anstieg der Serumkonzentration ließ uns eine Interaktion von Chinidin und Digoxin vermuten und veranlaßte uns, eine Studie zur Klärung dieser Wechselwirkung zu beginnen.

$ 02.00 © 1979 Georg Thieme Publishers

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Untersuchungen zur Interaktion von Chinidin und Digoxin beim Menschen*

Risler u. a. Interaktion von Chinidin und Digoxin beim Menschen

Probanden und Methodik

Deutsche Medizinische Wochenschrift

sen.

Elf männliche gesunde Probanden, Ärzte oder Medizinstudenten, die über mögliche Nebenwirkungen der Kombinationsmedikation aufgeklärt waren und ihr Einverständnis zu den Untersuchungen gegeben hatten, erhielten wie folgt Digoxin (Lanicor): vom ersten bis dritten Tag 0,75 mg, ab viertern Tag während der gesamten Versuchsdauer von 22 Tagen 0,375 mg täglich per os. Vom 9. bis Tag erhielten die Probanden zusätzlich 500 mg Chinidinsulfat (Oprochinidin® retard) in zwei Dosen morgens und abends, ab Tag 1000 mg Chinidinsulfat ebenfalls in zwei Tagesdosen bis zum 22. Tag. Kein Proband nahm andere Pharmaka. Serum-Digoxinkonzentrationen wurden am 7., 8., 14., 15., 21. und 22. Tag bestimmt. Endogene Kreatinin-Clearance und renale Digoxin-Clearance (bezogen auf 1,73 m2 Körperfläche) wurden in zwölfstündigen Harnsammelperioden am 7., 8., 14., 15., 21. und 22. Tag bestimmt. Die Harnsammelperiode wurde jeweils 8 Stunden nach oraler Digoxingabe begonnen und auf 12 Stunden beschränkt,

damit Serum- und Urinkonzentration während der ClearancePeriode geringen Schwankungen unterworfen waren. Für die Clearance-Berechnung wurde die zu Anfang der 12-Stunden-Harnsammelperiode gemessene Serumkonzentration eingesetzt. Am 14., 15., 21. und 22. Tag wurde die Chinidin-Serumkonzentration ebenfalls 8 Stunden nach Einnahme bestimmt (Abbildung 1).

Blutentnahme Clearancesammelperiode

Nach achttägiger gleichzeitiger Einnahme von

500 mg Chinidin stieg die Serum-Digoxinkonzentration auf 1,3 ± 0,4 ng/ml an. Die Chinidin-Serumkonzentration betrug 0,9 ± 0,3 xg/ml. Nach Erhöhung der Chinidindosis auf 1000 mg/d stieg der Serum-Digoxinspiegel signifikant auf 1,8 ± 0,6 ng/mI an (Tabelle 1). Bei vier Probanden lag der Serum-Digoxinspiegel über 2,0 ng/ml. Die Chinidin-Serumkonzentration bei einer oralen Chini-

dindosis von 1000 mg betrug 1,6 ± 0,5 .tg/ml; sie lag signifikant (P < 0,00 1) höher als bei einer Dosis von 500 mg (Tabelle 1).

Bei den Probanden wurde vor der Chinidingabe eine endogene Kreatinin-Clearance von 149,1 ± 57,5 ml/mm

gemessen. Mit der gleichzeitigen Chinidindosis von 500 mg und 1000 mg/d änderten sich die KreatininClearancewerte nicht signifikant (Tabelle 2). Die Digoxin-Clearance betrug bei den elf Probanden vor der Chinidindosis im Mittel 186,2 ± 67,4 ml/mm und fiel während der Medikation von 500 mg Chinidin signifikant (P < 0,004) auf 125,4 ± 61,8 mI/mm. Bei der höheren Chinidin-Dosierung von 1000 mg/d kam es zu keiner weiteren Änderung der Digoxin-Clearance (Tabelle 2). Alle Serumkonzentrationen und Clearance-Werte stellen Mittel aus Messungen an zwei aufeinanderfolgen-

den Tagen dar (7. und 8. Tag Versuchsperiode 1; 14. und 15. Tag Versuchsperiode 2; 21. und 22. Tag Versuchsperiode 3). 00 ng

0,75 mg Du

78

XI

Chiriidin

1000 mg

Diskussion

0,375 mg

4 15

21 22

Tage

Abb. 1. Aufbau des 22tägigen Versuches einschließlich der Dosierung von Chinidin und Digoxin. Blutentnahme und Urinsammelperioden, die am 7. und 8. Tag (Ende der ersten Versuchsperiode), am 14. und 15. Tag (Ende der zweiten Versuchsperiode) und am 21. und 22. Tag (Ende der dritten Versuchsperiode) festgelegt waren, sind durch Pfeile gekennzeichnet.

Die Digoxinkonzentration im Serum und Urin wurde nach Angaben von Smith und Mitarbeitern (39), wie früher beschrieben (32), radioimmunologisch bestimmt. Für die Bestimmung von Chinidin

im Serum wurde die Doppelextraktionsmethode von Cramer und Isaksson, modifiziert nach Kessler und Mitarbeitern (21), angewandt. Die Messung erfolgte mit dem Spektralfluorometer von Perkin-Elmer, Modell 204 A. Die Standardeichkurven wurden bei Patientenseren mit Chinidinsulfatkonzentrationen von 0,3-0,5 ig!ml erstellt. Die Kontroilseren hatten eine Chinidinkonzentration von 1,0 und 5,0 ig/mI. Genauigkeit und Präzision der Bestimmung von Referenzseren waren vergleichbar mit derjenigen der HPLC-Technik, die als Vergleichsmethode freundlicherweise von Prof. Dr. Dietmann (Fa. Boehringer Mannheim) durchgeführt wurde. Digoxin und Chinidin beeinflußten sich nicht gegenseitig in den angewandten Assays. Das Kreatinin im Serum und Urin wurde entsprechend der

Methode von Jaffe analysiert. Natrium, Kalium und Calciumkonzentrationen im Serum wurden flammenphotometrisch gemessen.

Ergebnisse Bei den elf Probanden änderten sich während der Untersuchungsperiode die Werte von Natrium, Kalium, Cal-

cium und Kreatinin im Serum nicht signifikant. Die Serum-Digoxinkonzentrationen wurden nach einer Woche und Erreichen des »steady state« bei einer oralen Digoxindosis von 0,375 mg mit 0,75 ± 0,2 ng/ml gemes-

Die Nebenwirkungen einer Kombinationstherapie mit Digitalisglykosiden und Chinidin sind seit langem bekannt. Erst nahezu 10 Jahre nach Einführung der radioimmunologischen Digoxinbestimmung im Serum wurden

die ersten Beobachtungen darüber mitgeteilt, daß die Serum-Digoxinkonzentration bei gleichzeitiger Gabe von Chinidin erhöht sein kann (9, 13, 17, 23, 30, 31). Unsere

Untersuchungen an Probanden zeigen, daß es bei einer therapeutischen Dosis von täglich 500 mg Chinidin und einer Erhaltungsdosis von 0,375 mg Digoxin zu einem signifikanten Anstieg des Serum-Digoxinspiegels kommt.

Der mittlere Digoxin-Serumspiegel stieg von 0,8 auf 1,3 ng/ml an. Nach Erhöhung der Chinidindosis auf 1000 mg/d lagen bei einzelnen Probanden die SerumDigoxinspiegel im sogenannten toxischen Bereich. Klinisch wurde in einem Fall eine Diarrhoe, in drei Fällen eine Apathie beobachtet. Herzrhythmusstörungen traten während der gesamten Versuchsdauer nicht auf. Die Ergebnisse früherer Untersuchungen (9, 13, 17, 25, 30, 31) werden damit bestätigt. Darüber hinaus ergab sich, daß die renale Ausscheidung des Digoxins signifikant absinkt, wenn gleichzeitig 500 mg Chinidinsulfat täglich verabreicht werden. Die Digoxin-Clearance fiel von 186,2 auf 125,4 mi/mm im Mittel signifikant ab, während die endogene KreatininClearance als Ausdruck unveränderter Nierenfunktion

während der gesamten Zeit gleichblieb. Damit wird die Vermutung von Hooymans und Merkus (17) erhärtet, daß Chinidin die renale Clearance von Digoxin beeinflußt. Der Abfall der Digoxin-Clearance auf das Niveau des Glomerulusfiltrates könnte bedeuten, daß

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I 5 2.4

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Tab. 1. Einzelergebnisse und Mittelwerte der Digoxin- und Chinidin-Serumkonzentrationen (Mittelwert und Standardabweichung aus jeweils zwei Messungen) bei elf Probanden. Versuchsperiode I: Konzentrationsmessungen am 7. und 8. Tag (Digoxindosis 0,375 mg/d oral), Versuchsperiode II: Konzéntrationsmessungen am 14. und 15. Tag (Digoxindosis 0,375 mg/d oral, Chinidindosis 500 mg/d oral), Versuchsperiode III: Konzentrationsmessung am 21. und 22. Tag (Digoxindosis 0,375 mg/d oral, Chinidindosis 1000 mg/d oral) Versuchsperiode II

III

Digoxin im Serum

Digoxin im Serum

Chinidin im Serum

[ng/ml]

[ng/mi]

Digoxin im Serum

fteg/ml

[ng/mi]

5e

s

Chinidin im Serum [ig/mlJ

Sc

s

Sc

s

Sc

s

Sc

s

0,1

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1

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1,7*

3

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1,6

0,5

P

[Interaction of quinidine and digoxin in humans (author's transl)].

Risler u. a.: Interaktion von Chinidin und Digoxin beim Menschen Nr. 43, 26. Oktober 1979, 104. Jg. 1523 Dtsch. med. Wschr. 104 (1979), 1523-1526 ©...
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