MW Praxis..Forum

Nr. 29, 20. Juli 1979, 104. Jg.

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Redaktion: Prof. Dr. H. Hombostel, Hamburg Prof. Dr. W. Kaufmann, Köln Prof. Dr. W. Siegenthaler, Zürich

Aktuelle Therapie

Dtsch. med. Wschr. 104 (1979), 1029-1031 © Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Insulinbehandlung bei Diabetes mellitus P. Petrides

insulin eine kleine Menge eines Altinsulin-Präparates beigefügt werden, ebenso bei interkurrenteri morgendlichen Blutzuckerspitzen, zum Beispiel als Folge eines Infekts.

Wie bei allen sonstigen Therapiefor-

Coma diabeticum und die Ketoacidosen, der Diabetes des Kindes und des Jugendlichen unter 20 Jahren und der labile Diabetes stellen nach wie vor die Domäne der Insulinbehandlung dar. Natürlich ist sie auch dann indiziert, wenn mit Diät und oraler Therapie keine befriedigende Einstellung mehr zu erzielen ist, meist ferner bei Infekten, bei größeren chirurgischen Eingriffen und in der Gravidität (1, 4, 5, 6). Es ist wichtig, die Faktoren zu ken-

wendung stehen im Augenblick jedoch noch große technische Schwierigkeiten entgegen (4). Auch mit Inseizelltransplantationen wurden zum Teil bemerkenswerte Anfangserfolge erzielt (2 b).

Für die Insulintherapie steht heute eine große Anzahl von Insulinen zur

eine Hyperthyreose, Acidose, eine Röntgen-Tiefentherapie und Hautverbren-

Verfügung, die sich durch die Zeit des Wirkungseintritts und durch die Wirkungsdauer, durch ihre Verzögerungssubstanzen, ihren pH, ihren physikalischen Zustand (gelöst oder als Suspension) unterscheiden (Tabelle 1). Arzt und Patient müssen unbedingt die verschiedenen pharmakologischen Eigenschaften der Insuline kennen, um ihren Einsatz bei den verschiedenen Diabetesformen richtig zu planen und zu überwachen. Als Hauptgruppen unterscheidet man nach wie vor die Normal- bzw. Alt-Insuline mit einem W irkungsmaximum von 1-2, mitunter auch 3 Stunden, die Intermediärinsuline mit einer

nungen durch UV-Strahlen können den vermehren. Dagegen kommt es zu einer Abnahme des Insullnbedarfs bei Gewichtsreduktion, vermehrter physischer Aktivität und nach

Wirkungsdauer bis zu 20 Stunden, meist jedoch nur bis höchstens 16 Stunden, und die Langzeitinsuline mit einer Wirkungsdauer bis zu 24 Stunden. Von entscheidender Bedeutung für die richti-

der Gravidität, ebenso nach Absetzen der obengenannten Medikamente, nach Abklingen von Infekten, Verbrennungen, Acidose und Hyperthyreose sowie

ge Wahl eines Insulins ist jedoch nicht allein die Kenntnis der Wirkungsdauer, sondern auch die eventuell noch vorhandener endogener Insulinreserven. Diese können jetzt mit der Messung des C-Peptids festgestellt werden, oft aber auch schon rein klinisch aus der Beobachtung, daß ein bisher mit einer einzigen Insulin-Injektion gut eingestellter Diabetiker am Nachmittag zu Hypoglykämien neigt, am nächsten Morgen aber nüchtern Hyperglykämien aufweist (1, 6). In diesem Fall sollte die mor-

nen, die den Insulinbedarf steigern oder

reduzieren können. Er steigt bei Gewichtszunahme, vermehrter Nahrungszufuhr, Unterbrechen körperlicher Aktivität, bei Gravidität und durch Absetzen der oralen Therapie. Auch eine Behandlung mit Schilddrüsenpräparaten, Corticoiden, Adrenalin, akute Infektionen,

Insulinbedarf

bei oraler Therapie. Kontinuierliche Blutzuckeruntersu-

chungen bei verschiedenen Diabetestypen und in Ausnahmesituationen haben ergeben, daß auch die heute geübte Insulintherapie von ihrem Ziel, nämlich der Sirnulierung der physiologischen In-

sulinsekretion, noch weit entfernt ist. Aus diesem Grunde bemüht man sich weltweit,

durch

ein

implantierbares

künstliches Pankreas, das direkt durch

gendliche

Insulin-Injektion verringert

und eine zweite, etwa ein Drittel der

ert wird, die Insulinzufuhr weitestge-

morgeridlichen Insulinmenge enthaltende Injektion verordnet werden. Bei labi-

hend den jeweiligen Erfordernissen anupassen; einer breiteren klinischen An-

hyperglykämien kann dem Intermedlär-

die Höhe des Blutzuckerspiegels gesteu-

0012-0472/79

lem Diabetes mit hohen Nüchtern-

0720 - 1029 $ 02.00 © 1979 Georg Thieme Publishers

men des Diabetes Ist in besonderem Maße bei der Insulinbehandlung eine umfassende Schulung des Diabetikers unerläßlich. Er muß über die erwähnten Charakteristika der einzelnen Insuline, über die Injektionstechnik, über die eventuelle Mischung einzelner Insuline, über die Notwendigkeit der Einhaltung der Zw ischenmahizeiten orientiert wer-

den. Wichtig ist aber vor allem auch, daß er über die Anpassung der erforderlichen Insulinmenge an die durch

Selbstkontrolle erhobenen Ham- und Blutzuckerwerte, besonders aber an seine unterschiedliche körperliche Aktivität, unterrichtet wird. Sein Wissen sollte er selbst kontrollieren und immer wieder durch Ernährungsberaterin, Diätassistentin und Arzt vertiefen lassen. Die Vorteile für ihn sind vielfältig, speziell bei

den akuten Komplikationen des

Diabetes, aber auch für seine Arbeitsfähigkeit (1, 4). Einen Fortschritt in der heutigen Insulintherapie stellt die Einführung der hochgerelnigten Insuline dar (4, 5, 7). Mit modernen Techniken analytischer und präparativer Eiweißtrennung, zum Beispiel der Gelfiltration und der Disc-Elektrophorese, konnte man eine überraschend heterogene Zusammensetzung des kristallinen Insulins nachweisen. Es

enthält noch drei Verunreinigungskomponenten: Die a-Komponente besteht hauptsächlich aus exokrinem Pankreaseiwelß, die b-Komponente enthält Prolnsulin (20% der bKomponente), Intermediare (zwei Zwischenprodukte bei der Umwandlung von Proinsulin zu Insulin) und Dimere (nicht konvertierbare Komponenten, bestehend aus 2 InsulInmolekülen). Die c-Komponente enthält Insulin, aber auch Abbauprodukte gleicher Molekulargröße (Diarginininsulin, Arginininsulin, Athylinsulin, Monodesamidoinsulin, Dides-

amidoinsulin). Das von Steiner und Oyer entdeckte Proinsulin ist in den bisher verfügbaren Insulinpräparaten zu 1 bis 2% enthalten und besitzt stärkere immunogene Eigenschaften als Insulin. In den heute vorliegenden chromatographisch gereinigten Insulinen

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Schwere Insulinmangelzustände wie das

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Deutsche Medizinische Wochenschrift

Petrides Insulinbehandlung bei Diabetes mellitus

Tab. 1. Insulinpräparate und ihre Eigenschaften Wirkung Spezies

Handelsname

Beschaffenheit

pH

Maximum (h nach Injektion)

Abstand Dauer [h]

Spritze Mahlzeit [mm]

Normal-(AIt-)Insu!ine: CR Insulin Hoechst

Rind

klare Lösung

3,5

1-2

6

15-20

CS Insulin S Hoechst

Schwein

klare Lösung

3,5

1-2

6

15-20

MC-lnsulin Novo Actrapid

Schwein

klare Lösung

7,0

2-5

15

Insulin Leo

Schwein

klare Lösung

7,3

1-3

Insulin ,»Hormn

Rind

klare Lösung

3,0

24

6-7 6-8 6-8

30-45

klare Lösung

3,5

1,5-4

9-14

30-45

3,5

1,5-4

9-14

30-45

klare Lösung, Surfen klare Lösung, Surfen

3,5

10-16

45-60

3,5

2-6 2-6

10-16

45-60

klare Lösung, Humanglobin klare Lösung, Humanglobin

3,5

3-7

12-16

45-60

3,5

12-16

45-60

12-16

30-45

15-30

Verzögerungsinsuline vom Intermediärtyp: CR Komb-Insulin Hoechst

Rind

1/3 Alt, 2/3 Depot, Surfen

CS Komb-Insulin S Hoechst

klare Lösung

Schwein

CR Depot Insulin Hoechst, klar

Rind

CS Depot Insulin S Hoechst, klar

Schwein

CR HG-Insulin Hoechst

Rind

CS HG-Insulin S Hoechst

Schwein

MC-Insulin Novo Semilente

Schwein

Suspension von amorphem MC-Schweineinsu lin

7,0

3-7 5-10

MC-Insulin Novo Rapitard

Schwein/Rind

Suspension von 25°/o gelöstem MC-Schweineinsulin und 75°/o kristallinem MC-Rinderinsulin

7,0

4-12

14-18

15-30

MC-Insulin Novo Monotard

Schwein

Suspension von 30°/o amorphem und 70°/o kristallinem MC-Schweineinsulin

7,0

6-16

18-22

45

Insulin Leo Mixtard

Schwein

Suspension 30°/o Insulin Leo + 70°/o Insulin Leo Retard NPH

7,3

4-8

16-24

30-45

Insulin Leo mitard

Schwein

Suspension 50°/o Insulin Leo + 50°/o Insulin Leo Retard NPH

7,3

4-8

14-24

30-45

Depot Insulin «Horm» Insulin Leo Retard NPH

Rind

klare Lösung, Protamin Suspension von mikrokristallinem Protamininsulin

3,0

3-7

14-20

45-60

Schwein

7,3

4-12

18-24

45-60

CS Long Insulin Hoechst

Schwein

Suspension,- Surfen

7,0

3-8

18-25

60

MC-Insulin Novo Lente

Schwein/Rind

Suspension von 300/o amorphem MC-Schweineinsulin und 70°/o krislallinem MC-Rinderinsulin

7,0

7-14

über 24

45

MC-Insulin Novo Ultralente

Rind

Suspension von kristallinem MC-Rinderinsu lin

7,0

10-30

über 34

60

Lan gzeitinsuline:

vom Rind und Schwein wurden die erwähnten Begleitprotelne der a- und b-Komponente

eliminiert (sie werden auch als Monotopoder Single-Peak(SP)-Insuline bezeichnet). Durch ein zusätzliches Verfahren gelingt dar-

über hinaus mittels säulenchromatographischen Anionenaustausches die Aufspaltung der c-Komponente und damit die Abtrennung des Insulins gegenüber den Abbauprodukten. Auf diese Weise wurde das sogenannte Monocomponent(MC)- oder Singlecomponent(SC) oder Rare-immunogen(RI) Insulin gewonnen, das weder Proinsulin noch

Ç-Peptid oder Insulin-Dimere enthält und daher keine Immunogenitat mehr besitzt.

Die Immunogenität des Schweineinsulins ist offenbar besonders gering, es wurde deshalb bisher bei Sonderfällen angewandt, zum Beispiel bei intermittierender Insulinbehandlung (Infektionen, Operationen, Gravidität) und vor allem bei den verschiedenen immunogenen Komplikationen der Insulintherapie (4, 6).

wesentlichen Erfahrungen mit hochgereinigten Insulinen lassen sich wie folgt zusammenfassen (2 a, 4, 6): Der eklatanteste Erfolg ließ sich bei den Lipodystrophien beobachten, die seit Einführung dieser Insuline entscheiDie

dend zurückgegangen sind (8), was dafür spricht, daß sie als allergische Reak-

tionen auf die genannten VerunreiniInsulins zurückzuführen waren. Treten sie noch auf, kann meist durch hochgereinigtes Schwelneinsulin eine Besserung oder völliges Schwinden beobachtet werden. Auch die Insulinallergie, als Reaktion vom Soforttyp, vom Spattyp oder als Arthus-Phänomen auftretend, hat unter der Therapie mit den hochgerelnigten Insulinen deutlich an Häufigkeit und Schwere abgenommen. Man beobachtet noch die Reaktion vom gungen des

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1/3 AIt, 2/3 Depot, Surfen

UPraxis.Forum

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neinsulin, übergehen.

Verschiedene Untersucher konnten nachweisen, daß der Titer neutralisierender Insuiinantikörper der Immunglobulinklasse 1go im Durchschnitt deutlich unter diesen Insulinen zurückgegangen ist. Der Nachweis insulinneutra-

malien und Insulinödeme auftreten, die meist nach einiger Zeit abklingen. Dagegen stehen Hypoglykämien eine ernste Komplikation der Insulintherapie

dar. Sie können mit vegetativer und neurologischer Symptomatik und mit affektiven Störungen einhergehen, wofür als Ursache die schnell einsetzende der und Adrenalinausschüttung zerebrale Glucosemangel anzusehen sind. Die Kohlenhydratzufuhr kann absolut oder relativ zu gering sein, zum Beispiel bei sportlicher Betätigung oder

durch das Auslassen von Zwischenmahlzeiten, und es kann nach Alkohol durch Verminderung der nächtlichen zu

Hypoglykämien

cum, da sie in dieser Wochenschrift In den letzten beiden Jahren wiederholt diskutiert wurde (3). Literatur (I) Assai, J-Ph., E. R. Froesch: Die Therapie des Diabetes meilitus. In: Labhart, A. (Hrsg.): Klinik der Inneren SekretIon. 3. Aufl. (Springer: Berlin--HeidelbergNew York 1978).

(2a) Federlin, K.: 10 Jahre chromatographierte Insuline. Diabetologle-Informationen. Mltt.-Blatt der Deutschen Diabetes.Gesellschaft 1(1979).

(2 b) Federlin, K., R. Bretzel, K. Helmke: Inselzelliranspiantalion - eine Chance für die Behandlung des Diabetes mcliilus? Med.Welt 29 N. F. (1978), 538.

Mehnert, H.: Hohe oder niedrige Insulindosen bei der Behandlung des Coma diabeticum? Dtsch. med. Wschr. 103 (1978), 1581.

Petrldes, P., L. Weiss, G. Löffler, O. H. Wieland: Diabemeilltus. 3. Aufl. (Urban & Schwarzenberg: MOnehenBerlin--WIen 1976). tes

lislerender Antikörper wird mit Hilfe radlolmmunologischer Methoden in Speziallaboratorien durchgeführt. Bei der

Gluconeogenese

ein Zuviei an Insulin durch eine zu

clinical use of insulin. In: Luft, R. (Ed.): Insulin (Nordisk

heute sehr seltenen durch Antikörper bedingten echten Insulinresistenz mit

hohe Insulindosis, eine ungenügende Berücksichtigung der W irkungsdauer des Insulins, nach Abklingen einer in-

Insulinlaboralorlum, Gentofte 1976).

täglichen Insulinbedarf über 200 E sollte man zunächst auf hochgeeinem

reinigtès Schweineinsulin. übergehen.

Widersprüchlich sind heute noch die Auffassungen darüber, ob es unter diesen Insulinen zu einer Senkung der Insuiindosis oder zu einem Einfluß auf die Stabilität des Diabetes kommen kann. Außer den erwähnten immunogenen

Nebenwirkungen können am Anfang der Insulinbehandlung noch belanglosere Komplikationen wie Refraktionsano-

kommen (1). Aber natürlich kann auch

terkurrenten Erkrankung mit Besserung der Stoffwechseilage, stärkere sportliche Betätigung und eine Verbesserung der Injektlonstechnik zu Hypoglykamien führen. Schließlich beobachtet man nicht selten Hypoglykämien bei Leberund Niereninsuffizienz, bei Unterfunktion anderer endokriner Drüsen und im ersten Schwangerschaftsdrittel (1,3). Wir verzichten auf die Besprechung der heutigen Insuiintherapie des Coma diabeti-

Poulsen, J. E., T. Deckerl: Insulin preparations and the

Sauer. H.: Insulintheraple. In: Diabetes mellitus B. Handbuch der inneren Medizin, Bd. VII, Tell 2 B, 5. Aufl. (Springer: BerlinHeidelbergNew York 1977). Schlichlkrull, J., M. Pingel, L. G. Heding, J. Brange. K. H. h(rgensen: Insulin preparations with prolonged effect. In: Hasselbiall, A., F. y. Bruchhausen (Hrsg.): Handbuch der experimentellen Pharmakologie, Insulin II, 32/2 (springer: BerlinHeidelbergNew York 1975). Teuscher, A.: Der Platz der Monokomponent-Insuline in der Therapie des Diabetes mellitus. Schweiz. med. Wschr.

105 (1975), 485.

Prof. Dr. P. Petrides 4000 Düsseldorf 30, Ciaudiusstr. 44

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Spättyp, sie Ist aber nur dann behandiungsbedürftig, wenn sie längere Zeit anhält. Dann kann man zusätzlich Antihistaminika und Corticoide versuchen, unter Umständen auch eine vorsichtige Desensibilisierung. In jedem Fall sollte man aber vor diesen Therapieversuchen auf das Insulin einer anderen Spezies, bevorzugt auf hochgereinigtes Schwei-

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[Insulin therapy of diabetes mellitus].

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