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Mini-Review

Praxis 2015; 104 (4): 181-185

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Universitätspoliklinik für Endokrinologie, Diabetologie und Klinische Ernährung, Universität Bern Markus Laimer, Stefan Jenni, Christoph Stettier

Insulintherapie bei Typ-2-Diabetes: ein Review vom «W ann » übers «W ie» bis zum « W aru m » Insulin Treatment in Type i Diabetes

Z u s a m m e n fa s s u n g

Der progressive Charakter des Typ2-Diabetes mellitus führt in vielen Fällen nach Ausschöpfen der oralen antidiabetischen Therapie zum Einsatz von Insulin. Insulin kann aber durch­ aus auch in der Frühphase direkt nach Diabetesdiagnose oder intermittierend bei Verschlechterung der glykämischen Kontrolle im Rahmen von Infekten oder Medikamenteneinnahmen (wie z.B. Kortison) hilfreich und indiziert sein. Auf jeden Fall stellt die Insulin­ therapie keine Einbahnstrasse dar und kann gerade in diesen Fällen durchaus auch wieder sistiert werden. Der Beginn einer Insulintherapie soll eher vorsichtig mit einer bedarfsmässigen Anpassung im Verlauf erfolgen. Diese Anpassung kann nach entspre­ chender Schulung durchaus auch durch den Patienten selbst erfolgen. Schlüsselwörter: Typ-2-Diabetes mel­ litus - Therapie des Typ-2-Diabetes mellitus - Insulin

E in le itu n g

Der Typ-2-Diabetes ist eine progres­ sive Erkrankung, die in ihrem Verlauf eine Anpassung der Medikation benö­ tigt. Diese progressive Natur des Typ2-Diabetes macht nach Ausschöpfen der oralen antidiabetischen Therapiemög­ lichkeiten klassischerweise eine Insulin­ therapie notwendig. Unterschiedliche HbAlc-Zielwerte je nach Diabetesdauer und vorhandenen © 2015 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern

Begleiterkrankungen haben den Be­ griff der «individualisierten DiabetesTherapie» geprägt. Jeder Patient mit Typ-2-Diabetes wird im Verlauf seiner Erkrankung individuelle und dem Sta­ dium der Erkrankung angepasste HbAlcZielwerte benötigen. Der langfristige therapeutische Nutzen einer intensivier­ ten Diabetestherapie ist umso grösser, je früher und je länger der Patient gut ein­ gestellt ist. Die individuelle Therapieent­ scheidung bedarf neben pathophysiologischen Erwägungen natürlich auch der Berücksichtigung des wichtigsten Fak­ tors: des Patientenwunsches. Steht aus Sicht des betreuenden Arztes der Beginn einer Insulintherapie an, gilt es, mit dem Patienten die Vorteile, aber auch die Nachteile einer Insulintherapie ausführlich zu erörtern.

D a s « W a n n » : D e r r ic h tig e Z e it p u n k t f ü r d e n B e g in n e in e r In s u lin th e r a p ie

Der richtige Zeitpunkt für den Beginn einer Insulintherapie ist multifakto­ riell zu definieren [1]: Falls eine aus­ reichende glykämische Kontrolle mit oralen Antidiabetika plus/minus einem GLP-1-Analogon nicht mehr erreicht werden kann, ist dies der späteste Zeit­ punkt, um mit einer Insulintherapie zu beginnen. Die glykämische Kont­ rolle wird klassischerweise primär am HbAk-Wert gemessen. Die Beurtei­ lung kann durchaus aber auch von den Blutzucker-Tagesprofilen abhängig sein. Speziell kurzfristige Verschlechterungen

der Blutzuckereinstellung z.B. durch eine Infektion oder die Notwendigkeit einer Steroidtherapie, sind mögliche gute Indikationen für den Beginn einer Insulintherapie. Allgemein ist zu sagen, dass es die Möglichkeit einer zu frühen Insulintherapie bei schlechter oder sich verschlechternder glykämischer Kont­ rolle nicht gibt. Die Insulintherapie ist auf jeden Fall kei­ ne Einbahnstrasse, gerade in einem frü­ heren Diabetesstadium, wenn die Kapa­ zität der ß-Zellen Insulin zu produzieren noch erhalten ist. Wird beispielsweise bereits im Rahmen der Erstdiagnose ei­ nes Typ-2-Diabetes eine Insulintherapie begonnen, kann diese nicht selten nach Besserung der Stoffwechsel-Situation mit Erholung der ß-Zellen und Durch­ brechung der im Rahmen der unkont­ rollierten Blutzuckersituation erhöhten Insulinresistenz reduziert oder sogar gänzlich durch eine orale Therapie er­ setzt werden. Dabei kann dem Patienten schon früh die verbreitete aber physio­ logisch gesehen eigentlich unbegründete Angst vor einer «Insulinabhängigkeit» genommen werden.

D a s « W ie » : T h e r a p e u tis c h e S t r a t e g ie n m i t In s u lin

Die Behandlungsstrategien mit Insulin können beim Typ-2-Diabetes von einer relativ einfachen, einmal täglichen Ba­

lm Artikel verwendete Abkürzungen: BOT Basal unterstützte orale Therapie DOI 10.1024/1661-8157/a001924

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salinsulingabe zur Unterstützung der oralen Therapie bis hin zu einer inten­ sivierten Insulintherapie mit kurz- und langwirksamen Insulinen reichen. Selbst eine Insulinpumpentherapie kann in ausgewählten Fällen bei Typ-2-Diabetes zielführend sein. Welche Insulinthera­ pie effektiv begonnen wird, richtet sich einerseits nach den Blutzuckertagespro­ filen, den Wünschen und Bedürfnissen des Patienten und andererseits nach der Praktikabilität für den Einzelnen. Das optimale Insulinregime hängt er­ heblich vom Blutzuckertagesprofil und von der Lebensweise des Patienten ab. In der Praxis hat sich der Beginn mit einem einfachen, einmal täglich applizierten Basalinsulin etabliert. Diese Therapie­ form wird als Add-on zur laufenden oralen antidiabetischen Therapie meist abends begonnen («basal unterstützte orale Therapie» kurz BOT). Sogenann­ te NPH-Insuline werden aufgrund ih­ res Wirkmaximums nach sechs bis acht Stunden häufig vor dem Zubettgehen zwischen 20 und 24 Uhr appliziert. Aus unserer Sicht sollte die Kombination von Sulfonylharnstoffen mit langwirk­ samen Insulinen unter Abwägung des Nutzens vorsichtig eingesetzt werden. Diese Konstellation ist mit einem er­ höhten Hypoglykämierisiko assoziiert. Prinzipiell hat sich die Anwendung von langwirksamen Insulinanaloga gegen­ über NPH-Insulinen aufgrund ihrer längeren Wirkdauer, der geringeren in­ traindividuellen Wirkvarianz und einer geringeren Hypoglykämierate durchaus etabliert. Unabhängig von der Wahl des langwirk­ samen Insulins gilt bezüglich der beglei­ tenden oralen antidiabetischen Therapie Metformin bei fehlenden Kontraindika­ tionen als erste Wahl. Zur Wahl des Insulinregimes ist festzu­ halten: Je einfacher das Insulinregime, desto weniger flexibel sind die Anpas­ sungsmöglichkeiten an wechselnde Ta­ gesabläufe, desto höher ist aber eventu­ ell primär die Akzeptanz und damit die Compliance seitens des Patienten. Die Gabe einer fixen Insulindosis, ob einmal

M in i-R eview

oder mehrmals täglich, funktioniert nur in Zusammenhang mit regelmässigen Mahlzeiten mit relativ konstantem Koh­ lenhydratanteil. Bei Insulingaben ohne Mahlzeiten steigt umgekehrt die Hypo­ glykämiegefahr erheblich, andererseits führen ausgelassene Insulingaben zu einer Verschlechterung der Blutzucker­ einstellung.

Basal u n te rs tü tz te o rale T h erap ie (BOT)

Die Einfachheit der BOT ermöglicht dem Patienten einen sanften Einstieg in die Insulintherapie. Die Frage der anfänglichen Dosis hängt grundsätz­ lich vom Grad der Insulinresistenz des Individuums ab. Als Faustregel kann das Köpergewicht bzw. der BMI heran­ gezogen werden (Abb. 1). Mit einer im Zweifelsfall niedrigeren Insulindosis zu beginnen und anschliessend nach Be­ darf zu steigern, ist eine sichere Option. Das Vermeiden von Hypoglykämien ge­ rade beim Beginn einer Insulintherapie dürfte für die Therapieakzeptanz wich­ tig sein und wird von uns entsprechend hoch gewichtet. Die Steigerung der täg­ lichen Insulindosis in der Folge kann bei entsprechender Schulung und Compli­ ance des Patienten durchaus auch durch den Patienten selbst durchgeführt wer­ den (geführte Selbsttitration). Die Fra­ ge nach der möglichen und sinnvollen Maximaldosis kann nicht aufgrund von Leitlinien bzw. entsprechend durchge­ führten Studien beantwortet werden. In der Praxis hat sich allerdings eine Inten­ sivierung des Insulinregimes bei Errei­ chen von ca. 30 Einheiten Basalinsulin bewährt.

W ie in te n s iv ie re n : Basis-Bolus-Therapie o d e r M isch in su lin -T h erap ie?

Führt die einmal tägliche Insulingabe am Abend im Sinne eines BOT nicht zum Ziel, kann die Erweiterung mit ei­ ner einmal täglichen Gabe eines schnell­ wirksamen Insulinanalogons (zur kohlenhydratreichsten Mahlzeit) oder

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mehrmals tägliche Gaben eines schnell wirksamen Insulinanalogons zu allen Hauptmahlzeiten erfolgen (wird auch als «BOT plus» bezeichnet) [2]. Die an­ fängliche Dosis vor der kohlenhydrat­ reichsten Mahlzeit kann als Faustregel mit 10 bis 20% der Basalinsulindosis berechnet werden. Der Weg vom «BOT plus»-Konzept mit einer zusätzlichen einmal täglichen Gabe eines schnellwirk­ samen Insulinanalogons hin zur vollen Basis-Bolus-Therapie kann im Sinne der Blutzuckeroptimierung im Bedarfs­ fall und je nach Kompetenz des Patien­ ten durchaus niederschwellig erfolgen. Alternativ besteht die Möglichkeit, auf die zwei- bis dreimal tägliche Gabe eines Mischinsulins umzustellen (Abb. 1). Die individuellen Bedürfnisse des Patienten (einfach vs. flexibel) stehen hier im Vor­ dergrund. Je regelmässiger Tagesabläufe sind, desto eher kann eine Mischinsulin­ therapie zum selben Ergebnis wie ein Basis-Bolus-Konzept führen. Der Anteil an schnellwirksamem Insulin kann zwi­ schen 25 und 50% gewählt werden. Sollte speziell die postprandiale Glykämie bei hoher Insulinresistenz verbessert wer­ den (z.B. bei Patienten mit Adipositas), ist die Anwendung eines Mischinsulins mitunter durchaus zielführend. Wir be­ vorzugen dabei Mischinsuline mit 50% schnellwirkendem Insulin. Nicht ver­ gessen werden sollte die Tatsache, dass je nach Ausprägung des Diabetes auch eine reine Essensinsulintherapie eine Option sein kann (v.a. bei Patienten, bei denen der nächtliche Blutzuckeranstieg kein relevantes Problem darstellt). Die adäquate Mischung des Insulins vor der Applikation (schwenken, nicht schüt­ teln) ist für die Wirkung von Mischbzw. NPH-Insulinen sehr wichtig. Lang­ wirksame analoge Insuline bedürfen keiner Mischung. Dies stellt einen wei­ teren Vorteil für analoge langwirksame Insuline und für die gerade eingeführten Mischinsuline der neuesten Generati­ on dar (langwirksames Insulin deglutec und kurzwirksames Insulin aspart). Die OpT2mise-Studie zeigte kürzlich, dass auch die Insulinpumpentherapie

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bei schlecht eingestelltem Typ-2-Diabetes mit hohem Insulinbedarf eine Alter­ native darstellt. Im Vergleich zur The­ rapie mit einem Basis-Bolus-Konzept benötigten die Patienten unter Insulin­ pumpentherapie signifikant weniger In­ sulin [3]. Entscheidend in der klinischen Realität wird für diese Modalität aber auch der finanzielle Aspekt sein. Effektiv ist in Zukunft aber mit deutlich günsti­ geren und rezyklierbaren Einwegpum­ pen zu rechnen.

A n p a s s u n g d e r T h e r a p ie

Einfache Titrationsschemen ermöglichen es dem Patienten, nach entsprechender Schulung selbstständig die Insulindosis entsprechend dem «Treat-to-Target»Konzept basierend auf den gemessenen Blutzuckerwerten anzupassen. Es können dabei zwei potenzielle Anpas­ sungsstrategien unterschieden werden (Tabelle 1 und 2 zeigen mögliche Bei­ spiele dazu): • Die Insulinanpassung auf Basis der vor der geplanten Insulingabe gemes­ senen Blutzuckerwerte im Sinne eines Korrekturaufschlags. Dies ist einfach durchführbar und mit entsprechen­ den Dosierungstabellen auch einfa­ cher zu vermitteln (Tab. 1). • Die Insulinanpassung im Rahmen ei­ nes strukturierten Blutzuckerprotokolls: Diese Anpassung wird üblicherweise durch den Arzt, basierend auf dem Blut­ zuckerprotokoll durchgeführt. Ist z.B. der Blutzuckerwert vor dem Mittagessen zu hoch, wird die morgendliche Insulin­ dosis adaptiert. Als geleitete oder geführ­ te Titration kann dies nach entsprechen­ der Schulung auch wiederum durch den Patienten selbst durchgeführt werden. Der Patient wird z.B. angeleitet, die An­ passung alle drei Tage entsprechend dem niedrigsten Blutzuckerwert zu den je­ weiligen präprandialen Zeitpunkten an­ zupassen. Beispiel: Liegt der Blutzucker an drei Tagen vor dem Abendessen einoder mehrmals über dem Zielbereich, wird die Insulindosis vor dem Mittag­ essen entsprechend Tabelle 2 angepasst,

M in i- R e v i e w

P ra x is 2 0 1 5; 1 0 4 (4 ): 1 8 1 - 1 8 5

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29,9 kg/m 2höhere Insulinresistenz). Prinzipiell er­ fo lg t die Einteilung der Insulinresistenz in w eiterer Folge anhand des Insulinbedarfs. Bei Unklarheit ist der vorsichtige Weg m it Wahl der niedrigeren Insulinresistenz zu empfehlen (adaptiert nach [4]).

Präprandialer Blutzucker (mmol/l) Niedrigster BZ der letzten drei Tage

Dosisanpassung der vorherigen Insulindosis bei höherer Insulinresistenz

Dosisanpassung der vorherigen Insulindosis bei niedrigerer Insuiinresistenz

Über dem Blutzuckerziel

+2 Einheiten

+1 Einheit

Im Zielbereich

Keine Dosisanpassung

Keine Dosisanpassung

Unter dem Blutzuckerzielbereich

-2 Einheiten

-2 Einheit

t j o m ; u v

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[Insulin therapy in type 2 diabetes: a review of "when" over "how" up to "why"].

Le caractère progressif du diabète de type 2 mène au long cours, dans de nombreux cas, à la nécessité d'introduire une insulinothérapie, lorsque le tr...
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