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Aufklärungsprobleme bei verlorenem Aufklärungsbogen Informed Consent at Lost Patient Information Sheet

Der mit dem Patientenrechtegesetz in Kraft getretene § 630 e BGB hat die jahr­ zehntelange Rechtsprechung des Bundes­ gerichtshofes bestätigt: Im Streitfall muss der Arzt beweisen, dass er den Patienten über sämtliche für die Einwilligung we­ sentlichen Umstände informiert hat. Dazu gehören in der Regel insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwarten­ de Folgen und Risiken der Maßnahme so­ wie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hin­ blick auf die Diagnose oder die Therapie. Bei der Aufklärung ist auch auf Alternati­ ven zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen in­ dizierte und übliche Methoden zu we­ sentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen kön­ nen. Soweit die Theorie. In der Praxis kommt es der Rechtsprechung regelmäßig darauf an, dass der behandelnde Arzt dem Patienten nicht nur einen Aufklärungsbo­ gen in die Hand gedrückt hat, sondern mit ihm im persönlichen Gespräch alle not­ wendigen Details und Alternativen des be­ vorstehenden Eingriffs besprochen hat. Aber was nützt die beste mündliche Auf­ klärung im Zwiegespräch, wenn man die­ se als Arzt nicht beweisen kann. Wichtigstes Beweismittel für eine umfas­ sende Aufklärung des Patienten ist der vom Arzt handschriftlich individualisier­ te und vom Patienten eigenhändig unter­ schriebene Einwilligungs- und Aufklä­ rungsbogen. Damit lässt sich in aller Re­ gel eine langwierige und haftungsträchti­ ge Auseinandersetzung über die Aufklä­ rung vermeiden. Die schriftliche Dokumentation der Aufklärung durch die Verwendung der Aufklärungsbögen ist also in der Praxis das A und O der erfolg­ reichen Rechtsverteidigung vor Gericht. Ohne den Nachweis mit Aufklärungsbö­ gen drohen schnell die Beweisnot und der vollständige Verlust des Prozesses, denn ein bisschen Aufklärung und Einwilligung gibt es rechtlich nicht.

Eine aktuelle Entscheidung des Ober­ landesgerichts (OLG) Koblenz – Urteil vom 08.05.2013, 5 U 1536/11 – zeigt, wie schwer es ist, die ordnungsgemäß durch­ geführte ärztliche Aufklärung nachzu­ weisen, wenn eine gute Aufklärungsdo­ kumentation fehlt oder abhandengekom­ men ist. Nur in wenigen Ausnahmefällen ist bei fehlendem und nicht mehr auffind­ barem Aufklärungsbogen der Nachweis einer korrekten Aufklärung noch mög­ lich. Allerdings sind dafür strenge Vor­ aussetzungen erforderlich:

Zum Sachverhalt



Der Patient hatte sich im Jahr 2004 in der Gemeinschaftspraxis der beiden später verklagten Orthopäden vorgestellt und Schmerzen im rechten Arm angegeben, die bis in die Hand hinein ausstrahlten. Nach Bestätigung des Verdachts auf ein Supinatorlogen-Syndrom (Einengung des Nervus radialis) empfahl man dem Pa­ tienten die Durchführung einer Nerven­ kompression, die knapp 3 Monate später durchgeführt wurde. Der Patient warf den beiden Orthopäden in dem sich anschließenden Prozess vor, ihn nicht über die bestehende Möglich­ keit einer konservativen Therapie aufge­ klärt zu haben. Auch sei eine Aufklärung über die Risiken der durchgeführten Ope­ ration unterblieben und die Behandlung damit rechtswidrig gewesen. Fest stand, dass es zu 2 Gesprächen zwischen dem Patienten und den Orthopäden gekom­ men war und dass dem Patienten ein ­Aufklärungsbogen ausgehändigt worden war; die weiteren Einzelheiten blieben zwischen den Beteiligten streitig. So war anlässlich der Diagnosestellung nach­ weislich ein Gespräch zwischen dem Pa­ tienten und einem der beiden Orthopä­ den geführt worden, in dem auch der Operationstermin vereinbart worden war. Nach Aussage des Orthopäden hatte

er bei diesem Gespräch auch die Option einer konservativen Behandlung, wie sie bereits vor der Konsultation der beklag­ ten Orthopäden vom Patienten erfolglos in Angriff genommen worden war, sowie die Risiken des beabsichtigten Eingriffs angesprochen. Ferner sei dem Patienten ein entsprechender Aufklärungsbogen zur Lektüre mitgegeben worden. Der Pa­ tient hingegen behauptete, den besagten Aufklärungsbogen erst 3 Tage vor dem Operationstermin erhalten zu haben. An diesem Tag fand nachweislich ein weite­ rer Praxisbesuch statt, in dessen Verlauf es den Orthopäden zufolge nochmals zu einer – nunmehr ins Einzelne gehenden – präoperativen Aufklärung gekommen sein soll. Nachdem das zunächst angerufene ­Landgericht Koblenz bereits die Klage ­abgewiesen hatte, sah nun auch das Oberlandesgericht die ordnungsgemäße Aufklärung des Patienten als erwiesen an.

Die Entscheidung



Zum einen entschied das Gericht, dass eine Aufklärung über die Möglichkeit ei­ ner konservativen Therapie im vorliegen­ den Fall gar nicht erforderlich gewesen war. Nach ständiger Rechtsprechung sei eine Aufklärung bei einer alternativen Behandlungsmethode nur dann erforder­ lich, wenn sie gleichwertig und damit medizinisch sinnvoll sei und sie sich in ihren Belastungen, Risiken und Chancen unterscheide. Nur dann müsse dem Pa­ tienten Gelegenheit gegeben werden, selbst zu prüfen, welche der nebeneinan­ der zur Verfügung stehenden Möglichkei­ ten in seiner persönlichen Situation vor­ zugswürdig ist. Basierend auf dem einge­ holten Sachverständigengutachten war jedoch eine konservative Therapie nach Auffassung des Gerichts im speziellen Fall des Patienten nicht erfolgsversprechend bzw. wäre mit erheblich höheren Risiken als dem durchgeführten Eingriff verbun­

Verantwortlich für diese Rubrik: Prof. Dr. T. Brusis und Dr. A. Wienke

Wienke A. Aufklärungsprobleme bei verlorenem Aufklärungsbogen.  Laryngo-Rhino-Otol 2015; 94: 248–249 ∙ DOI  10.1055/s-0034-1385873

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A. Wienke

den gewesen, sodass eine konservative Therapie – die im Übrigen bereits zuvor erfolglos durchgeführt worden war – kei­ ne echte Behandlungsalternative darstell­ te und folglich auch nicht aufklärungs­ pflichtig war. Letztlich konnte es daher offenbleiben, ob die beklagten Orthopä­ den den Patienten auf die Option einer konservativen Therapie überhaupt hinge­ wiesen hatten. Aber auch im Zusammenhang mit der vorgeworfenen unzureichenden Aufklä­ rung über die Risiken des Eingriffs ver­ neinte das Gericht einen Aufklärungsfeh­ ler: Da der Aufklärungsbogen nicht vor­ gelegt werden konnte, griff das Gericht dabei auf die Aussagen einer Praxisange­ stellten und die Angaben der beklagten Orthopäden zurück. Diese hatten – man­ gels konkreter Erinnerung an den mehre­ re Jahre zurückliegenden Fall – vorgetra­ gen, in vergleichbaren Fällen immer über die einschlägigen Risiken und Komplika­ tionsmöglichkeiten sorgfältig aufzuklä­ ren. Im Ergebnis maß das Gericht dieser vorgetragenen ständigen Aufklärungs­ praxis eine so hohe Bedeutung zu, dass es den Nachweis der ordnungsgemäß er­ brachten Aufklärung im vorliegenden Einzelfall ausnahmsweise für gegeben er­ achtete. Relevant war für diese Entschei­ dung des Gerichts insbesondere auch, dass es nachweislich präoperativ zu 2 Ge­ sprächen zwischen dem Patienten und den beiden Orthopäden gekommen war, in denen unstreitig über den bevorste­ henden Eingriff gesprochen worden war. Das Gericht ging daher davon aus, dass dabei auch über die Einzelheiten und ins­ besondere über die Risiken des Eingriffs gesprochen worden war.

Fazit



Die behandelnden Ärzte haben in dieser besonderen gerichtlichen Auseinander­ setzung viel Glück gehabt. Die gerichtli­ che Praxis und Erfahrung in vielen Be­ handlungsfehlerverfahren zeigt nämlich, dass solche Verfahren in aller Regel nicht so glimpflich für die beteiligten Ärzte ausgehen. Das Urteil des OLG Koblenz ist daher aus ärztlicher Sicht zu begrüßen, da es keine übertriebenen Anforderungen an den dem Arzt obliegenden Nachweis der ordnungsgemäßen Aufklärung stellt. Auch der Bundesgerichtshof ist erst kürz­

lich bei Vorliegen bestimmter (enger) ­Voraussetzungen in einer Einzelfallent­ scheidung davon ausgegangen, dass der Nachweis der Aufklärung trotz fehlender oder unzureichender Dokumentation möglich sein muss. Dies gilt auch dann, wenn sich der Arzt an das konkrete Auf­ klärungsgespräch – wie häufig der Fall – nicht mehr erinnert, aber „einiger Be­ weis“ dafür erbracht ist, dass ein Aufklä­ rungsgespräch jedenfalls stattgefunden hat. Sollte es daher im Einzelfall einmal vorkommen, dass ein Aufklärungsbogen nachträglich verschwindet oder aus an­ deren Gründen keine hinreichende Do­ kumentation vorliegt, muss der Arzt den­ noch nicht zwangsläufig mit leeren Hän­ den dastehen. Aber auch wenn das Urteil zeigt, dass die Gerichte trotz der Tendenzen, Ärzten im­ mer höhere Anforderungen an Behand­ lung und Aufklärung zumuten, dennoch auch Verständnis für den Praxisalltag der Ärzte aufbringen, sollten sie sich nicht darauf verlassen, dass das Gericht den Hinweis auf eine sog. ständige Aufklä­ rungspraxis immer als ausreichend er­ achtet. Dabei ist nämlich zu berücksichti­ gen, dass es sich bei den Entscheidungen um Einzelfallentscheidungen handelt, bei denen besondere Umstände zum Tragen kamen. Wie auch der vorliegende Fall zeigt, ist „einiger Beweis“ dafür erforder­ lich, dass es überhaupt zu Aufklärungsge­ sprächen gekommen ist. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Gerichte nicht nur im Zusammenhang mit der Beurtei­ lung von Behandlungsfehlern, sondern insbesondere auch im Hinblick auf die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Aufklärung keine einheitliche Linie fah­ ren und daher nicht abzuschätzen ist, wie das im Einzelfall zuständige Gericht ent­ scheiden wird. Hier kam die Besonder­ heit dazu, dass gleich 2 Ärzte aus einer Gemeinschaftspraxis den Pa­tienten be­ handelt haben und daher beide bestäti­ gen konnten, mit dem Patienten in meh­ reren Gesprächen über die Risiken des Eingriffs gesprochen zu haben; üblicher­ weise ist der Arzt im Aufklärungsge­ spräch mit dem Patienten allein und es findet nur ein Gespräch statt. Es sei daher dringend angeraten, bei der Aufklärung und Dokumentation des Auf­ klärungsgesprächs in jedem Einzelfall größte Sorgfalt anzuwenden, da die Vor­ lage schriftlicher Dokumente der stärkste

Beweis vor Gericht ist. Die positive ­Beweiskraft eines ausgehändigten und un­ terschriebenen Aufklärungsbogens, der handschriftliche Bemerkungen über die wichtigsten Inhalte des Aufklärungsge­ sprächs enthält, ist prozessrechtlich mit den größten Erfolgsaussichten verbun­ den. Zeugen können nur übliche oder vergleichbare Vorgänge bestätigen, ohne auf einzelfallspezifische Gesichtspunkte einzugehen. Mit Einführung des Patien­ tenrechtegesetzes besteht nach § 630 e Abs. 2 BGB zudem die gesetzliche Ver­ pflichtung, dem Patienten den von ihm unterschriebenen Aufklärungsbogen in Kopie auszuhändigen. Damit wird beab­ sichtigt, dem Patienten den gleichen In­ formationsstand an die Hand zu geben, den auch der Arzt hat und somit nach­ trägliche Veränderungen zu verhindern. Auch diese neue gesetzliche Verpflich­ tung sollte konsequent umgesetzt wer­ den, um beweisrechtliche Nachteile zu vermeiden. Auch wenn der Aufklärungsbogen einmal verschwindet und nicht mehr auffindbar ist, kann man als behandelnder Arzt den Beweis über ein umfassendes und kor­ rektes Aufklärungsgespräch führen; dies zeigt das Verfahren vor dem OLG Kob­ lenz. Allerdings ist mit solchen Ausnah­ mefällen und –entscheidungen größte Vorsicht geboten. Nur in seltensten Fällen gelingt der Nachweis der Aufklärung ohne die Vorlage eines individualisierten Aufklärungsformulars. Daher sollte bei jedem Aufklärungsvorgang Sorge dafür getragen werden, dass die mündliche Aufklärung ordnungsgemäß und dauer­ haft dokumentiert wird: Dies gelingt am besten mit der Verwendung von Aufklä­ rungsbögen, die mittlerweile volle Aner­ kennung in der Rechtsprechung gefunden haben. Köln im Juli 2014 Rechtsanwalt Dr. A. Wienke Wienke & Becker – Köln Sachsenring 6 50677 Köln [email protected]

Wienke A. Aufklärungsprobleme bei verlorenem Aufklärungsbogen.  Laryngo-Rhino-Otol 2015; 94: 248–249 ∙ DOI  10.1055/s-0034-1385873

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Gutachten + Recht 249

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