Schwerpunkt Herz 2014 · 39:201–205 DOI 10.1007/s00059-014-4073-6 Online publiziert: 5. März 2014 © Urban & Vogel 2014

W.-H. Zimmermann Institute for Pharmacology, University Medical Center, Georg-August-University, Göttingen

Individualisierte Therapie mit Stammzellen Einleitung Für die Behandlung von irreversiblen End­organschäden gibt es nur unzureichende therapeutische Optionen. Besonders schlecht zu behandeln sind Gewebeschäden in Organen ohne relevantes Potenzial zur Eigenreparatur wie z. B. Herz und Gehirn. Ein ischämischer Insult führt in diesen Organen gleichermaßen zu einem irreversiblen Untergang von hoch spezialisiertem Funktionsgewebe mit Defektheilung durch Narbenbildung. Während die Ausbildung einer bindegewebigen Narbe nach Herzinfarkt zur Verhinderung einer Herzwandruptur zunächst lebenswichtig ist, bleibt diese mechanisch stabilisierende Narbe zeitlebens eine „Sollbruchstelle“, die sich unter chronischer Belastung weiter ausdehnen kann und damit wesentlich zur Krankheitsprogression beiträgt. In Abhängigkeit von der Größe des initialen Gewebedefekts kommt es bei den meisten Patienten mit Herzinfarkt früher oder später zur Ausbildung einer Herzinsuffizienz. Weltweit leiden nach Angaben der International Society for ­Heart and Lung Transplantation (ISHLT) etwa 100 Mio. Patienten an einer schweren Herzinsuffizienz, jährlich kommen 12 Mio. dazu. Durch leitliniengerechte Therapie kann die Krankheitsprogression verlangsamt werden. Die Fünfjahresmortalität hat sich in den letzten 20 Jahren trotz Einführung von Betablockern, ACE-Hemmern sowie Angiotensinrezeptorblockern und Mineralkortikoidrezeptorantagonisten nicht wesentlich verbessert und liegt nach wie vor bei 50% [1]. Hochrechnungen legen nahe, dass die Prävalenz der Herzinsuffizienz zwischen

2012 und 2030 um fast 50% steigen wird [1]. Dazu trägt ganz wesentlich die bessere Primärversorgung nach Herzinfarkt ohne wesentliche Herzmuskelregeneration bei einer Überalterung der Bevölkerung bei, d. h. Patienten nach Herzinfarkt im Alter von 50 bis 60 Jahren werden mit hoher Wahrscheinlichkeit die Entwicklung einer schweren Herzinsuffizienz erleben. Zugleich nimmt die Zahl der Erwachsenen mit angeborenen Herzerkrankungen (EMAH) zu. Diese Patienten entwickeln nicht selten bereits in jungen Jahren eine Herzmuskelschwäche. Die Herztransplantation bleibt mit einer Überlebenswahrscheinlichkeit von 80% nach 5 Jahren die erfolgreichste Therapieoption für Patienten mit schwerer Herzmuskelschwäche. Bei allerdings zu geringem Spenderorganaufkommen ist die Herztransplantation jedoch keine Therapieoption für eine Volkserkrankung wie die Herzinsuffizienz. Weltweit werden pro Jahr etwas über 4000 Herztransplantationen durchgeführt, davon etwa 1500 in Europa (ISHLT-Register 2013; [2]). Im Jahr 2012 wurden in Deutschland 327 Herzen transplantiert bei fast 1000 Patienten auf der Warteliste für eine Herztransplantation [3]. Viele Patienten mit Herzinsuffizienz werden aufgrund ihres Alters (>65 Jahre) und bei häufig bestehenden Komorbiditäten erst gar nicht für eine Herztransplantation gelistet. An dem Missverhältnis zwsichen Organangebot und -nachfrage hat sich in den letzten 15 Jahren wenig geändert, und auch perspektivisch ist eine Verbesserung dieser Situation nicht in Sicht. Als Reaktion auf diesen Missstand finden zunehmend mechanische Unterstützungssysteme als Dauertherapie einen Ein-

satz. Allerdings sind die Komplikationsraten (u. a. Schlaganfall, Blutungen wegen Antikoagulation, Infektionen, Geräteversagen) dieser Systeme nach wie vor hoch. Vor diesem Hintergrund hat die Entwicklung alternativer und dabei idealerweise auch individualisierter Therapieverfahren für Patienten mit Herzmuskelschwäche gesundheits- wie auch gesellschaftspolitisch höchste Priorität.

Individualisierte Therapie bei Herzinsuffizienz Unter individualisierter Medizin wird die Anwendung von Therapieverfahren nicht ausschließlich anhand verallgemeinernder Leitlinien, sondern unter besonderer Berücksichtigung individueller und dabei messbarerer Parameter (z. B. Biomarker) verstanden. Dabei wird das Ziel verfolgt, die meist sehr individuelle Pathogenese trotz vergleichbarer Klinik bei der Therapieplanung zu berücksichtigen. Während die individualisierte Therapie von Tumorerkrankungen bereits eine breite Anwendung findet [4], hat dieses Konzept bei Patienten mit Herzinsuffizienz noch wenig bis keine Berücksichtigung gefunden. Dabei ist die Herzinsuffizienz ein typisches Beispiel für eine Erkrankung mit einer Vielzahl an individuellen molekularen (Mutationen sarkomerischer Proteine [5]), aber auch kontextabhängigen Ursachen (z. B. Lebensumstände, Arzneimittelnebenwirkungen, Alkohol, Myokarditis). Die aktuelle Therapie der Herzinsuffizienz lässt sich im weiteren Sinne als „protektive Medizin“ umschreiben. Sie zielt im Wesentlichen auf eine Reduktion der hämodynamischen Belastung Herz 2 · 2014 

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Schwerpunkt Protektion

Hämodynamische Last Neurohumorale Stimulation Betablocker RAAS-Hemmer Diuretika Digitalis

Regenerative Medizin Zellen / künstliche Herzgewebe Regeneration

Gentherapie Neue Arzneimittel

Abb. 1 8 Therapie der Herzinsuffizienz – heute und morgen? Klassische pharmakologische Ansätze schützen das Herz vor chronischer mechanischer und neurohumoraler Überlastung; ein Wiederaufbau von Herzmuskelgewebe wird dadurch nicht erreicht (protektive Medizin). Verfahren der regenerativen Medizin werden zurzeit entwickelt, um einen Gewebedefekt durch Neubildung von Herzmuskel sowohl strukturell als auch funktionell auszugleichen; vielversprechend sind zellbasierte, gentherapeutische und innovative pharmakologische Verfahren (RAAS Renin-Angiotensin-Aldosteron-System)

Seite experimenteller Modelle, die einen individuellen Patientenphänotyp im Labor adäquat simulieren können. Dies beinhaltet vor allem eine enge Korrelation klinischer und experimenteller Biomarker mit einem hohen prädiktiven Wert für die Krankheitsentwicklung, aber auch für den Therapieerfolg. Für die Anwendung zellbasierter Ansätze kommt hinzu, dass der Ersatz von dysfunktionalem Gewebe durch gezüchtete Gewebe jeweils an den mechanischen Defekt des Patienten angepasst sein sollte; hierzu sind neben den klassischen Expertisen von Klinikern und Grundlagenforschern auch die Ingenieurwissenschaftler („biomedical engineers“) gefragt. In beiden skizzierten Fällen (1. individualisierte Arzneimitteltherapie, 2. individueller Herzmuskelersatz bei Herzmuskelschwäche) könnten moderne Stammzelltechnologien helfen, indem einerseits Modellsysteme individueller Krankheitsphänotypen für die Erforschung molekularer Pathomechanismen und andererseits individuell angepasstes Herzgewebe im Labor für eine klinische Anwendung gezüchtet werden.

Stammzellen Stammzelltyp

Beispiel

Entwicklungspotenzial

Totipotent

Blastomer

Embryo

Pluripotent

Embryonale Stammzelle

Alle somatischen Zellen

Multipotent

Mesenchymale Stammzelle

Mesenchymale Zellen

Unipotent

Myoblast

Skelettmuskelzelle

Abb. 2 8 Vergleichende Darstellung unterschiedlicher Stammzelltypen inklusive Entwicklungspotenzial: Pluripotente Stammzellen (z. B. embryonale und induzierte Stammzellen) können heute in fast industriellem Maßstab vermehrt und in Herzmuskelzellen differenziert werden; erste klinische Studien zur Anwendung von Herzmuskelzellen aus embryonalen Stammzellen werden in den USA und in Frankreich vorbereitet

bzw. einen Schutz vor neurohumoraler Überstimulation ab, die kausalen molekularen Pathogenitätsursachen werden so gut wie nicht berücksichtigt, und eine Regeneration oder Reparatur wird nicht erreicht (. Abb. 1). Durch ein besseres Verständnis individueller Pathogenitäts-

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ursachen könnte es gelingen, Therapien individuell maßzuschneidern, mit dem Ziel, Herzmuskelgewebe wieder aufzubauen. Für die Identifikation individueller Pathomechanismen bedarf es auf der einen Seite einer exzellenten klinischen Phänotypisierung und auf der anderen

Stammzellen teilen sich unbegrenzt und haben die Fähigkeit, sich in unterschiedliche Zelltypen zu differenzieren. Anhand ihres Entwicklungspotenzials werden totipotente, pluripotente, multipotente und unipotente Stammzellen unterschieden (. Abb. 2). Totipotente Stammzellen (manchmal auch als omnipotent bezeichnet) können alle somatischen und extraembryonalen Zellen des sich entwickelnden Embryos ausbilden; damit können sie sich prinzipiell auch zu lebensfähigen Embryonen entwickeln. Ein Beispiel für totipotente Zellen sind die einzelnen Blastomere eines Embryos im Achtzellstadium. Pluripotente Stammzellen sind nicht mehr in der Lage, einen Embryo auszubilden, da ihnen u. a. die Fähigkeit zur Trophoblastenbildung fehlt. Sie können sich aber zu allen somatischen Zellen des Körpers entwickeln. Im erwachsenen Organismus befinden sich unter normalen Umständen keine pluripotenten Stammzellen. Menschliche pluripotente Stamm-

Zusammenfassung · Abstract zellen können aus der inneren Zellmasse einer Blastozyste als sog. embryonale Stammzellen gewonnen werden [6]; bei diesem Prozess werden potenziell lebensfähige Embryonen zerstört. Über das Alternativverfahren der Reprogrammierung können mittlerweile pluripotente Stammzellen aus so gut wie jeder somatischen Zelle hergestellt werden [7]. Eine weitere Alternative ist die Aktivierung unbefruchteter Eizellen, gefolgt von der Isolation von ebenfalls pluripotenten Stammzellen aus einer parthenogenetischen Blastozyste [8]; bei diesem Prozess bilden sich keine Embryonen, und es sind keine genetischen Manipulationen nötig. Multipotente Stammzellen lassen sich in vielen Organen in anatomisch definierten Nischen identifizieren. Aus diesen Nischen tragen multipotente Stammzellen dazu bei, Gewebedefekte zu reparieren. Blutstammzellen sind ein Prototyp multipotenter Stammzellen mit der Besonderheit, dass sie unter bestimmten Umständen aus dem Knochenmark mobilisiert werden können und dann durch den Organismus zirkulieren. Zytokinvermittelt wandern mobilisierte Stammzellen in periphere Organe ein. Besonders mesenchymalen Stammzellen werden dabei reparative Eigenschaften zugeschrieben [9]. Hier scheint aber weniger die Plastizität der Zellen, sondern vielmehr ihre parakrine Aktivität eine zentrale Rolle zu spielen [10]. Unipotente Stammzellen werden ebenfalls in organspezifischen Nischen gefunden. Ihre Aktivierung erfolgt nach Gewebeschaden und führt dann zu einer strukturellen wie auch funktionellen Reparatur. Ein klassisches Beispiel für unipotente Stammzellen sind die Satellitenzellen des Skelettmuskels. Das menschliche Herz ist weitestgehend frei von Stammzellen. Dies erklärt auch, warum Gewebedefekte z. B. nach Herzinfarkt nicht funktionell ersetzt werden. Dazu kommt, dass die, wenn überhaupt, nur wenigen Zellen des Herzens mit Stammzelleigenschaften nur schwer vermehrbar sind und sich dadurch z. B. nicht für die Herstellung von individualisierten Herzmuskelersatzgeweben eignen. Im Gegensatz dazu lassen sich über pluripotente Stammzellen bereits heute in einem industriellen Maßstab Herz-

muskelzellen gewinnen [11]. Diese finden eine wachsende Anwendung in der Arzneimittelentwicklung oder werden hinsichtlich ihrer Eignung als Zelltherapeutika getestet.

Entwicklung individualisierter pharmakologischer Therapien Pluripotente Stammzellen können heute aus jedem Patienten oder Probanden über sog. Reprogrammierungsverfahren gewonnen werden. Für die initiale Beschreibung dieser Technologie hat Shinya Yamanaka 2012 den Nobelpreis für Physiologie und Medizin erhalten. Seitdem wurden aufbauend auf diesen Arbeiten diverse alternative Verfahren zur Herstellung von induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen) entwickelt. Diese lassen sich auch ohne Manipulation des Genoms anwenden. Nationale (z. B. über das Deutsche Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung) wie auch internationale Konsortien etablieren zurzeit umfangreiche Stammzellbanken, über die schlussendlich Patientenphänotypen individuell simuliert werden sollen (. Abb. 3). Diese könnten dann in einem hohen Durchsatz parallel zu klinischen Kohorten detaillierten Analysen unterzogen werden, um molekulare Mechanismen zu identifizieren, die einer gezielten therapeutischen Intervention zugänglich sind. Es ist durchaus vorstellbar, dass ähnliche Konzepte, wie sie im klinischen Alltag der Onkologie bereits fest etabliert sind, auch zur Behandlung der Herzinsuffizienz geeignet wären. Neben der Entwicklung individualisierter Therapieansätze finden Herzmuskelzellen aus Stammzellen bereits eine breite Anwendung in der Industrie und hier vor allem im Rahmen der Testung der Arzneimittelsicherheit [12]. Durch die Anwendung menschlicher Zellen könnte es nicht nur gelingen, die Arzneimittelsicherheit in klinischen Studien sowie in der späteren Anwendung zu steigern, sondern auch Tierversuche und Kosten in erheblichem Maße einzusparen. Inwieweit und an welchem Punkt der Arzneimittelentwicklungskette sich stammzellbasierte Screening-Ver-

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Individualisierte Therapie mit Stammzellen Zusammenfassung Stammzellen wird ein großes Potenzial in der regenerativen Medizin eingeräumt. Aufgrund ihrer Fähigkeit, sich unbegrenzt zu vermehren und gleichzeitig auf definierte Differenzierungsreize anzusprechen, finden pluripotente Stammzellen eine besondere Berücksichtigung. Herzmuskelzellen können heute in großer Menge aus pluripotenten Stammzellen gewonnen werden und dienen als Ausgangsmaterial sowohl für die Simulation von Herzerkrankungen in der Kulturschale („patient in a dish“) als auch für die zellbasierte Herzreparatur. Auf dem Boden der rasanten biotechnologischen Entwicklungen der letzten Jahre befinden wir uns heute in der Phase der Translation dieser Konzepte in die klinische Anwendung. Schlüsselwörter Herz · Herzinsuffizienz · Regeneration · Stammzellen · Gewebezucht

Individualized stem cell therapy Abstract Stem cells are attributed with having a great potential in regenerative medicine. Pluripotent stem cells are particularly interesting because they can be multiplied indefinitely and also differentiated under defined conditions. Currently, cardiomyocytes can be differentiated very effectively from pluripotent stem cells, making the former an attractive starting material for cardiac disease modeling in a culture dish (patient in a dish) and cell basedtherapy in heart failure. The rapid biotechnological advances made in recent years now enable these concepts to be translated into clinical applications. Keywords Heart · Heart failure · Regeneration · Stem cells · Tissue engineering

fahren durchsetzen werden, bleibt vorerst noch abzuwarten. Neben der Anwendung von Einzelzellen setzen sich zunehmend Herzorganoide mit einem im Vergleich zu einfachen Zellkulturen reiferen strukturellen und funktionellen Phänotyp durch [13, 14]. Herz 2 · 2014 

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Schwerpunkt

Stammzellbank

Individuelle Zellmodelle

Biomarker

Patientenphänotypen

Konstruktion

Für die individualisierte Zelltherapie bei Herzmuskelschwäche werden autologe und allogene Ansätze diskutiert, die unter Ausnutzung von pluripotenten Stammzellen umgesetzt werden könnten. Für einen autologen Ansatz wären Herzmuskelzellen aus iPS-Zellen prinzipiell geeignet. Prozesstechnische Limitationen und hier vor allem die Dauer für Herstellung und Überprüfung individueller Zellprodukte (ca. 1 Jahr) machen bei entsprechenden Kosten und einem unmittelbaren Bedarf im Krankheitsfall eine Anwendung von autologen Zellen unwahrscheinlich. Daher wird heute trotz der initial berechtigten Euphorie für einen potenziellen autologen Ansatz das Konzept der allogenen Zellanwendung von den meisten Gruppen vorgezogen. Dieses basiert auf der Etablierung von Zellbanken (idealerweise bereits Herzmuskelzellbanken) für eine unmittelbare Anwendung.

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Qualitätsprüfung

Individualisierte Zelltherapie bei Herzmuskelschwäche

Simulation

Abb. 3 8 Arzneimittelentwicklung für die individualisierte Therapie über Stammzellmodelle: Die Technologie der Reprogrammierung ermöglicht bereits heute die Etablierung von Patientenmodellen in der Kulturschale („patients in the dish“); durch den Aufbau von Stammzellbanken parallel zu klinischen Studien wird es möglich, klinische Phänotypen direkt mit zellulären Phänotypen zu korrelieren, um schließlich die individuellen Mechanismen der Entstehung einer Herzinsuffizienz zu identifizieren und so biomarkerkontrolliert neue Therapien zu entwickeln

5 cm

5 cm

Abb. 4 8 Die individualisierte Therapie mit künstlichem Herzgewebe bei Herzmuskelschwäche: Künstliche Herzgewebe („engineered heart muscle“) können aus menschlichen Stammzellen hergestellt werden [18]. Durch Fusion einzelner Gewebe [19] können heute bereits komplexe Herzmuskel mit einer definierten Funktion im Labor generiert werden. Unter Berücksichtigung eines individuellen Gewebedefekts können so passgenaue Herzgewebe konstruiert werden. Nach Testung im relevanten präklinischen Modell soll eine klinische Translation erfolgen

Bei Patienten mit einer symptomatischen Herzinsuffizienz nach Herzinfarkt fehlen typischerweise 1 Mrd. Herzmuskelzellen [15]. Um einen adäquaten funktionellen Ersatz zu erzielen, sollte dieser Verlust idealerweise vollständig ausgeglichen werden. Durch eine einfache Injektion von Herzmuskelzellen kann dies nicht erreicht werden, da über 95% der direkt injizierten Zellen entweder absterben oder unmittelbar aus dem Gewebe ausgewaschen werden. Vor diesem Hintergrund und basierend auf tierexperimentellen Daten [16] scheint die Anwendung von bereits im Labor gezüchteten Herzgeweben vielversprechend. Diese können analog zum Gewebedefekt entwickelt und schließlich in den Patienten implantiert werden (. Abb. 4). Im Gegensatz zur Zellinjektion kommt es beim „tissue engineering“ zu keinem oder einem deutlich geringeren Zellverlust. Dadurch wird sichergestellt, dass eine therapeutische Zelldosis tatsächlich das Zielorgan erreicht. Für die Herstellung individuell adaptierter Gewebeimplantate scheint es sinn-

voll, über moderne bildgebende Verfahren wie die Kernspintomographie Herzgewebedefekte nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ zu erfassen. Diese Datensätze können schließlich dazu dienen, um über numerische Simulationsverfahren Vorlagen für die individuelle Herzgewebekonstruktion zu liefern. Neben anatomischer und funktioneller Passgenauigkeit ist es eine entscheidende Herausforderung, die Sicherheit bei klinischer Anwendung zu gewährleisten; besonders zu berücksichtigen sind zum einen das Potenzial einer Tumor- bzw. einer Teratombildung und zum anderen das Auslösen von Herzrhythmusstörungen. Bei allogener Anwendung besteht darüber hinaus die Gefahr einer Abstoßungsreaktion bei nicht ausreichender Immunsuppression. In diesem Zusammenhang könnten sich parthenogenetische Stammzellen aus unbefruchteten Eizellen als vorteilhaft erweisen. Parthenogenetische Stammzellen zeigen aufgrund ihres rein maternalen Ursprungs eine nur geringe genomische Variabilität. Von besonderem Vorteil ist, dass

sie typischerweise haploidentische Allele für MHC-Klasse-I- und -II-Moleküle tragen. Dadurch können parthenogenetische Stammzellen sehr breit allogen verwendet werden, ohne dass es zu einer immunologischen Reaktion durch MHC-Mismatch kommt [17].

Korrespondenzadresse Prof. Dr. W.-H. Zimmermann Institute for Pharmacology,   University Medical Center,   Georg-August-University Robert-Koch-Str. 40,   37075 Göttingen [email protected]

Klinische Perspektive Weltweit leiden 100 Mio. Patienten an einer Herzinsuffizienz. Die Behandlung der Herzinsuffizienz richtet sich nach allgemeinen Leitlinien und berücksichtigt dabei kaum die individuelle Pathogenese des Patienten. Im Besonderen werden die molekularen Grundlagen der Herzmuskelschwäche so gut wie nicht in die Therapieentscheidung einbezogen. Dies liegt auch daran, dass wenig spezifische Biomarker bekannt sind, die eine Stratifizierung herzinsuffizienter Patienten erlauben. Durch die Anwendung stammzellbasierter Krankheitsmodelle könnte es gelingen, den individuellen Patientenphänotyp in der Kulturschale unter hoch definierten Bedingungen nachzustellen, um darüber individuelle Therapieansätze zur Herzmuskelzellprotektion und -regeneration zu erproben. Die individualisierte Herzmuskelersatztherapie mit stammzellabgeleiteten Herzmuskelzellen erfordert auf der anderen Seite Verfahren zur effizienten Integration von Herzmuskelzellen. Hierzu gibt es mittlerweile valide Ansätze über sog. „Tissue-engineering“-Verfahren. Trotz der Euphorie im Feld und den enormen Erwartungen muss realisiert werden, dass die Einführung neuer Therapieverfahren durchaus 20 Jahre dauern kann; vor allem dann, wenn der Wandel eines therapeutischen Dogmas von der protektiven Medizin zur regenerativen Medizin ansteht. Hier ist besonders wichtig, die nötigen experimentellen Schritte zu gehen, um eine Grundlage für die klinische Translation zu schaffen.

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  W.-H. Zimmermann gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

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[Individualized stem cell therapy].

Stem cells are attributed with having a great potential in regenerative medicine. Pluripotent stem cells are particularly interesting because they can...
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