Ansprachen Pathologe 2014 · [Suppl 2] · 35:172–174 DOI 10.1007/s00292-014-1985-0 Online publiziert: 19. September 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

A. Roessner

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren,

schuleinrichtungen die klinische Forschung wie folgt definiert: „Sie umfasst in einem weiten Sinne alle Formen der Erforschung von Ursachen, Entstehung und Verlauf von Krankheiten sowie die wissenschaftliche Beschäftigung mit ihrer Erkennung und Behandlung“. Seitens der Deutschen Forschungsgemeinschaft wurde vorgeschlagen, von dieser Definition ausgehend die klinische Forschung in drei Hauptrichtungen zu gliedern: die grundlagenorientierte Forschung, die krankheitsorientierte Forschung und die patientenorientierte Forschung (Klinische Forschung/Denkschrift/Deutsche Forschungsgemeinschaft 1999). Oft werden die krankheitsorientierte und die patientenorientierte Forschung als translationale Forschung zusammengefasst. Es ist unbestritten, dass die Pathologie als Schnittstelle zahlreicher wissenschaftlicher Aktivitäten an den medizinischen Fakultäten für die translationale Forschung von zentraler Bedeutung ist. So war vor zwei Jahren „Translationale Forschung in der Pathologie“ ein erfolgreiches Hauptthema. Es sprechen aber auch Argumente dafür, dass unser Fach weiterhin ungemindert im Bereich der Grundlagenforschung vertreten sein sollte. Schon aus der historischen Entwicklung ergibt sich, dass die Pathologie eine starke Affinität zur Zellbiologie als wichtige medizinische Grundlagendisziplin hat. Nichts hat größeren Einfluss auf die Entwicklung der Biologie und damit vor allem auch auf die sich seitdem rasant beschleunigende Entwicklung in der Medizin ausgeübt als die Erkenntnis, dass

die Ansprachen der Vorsitzenden bzw. Kongresspräsidenten der Deutschen Gesellschaft für Pathologie gehen traditionell darüber hinaus, eine Einführung in die Hauptthemen der betreffenden Jahrestagung zu geben. Den meisten von Ihnen ist bekannt, dass sie sogar von Volker Becker, Wilhelm Doerr und Heinrich Schipperges in einer lesenswerten Monographie zusammengefasst sind: „Krankheitsbegriff und Krankheitsforschung im Lichte der Präsidialansprachen der Deutschen Gesellschaft für Pathologie“. So haben auch in den vergangenen Jahren meine Vorredner grundlegend zur Lage und zu den Perspektiven unseres Faches im akademischen und medizinischen Bereich Stellung genommen. Es ist also viel Wesentliches bereits gesagt worden, sodass die Gefahr der Wiederholung besteht. Im vergangenen Jahr wurde von P. Schirmacher, Heidelberg, in einer umfassenden Analyse auch auf die Wichtigkeit einer starken Grundlagenforschung in der universitären Pathologie hingewiesen. Heute möchte ich mich auf diesen Aspekt beschränken und die Grundlagenforschung in der Pathologie im Kontext der klinischen Forschung an den medizinischen Universitätseinrichtungen in ihrer Bedeutung für unser Fach detaillierter erörtern. Der Wissenschaftsrat hat in einer seiner Empfehlungen zur klinischen Forschung an den medizinischen Hoch-

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Der Pathologe · Supplement 2 · 2014

Institut für Pathologie, Klinikum der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Eröffnungsrede des Tagungspräsidenten der Deutschen Gesellschaft für Pathologie zur 98. Jahrestagung

unterschiedliche Lebensformen aus unabhängigen, aber kooperierenden Einheiten bestehen, die wir Zelle nennen. Zu dieser Entwicklung hat Rudolf Virchow als Pathologe entscheidende Beiträge geleistet. Der von Virchow zunächst als Editorial in dem von ihm herausgegebenen Archiv und dann in seinem berühmten Buch „Cellularpathologie“ geprägte Begriff hat bekanntlich einen enormen Einfluss auf die Entwicklung der Medizin ausgeübt. Kaum ein anderes Buch kennzeichnet mit einer vergleichbaren Deutlichkeit den Beginn eines neuen Zeitabschnitts in der Medizin. Schon von ihrer Entstehungsgeschichte ist die Pathologie also mit der Zellbiologie als medizinische Grundlagendisziplin eng verbunden. Von Virchow ist auf den Tagungen der Deutschen Gesellschaft für Pathologie vielfach die Rede gewesen. Auch auf dieser Tagung beschäftigen sich wieder mehrere Beiträge mit ihm oder nehmen Bezug auf ihn. Konstantin Goschler, der die herausragende Virchow-Biographie geschrieben hat, spricht in seinem Festvortrag über „Revolte und Monument: Überlegungen zur wissenschaftlichen Karriere Rudolf Virchows“. Nick Wright wird in einer „Keynote Lecture“ mit Bezug auf Virchow die Bedeutung der Zellbiologie in ihren unterschiedlichen Forschungsrichtungen für das Verstehen der Krankheitsmechanismen – also für ein zentrales Anliegen des Fachs Pathologie – darstellen. Die „Keynote Lecture“ von Michael Karin hat den Titel „In the footsteps of Virchow: Dissecting the Links between Inflammation and Cancer“.

Die überragende Bedeutung Virchows wird auf dieser Tagung einmal mehr deutlich. Bei einem solchen wissenschaftlichen und intellektuellen Titanen als Gründer der Gesellschaft ergibt sich für die Mitglieder der DGP schon allein daraus die Verpflichtung, neben der unbestrittenen Attraktivität der translationalen Forschung die zellbiologisch orientierte Grundlagenforschung nicht zu vernachlässigen. Neben dieser Verpflichtung gibt es aber weitere Gründe, die für die Wichtigkeit einer eigenen starken Grundlagenforschung in den Instituten für Pathologie sprechen. So ist es für die Stellung der Pathologie in den Fakultäten von Interesse, dass die Pathologen wissenschaftlich auf Augenhöhe mit den Vertretern der Grundlagenfächer reden können. Da der tägliche Kontakt zu den Klinikern und mit den Kliniken aufgrund der umfassenden Dienstleistungsverpflichtungen außer Frage steht, erfüllen sie so eine wichtige Brückenfunktion, für die kaum ein anderer Fachvertreter in vergleichbarer Weise prädestiniert ist. Diesen Vorteil sollten wir uns im Interesse des Fachs auf keinen Fall aus der Hand nehmen lassen. Von hier aus ergibt sich auch die Erklärung dafür, dass Pathologen überproportional häufig leitende Funktionen in den Fakultäten ausüben. Es versteht sich von selbst, dass dies dem Fach unmittelbar zu Gute kommt. In der Bundesrepublik sind die Universitätsinstitute für Pathologie bislang räumlich relativ großzügig aufgestellt und personell und apparativ angemessen ausgestattet. Sie verfügen über deut-

lich mehr Ressourcen als für die Dienstleistungen im Rahmen der Krankenversorgung und die Lehre erforderlich wären. Dass dies bei noch knapper werdenden finanziellen Mitteln so bleibt, hängt wesentlich auch vom wissenschaftlichen Ranking der Pathologie in den Fakultäten und der daraus resultierenden leistungsorientierten Mittelvergabe ab. Es wäre für das Fach in höchstem Maße abträglich, wenn Institute für Pathologie vermehrt im unteren Drittel des Rankings zu finden wären. Erfolgreiche grundlagennahe Forschung, für die relativ gut Drittmittel einzuwerben sind, trägt wesentlich dazu bei, sie im oberen Drittel zu halten. Bei dem Erfolg der Institute für Pathologie im leistungsorientierten Ranking der Fakultäten geht es nicht nur um unser Verständnis von der akademischen Pathologie, sondern auch um sehr praktische Gesichtspunkte. Unbestritten ist die Universitätsmedizin zur Zeit in einer Finanzierungskrise, deren Ursachen sich auch definieren lassen. Darauf soll hier nicht im Einzelnen eingegangen werden. Es kann aber niemand vorhersagen, wann die Situation sich wieder bessert. Nur über eines sollte man sich keine Illusionen machen: Sofern die Haushaltslage der Universitätskliniken nicht in absehbarer Zeit verbessert werden kann und gerade die finanzschwachen Länder mit der Finanzierung ihrer universitätsmedizinischen Einrichtungen immer größere Schwierigkeiten bekommen, wird die Politik das Pro­blem zunächst an die klinischen Vorstände weiterreichen. Auf der Suche nach Sparpotenzial kann man unterschiedlichste Dienstleistungen notfalls „outsourcen“. Auch diagnostische

Dienstleistungen erbringende Fächer wie die Klinische Chemie und die Pathologie können irgendwann zur Disposition stehen. Eine hochrangige eigenständige Forschung, vor allem wenn sie den Grundlagenbereich einschließt und mit den Forschungsschwerpunkten der Fakultät gut vernetzt ist, stellt einen optimalen Schutz vor derartigen gefährlichen Entwicklungen dar. Qualitätsforschung kann man nicht outsourcen, medizinische Dienstleistungen schon. Für die reine Dienstleistung im Bereich der Obduktionen, der Histopathologie und der diagnostischen Molekularpathologie braucht man nun einmal keine Institutionen mit geschätzt etwa 2000 bis über 4000 qm Fläche. In diesem Zusammenhang ist es auch interessant, die Entwicklung der wissenschaftlichen Drittmittelprojekte im Fach Pathologie zu verfolgen, die einen Spiegel des wissenschaftlichen Erfolgs darstellt. Aus Gründen der Reproduzierbarkeit und Vergleichbarkeit beschränkt sich diese Betrachtung hier auf DFG-Projekte, weil nur diese unmittelbar vergleichbar sind. Das mindert selbstverständlich in keiner Weise den Wert aus anderen Quellen finanzierter Drittmittelforschung. Man kann aber gerade aus den präzisen Informationssystemen der DFG leicht einen Überblick zu den eingeworbenen DFG-Projekten der einzelnen medizinischen Fächer gewinnen. Die Daten stehen seit 1999 zur Verfügung. Dadurch werden auch Aussagen zur Entwicklung auf der Zeitachse möglich. Wenn man die Zahl der im jeweiligen Jahr neu bewilligten Projekte aufruft, zeigt sich tendenziell, dass die Gesamtzahl der über alle Förderinstrumente

Ansprachen von der Pathologie eingeworbenen DFGProjekte in den letzten 15 Jahren keinen allzu großen Schwankungen unterlegen war. Beim Vergleich mit anderen klinisch-theoretischen Fächern fällt auf, dass die Pathologie etwa gleichauf liegt mit der Humangenetik. Die Medizinische Mikrobiologie und die Immunologie weisen über den Zeitraum von 15 Jahren konstant eine erheblich höhere Einwerbung von DFG-Projekten auf. Dieser Tatbestand ist an sich nicht neu. Das konnte man auch schon vor 10 Jahren beobachten. Interessant ist, dass sich daran weder in Richtung einer negativen noch einer positiven Entwicklung viel geändert zu haben scheint. Von mehreren meiner Vorredner, die hier in den vergangenen Jahren diese Ansprache gehalten haben, ist in eindrucksvoller Weise der Aufbruch der Pathologie in die molekulare Diagnostik der personalisierten Medizin dargestellt worden. Das dadurch erschlossene zentrale Aufgabenfeld der prädiktiven Pathologie scheint sich allerdings noch nicht in einer signifikanten Erhöhung bewilligter DFG-Projekte niederzuschlagen. Dies dürfte auch darauf zurückzuführen sein, dass vielfach andere Drittmittelquellen genutzt werden. Es liegt in diesem Zusammenhang aber auch die Vermutung nahe, dass vermehrte Aktivitäten im Bereich grundlagennaher Forschung die Pathologie bei der Förderung durch die DFG noch näher an die erfolgreichsten klinisch-theoretischen Fächer heranbringen könnten. Es gibt schon Fächer, bei denen sich über die letzten 15 Jahre der Erfolg der DFG-geförderten Forschung verändert hat. Unterschiedliche klinische Bereiche konnten die Zahl der eingeworbenen Projekte steigern. Besonders erfolgreich war hier die Gastroenterologie. Vermutlich ist dies auch auf die über die letzten 15 Jahre zunehmende Zahl der klinischen Forschergruppen zurückzuführen. Bei anderen Fächern wie der Klinischen Chemie/Labormedizin hat sich die Anzahl der pro Jahr bewilligten Projekte seit 1999 reduziert. Um eine derartige Entwicklung für die Pathologie auch in Zukunft zu verhindern, ist es ratsam, darauf zu achten, dass trotz weiter zunehmender diagnostischer Dienstleistun-

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Der Pathologe · Supplement 2 · 2014

gen hinreichende personelle, räumliche und apparative Ressourcen für die wissenschaftliche Grundausstattung verfügbar bleiben. Mit unzureichender Grundausstattung kann man bekanntlich keine Forschungsprojekte einwerben. Als ein bekannter Parameter für den wissenschaftlichen Erfolg eines Fachs gilt auch die Anzahl an Sprechern von Sonderforschungsbereichen aus den betreffenden Bereichen. Die Erkenntnis, dass hier eine gewisse Diskrepanz zwischen der zentralen Bedeutung der Pathologie an den medizinischen Fakultäten und der über die Jahre eher geringen Zahl an Sprechern besteht, ist nicht neu. Bei Durchsicht der gesamten Liste der Sonderforschungsbereiche wird mit Stand 2014 ein Pathologe als Sprecher gefunden: P. Schirmacher, Heidelberg, SFB/ Transregio 77. Weiterhin gibt es zur Zeit eine von einem Pathologen eingerichtete Forschergruppe der DFG: H.L. Hansmann, Frankfurt, Forschergruppe 1961. Aktivitäten im Bereich der Grundlagenforschung dürften geeignet sein, langfristig diese Bilanz zu verbessern. Ein Hauptthema der diesjährigen Tagung ist „Inflammation und Karzinogenese“. Bekanntlich wurde auf diesen Zusammenhang erstmals von Virchow in seinem Buch „Die krankhaften Geschwülste“ hingewiesen. Dort ist die Entzündung für unsere heutigen pathogenetischen Vorstellungen erstaunlich korrekt in der vierten Vorlesung zur „Aetiologie der neoplastischen Geschwülste“ aufgeführt. Es handelt es sich um eine grundlegende Beobachtung, die allerdings weit über 100 Jahre wenig Beachtung fand. Erst in den letzten 20 bis 30 Jahren wurde zunächst durch epidemiologische Untersuchungen immer offenkundiger, dass bei etwa 15–20% aller Krebserkrankungen chronische Entzündungen maßgeblich involviert sind. Die weitere Aufklärung der Zusammenhänge zwischen Entzündung und Krebs und daraus möglicherweise abzuleitende therapeutische Strategien wird die Kombination präziser Grundlagenforschung mit der translationalen Forschung umfassen. An dieser Entwicklung ist die wissenschaftliche Pathologie zentral betei­ligt. Damit liefert die diesjährige Tagung ein überzeugendes

Beispiel für die Bedeutung der Grundlagenforschung in der Pathologie. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Prof. Dr. med. Albert Roessner

Korrespondenzadresse Prof. Dr. A. Roessner Institut für Pathologie, Klinikum der Otto-vonGuericke-Universität Magdeburg Leipziger Str. 44, Haus 28, 39120 Magdeburg [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  A. Roessner gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.     The supplement this article is part of is not sponsored by the industry.

[Inaugural speech of the congress president of the German Society of Pathology at the 98th annual congress].

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