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Innerklinisches Traumamanagement

Seltenes ist selten: Zeugen Jehovas, Patienten mit Infektionskrankheiten, Schwangere und Kinder im Schockraum

Bei der Schockraumversorgung Schwerverletzter zählt jede Minute. Weisen diese dann auch noch Besonderheiten auf, steigt der Schwierigkeitsgrad der ohnehin komplexen Behandlung weiter. Patienten mit Infektionskrankheiten, Zeugen Jehovas, Kinder und Schwangere gehören sicher nicht zur täglichen Routine. Unsicherheiten bei ihrer Versorgung sind ohne eine entsprechende Vorbereitung zu erwarten. Ziel dieses Artikels ist es, einen strukturierten Umgang mit diesen Patienten zu vermitteln. „Besondere“ Patienten Lopez et al. haben in dieser Ausgabe bereits einen ausführlichen Überblick zum Damage-Control-Konzept in der Behandlung schwer und schwerstverletzter Patienten gegeben (q S. 530). Das TraumaRegister DGU® der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) hat mittlerweile Daten von > 100 000 Schwerverletzten erfasst. Demnach handelt es sich beim „typischen“ Polytraumatisierten um einen männlichen Patienten, Anfang 40 Jahre, mit einem Injury Severity Score (ISS) von ca. 22 Punkten und bis zu 8 Einzelverletzungen. Unberücksichtigt bleiben bei dieser Beschreibung diejenigen Patienten, die neben ihrer schweren Mehrfachverletzung noch andere „Besonderheiten“ mit sich bringen, die eingespielte Behandlungsalgorithmen erschweren. Gemeint sind hier z. B.: ▶ Patienten mit Infektionskrankheiten wie HIV oder Hepatitis, ▶ Patienten einer Glaubensgemeinschaft ohne Einwilligung zur Bluttransfusion ▶ schwangere Patientinnen ▶ (Klein-)Kinder Der folgende Artikel soll dem Leser wichtige Behandlungshinweise zu diesem besonderen Patientenkollektiv geben – ohne dabei Vollständigkeit beanspruchen zu wollen.

Verantwortung im Schockraumteam Führungsstruktur Gerade abseits der Routine ist es wichtig, dass ein multiprofessionelles und interdisziplinäres Behandlungsteam eine Führungsstruktur aufweist, damit auch seltene und

schwierige Situationen gemeistert werden können. Daher sollte die Verantwortlichkeit für den reibungslosen Ablauf der medizinischen Behandlung und Diagnostik wie auch die Verantwortlichkeit im juristischen Sinne klar definiert und geregelt sein – und dies nicht nur außerhalb spezieller Behandlungssituationen, wie sie oben aufgeführt wurden. Für jede Schockraumversorgung sollte es einen Verantwortlichen geben – gerade im medizinisch-rechtlichen Sinne. Kommt es nämlich zu zivil- oder strafrechtlichen Klagen wegen Fehlbehandlung, Unterlassung o. a., sollte klar geregelt sein, wer aus dem Schockraumteam verantwortlich ist. Unseres Erachtens sollte es sich dabei um dieselbe Person handeln, die auch die medizinische Leitung der Schockraumbehandlung wahrnimmt.

Traumaleader gemäß S3-Leitlinie Dabei wird die Frage, wer diese Leitung übernimmt, von den jeweiligen Fachgesellschaften unterschiedlich beantwortet. In der S3-Leitlinie „Polytrauma“ heißt es daher salomonisch, dass „idealerweise nach Absprache der ‚Beste‛ bzw. die ‚Besten‛ die Aufgabe des ‚Traumaleader‛ (vertikale Struktur) bzw. der ‚interdisziplinären Führungsgruppe‛ (horizontale Struktur) wahrnehmen sollen“ [1]. Anforderungen Die Aufgaben, die dem oder den Leadern zufallen, sind vielfältig: Sie beinhalten ▶ sog. „technical skills“ (operative Erfahrung, manuelles Geschick, Organisation des Diagnostik- und Behandlungsablaufs), ▶ soziokommunikative Fähigkeiten (sog. „nontechnical skills“) wie Leitung und Koordination des Schockraumteams, ▶ Durchsetzungsfähigkeit, aber auch ▶ Kontaktaufnahme, z. B. mit den Angehörigen und / oder der Polizei. Im schlechtesten Fall ist diese Person primärer Ansprechpartner, wenn es zu juristischen Auseinandersetzungen kommt, und übernimmt ggf. auch die juristische Verantwortung mit ihren Konsequenzen.

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Caroline L. López • Thomas Meyer • Stefan Heuer • Peter Kranke • Florian Debus • Thomas Wurmb • Christian A. Kühne

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Besondere Situationen Infektionskrankheiten



Nadelstichverletzungen Mit einer HIV / AIDSInfektionsrate bei Erwachsenen von 0,1 % liegt Deutschland weltweit an 122. Stelle (Vereinigte Staaten: 0,6 %, Platz 64; Kanada: 0,3 %, Platz 84; Spanien, Schweiz und Frankreich: 0,4 %, Platz 73, 74 und 76) [2]. In Europa kommt es nach Schätzungen der „Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz“ jedes Jahr zu ca. 1 Mio. Nadelstichverletzungen (NSV) – wobei von einer großen Dunkelziffer auszugehen ist [3]. Rabaud et al. zeigten in einer amerikanischen Multizenterstudie, dass 16 % der Blutkontakte nicht gemeldet wurden [4]. Himmelreich et al. dokumentierten am Universitätsklinikum Frankfurt insgesamt 519 NSV an 547 Arbeitstagen; mit 127 NSV (24,5 %) lagen die chirurgischen Fächer an der Spitze [5]. Von 449 serologisch untersuchten Indexpatienten wiesen 92 (20,5 %) eine durch Blut übertragbare Infektion auf: ▶ 11,4 % waren HIV-positiv. ▶ 9,8 % zeigten ein positives Ergebnis nach Polymerase-Kettenreaktion zum Nachweis einer Hepatitis-C-Virusinfektion (HCV-PCR). ▶ 3,6 % wiesen eine aktive Hepatitis-B-Virusinfektion (HBV-Infektion) auf. ▶ 19 Patienten hatten mind. eine Koinfektion. Verletzungs- und Infektionsrisiko Das Übertragungsrisiko nach NSV bei positivem „Spender“ wird bei HBV mit 30 %, bei HCV mit 3 % und bei HIV mit 0,3 % angegeben [6]. Das Verletzungsund Infektionsrisiko im Schockraum ist dabei aus verschiedenen Gründen höher anzusetzen: ▶ Aufgrund der Verletzungsschwere kommt es im Einzelfall zum Kontakt mit wesentlich größeren Blutmengen (z. B. Notthorakotomie / Laparotomie) ▶ Es besteht eine erhöhte Verletzungsgefahr, da viele Eingriffe simultan und damit möglicherweise auch unkoordinierter als im OP ablaufen. ▶ Speziell penetrierende Verletzungen treten häufig bei Risikopatienten auf – mit bekanntermaßen erhöhter Prävalenz von HIV, HBV und HCV sowie Hepatitis [7]. Seamon et al. fanden bei 9,4 % der im Schockraum behandelten Patienten Infektionen mit HIV (1,2 %), HBV (2,1 %) oder HCV (7,6 %); zwei Drittel der positiv getesteten Patienten waren sich ihrer Infektion zuvor nicht bewusst [8].

Das Risiko einer Verletzung oder Übertragung lässt sich durch verschiedene Schutzmaßnahmen reduzieren.

Postexpositionsprophylaxe Für die Postexpositionsprophylaxe (PEP) können folgende Empfehlungen gegeben werden: HBV Die PEP richtet sich nach dem aktuellen Anti-HBs-Wert des Exponierten: ▶ Werte ≥ 100 IE/l → kein HB-Impfstoff ▶ Werte von 10–99 IE/l → HB-Impfstoff sollte verabreicht werden ▶ Werte < 10 IE/l bzw. ungeimpfte Personen oder Non-Responder → zusätzlich zum HB-Impfstoff sollte noch ein HB-Immunglobulin verabreicht werden HCV Eine PEP ist nicht sinnvoll. Wird eine HCVInfektion zeitnah festgestellt, sollte eine Interferon-Therapie eingeleitet werden, ggf. in Kombination mit antiviralen Medikamenten. HIV Es existiert kein Impfstoff. Bei vorhandener oder wahrscheinlicher HIV-Infektion sollte die erste Dosis der PEP idealerweise sofort bzw. innerhalb 30–120 min eingenommen werden: Isentress® (Raltegravir 400 mg 2 × tgl.) und Truvada® (Tenofovir und Emtricitabin, 1 ×  tgl.). Bei Gravidität gelten gesonderte Empfehlungen (Kombination aus Truvada® und Kaletra® sowie Rücksprache mit Gynäkologie und Perinatalmedizin empfehlenswert) [8].

Bluttransfusionen bei Patienten bestimmter Religionsgruppen



Rechtsgüter- bzw. Pflichtenkollision Eine möglicherweise lebensrettende Bluttransfusion bei Patienten, die bestimmten Religionsgruppen wie z. B. den Zeugen Jehovas oder den Evangelischen Glaubensbrüdern angehören, stellt das gesamte Schockraumteam vor ein großes Problem. Weltweit gehören ca. 7 Mio. Menschen den Zeugen Jehovas an; in der Bundesrepublik sind es ca. 160 000–170 000 Personen. Vereinfacht ausgedrückt kommt es in dieser speziellen Notfall-

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Ohne Leadership ist keine Schockraumversorgung möglich. Die Führung kann vertikal oder horizontal strukturiert sein.

Schutzmaßnahmen Um das Risiko einer Verletzung und Übertragung während einer Schockraumversorgung zu minimieren, sollten folgende Vorgehensweisen besonders beachtet werden: ▶ Impfen aller Teammitglieder ▶ Tragen von 2 Paar Handschuhen und – bei invasiven Eingriffen – Schutzbrillen ▶ ggf. Schnelltestung auf HIV noch im Schockraum ▶ klare Handlungsanweisung zur Postexpositionsprophylaxe bei Kontamination mit infiziertem Blut (s. u.)

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N Verweigerung der Bluttransfusion – Behandlungsalgorithmus für den Schockraum 1. In einer Notsituation muss der Arzt die Behandlung übernehmen (allg. Rechtspflicht zur Hilfeleistung, § 323c, StGB). 2. Bei nicht bewusstlosen, voll geschäftsfähigen Patienten ist die Verweigerung einer (lebensrettenden) Bluttransfusion verbindlich. Der Arzt hat sich allerdings um die Zustimmung zur Transfusion zu bemühen. 3. Bei bewusstlosen, im Augenblick nicht geschäftsfähigen Patienten, aber vorliegender Patientenverfügung, in der eine Bluttransfusion abgelehnt wird (§ 1901a, BGB), ist der vom Patienten bestimmte Betreuer/ Vorsorgebevollmächtigte hinzuzuziehen. Er kann die Patientenverfügung durchsetzen, aber ihr auch widersprechen. Ist er nicht sofort verfügbar, so müssen die behandelnden Ärzte entscheiden, ob der vorliegenden Verfügung Geltung verschafft werden muss. Hierzu muss geprüft werden, ob die konkret vorliegende Situation mit der in der Patientenverfügung beschriebenen übereinstimmt. Ist das der Fall, darf die Transfusion nicht erfolgen. Gibt es aber ausreichend berechtigte Bedenken oder bestehen gar Zweifel an der Authentizität der Verfügung, wird man sich ggf. eher für eine lebensrettende Transfusion entscheiden müssen. In den Empfehlungen der Bundesärztekammer und der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer zum Umgang mit Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung in der ärztlichen Praxis heißt es zur Notfallsituation: „In Notfallsituationen, in denen der Wille des Patienten nicht bekannt ist und für die Ermittlung individueller Umstände keine Zeit bleibt, ist die medizinisch indizierte Behandlung einzuleiten, die im Zweifel auf die Erhaltung des Lebens gerichtet ist. Hier darf der Arzt davon ausgehen, dass es dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht, den ärztlich indizierten Maßnahmen zuzustimmen.“ 4. Bei bewusstlosen, nicht geschäftsfähigen Patienten ohne Patientenverfügung muss ▷ ein (vorläufiger) Betreuer eingesetzt werden und / oder ▷ der Schockraum-Teamleader (ggf. in Rücksprache mit z. B. Angehörigen / Verwandten) nach dem mutmaßlichen Willen des Patienten entscheiden. Die getroffene Entscheidung und die Gründe dafür sollten auf jeden Fall sorgfältig dokumentiert werden. 5. Bei nicht bewusstlosen, nicht volljährigen Patienten ist – wenn sie Bedeutung und Tragweite der Bedrohung ausreichend beurteilen können – wie bei Erwachsenen zu verfahren. Im Zweifel sollte hier aber von der fehlenden Einsichts- und Urteilsfähigkeit ausgegangen werden. Der elterliche Wunsch oder die Forderung nach Unterlassung sind für den Arzt erst einmal nicht maßgeblich (Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. II, GG). 6. Bei bewusstlosen, nicht volljährigen Patienten muss die elterliche Einwilligung zur ärztlichen Behandlung (Transfusion) eingeholt werden. Verweigern die Eltern diese, sollte unseres Erachtens ▷ das zuständige Familiengericht eingeschaltet werden und / oder ▷ der Arzt seinem Heilauftrag nachkommen und gegen den Willen der Eltern handeln (Art. II, GG s. o.).

situation zu einer Rechtsgüter- bzw. Pflichtenkollision zwischen dem Schutz der Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie dem Recht auf Selbstbestimmung einerseits und dem Rechtsgut Leben bzw. dem Schutz des Lebens andererseits. Eine sehr detaillierte Aufarbeitung dieses Themas findet sich z. B. bei Schelling / Lippstreu und Ulsenheimer [10, 11].

Behandlungsalgorithmen In jedem Krankenhaus sollten zur Versorgung der genannten Glaubensgemeinschaften Algorithmen vorliegen, in denen die medizinischen und rechtlichen Behandlungsoptionen dargestellt sind. Letztlich gilt aber die Entscheidung des behandelnden Arztes bzw. verantwortlichen Schockraum-Teamleaders – mit den eventuellen Folgen. Für das Vorgehen im Schockraum lässt sich unseres Erachtens der in q Tab. 1 aufgeführte Algorithmus formulieren. Daraus ergeben sich mögliche Probleme und Konsequenzen. Ärzte, die aus welchen Gründen auch immer entsprechende Leitfäden nicht umsetzen wollen / können, sollten nach Möglichkeit nicht an der Behandlung teilnehmen.

Therapieoptionen Um bei den genannten juristischen bzw. religiösen Schwierigkeiten medizinisch einen möglichst langen Behandlungsspielraum zu erhalten, stehen dem Schockraumteam verschiedene transfusionsmedizinische und hämostaseologische Therapieoptionen zur Verfügung: ▶ unter bestimmten Voraussetzungen maschinelle Autotransfusion (allerdings akzeptieren das nicht alle Zeugen Jehovas) ▶ kalkulierte Gerinnungstherapie direkt im Schockraum (s. a. den Artikel „Damage Control“ in dieser Ausgabe, q S. 530) ▶ Steigerung der Anämietoleranz durch Optimierung des Sauerstoffangebots und Reduktion des Sauerstoffverbrauchs; Maßnahmen sind u. a. ▷ Aufrechterhaltung eines adäquaten Herzzeitvolumens ▷ Erhöhung des Anteils an physikalisch gelöstem Sauerstoff (inspiratorischer Sauerstoffanteil [FiO2] 100 %) ▷ tiefe Analgosedierung (ggf. EEG gesteuert), evtl. ergänzt duch eine Muskelrelaxation

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Tab. 1

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Der Wille des Patienten steht an oberster Stelle. Kann er eindeutig ermittelt werden, so muss er befolgt werden. Bestehen Zweifel oder wird die Verweigerung einer Bluttransfusion widerrufen, kann sie durchgeführt werden, wenn sie indiziert ist.

Schockraumversorgung von Säuglingen und Kleinkindern



Behandlung im primären Traumazentrum Nach wie vor sind Unfälle die häufigste Todesursache bei Kindern ab dem 1. Lebensjahr. Dennoch ist die Versorgung eines polytraumatisierten Kindes per se selten im Schockraum [12]. Heute liegt die Anzahl der in einem kinderchirurgischen Traumazentrum behandelten, polytraumatisierten Kinder lediglich bei 1 bis max. 2 pro Monat [13–15]. Daher sollte jeder dieser schwer verletzten oder polytraumatisierten Patienten möglichst in ein primäres Traumazentrum mit kinderchirurgischer Ausrichtung kommen, um einen reibungslosen Ablauf und eine optimale Versorgung zu gewährleisten. Bei Säuglingen und Kleinkindern überwiegen Stürze aus großer Höhe. Die Inzidenz von Verkehrsunfällen nimmt ab dem Schulalter dadurch deutlich zu, dass die Kinder und Jugendlichen als Fußgänger oder auch Radfahrer aktiv am Straßenverkehr teilnehmen [15, 16]. Schwer verletzte Kinder sollten in einem ausgewiesenen Zentrum behandelt werden.

Pediatric Trauma Score Sowohl für die Behandlung als auch um den Schweregrad des kindlichen Polytraumas einzuschätzen, hat sich der Pediatric Trauma Score etabliert. Hierbei handelt es sich um eine Kombination aus pathophysiologischen, aber auch anatomischen Parametern (Körpergewicht, Atmung, Blutdruck, Bewusstseinslage, Weichteilverletzungen und Frakturen). Jedem Parameter wird ein Punktwert zugeordnet; die Skala reicht von - 6 (schlechteste Prognose) bis + 12 (gute Prognose). Merkmale der Anatomie Das polytraumatisierte Kind (< 14 Jahren) unterscheidet sich in Anatomie und Pathophysiologie erheblich von einem polytraumatisierten Jugendlichen > 14 Jahre oder einem Erwachsenen. So ist bei Kindern der Kopf deutlich größer als der Körper, im Gehirn besteht ein höheres Flüssigkeitsvolumen bei weniger Fett, zusätzlich besteht ein größeres Oberflächen-Volumen-Verhältnis im Vergleich zum Erwachsenen. In der Regel haben Kinder eine geringere Fett- und Muskelmasse sowie eine niedrigere Gesamtkörpermasse.

Kinder weisen aufgrund ihrer besonderen Anatomie charakteristische Verletzungskombinationen auf.

Standardisiertes Verfahren Die Schockraumversorgung erfolgt auch beim polytraumatisierten Kind – wie bei Erwachsenen – nach einem strukturierten Vorgehen (z. B. nach dem ATLS®Konzept, ATLS = Advanced Trauma Life Support), um erprobte und optimierte Abläufe zu gewährleisten. Hierbei sollte ein kinderchirurgisch erfahrener Arzt bzw. ein Kinderchirurg das eingespielte Polytraumateam erweitern. Diagnostik In der Notfalldiagnostik im Schockraum steht heute die Sonografie zur raschen Beurteilung des Abdomens und des Thorax zur Verfügung – aber auch die Schädelsonografie beim Säugling. Nativradiologisch kann je nach Trauma des Kindes ein Röntgenthorax, eine Abdomenleeraufnahme, eine Beckenübersicht sowie eine Wirbelsäulenaufnahme in 2 Ebenen erfolgen. Während bei einem wachen Kind oder Jugendlichen ohne Schockgeschehen auf eine primäre Ganzkörper-CT-Diagnostik verzichtet werden kann, ist bei adäquatem Trauma und Bewusstlosigkeit die spezifische Organdiagnostik mittels CT indiziert – ähnlich wie bei Erwachsenen [17, 18]. Hier ist jedoch zu fordern, dass die Strahlendosis altersentsprechend durch spezifische Kinder-CT-Protokolle reduziert wird. Da sich das Management von schwer verletzten Kindern und Jugendlichen nach der Primärdiagnostik hinsichtlich des Verlaufs und des Outcomes von dem Erwachsener unterscheidet, sollte eine enge Zusammenarbeit und Absprache mit Pädiatern und Kinderchirurgen bestehen [12, 15].

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N Pathophysiologie Besonders zu berücksichtigen ist das deutlich geringere Gesamtblutvolumen. So beträgt z. B. ein Blutverlust von 500 ml bei einem 4-Jährigen gut 42 % des Gesamtblutvolumens, bei einem 8-Jährigen noch 26 % und bei einem Erwachsenen nur 10 %. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass es bei Kindern erst deutlich später zu einer Dekompensation des Herz-Kreislauf-Systems kommt. Da ihr Skelett noch relativ weich und gut verformbar ist, überträgt sich die Kraft bei einem Unfall häufig v. a. auf die inneren Organe und wirkt auf diese ein. In diesem Zusammenhang ist eine Blutung in die Körperhöhlen, die Weichteile, aber auch den Schädel eine besondere Gefahr. Zu den häufigsten Verletzungskombinationen gehören daher das SchädelHirn-Trauma in Kombination mit Verletzungen der Extremitäten sowie das Schädel-Hirn-Trauma mit Thorax-/Abdominalverletzung und ebenfalls Extremitätentraumata [12].

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N Gefährdung durch diagnostische und therapeutische Maßnahmen (5.–23. SSW) Gefährdung

Diagnostikempfehlung

Konsequenz

länger bestehende Kreislaufinsuffizienz

▶ entsprechend den generellen Leitlinien, zusätzlich gynäkologischer US und ggf. gynäkologische Untersuchung ▶ Modifikation des radiologischen Untersuchungsprogramms (s. u.)

Kreislaufstabilisierung wie bei Nichtschwangeren

direktes Trauma

▶ abdominaler US (ggf. vaginaler) und Spekulumeinstellung, vaginale Untersuchung ▶ US-Kontrolle im Verlauf wegen Plazentahämatom / -lösung ▶ Modifikation des radiologischen Untersuchungsprogramms (s. u.)

▶ Hinzurufen eines operativ erfahrenen Gynäkologen ▶ Bereitstellen von Erythrozytenkonzentraten und Gerinnungspräparaten

fetomaternale Transfusion durch stumpfes Trauma (Rhesussensibilisierung der Schwangeren)

Rhesusstatus bestimmen (Mutterpass)

wenn Rhesus-negativ, Rhesusprophylaxe innerhalb von spätestens 72 h (z. B. Rhophylac®, Rhesonativ®)

diagnostische Maßnahmen (Röntgendiagnostik)

wenn vertretbar: Verzicht auf Ganzkörper-CT (besonders im 1. Trimenon)

▶ alternativ fokussierte USUntersuchung und traumaorientierte konventionelle Röntgendiagnostik [24] ▶ CT mit Bleiabdeckung des Abdomens, wenn mit zeitlichem Vorlauf vertretbar; ggf. Ergänzung um MRT

Das Schockraumteam sollte durch einen erfahrenen Kinderchirurgen ergänzt werden. Bei einer CT-Diagnostik müssen entsprechende Kinderprotokolle verwendet werden, um die Strahlendosis zu reduzieren.

Polytrauma und Schwangerschaft



Möglicher Interessenkonflikt Ein Polytrauma in der Schwangerschaft kann die schwangere Patientin selbst und / oder das ungeborene Kind gefährden. Es besteht somit die Ausnahmesituation, dass die Schicksale von 2 oder mehr Individuen betroffen sind. Dieser Umstand kann mitunter zu Interessenkonflikten in der Diagnostik und Therapie führen. Allerdings gibt es Maßnahmen, die sich nach gegenwärtigem Kenntnisstand nicht nachteilig auf die Schwangerschaft auswirken. Folglich sollten sie auch nicht unterbleiben, damit die betroffene Schwangere nicht suboptimal versorgt wird. Schwangerschaft erfragen Um die Problematik zu erkennen, sollten alle Frauen im gebährfähigen Alter aktiv nach einer (möglichen) Schwan-

gerschaft gefragt werden. Das Prozedere im Schockraum wird v. a. von der Schwangerschaftswoche (SSW) beeinflusst. Meistens wird der Mutterpass mit allen relevanten Informationen mitgeführt. Sollte er nicht einsehbar sein, führt eher die Frage nach dem erwarteten Geburtstermin zu einer belastbaren Aussage hinsichtlich der SSW als die Frage nach der Dauer der Schwangerschaft.

Schwangerschaftstest Bei bewusstlosen Patientinnen sollte neben der unzuverlässigen Angehörigenbefragung ein qualitativer β-HCG-Test (HCG = humanes Choriongonadotropin) im (Katheter-)Urin durchgeführt werden. Die schnellen kommerziellen, kostengünstigen Teststreifen weisen in der Regel β-HCG-Werte ab 10 μU/ml nach. Sehr frühe Schwangerschaften, die dadurch nicht erkannt werden, verändern die Behandlung nur selten. Teil der notärztlichen Anamneseerhebung Die Schockraum- und innerklinische Versorgung ist in der Rettungskette zunächst als nachgeschaltetes Glied zu betrachten. Deshalb bleibt auf die Bedeutung der notärztlichen Anamneseerhebung hinzuweisen, die neben den Standardfragen (u. a. nach Allergie, Medikation, Vorerkrankungen, Vor-OP) bei Frauen im gebärfähigen Alter eben

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Tab. 2 Anmerkung: Vor der 5. Schwangerschaftswoche (SSW) ist eine Schwangerschaft nur selten bekannt. US = Ultraschall.

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Patientinnen in gebärfähigem Alter sollten so früh wie möglich nach einer vorliegenden Schwangerschaft gefragt werden.

Gefährdungsursachen Schädel-Hirn-Trauma und hämorrhagischer Schock sind die häufigsten Todesursachen bei polytraumatisierten Schwangeren – wie auch in der Normalbevölkerung [19]. Die Gefährdungsursachen können in folgende Bereiche unterteilt werden: Kreislaufinstabilität / Schock Über die Minderperfusion des Uterus kann eine nicht nur kurzzeitige Kreislaufinstabilität unmittelbar den Embryo respektive den Fetus gefährden. Studien bei Sectio caesarea ergaben, dass eine passagere Hypotension < 2 min den postpartalen Base Excess eines Neugeborenen nicht beeinflusst [20]. Erhöhung des Blutvolumens Lediglich als grobe Faustregel kann gelten, dass bei sonst normalen Blutdruckwerten während der Schwangerschaft (keine Präeklampsie) ein mittlerer arterieller Blutdruck von 80 mmHg und ein min. systolischer Blutdruck von mind. 90–100 mmHg anzustreben

ist [21]. Es gilt zu beachten, dass im 3. Trimester das Blutvolumen um bis zu 40–50 % erhöht ist. Dies führt dazu, dass alarmierende Zeichen wie Hypovolämie, Hypotension, Tachykardie und verzögerte kapillare Rückfüllungszeit ggf. erst bei einem Blutverlust > 1500–2000 ml auftreten. Die uterine Perfusion kann auf 30 % reduziert sein, bevor klinische Zeichen der maternalen Hypovolämie auftreten. Diese Gefahr nimmt mit der Schwangerschaftsdauer zu, da die durchschnittliche uterine Perfusion von 50 ml/min auf > 800 ml/min am Geburtstermin ansteigt und dementsprechend sich auch die minimal erforderliche Perfusion erhöht. Die Auswirkungen auf die Versorgung des Embryos / Fötus sind bei entsprechendem Ausmaß der Perfusionsminderung mittels Ultraschall (Dopplersonografie) und, sobald die extrauterine Lebensfähigkeit erreicht ist (etwa 23.–25. SSW respektive etwa 500 g Geburtsgewicht), per Kardiotokogramm (CTG) zu erkennen.

Vena-cava-Kompressionssyndrom Um zu verhindern, dass sich die Perfusion verschlechtert bzw. ein Vena-cava-Kompressionssyndrom entsteht, sollten Schwangere im letzten Trimenon routinemäßig in leichter Linksseitenlagerung untersucht werden – solange es die Gesamtsituation erlaubt. Dies gilt auch für Umlagerungs-

Tab. 3 Ab 24 + 0 SSW generell Maximalversorgung des Frühgeborenen, davor nach individueller Absprache mit der Patientin (wenn zeitlich möglich nach pädiatrischer Beratung). CTG = Kardiotokogramm; HbF = fetales Hämoglobin; i. m. = intramuskulär; RDS = Respiratory Distress Syndrome; SSW = Schwangerschaftswoche.

Gefährdung durch diagnostische und therapeutische Maßnahmen (23.–37. SSW) Gefährdung

Diagnostikempfehlung

Konsequenz

längerer Schock / direktes Trauma

▶ entsprechend den generellen Leitlinien, zusätzlich gynäkologischer US und ggf. gynäkologische Untersuchung sowie immer ab der 25. SSW – ggf. darunter – CTG ▶ Modifikation des radiologischen Untersuchungsprogramms (s. u.)

▶ bei nicht unmittelbar stabilisierbarem Schock und / oder akut pathologischem CTG Sectiobereitschaft bzw. Sectio (Gynäkologie und Neonatologie) ▶ Linksseitenlagerung zur Vermeidung eines Vena-cava-Kompressionssyndroms

fetomaternale Transfusion: akute Folge Volumenmangelanämie, im Verlauf Rhesussensibilisierung

▶ CTG / gynäkologischer US ggf. mit Dopplersonografie ▶ im Verlauf ggf. HbF im maternalen Blut

▶ Sectiobereitschaft bzw. Sectio ▶ Bereitstellen von Rhesus-negativNotfallkonserven für das Neugeborene ▶ im Verlauf Rhesusprophylaxe

vorzeitige (partielle) Plazentalösung: unmittelbar / verzögert (meist innerhalb von 24 h

▶ klinischer Hinweis: starker dauerhafter Schmerz, evtl. vaginale Blutung ▶ CTG / gynäkologischer US ggf. mit Dopplersonografie ▶ Observatio und US- / CTG-Kontrollen für mind. 24 h

▶ Sectio bei hohem Blutverlust, Schock, Verbrauchskoagulopathie oder nach der 34. SSW ▶ bei vaginaler Blutung / partieller Plazentalösung und kritischer Frühgeburtlichkeit ggf. Tokolyse und Abwarten unter intensiver Observatio

drohende Frühgeburt durch Verschlechterung des klinischen Zustands oder gravierende therapeutische Eingriffe

interdisziplinäre Einschätzung

▶ RDS-Prophylaxe bis zur 34. + 0 SSW (2 × 12 mg Betamethason i. m. im Abstand von 24 h, alternativ Dexamethason 4 × 6 mg i. m. im Abstand von 12 h) ▶ Sectiobereitschaft mit Gewährleistung der personellen und apparativen Voraussetzungen (CTG, Versorgungseinheit für Neonatologie, Medikation bereitstellen, u. a. Uterotonika)

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N auch die Frage nach einer möglichen Schwangerschaft einschließen sollte.

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N Tab. 4 MAC = minimale alveoläre Konzentration; NMH = niedermolekulares Heparin; NSAR = nicht steroidale Antirheumatika; SSW = Schwangerschaftswoche.

Notfallmedikamente in der Schwangerschaft Mittel der Wahl

kontraindiziert / kritisch

Analgetika (Nichtopioide) Paracetamol

Metamizol (Novalgin) NSAR ab der 26. SSW (Verschluss des Ductus arteriosus)

Analgetika (Opioide)

Antibiotika Zephalosporine, Ampicillin

Tetrazykline ab der 16. SSW

Hypnotika Propofol, Thiopental Inhalationsanästhetika

Cave: Nebenwirkung der Uterusrelaxation; daher bei verstärkter peripartaler Blutung ggf. auf i. v. Anästhesie wechseln bzw. Dosisbegrenzung (bis ~ 1 MAC)

Lokalanästhetika Ropivacain, Bupivacain, Lidocain

Prilocain in hoher Dosierung

Antikoagulation niedermolekulares Heparin (Fertigspritze), unfraktioniertes Heparin

NMH aus mit Konservierungsmittel versetzten Multidose-Präparaten

Anxiolytika kurzzeitig ist eine Benzodiazepingabe (z. B. Midazolam) nicht mit einer Gefahr für das Kind verbunden

Dauertherapie mit Benzodiazepinen im 3. Trimenon und präpartal

Muskelrelaxation unbedenklich sind bei fehlenden Kontraindikationen mütterlicherseits Succinylcholin und auch die nicht depolarisierenden Muskelrelaxanzien, z. B. Rocuronium manöver, bei denen vermieden werden sollte, die Patientin über die rechte Körperhälfte zu drehen.

Im 3. Trimester treten die klassischen Warnzeichen der Hypovolämie wegen des physiologisch deutlich erhöhten Blutvolumens erst bei sehr hohem Blutverlust auf.

Unmittelbare Verletzung von Uterus, Plazenta und Embryo/Fetus Direkte Verletzungen des Embryos / Fötus sind aufgrund des hervorragenden Schutzes durch Uteruswand, Fruchtwasser und ggf. Plazenta abhängig von Plazentalage und Trauma eine Rarität. Am häufigsten treten sie bei Beckenfrakturen auf. Eine ebenfalls seltene Uterusruptur (0,6 % der Polytraumata) muss aufgrund der dramatischen Folgen mit nahezu 100 %

Mortalität des Fetus und ca. 10 % Mortalität der Mutter möglichst früh erkannt werden [22]. Eine unterschätzte Traumafolge sind jedoch akut oder im Verlauf auftretende Plazentalösungen nach stumpfem Trauma. Starker dauerhafter Unterbauchschmerz und / oder vaginale Blutung können darauf hinweisen. Traumatisch bedingte Beschwerden, Bewusstlosigkeit und eine häufig fehlende vaginale Blutung erschweren es, eine Plazentaablösung zu erkennen.

Diagnostik im Schockraum Idealerweise wird eine rasche abdominale Sonografie (durch einen Gynäkologen / Geburtshelfer) in Erweiterung des „Focused Assessement for Sonography in Trauma“ (FAST) durchgeführt. Hierbei wird zunächst das fetale Herz eingestellt. Fehlt eine Herzaktion primär, ist das keine Indikation zur Notsectio, da der

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als unbedenklich, besonders bei analgetischen Einmalgaben, gelten die reinen μ-Opioidagonisten, z. B. Fentanyl, Piritramid, Sufentanil Cave: Hinweis an Neonatologen, besonders unmittelbar vor Entbindung

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ßerung besteht grundsätzlich die Gefahr eines Vena-cava-Kompressionssyndroms mit reduziertem venösen Rückfluss. Um das zu vermeiden, sollte eine 30 °-Linksseitenlagerung oder alternativ eine manuelle Uterusverlagerung nach links erfolgen. Defibrilliert wird genauso wie bei Nichtschwangeren. Cave: Vorher müssen externe oder interne CTG-Sensoren entfernt werden [25].

Weiteres Vorgehen Anschließend folgt eine Feststellung / Bestätigung der SSW und Untersuchung auf fetale oder uterine Verletzung und Hinweise einer Plazentaablösung sowie der Fruchtwassermenge. Eine orientierende vaginale Untersuchung dient dazu, eine vaginale Blutung oder Fruchtwasserabgang zu erkennen. Bei sehr früher Schwangerschaftswoche (bis etwa zur 10. SSW) oder vermehrten Kontraktionen erfolgt ergänzend eine vaginale Sonografie. Ab der extrauterinen Lebensfähigkeit ist bei intakter Schwangerschaft frühzeitig eine Kardiotokografie (CTG) durchzuführen. Die nötige Dauer der CTG-Überwachung ist nicht pauschal zu bestimmen. Generell gilt jedoch, dass ein CTG erst ab 30 min zu beurteilen ist. Bei physiologischem CTG, normalen sonografischen Befunden und stabiler klinischer Situation > 4 h ist es meist ausreichend, die Patientin diskontinuierlich zu überwachen. Allerdings sollte bei stumpfem Abdominaltrauma eine (Intervall-)Überwachung für 24 h mit CTG und Ultraschall erfolgen, um Hinweise auf eine verzögerte Plazentaablösung zu erkennen.

Notfallmedikation Notfallmedikamente, die während der Schwangerschaft verabreicht werden können, zeigt q Tab. 4. Bei akuter Hypotonie sind Akrinor® (Cafedrin / Theodrenalin), Atropin, Adrenalin, Noradrenalin und Hydroxyethylstärke akzeptabel. Sollte es nach Medikamentenexposition mit an sich in der Akuttherapie schwangerer Patientinnen unbedenklichen Medikamenten zu einer Schnittentbindung kommen, sind die versorgenden Neonatologen zu informieren: Der über die Plazenta transferierte Anteil muss ggf. mit seiner Wirkung beim Kind (z. B. Opiode) antagonisiert werden.

Bei instabilen Schwangeren ist an Plazentalösung, Uterusruptur und Vena-cava-Kompressionssyndrom zu denken.

Welche Auswirkungen iatrogene Schädigungsmomente wie diagnostische oder therapeutische Maßnahmen haben, hängt stark davon ab, wie lebensbedrohlich diese sind und wie lange die Schwangerschaft schon anhält (q Tab. 2 und 3). Ab der 38. SSW (= keine Frühgeburtlichkeit) gilt: Bei kritischer oder zweifelhafter Prognose sollte eine Sectio unmittelbar oder so bald wie möglich stattfinden, da sich weder für die Schwangere noch den Fetus ein Vorteil ergibt, wenn die Schwangerschaft fortgeführt wird.

Sonderfall: kardiopulmonale Reanimation Die Indikation zur kardiopulmonalen Reanimation erfolgt wie bei Nichtschwangeren. Ab der Grenze zur extrauterinen Lebensfähigkeit (regelhaft ab 24 + 0 SSW) besteht die Indikation zur Notsectio, falls innerhalb von 4 min kein suffizienter Kreislauf hergestellt werden kann. Wenn es als sehr unwahrscheinlich erachtet wird, dass ein stabiler Kreislauf erreicht wird, kann die Indikation früher gestellt werden. Die Reanimationsmaßnahmen müssen während der Sectio aufrechterhalten werden. Bei deutlich sichtbarer Uterusvergrö-

Fazit Die Behandlung Schwerverletzter ist komplex und lässt nur wenig Spielraum für Verzögerungen oder gar Dissens. Um diese auf ein Minimum zu reduzieren sind – neben optimalen apparativen und strukturellen Voraussetzungen – auch eingespielte Schockraumteams notwendig, die nach festen, allen Teammitgliedern bekannten und auch von allen Teilnehmern konsentierten Algorithmen interdisziplinär zusammenarbeiten. Dies gilt besonders für Situationen, die im klinischen Alltag gerade nicht alltäglich sind und dementsprechend nicht routiniert ablaufen. Mögliche „Grenzsituationen“ zu kennen und sich inhaltlich mit ihnen bereits im Vorfeld zu beschäftigen, wird allen Beteiligten helfen, diese im Ernstfall auch besser zu managen. ◀

Kernaussagen ▶ Wer die Leitung des mulitprofessionellen und interdisziplinären Schockraumteams übernimmt, sollte klar geregelt sein. ▶ Das Risiko einer Verletzung oder Infektion im Schockraum lässt sich durch entsprechende Schutzmaßnahmen minimieren. ▶ Für die Behandlung von Patienten, die bestimmten Religionsgruppen wie z. B. den Zeugen Jehovas oder den Evangelischen Glaubensbrüdern angehören, sollten Algorithmen vorliegen, in denen die medizinischen und rechtlichen Behandlungsoptionen aufgeführt sind. ▶ Polytraumatisierte Kinder zeigen aufgrund ihrer besonderen Anatomie charakteristische Verletzungskombinationen. Sie sollten möglichst in einem primären Traumazentrum mit kinderchirurgischer Ausrichtung versorgt werden. ▶ Bei schwer verletzten Schwangeren sollte eine mögliche Plazentalösung und Uterusruptur sowie ein Vena-cava-Kompressionssyndrom berücksichtigt werden.

López CL, Meyer T, Heuer S et al. Innerklinisches Traumamanagement – Seltenes ist selten: Zeugen Jehovas, ... Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2014; 49: 544–552

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N Fetus keine realistische Chance hat, wiederbelebt zu werden. In einer Serie von 441 schwangeren Traumapatientinnen hat kein Fetus in dieser Situation überlebt [23]. Besteht jedoch eine fetale Bradykardie oder ein pathologisches CTG, kann dies zur unmittelbaren Indikation einer Sectio führen, sodass ein geburtshilfliches und neonatologisches Team unmittelbar verfügbar sein muss.

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Fachwissen

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Univ.-Prof. Dr. med. Thomas Meyer ist Leiter der Kinderchirurgie an der Klinik und Poliklinik für Allgemeinund Viszeralchirurgie und Gefäß- und Kinderchirurgie, Universitätsklinikum Würzburg.

Dr. med. Stefan Heuer ist Facharzt an der Universitätsfrauenklinik, Universitätsklinikum Würzburg.

Univ.-Prof. Dr. Peter Kranke, MBA, ist Oberarzt und Leiter der klinischen Forschung an der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie des Universitätsklinikums Würzburg. E-Mail: [email protected]

Dr. med. Florian Debus ist Assistenzarzt an der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH, Standort Marburg.

PD Dr. med. Thomas Wurmb leitet (kommissarisch) seit 2007 die Sektion Notfallmedizin an der Klinik und Poliklink für Anästhesiologie des Universitätsklinikums Würzburg. Er ist Facharzt für Anästhesiologie mit den Zusatzbezeichnungen Notfallmedizin und Spezielle Anästhesiologische Intensivmedizin. E-Mail: [email protected]

Prof. Dr. med. Christian A. Kühne ist Stellvertretender Direktor der Klinik für Unfall-, Hand und Wiederherstellungschirurgie am Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH, Standort Marburg, und Leiter der Geschäftsstelle AKUT (Arbeitskreis Umsetzung Weissbuch / TraumaNetzwerk DGU®) in Marburg. E-Mail: [email protected]

Interessenkonflikt Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.

Literatur online Das vollständige Literaturverzeichnis zu diesem Beitrag finden Sie im Internet: Abonnenten und Nichtabonnenten können unter „www.thieme-connect.de/ejournals“ die Seite der AINS aufrufen und beim jeweiligen Artikel auf „Zusatzmaterial“ klicken – hier ist die Literatur für alle frei zugänglich.

Beitrag online zu finden unter http://dx.doi. org/10.1055/s-0034-1390059

Literaturverzeichnis 1 Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie. S3 Leitlinie Polytrauma / Schwerverletzten-Behandlung. 2011. AWMFRegisternummer 012/019. http://www.awmf.org/ leitlinien/detail/ll/012-019.html; Stand: 06.08.2014 2 http://www.indexmundi.com; Stand: 06.08.2014 3 Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (OSHA-EU). Vermeidung von Verletzungen durch scharfe / spitze Instrumente am Arbeitsplatz. https://osha.europa.eu/de/sector/healthcare/preventionsharp-injuries-workplace; Stand: 06.08.2014 4 Rabaud C, Zanea A, Mur JM et al. Occupational exposure to blood: Search for a relation between personality and behaviour. Infect Control Hosp Epidemiol 2000; 21: 564–574 5 Himmelreich H, Rabenau HF, Rindermann M et al. Management von Nadelstichverletzungen. Dtsch Ärztebl Int 2013; 110: 61–67 6 Hofman F, Kralj N, Beie M. Kanülenstichverletzung im Gesundheitsdienst – Häufigkeit, Ursachen, Präventionsstrategien. Gesundheitswesen 2002; 64: 259–266 7 Kelen GD, Green GB, Purcell RH et al. Hepatitis B and hepatitis C in emergency department patients. N Engl J Med 1992; 326: 1399–1404 8 Deutsche AIDS-Gesellschaft. Deutsch-Österreichische Leitlinien zur antiretroviralen Therapie der HIV-Infektion. 2014. AWMF-Registernummer 055/001. http://www. daignet.de/site-content/hiv-therapie/leitlinien-1; Stand: 06.08.2014 9 Seamon MJ, Ginwalla R, Kulp H et al. HIV and hepatitis in an urban penetrating trauma population: unrecognized and untreated. J Trauma 2011; 71: 306–310 10 Schelling P, Lippstreu C. Der Glaube der Zeugen Jehovas und der ärztliche Heilauftrag. Mögliche Konflikte. Gynäkologe 2010; 43: 47–52 11 Ulsenheimer K. Ablehnung von Fremdblut durch Zeugen Jehovas. Perioperatives Management aus rechtlicher Sicht. Anaesthesist 2010; 59: 312–318 12 Dietz HG. Prinzipien der pädiatrischen Traumatologie. In: von Schweinitz D, Ure B, Hrsg. Kinderchirurgie. 2. Aufl. Berlin, Heidelberg: Springer; 2013: 169–182 13 Holland AJ, Jackson AM, Joseph AP. Pediatric trauma at an adult trauma centre. ANZ J Surg 2005; 5: 878–881 14 Osler TM, Vane DW, Tepas JJ et al. Do pediatric trauma centers have better survival rates than adult trauma centers? An examination of the National Pediatric Trauma Registry. J Trauma 2001; 50: 96–101 15 Jakob H, Wyen H, Marzi I. Polytrauma im Kindesalter: Management-, Diagnostik- und Therapiestrategien. Trauma Berufskrankh 2013; 15 (Suppl. 1): S67–S74 16 Jakob H, Brand J, Marzi I. Das Polytrauma im Kindesalter. Unfallchirurg 2009; 112: 951–958 17 Kanz KG, Korner M, Linsenmaier U et al. Prioritätenorientiertes Schockraummanagement unter Integration des Mehrschicht-Spiral-Computertomographen. Unfallchirurg 2004; 107: 937–944 18 Strohm PC, Uhl M, Hauschild O et al. Welchen Stellenwert hat das Ganzkörper Spiral-CT in der Primärdiagnostik polytraumatisierter Kinder? Z Orthop Unfall 2008; 146: 38–43 19 Connolly AM, Katz VL, Bash KL et al. Trauma and pregnancy. Am J Perinatol 1997;14: 331–336 20 Corke BC, Datta S, Ostheimer GW et al. Spinal anaesthesia for caesarean section. The influence of hypotension on neonatal outcome. Anaesthesia 1982; 37: 658–662 21 Karinen J, Räsänen J, Paavilainen T et al. Uteroplacental and fetal haemodynamics and cardiac function of the fetus and newborn after crystalloid and colloid preloading for extradural caesarean section anaesthesia. Br J Anaesth 1994; 73: 751–757

VNR: 2760512014144214821

López CL, Meyer T, Heuer S et al. Innerklinisches Traumamanagement – Seltenes ist selten: Zeugen Jehovas, ... Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2014; 49: 544–552

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Dr. med. Caroline L. López ist Assistenzärztin an der Klinik für Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie, Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH, Standort Marburg. E-Mail: [email protected]

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Fachwissen: Topthema

CME-Fragen

Seltenes ist selten

Welche Aussage trifft zu?

Welche Aussage ist richtig?

1 HIV-Infektionen … A B C

sind in Deutschland häufiger als in Frankreich. gefährden das ärztliche Personal nicht. lassen sich vermeiden, indem das medizinische Personal geimpft wird. können durch einen Schnelltest erkannt werden. können sicher durch eine Postexpositionsprophylaxe verhindert werden.

D E

7 Direkte Verletzungen des Embryos / Fötus … A B C D E

Welche Aussage trifft zu?

8 Die Diagnostik / Behandlung im Schockraum sieht bei

Welche Aussage ist richtig?

2 Die Postexpositionsprophylaxe bei Kontamination mit HIV-infiziertem Blut … A B C D

wird bei Werten ≥ 100 IE/l empfohlen. ist nicht möglich. sollte idealerweise innerhalb von 2 h erfolgen. wird ausreichend mit der Kombination aus Tenofovir und Emtricitabin durchgeführt. sollte nicht in der Schwangerschaft erfolgen.

E

Welche Aussage trifft zu?

3 Bei Zeugen Jehovas … A B C D

entscheidet in der Notfallsituation immer der Arzt. entscheidet in der Notfallsituation immer der Betreuer. entscheiden in der Notfallsituation immer die Eltern. muss der Arzt in der Notsituation immer die Behandlung übernehmen. ist eine maschinelle Autotransfusion immer möglich.

E

4 A B C D E

Welche Aussage trifft zu? Schwer verletzte Kinder … werden immer in einer kinderchirurgischen Abteilung behandelt. müssen ab einem Injury Severity Score (ISS) von 16 Punkten in ein Traumazentrum gebracht werden. werden erst ab dem 8. Lebensjahr anhand der Pediatric Trauma Scale beurteilt. sollten im Schockraum individuell nach ihrem Verletzungsmuster behandelt werden. sollten idealerweise in einem Traumazentrum von einem Pädiater oder Kinderchirurgen mitbehandelt werden.

kommen in ca. 15–20 % polytraumatisierter Patientinnen vor. sind am häufigsten bei schweren Bauchtraumata. sind selten. haben eine 60 %-ige Letalität. sind stets mit Plazentaverletzung kombiniert.

schwangeren Patientinnen … A B C D E

keine Notsectio bei fetaler Bradykardie vor. keine Notsectio bei pathologischem Kardiotokogramm (CTG) vor. eine Notsectio bei fehlender Herzaktion vor. bis etwa zur 10. SSW eine vaginale Sonografie als ergänzende Diagnostik vor. ein CTG von mind. 15 min Dauer vor.

Welches Medikament kann in der gesamten

9 Schwangerschaft eingesetzt werden? A B C D E

Tetrazyklin Metamizol Paracetamol nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) alle oben genannten Medikamente

Welche Aussage ist richtig?

10 Im Schockraum bzw. der Notaufnahme sollten … A B C D E

nur die Teamleader einen entsprechenden Impfschutz aufweisen. nach Möglichkeit Handschuhe getragen werden. klare Anweisungen zur Postexpositionsprophylaxe vorliegen. immer HIV-Schnelltests durchgeführt werden. immer Schwangerschaftstests durchgeführt werden.

Welche Aussage ist richtig?

5 Schwangere Patientinnen … A B C D E

werden im Schockraum unabhängig von der Schwangerschaftswoche (SSW) behandelt. dürfen im Schockraum nicht geröntgt werden. dürfen nur mit Sonografie und MRT diagnostiziert werden. können im Schnelltest ab einem HCG-Wert (HCG = humanes Choriongonadotropin) ab 10 μU/ml erkannt werden. versterben am häufigsten an abdominellen Blutungen.

Welche Aussage trifft zu?

6 Bei schwangeren Patientinnen … A B C D E

sollte ein min. systolischer Blutdruck von mind. 120 mmHg angestrebt werden. ist im 3. Trimester das Blutvolumen um bis zu 140–150 % erhöht. kann die uterine Perfusion auf 30 % reduziert sein, bevor klinische Zeichen der maternalen Hypovolämie auftreten. sollte möglichst eine Rechtsseitenlage bevorzugt werden. kann ab der 20. SSW eine Sectio durchgeführt werden.

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CME-Fragen – Seltenes ist selten. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2014; 49: 554

CME.thieme.de CME-Teilnahme ▶ Viel Erfolg bei Ihrer CME-Teilnahme unter http://cme.thieme.de. ▶ Diese Fortbildungseinheit ist 12 Monate online für eine CME-Teilnahme verfügbar. ▶ Sollten Sie Fragen zur Online-Teilnahme haben, unter http://cme.thieme.de/hilfe finden Sie eine ausführliche Anleitung.

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[In-hospital trauma management - beyond routine in trauma resuscitation].

Trauma resuscitation in children, pregnant women, Jehovah's witnesses or in patients with infectious diseases like HIV is obviously beyond routine. Th...
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