Leitthema Bundesgesundheitsbl 2015 · 58:54–60 DOI 10.1007/s00103-014-2086-1 Online publiziert: 25. November 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

S. Kluge1 · H. Bause2 1Klinik für Intensivmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg, Deutschland 2 Abteilung Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin, Schmerztherapie,

Asklepios Klinik Altona, Hamburg, Deutschland

Mehr Patientensicherheit durch freiwilliges intensivmedizinisches „Peer Review“ Die Intensivstation gehört zu den Bereichen mit der höchsten Prozess- und Kommunikationsdichte im Krankenhaus. Hier werden schwer kranke Patienten in komplexen Situationen durch multiprofessionelle Teams mithilfe von hochtechnologischen Verfahren betreut. Dabei ist die Genesung bzw. das Überleben von einer Vielzahl von Faktoren abhängig. Es ist nachvollziehbar, dass Fehler in diesem vulnerablen Bereich von erheblicher Bedeutung und Tragweite sein können. Publikationen der letzten Jahre berichten über Fehler in verschiedenen Bereichen der Intensivmedizin [1–3]. Daher muss es als wesentliches Paradigma der Intensivmedizin angesehen werden, die maximale Sicherheit für einen Patienten zu gewährleisten [4]. Aus diesen Gründen ist ein funktionierendes Qualitäts- und Risikomanagement ein wichtiger Bestandteil bei der Behandlung von schwerstkranken Patienten in Hochrisikobereichen wie der Intensivmedizin [5]. Wesentliche nationale Systeme zum Qualitätsmanagement und zur Qualitätssicherung in der Intensivmedizin sind die 10 Qualitätsindikatoren der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) [6] sowie der externe Qualitätsvergleich mit dem Kerndatensatz Intensivmedizin [7]. Zudem haben in den vergangenen Jahren zahlreiche Kliniken und Unternehmen ein Critical Incident Reporting System (CIRS ) aufgebaut; es ist aber noch unklar, welche wirksamen Verbesserungen in Bezug auf die Patientensicherheit hierdurch erreicht werden können und wie der Lerneffekt aus den Berichten ist.

Peer-Review-Verfahren Ein Verfahren zur Förderung von Qualität und Sicherheit der Patientenversorgung auf Intensivstationen, das in den letzten Jahren immer mehr Verbreitung findet, ist das freiwillige intensivmedizinische Peer Review. Gemeinsam mit Intensivmedizinern der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) und des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten (BDA) haben die Landesärztekammern und die Bundesärztekammer (BÄK) ein solches Peer-Review-Verfahren als Instrument zur Verbesserung der medizinisch-pflegerischen Behandlungsqualität entwickelt [8]. Dem Verfahren liegen Bewertungsalgorithmen zugrunde, die sich an evidenzbasierten Erkenntnissen orientieren [9]. Von der Bundesärztekammer wurde diesbezüglich das Curriculum „Ärztliches Peer Review“ verabschiedet (www.bundesaerztekammer.de/downloads/CurrAerztlPeer Review2013.pdf) sowie der Leitfaden „Ärztliches Peer Review“ herausgegeben (www.bundesaerztekammer.de/ downloads/Leitfaden_Aerztliches-PeerReview_2014.pdf). Auf beide Publikationen wird sich im weiteren Artikel immer wieder bezogen werden. Laut BÄK zielen Peer-Review-Verfahren in der Medizin darauf ab, eine Einrichtung dabei zu unterstützen, die Qualität und Sicherheit ihrer medizinischen Patientenversorgung differenziert zu ermitteln, systematisch zu bewerten und kontinuierlich und nachhaltig zu verbessern.

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Patientensicherheit in der Intensivmedizin Über die speziellen Aspekte und Probleme der Patientensicherheit in einem hochkomplexen Umfeld wie der Intensivmedizin berichtet unter anderem auch Andreas Valentin in seiner Arbeit: „Patientensicherheit in der Intensivmedizin“, auf die hier detailliert eingegangen wird und deren Thesen dargestellt werden [4]. Der Terminus „Patientensicherheit“ wird vom Aktionsbündnis Patientensicherheit definiert als „Abwesenheit unerwünschter Ereignisse“ (www.aktionsbuendnispatientensicherheit.de/). Zweifellos bedeutet die alleinige Abwesenheit von Schadensereignissen jedoch nicht, dass ein System sicher ist. In Gesundheitssystemen führen viele und wahrscheinlich sogar die Mehrzahl der Fehler nicht zu einem unmittelbaren Schaden, weisen aber trotzdem auf unsichere Abläufe und Schwachpunkte in Prozessen hin. Eine sehr gebräuchliche Definition beschreibt deshalb einen Fehler als eine Handlung oder ein Unterlassen, bei dem eine Abweichung vom Plan, ein falscher Plan oder kein Plan vorliegt (www.aktionsbuendnispatientensicherheit.de/). In der Intensivmedizin stellt das Ausmaß an erbrachten Therapien und Interventionen (durch Anzahl und Komplexität) einen Risikofaktor dar, der gewissermaßen die Chance, einen Fehler zu machen, erhöht. Häufig sind als wesentliche Komponenten Systemfaktoren und sogenannte „human factors“ (Definition: „[…] alle physischen, psychischen und sozialen Charakteristika des Menschen, insofern sie das Handeln in und mit soziotechni-

schen Systemen beeinflussen oder von diesen beeinflusst werden“ [10]) anzutreffen, die sich gegenseitig bedingend, eine Eskalation des Schadenspotenzials verursachen können. Systemfehler repräsentieren die zugrunde liegende Ursache eines Fehlers, während, besonders im Gesundheitswesen, die handelnden Personen am Ende eines Prozesses agieren. Daher muss eine Fehleranalyse sowohl die Systemkomponenten und -bedingungen als auch immer den Faktor Mensch, mit all seinen Limitationen, berücksichtigen [4]. Systemfehler können einfache organisatorische Belange betreffen wie die Sicherstellung der korrekten Wartung von medizinischen Geräten bis hin zu komplexen Aspekten der Ergonomie oder der Kultur einer Organisation. Nachfolgend werden deshalb einige wesentliche Faktoren für das Entstehen von Fehlern in intensivmedizinischen Bereichen beschrieben [4]. Diese Faktoren können dann im Peer Review unter Berücksichtigung der Vorschläge von Valentin evaluiert werden. Hierzu zählen beispielhaft:

Arbeitsbelastung und Personalausstattung Die medizinische Versorgung von schwer kranken Patienten setzt einen ausreichenden Einsatz von hochqualifiziertem Personal voraus. In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass sowohl nicht ausreichendes und nicht ausreichend qualifiziertes Intensivpflegepersonal als auch ein Mangel an ausreichend qualifizierten Intensivmedizinern im Tages- und Nachtdienst ein verschlechtertes Behandlungsergebnis nach sich zieht [11–13]. Übermäßige Arbeitszeiten (Schichten) und Ermüdung können die Leistung von Ärzten und Pflegepersonal verschlechtern [12, 14]. Es kann deshalb kein Zweifel daran bestehen, dass sich die Arbeitszeiten in Deutschland nach dem Arbeitszeitgesetz richten müssen und eine adäquate Personalausstattung vorhanden sein muss. Hierzu liegen von Iber und der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und lntensivmedizin (DGAI) aktuelle Personalberechnungsmodelle vor [15]. Zusätzlich hat auch die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Not-

fallmedizin (DIVI) konkrete Empfehlungen zur Personalausstattung von Intensivstationen abgegeben [16]. In einer Studie von Valentin et al. zu Fehlern bei der Verabreichung von parenteraler Medikation wurden Arbeitsbelastung, Stress und Übermüdung bei 32 % aller Ereignisse als Faktoren angegeben [1]. Im Rahmen des Peer-Review-Verfahrens werden vielfältige Aspekte zu den Themen Personalorganisation und Personalbesetzung (Pflegeschlüssel, Arztpräsenz, Qualifikation) auf der Intensivstation evaluiert.

Medikationsfehler Kritisch kranke Patienten mit ihren häufigen Organinsuffizienzen und ihrem veränderten Metabolismus im komplexen Umfeld der Intensivmedizin sind besonders anfällig für Medikationsfehler und Medikamenteninteraktionen. Damit assoziiert sind verlängerte Behandlungsdauern, gesteigerte Behandlungskosten und ein erhöhtes Mortalitätsrisiko. In der Sentinel-Events-Evaluation-II(SEE2)-Studie (113 Intensivstationen aus 27 Ländern) wurde deutlich, dass 74,5 Fehler pro 100 Patiententagen bei parenteraler Medikation auftraten [1]. Daher werden im Rahmen des Peer Reviews auf der Intensivstation mehrere im Hinblick auf die Medikamentengabe relevante Punkte überprüft. Dies betrifft unter anderem Bestandslisten, Haltbarkeitskontrollen, Kennzeichnungen, die Chargendokumentation sowie die adäquate Lagerung von Medikamenten.

Diskontinuität medizinischer Prozesse Fehler und Diskontinuitäten in der Kommunikation und Beobachtung der Patienten und bei Mitarbeitern können die Behandlung verzögern. Täglich wechselnde Schichten und kurz anwesende Oberärzte mit wechselnden Schichtzeiten, das heißt häufiger Personalwechsel, bergen ein Risiko für die Kommunikation [17]. Auch kann der Stationswechsel bei der Verlegung von der Intensivstation z. B. auf die Intermediate Care Station (IMC) eine Risikosituation darstellen. Verlegungen von der Intensivstation auf die Normalstation

außerhalb der Regelzeit gehen mit einem erhöhten Mortalitätsrisiko einher [18].

Verwendung von Checklisten/ Standards und Standard Operating Procedures (SOPs) Viele Abläufe in der Intensivmedizin sind trotz des häufigen Auftretens akuter Notfallsituationen für eine Standardisierung hervorragend geeignet. Auch Prozesse, die durch Standards gesteuert werden haben sich als effektiv in der Patientenversorgung erwiesen. Die Verbesserung der Normung mit Barcodes und farbigen standardisierten Etiketten insbesondere bei Perfusorspritzen, wie sie von der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) und der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) empfohlen wird, erhöht den Sicherheitsstandard ebenfalls. Ein weiteres Beispiel ist die deutliche Reduzierung von Infektionen durch eine Standardisierung beim Management von zentralvenösen Kathetern [19].

Moderne Informationstechnologien IT-Systeme wie Patientendatenmanagement (PDMS)-Systeme können eine qualitativ hochwertige Dokumentation gewährleisten und zur Fehlervermeidung beitragen. Beispielsweise können „Order-Entry-Systeme“ im Bereich der Pharmakotherapie Risiken bei Dosierungen abschwächen [4, 20]. Sie sind wichtige Komponenten einer vielseitigen Strategie zur Verbesserung der Patientensicherheit.

Sicherheitskultur Wichtige Aspekte einer reifen Sicherheitskultur sind: Teamarbeit, auf Vertrauen basierende, offene Kommunikation, nicht strafendes Vorgehen bei Fehlerberichten und Fehleranalysen, Engagement der Führungskräfte für Patientensicherheit, organisationales Lernen und geteilte Überzeugung zur Wichtigkeit von Sicher­ heit. Dass wertschätzender Umgang bei der interprofessionellen Arbeit nicht nur die Arbeitsatmosphäre, sondern auch die Sicherheit der Patienten verbessert, ge-

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Zusammenfassung · Abstract hört heute zu den Selbstverständlichkeiten einer modernen Führungskultur [21].

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Die klinische Visite

S. Kluge · H. Bause

Die tägliche multiprofessionelle klinische Visite mit der Dokumentation von Tageszielen nimmt in den Abläufen einer Intensivstation eine zentrale Rolle ein. Dieser Qualitätsindikator wird im Rahmen des Peer-Review-Verfahrens evaluiert. Seine Bedeutung bezieht sich auf unterschiedliche Bereiche wie die Problemanalyse beim Patienten und die Therapiefestlegung, aber auch auf die Aus- und Fortbildung der Mitarbeiter, die Kommunikation und Aufgabenverteilung zwischen den Mitarbeitern im Team und auf die Kommunikation mit dem Patienten. Eine zentrale Rolle beim Qualitätsmanagement auf der Intensivstation nimmt insbesondere die sogenannte Übergabevisite ein [22]. Hier sollte sich der leitende Arzt bewusst sein, dass er mit seinem Kommunikationsstil den Ablauf und die Interaktionen bei der Visite prägt.

Was ist nun Peer Review in der Intensivmedizin? Ein Ärztliches Peer Review wird von der Bundesärztekammer folgendermaßen definiert: „Ärztliches Peer Review ist definiert als kritische (Selbst-)Reflexion des ärztlichen Handelns im Dialog mit Fachkollegen – unter Verwendung eines strukturierten Verfahrens mit dem Ziel einer kontinuierlichen Verbesserung der Qualität und Sicherheit der Patientenversorgung.“ Ein Peer-Review-Verfahren wird von einer Gruppe externer ExpertInnen (Ärzten und Pflegekräften), sogenannten Peers, durchgeführt, die eingeladen werden, die Qualität der medizinischen Leistung der Intensivstation zu beurteilen. Peers sind zwar externe Personen, arbeiten aber im gleichen Umfeld und verfügen über eine fachspezifische Expertise und über Kenntnisse im zu evaluierenden Bereich. Sie sind unabhängig und den Personen, die besucht werden sowohl von der Fachlichkeit als auch der Berufserfahrung „gleichgestellt“. Der Erfolg des Peer Reviews hängt entscheidend von der Fach- und Führungskompetenz der Peers ab. Idealerweise deckt ein Peer vor dem

Mehr Patientensicherheit durch freiwilliges intensivmedizinisches „Peer Review“ Zusammenfassung Die Intensivstation gehört im Krankenhaus zu den Bereichen mit der höchsten Prozessund Kommunikationsdichte. Fehler können hier von besonderer Bedeutung und Tragweite sein. Daher ist in diesem Hochrisikobereich ein funktionierendes Qualitäts- und Risikomanagement ein wichtiger Bestandteil der Behandlung von schwerstkranken Patienten. Ein Verfahren zur Förderung von Qualität und Sicherheit in der Patientenversorgung auf Intensivstationen, das in den letzten Jahren immer mehr Verbreitung findet, ist das freiwillige intensivmedizinische Peer Review. Darunter versteht man einen Besuch unter Kollegen, bei dem auf der Intensivstation freiwillig und strukturiert Fragen zur Struktur-, Prozessund Ergebnisqualität erörtert werden. Gemeinsam mit verschiedenen Fachgesellschaf-

ten haben die Landesärztekammern und die Bundesärztekammer ein solches Peer-Review-Verfahren als Instrument zur Verbesserung der medizinisch-pflegerischen Behandlungsqualität entwickelt und standardisiert. Es geht dabei allen Beteiligten um die nachhaltige Qualitätsverbesserung in der Intensivmedizin. Das Verfahren kann die Motivation aller beteiligten Professionen erhöhen. Dies steigert die Nachhaltigkeit der angestrebten Veränderungen und bahnt den Weg zu einer gelebten Qualitäts- und Sicherheitskultur. Schlüsselwörter Intensivmedizin · Qualitätsmanagement · Peer Review · Evidenzbasierte Medizin · Effektivität

Improving patient safety through voluntary peer review Abstract The intensive care unit (ICU) is one area of the hospital in which processes and communication are of primary importance. Errors in intensive care units can lead to serious adverse events with significant consequences for patients. Therefore quality and risk-management are important measures when treating critically ill patients. A pragmatic approach to support quality and safety in intensive care is peer review. This approach has gained significant acceptance over the past years. It consists of mutual visits by colleagues who conduct standardised peer reviews. These reviews focus on the systematic evaluation of the quality of an ICU’s structure, its processes and outcome. Together with different associations, the State Chambers of Physicians and

Hintergrund seiner Expertise und seiner Erfahrung im Umgang mit Führungsverantwortung spezifische Verbesserungspotenziale auf. Dabei hat er hohe soziale und kommunikative Kompetenzen, insbesondere stellt er ein vertrauensvolles Arbeitsklima her und gibt ein konstruktives Feedback. Eine Schulung zum Peer ist nach dem Curriculum der Bundesärztekammer durch die Landesärztekammern möglich. Es wird für die Tätigkeit als Peer vorausgesetzt.

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the German Medical Association have developed peer review as a standardized tool for quality improvement. The common goal of all stakeholders is the continuous and sustainable improvement in intensive care with peer reviews significantly increasing and improving communication between professions and disciplines. Peer reviews secure the sustainability of planned change processes and consequently lead the way to an improved culture of quality and safety. Keywords Intensive care medicine · Quality management · Peer review · Evidence based medicine

Ziele des Peer-Review-Prozesses Was kann und soll das Peer Review in der Intensivmedizin leisten [7, 23]? Intensivstationen profitieren von dem Peer-Review-Verfahren, in dem sie: 55ein kritisches, aber freundlich gesinntes Feedback zur Qualität ihrer medizinischen Leistung von FachkollegInnen erhalten, 55eine externe Perspektive kennen lernen,

Abb. 1 8 Beispielhafter Auszug aus dem von der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin konsentierten (DIVI-konsentierten) Fragenkatalog (www.divi.de/qualitaetssicherung/peer-review)

55sich der Qualität ihrer Leistung vergewissern,

55die Stärken ihrer medizinischen Leistung und gute Praxisbeispiele aufzeigen,

55auf blinde Flecken und Schwachstellen aufmerksam gemacht werden,

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Leitthema Qualitätsindikatoren Intensivmedizin Hauptindikatoren I–X

Nummer I

Tägliche multiprofessionelle, klinische Visite mit Dokumentation von Tageszielen

II

Monitoring von Sedierung, Analgesie und Delir

III

Lungenprotektive Beatmung

IV

Weaning und andere Maßnahmen zur Vermeidung von ventilatorassoziierten Pneumonien

V

Frühzeitige und adäquate Antibiotikatherapie

VI

Therapeutische Hypothermie nach Herzstillstand

VII

Frühe enterale Ernährung

VIII

Dokumentation von strukturierten Angehörigengesprächen

IX

Händedesinfektionsmittelverbrauch (BQS Indikator 2010)

X

Leitung der Intensivstation durch einen Facharzt mit Zusatzbezeichnung Intensivmedizin, der keine anderen klinischen Aufgaben hat, Präsenz eines Facharztes mit Zusatzbezeichnung Intensivmedizin in der Kernarbeitszeit und Gewährleistung der Präsenz von intensivmedizinisch erfahrenem ärztlichem und pflegerischem Personal über 24 h

Tägliche Visite Mo o Monitoring AS, Delir

Leitung der Intensivstation

Doku. strukturiertes Angehörigengespräch

Lungenprotektive Beatmung

Frühe enterale Ernährung

Weaning, VAP-Bundle

Therapeutische utische Hypothermie mie nach Reanimation

Antibiotikatherapie Antibiotikat

Abb. 3 8 Beispielhafte Darstellung der Ergebnisse nach dem Peer Review auf einer Intensivstation als Netzdiagramm AS: Analgosedierung (medikamentöse Schmerzausschaltung [Analgesie] bei gleichzeitiger Beruhigung [Sedierung]. Weaning: Beatmungsentwöhnung. VAP-Bundle: Maßnahmen zur Vermeidung von ventilatorassoziierten Pneumonien

Aktivitäten

Was soll getan werden?

Priorität

Zeitrahmen

Verantwortliche Person

Wie dringend?

Bis wann?

Von wem?

Ressourcen

Was brauchen wir?

Abb. 4 8 Maßnahmenplan nach erfolgtem Peer Review

55Ratschläge und gute „Tipps“ von Peers erhalten, 55sich mit den Peers einem gemeinsamen Lernprozess unterziehen,

55Netzwerke und Kooperationen mit anderen Intensivstationen aufbauen sowie 55einen externen Evaluierungsbericht zur Qualität ihrer Leistung (SWOT-

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Abb. 2 9 Qualitätsindikatoren der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) aus [6]

Analyse) zu einem „vergleichsweise günstigen Preis“ erhalten. 55Durch die Weitergabe von „best practice“ an interessierte Intensivstationen lassen sich alltägliche Probleme in der Intensivmedizin einer fundierten Lösung zuführen.

Ablauf des Peer Review Das Peer Review beginnt mit der Vorbereitungsphase. In dieser Phase wird es organisiert und der Selbstbericht (Self-Assessement) wird von den verantwortlichen Ärzten und Fachpflegekräften der besuchten Intensivstation anhand eines standardisierten Fragebogens vorbereitet. . Abb. 1 enthält einen Ausschnitt aus dem Fragebogen, der die zu besprechenden Themen umreißt. Hauptthemen sind: 55Grundlagen und Organisation der Intensivstation (u. a. SOPs, Standards, Verantwortlichkeiten, Geräte, Medikamente, Blutprodukte, Hygiene, Mikrobiologie, Ethik, Hirntod, Transplantation, Dokumentation) 55Mitarbeiter (u. a. Personalmanagement, Besetzung, Ansprechpartner, Teamentwicklung, Ausbildung, Fehlerkultur) 55Patient/Angehörige (u. a. Visiten, Patientensicherheit, Aufklärung, Freiheitsentzug, Scoring, Besucherregelungen, Mobilisation) 55Qualitätsindikatoren (. Abb. 2) [6]

Tab. 1  SWOT-Analyse: Analyse derStärken (Strengths), Schwächen (Weaknesses), Chancen

(Opportunities) und Gefahren (Threats) Positive Eigenschaften Strengths (Stärken) Was läuft gut? Was sind die Stärken? Was gibt uns Energie? Wo stehen wir monentan? Opportunities (Chancen) Was sind unsere Zukunftschancen? Was können wir ausbauen? Welche Verbesserungsmöglichkeiten haben wir?

Negative Eigenschaften Weakness (Schwächen) Was ist schwierig? Wo liegen unsere Hemmnisse? Welche Störungen behindern uns? Was fehlt uns? Threats (Risiken) Wo lauern Gefahren? Was kommt an Schwierigkeiten auf uns zu? Was sind mögliche Risiken?

55Controlling/Reporting/Berichtswesen (u. a. Resistenzstatistik, Kerndatensatz, Wiederaufnahmerate, Pflegeaufwand, Mortalität, CIRS, Zufrieden‑ heit von Mitarbeitern, Angehörigen und Patienten) Es wird ein Zeitplan für das Review erstellt und es werden Vereinbarungen für den Peer-Besuch getroffen. Dann erfolgt der Vor-Ort-Besuch des Peer-ReviewTeams, der sich im Prinzip in drei Teile untergliedern lässt: 1. Zu Beginn arbeiten die Peers gemeinsam mit den verantwortlichen Ärzten und Pflegekräften den Fragebogen durch, der zuvor Grundlage der Selbstbewertung war. 2. Nachfolgend besuchen die Peers die Intensivstation und evaluieren, inwieweit die vorher besprochenen Prozesse im Alltag umgesetzt werden. Diese Evaluierung beinhaltet einen Rundgang über die Station und Interviews mit betroffenen und beteiligten Personengruppen. Zudem werden die Qualitätsindikatoren bettseitig in systematischer Form gemeinsam durchgesprochen. Die Reviewer lassen sich hierbei von den Ärzten und Pflegekräften bettseitig erläutern, wie die Prozesse konkret umgesetzt und dokumentiert werden. 3. Im Abschlussgespräch gibt das PeerReview-Team ein Feedback in der SWOT-Systematik: Dieses betrifft die Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken der Station (. Tab. 1). Auf diese Weise werden Strukturdefizite und Potenzial bei den Qualitätsindikatoren aufgezeigt (Beispiel siehe

Kurzfristige Aspekte

langfristige Aspekte

. Abb. 3). Gemeinsam werden offe-

ne Fragen erörtert und die Ergebnisse und Empfehlungen des Peer-ReviewVerfahrens in konkrete Qualitätsziele übersetzt, es werden Verbesserungen geplant und durchgeführt (Maßnahmenplan siehe . Abb. 4).

ierlichen Verbesserung der Qualität und Sicherheit in der Patientenversorgung. Es fördert den Erfahrungsaustausch zwischen Intensivstationen und das professionelle Verständnis von Qualität. Das Peer Review soll dazu beitragen, evidentes Wissen schneller in den Behandlungsprozess zu bringen, um die (medizinische) Ergebnisqualität zu verbessern. Daraus resultieren eine hohe Zufriedenheit bei den Teilnehmern sowie ein Lerneffekt für beide Seiten. Der Erfahrungsaustausch leistet einen aktiven Beitrag für mehr Qualität und Patientensicherheit.

Korrespondenzadresse Prof. Dr. S. Kluge Klinik für Intensivmedizin Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Martinistraße 52, 20246 Hamburg [email protected]

Das Ergebnis der Peer-Review-Besuche wird in einem Abschlussbericht festgehalten. Wichtig ist, dass alle Ergebnisse vertraulich behandelt werden.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Auswirkungen des Peer Review

Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

Bislang steht zwar ein definitiver wissenschaftlicher Beleg noch aus, dass die Patientensicherheit durch intensivmedizinische Peer Reviews verbessert werden kann. Es gibt aber erste Hinweise darauf, dass Peer-Review-Verfahren Verbes-serungspotenziale in Behandlungsprozessen identifizieren und damit zur Er-gebnisverbesserung beitragen können. So berichten Krahwinkel et al. über eine Absenkung der Krankenhaussterblichkeitsraten bei verschiedenen Erkrankungen (Herzinfarkt, Herzinsuffizienz und Pneumonie) nach Einführung eines Peer-ReviewVerfahrens bei einer privaten Klinikkette [24]. Andere Autoren beschreiben umfassende Reorganisationsmaßnahmen und eine Verbesserung der Versorgungsprozesse nach einem intensivmedizinischen Peer Review mit Detektion von Optimierungspotenzialen [25].

Fazit Das intensivmedizinische Peer-ReviewVerfahren verfolgt das Ziel einer kontinu-

Interessenkonflikt.  Das Manuskript wurde ohne Einflussnahme kommerzieller Interessengruppen erarbeitet.

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[Improving patient safety through voluntary peer review].

The intensive care unit (ICU) is one area of the hospital in which processes and communication are of primary importance. Errors in intensive care uni...
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