Originalarbeit

Implementierung der perioperativen WHO-Sicherheitscheckliste an einem Klinikum der Maximalversorgung – eine retrospektive Analyse Implementation of the Perioperative WHO Safety Checklist at a Maximum Care Hospital – A Retrospective Analysis Autoren

T. O. Vilz 1, T.-C. Günther-Lübbers 1, B. Stoffels 1, H. Lorenzen 2, N. Schäfer 1, J. C. Kalff 1, M. Overhaus 1

Institute

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Schlüsselwörter " perioperative Checkliste l " perioperatives Sicherheitsl management " Patientensicherheit l " OP‑Management l " Behandlungsqualität l " Fehlermanagement l Key words " perioperative checklist l " perioperative safety l management " patient safety l " management of the OR l " quality of treatment l " handling in case of mistakes l

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0034-1396146 Online-publiziert Zentralbl Chir © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 0044‑409X Korrespondenzadresse Dr. Tim Oliver Vilz, MD Klinik und Poliklinik für Allgemein-, Viszeral-, Thoraxund Gefäßchirurgie Universitätsklinikum Bonn Sigmund-Freud-Straße 25 53115 Bonn Deutschland Tel.: 02 28/28 71 51 09 Fax: 02 28/28 71 95 85 [email protected]

Klinik und Poliklinik für Allgemein-, Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie, Universitätsklinikum Bonn, Deutschland Institut für Medizinische Biometrie, Informatik und Epidemiologie, Universitätsklinikum Bonn, Deutschland

Zusammenfassung

Abstract

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Hintergrund: In den letzten Jahren kam es weltweit zu einer deutlichen Zunahme von chirurgischen Eingriffen. Perioperativ traten in ca. 10 % der Fälle Komplikationen auf, die Mortalität lag bei etwa 0,5 %, die Hälfte dieser Probleme wurde hierbei als vermeidbar eingestuft. Mit Einführung einer perioperativen Checkliste durch die World Health Organization (WHO) im Jahre 2008 konnte eine signifikante Reduktion der Morbidität und Mortalität erreicht werden. Ziel dieser Studie war es, den Implementierungserfolg der Checkliste an einem Klinikum der Maximalversorgung über einen 3-Jahres-Zeitraum zu untersuchen und mögliche Probleme bei der Umsetzung zu analysieren und zu beheben. Patienten und Methoden: Zu verschiedenen Zeitpunkten (Einführungsphase, 5 Monate, 1 Jahr und 3 Jahre nach Implementierung) wurden insgesamt 358 Operationen untersucht. Zunächst wurden das Vorhandensein und die Bearbeitung der Checkliste sowie mögliche Einflussfaktoren auf die Bearbeitung genauer untersucht. Um mögliches perioperatives Fehlverhalten untersuchen zu können, wurde das Auftreten von 3 in der Literatur zur Patientensicherheit genannten typischen perioperativen Fehlern genauer analysiert. Ergebnisse: Das Vorhandensein der Checkliste verbesserte sich im Laufe der Studie signifikant. Mit Ausnahme der 1. Spalte (auszufüllen von der Stationsschwester) wurde die Prüfliste über die Zeit stetig häufiger von den beteiligten Disziplinen (Anästhesie Pflege, Anästhesist, Operateur) bearbeitet. Insgesamt blieb jedoch insbesondere die „sign-out“-Rubrik des Operateurs am Ende der OP hinter den Erwartungen zurück. Wir konnten im Rahmen der Studie zeigen, dass neben der Zeit nach Implementierung der Ausbildungsstand des Operateurs der wichtigste Einflussfaktor für eine korrekt ausgefüllte Checkliste war. Im Rah-

Background: In recent years there has been a significant increase of surgical procedures worldwide. Perioperative complication occurred in approximately 10%, mortality was about 0.5 %. Half of these adverse events were considered to have been preventable. With the introduction of a perioperative checklist by the WHO in 2008, a significant reduction of morbidity and mortality could be achieved. The aim of this study was to investigate the success of the implementation process of the checklist at a maximum care hospital over a three-year period and to expose and analyse any occurring issues. Patients and Methods: At various time points (introduction phase, five months, one year and three years after implementation) a total of 358 operations was investigated. First the presence and the handling of the checklist were investigated followed by an analysis of possible influencing factors on the processing. To examine a potential perioperative malpractice, three typical perioperative errors known from the literature on patient safety were analysed. Results: The presence of the checklist improved significantly during the study. With the exception of the first column (signed by ward nurse) the checklist was processed more often among the participants (anaesthesia nurse, anaesthesia physician, surgeon) over the time. However the “sign out” column edited by the surgeon at the end of the operation fell below expectations. In addition to the duration after implementation the level of experience of the surgeon was a relevant factor for a properly completed checklist. During the study a malpractice was found in two cases, a checklist could not be detected. Conclusion: Within the study we could demonstrate the difficulties of introducing a surgical checklist at a maximum care hospital. Therefore involved nursing or medical staff must be aware

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men der Studie wurden 2 Fehlhandlungen aufgedeckt, bei keinem dieser Fälle war eine WHO-Prüfliste vorhanden. Schlussfolgerung: Im Rahmen der Studie konnte deutlich gemacht werden, wie schwierig die Implementierung einer perioperativen Checkliste an einer Klinik der Maximalversorgung ist. Es muss daher jeder beteiligte Mitarbeiter über die Sinnhaftigkeit der Prüfliste aufgeklärt und für den Umgang motiviert werden. Zusätzlich muss eine Sensibilisierung über regelmäßige Fortbildungen, Trainingsveranstaltungen sowie Vorbildfunktion verschiedener Mitarbeiter erfolgen. Ziel muss es sein, die Checkliste zum operativen Alltag zu machen, da sie ein effizientes und einfaches Mittel zur Senkung der Morbidität und Mortalität ist.

of the usefulness of the checklist and should be motivated to use it. In addition, periodical lectures, training courses and role modelling of nursing and medical staff are required. The objective must be to establish the checklist into daily routine as it is a simple and efficient tool to reduce perioperative morbidity and mortality.

Einleitung

gefördert, die ebenfalls maßgeblich zur Patientensicherheit und Mitarbeiterzufriedenheit beitragen [9, 12–14]. Nicht nur aus Patientensicht, sondern auch aus dem Blickwinkel der Mitarbeiter und der Führungsebene einer medizinischen Einrichtung wächst daher das Interesse und die Aufmerksamkeit gegenüber einer veränderten Sicherheitskultur mit dem Ziel, die Patientensicherheit zu erhöhen und Fehler zu minimieren. Allerdings konnten Studien auch zeigen, dass ein ungenügendes Abarbeiten der Checkliste den Beteiligten ein Gefühl der falschen Sicherheit suggerierte [15] und konsekutiv die perioperative Morbidität erhöhte sowie das Arbeitsklima verschlechterte [13, 16]. Ein nicht zu unterschätzender Aspekt der Checklisten sollte sicherlich die Verbesserung der Kommunikation mit den kooperierenden Fachabteilungen und Kolleginnen und Kollegen sein, um damit eine verbesserte Arbeitsatmosphäre mit Wertschätzung, Vertrauen und Kooperation zu erreichen. Eine alleinige Einführung der Checkliste reicht hierbei sicherlich nicht aus, sondern regelmäßige Schulungen und Feedbackgespräche mit den Mitarbeitern aller Ebenen und eine hohe Transparenz sollten zu einer hohen Akzeptanz dieser Checklisten in einem sich intensivierenden Arbeitsumfeld mit immer weiteren Dokumentationsaufgaben und Ökonomisierungsdruck führen [17]. Die folgende Studie untersuchte daher die Umsetzbarkeit, die Nachhaltigkeit und die Verbesserungsmöglichkeiten einer modifizierten OP-Checkliste über 3 Jahre, begleitend von der Neueinführung im Januar 2010 bis zum heutigen Zeitpunkt in der chirurgischen Abteilung an einem Krankenhaus der Maximalversorgung. Über den 3-Jahres-Zeitraum wurde der Implementierungserfolg unter verschiedenen Gesichtspunkten zu ausgewählten Zeitpunkten retrospektiv und anhand eines aktuellen Auswertungszeitpunkts evaluiert. Neben der Überprüfung des Implementierungserfolgs sollten durch die Studie mögliche Barrieren einer erfolgreichen Umsetzung und Nutzung aufgedeckt und analysiert werden mit dem Ziel, sie im Anschluss abbauen zu können.

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Die Anzahl der weltweit durchgeführten chirurgischen Eingriffe stieg in den letzten Jahren deutlich an und wird von Weiser et al. auf 234 Millionen Operationen jährlich geschätzt [1]. Hierbei kommt es in 3–17 % zu Komplikationen [2], was zu einer Mortalität von 0,4–0,8 % führt [1, 2]. Interessanterweise wird hierbei die Hälfte der Komplikationen als Folge von fehlerhaftem Verhalten im Rahmen von Operationen oder Medikamentenverordnungen eingestuft und somit als vermeidbar angesehen [3, 4]. Die Fehlerentstehung im medizinischen Bereich wird dabei heutzutage nicht mehr hauptsächlich bei den beteiligten Personen gesucht, stattdessen wird die gesamte Umgebung eines fehlerbehafteten Arbeitsschritts analysiert [4], um so die zunehmende interdisziplinäre und interprofessionelle Patientenversorgung (sog. Schnittstellenproblematik) als fehlerproduzierende Bedingung zu minimieren [5]. Anhand der Tatsache, dass die Hälfte der in der Chirurgie vorkommenden negativen Ereignisse für vermeidbar gehalten werden [3, 4], erlangt das Thema auch eine hohe sozioökonomische Bedeutung für die Krankenhäuser. 2008 entwickelte die World Health Organization (WHO) im Rahmen der Kampagne „Safe Surgery Saves Lifes“ eine perioperative Checkliste mit dem Ziel, die Patientensicherheit zu erhöhen [6]. Diese Checkliste ist in 3 Bereiche unterteilt, die jeweils vor Narkoseeinleitung („sign in“), vor Hautschnitt („time out“) und bevor der Patient den OP-Saal wieder verlässt („sign out“), durchgeführt und abgehakt werden sollen. So bestätigt der Patient im Rahmen des „sign in“ vor der Narkoseeinleitung u. a. seine Identität, die Zustimmung zur OP sowie Art und Ort des Eingriffs und wird gezielt nach Allergien befragt. Im Rahmen des „time out“ wird u. a. die Patientenidentität von den Teammitgliedern bestätigt, sichergestellt, dass die OP-Aufklärung vorhanden ist, kritische Punkte der OP thematisiert und die „single-shot“-Antibiose verifiziert. Mit dem finalen „sign out“ wird das Instrumentarium auf Vollständigkeit überprüft und sichergestellt, dass der Patient auch nach Verlegung aus dem Aufwachraum auf die weiterbehandelnde Station korrekt versorgt ist. Das Benutzen der Checkliste wird schließlich durch Unterschrift der beteiligten Disziplinen (Arzt und Pflegepersonal) dokumentiert. Im Rahmen verschiedener Studien konnte gezeigt werden, dass durch Implementierung der OP-Checkliste eine signifikante Reduktion der Infektionsrate, der Anzahl an Reoperationen und der Mortalität erreicht werden konnte [3, 7–9]. Dies führte neben diesen entscheidenden Punkten auch zu einer erhöhten Patientenzufriedenheit und deutlichen Einsparung von Kosten in chirurgischen Kliniken [9–11]. Neben diesen „harten“ Faktoren werden durch das Benutzen der Checkliste jedoch auch die sogenannten „weichen“ Faktoren (Kommunikation, Teamarbeit, Vertrautheit) Vilz TO et al. Implementierung der perioperativen …

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Patienten und Methoden !

Untersucht wurde eine modifizierte Checkliste der WHO " Abb. 1). Neben dem „sign in“, dem „time out“ und dem „sign (l out“ existiert ein 4. Punkt: Hier wird, bevor der Patient in den OP verbracht wird, überprüft, ob notwendige Dokumente (Röntgenbilder, Narkoseprotokoll) vorhanden sind und der Patient mit der OP einverstanden ist. Unterzeichnet wird diese zusätzliche Spalte des Dokuments von der Stationspflegekraft, die den Patienten zur OP vorbereitet. Zur Untersuchung des Grades der Umsetzung der modifizierten Checkliste erfolgte eine retrospektive Analyse von Operations-

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Abb. 1 Modifizierte WHO-Checkliste.

abläufen einer chirurgischen Abteilung an einem Klinikum der Maximalversorgung über 3 Jahre. Zur genaueren Analyse wurden 4 Zeitpunkte von je 1 Woche gewählt: Der 1. Untersuchungszeitraum (Januar 2010) spiegelt die Einführungsphase der Checkliste wider, es wurden insgesamt n = 81 Operationen erfasst. Im 2. Zeitraum (Mai 2010, n = 99) fand ein interner Vergleich bez. der Bearbeitungshäufigkeit zwischen der chirurgischen und der orthopädischen Klinik statt. Zum 3. Zeitpunkt (Januar 2011, n = 82) war die Checkliste bereits 1 Jahr implementiert. Der 4. Zeitpunkt (Oktober 2012, n = 96) lieferte aktuelle Daten. Insgesamt wurden die Daten von 358 Operationen ausgewertet.

Ein- und Ausschlusskriterien Es wurden alle Operationen untersucht, die im definierten Zeitraum an 5 aufeinanderfolgenden Tagen zwischen 8:00 Uhr und 18:00 Uhr durchgeführt wurden. Ausgeschlossen wurden Patienten, die nicht von einer chirurgischen Station in den OP verbracht wurden oder federführend durch einen Operateur einer anderen operativen Abteilung operiert wurden. Zusätzlich musste die OPCheckliste korrekt ausgedruckt sein.

Datenerhebung Die Patientendaten wurden anhand des krankenhausinternen „Klinischen Arbeitsplatzsystems“ (KAS) sowie der Patientenakte erfasst und in eine Datenbank (Excel®) eingegeben. Letztlich erfolgte eine Gliederung in folgende Gruppen:

Patientenkollektiv und Operationsdaten Zum einen wurden allgemeine Patientendaten (Alter, Geschlecht), zum anderen Details zur durchgeführten Operation (OP-Zeit, Ausbildungsstand des Operateurs, Dringlichkeit des Eingriffs, Vorhandensein eines Aufklärungsbogens) dokumentiert.

Daten zur operativen Checkliste Zunächst wurde anhand der Patientenakte untersucht, ob eine OP-Checkliste für die untersuchte Operation vorhanden ist. Für die auf der Checkliste vorhandenen Spalten wurden jeweils die Anzahl der abgehakten Kästchen und das Vorhandensein einer Unterschrift notiert. Zusätzlich wurden der Ausbildungsstand des Operateurs sowie des Anästhesisten (Assistenzarzt, Facharzt, Oberarzt, Direktor) anhand des Narkoseprotokolls und des OPBerichts erhoben.

Daten zu Fehlhandlungen Drei mögliche perioperative Komplikationen, die in der Literatur zum Thema „Patientensicherheit in der Chirurgie“ zu finden sind, wurden genauer analysiert. Zunächst wurde die Körperseitenangabe des Eingriffs im OP-Bericht mit der Angabe auf dem Anästhesieprotokoll verglichen. War eine Seitenangabe nicht möglich (beispielsweise bei Mageneingriffen etc.), wurde dies ebenfalls dokumentiert. Als 2. mögliche Fehlhandlung wurde die Antibiotikaprophylaxe hinsichtlich vorhandener Allergien des Patienten untersucht. Hierfür wurden die vorhandenen Allergien des Pa-

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Abb. 2 Anwesenheit der operativen Checkliste in der Patientenakte über den Untersuchungszeitraum: Über den untersuchten Zeitraum konnte die operative Checkliste signifikant häufiger in der Patientenakte vorgefunden werden (* p ≤ 0,01, **** p ≤ 0,0001).

Ergebnisse !

Patientenkollektiv und Operationsdaten Patientenkollektiv Letztlich wurden 358 Operationen untersucht, von diesen waren 10 Operationen (2,8%) als Notfall klassifiziert. Das Alter der Patientengruppen in den 4 untersuchten Zeiträumen lag zwischen 20 und 85 Jahren bei einem durchschnittlichen Alter von 55 Jahren. Die Mittelwerte unterschieden sich hierbei zu den ausgewählten Untersuchungszeitpunkten nicht voneinander. Die Geschlechterverteilung betrug in allen ausgewählten Zeiträumen 1 : 1.

tienten mit der applizierten Antibiose abgeglichen. Zuletzt wurde die Transfusion von Erythrozytenkonzentraten (EKs) auf Blutgruppenübereinstimmung untersucht. Hierfür wurde das auf dem Anästhesieprotokoll dokumentierte Ergebnis des „bedside test“ mit der Blutgruppe des EKs abgeglichen, sowie die Konservennummer in den Laborunterlagen mit der dokumentierten Nummer auf dem Anästhesieprotokoll verglichen. Als letztes wurden mögliche Nebenwirkungen der EK-Gabe, die sich aus dem Konservenbegleitschein ablesen lassen, untersucht.

Statistik Die statistische Auswertung der Daten erfolgte mit Hilfe von SPSS21 für Windows®. Um Häufigkeiten zwischen Patientengruppen zu vergleichen, wurde der Chi-Quadrat-Test nach Pearson oder der exakte Fisher-Test verwendet.

Bei der Analyse der Schnitt-Naht-Zeit zeigte sich, dass zu gleichen Anteilen kleine Operationen (OP-Zeit: < 60 min, n = 141) und große Operationen (OP Zeit: > 120 min, n = 133) in die Studie eingeschlossen wurden (39 vs. 37 %). 24% der Operationen (n = 84) dauerten zwischen 60 und 120 min und wurden als mittelgroß klassifiziert. 44 % der Operationen wurde von Assistenzärzten, 8 % von Fachärzten, 26 % von Oberärzten und 22% vom Klinikdirektor durchgeführt. Im Laufe des Untersuchungszeitraums steigerten insbesondere die Assistenzärzte (von 40 auf 54 %) und die Fachärzte (von 5 auf 12,5 %) ihre durchgeführten Operationen.

Daten zur operativen Checkliste Vorhandensein der Checkliste Im gesamten untersuchten Zeitraum ergaben die Auswertungen ein Verhältnis, bezogen auf das „Nichtvorhandensein“ vs. „Vorhandensein“ der Checkliste in der Patientenakte, von 1 : 3. In den ersten beiden ausgewählten Zeiträumen zeigten sich die Zahlen nahezu konstant, im 3. (p ≤ 0,01) und im letzten (p ≤ 0,0001) untersuchten Zeitraum war eine signifikante Zunahme bez. des Vorhandenseins der Checkliste, verglichen mit dem Zeitpunkt der " Abb. 2). Implementierung, nachweisbar (l

Abb. 3 Anwesenheit der Unterschrift in den verschiedenen Spalten der Checkliste. Während vor dem Transport in den OP noch nahezu 3 Viertel der Checklisten bearbeitet werden, kommt es im weiteren Verlauf zu einem deutlichen Abfall mit nur noch einem Viertel bearbeiteter Checklisten beim „sign out“ (*** p ≤ 0,001, **** p ≤ 0,0001).

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Operationsdaten

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Abb. 4 Bearbeitung der Checkliste in den untersuchten Zeiträumen. Im untersuchten Zeitraum wurde die Checkliste von den Stationspflegekräften mit der Zeit immer seltener ausgefüllt (* p ≤ 0,01). Anästhesiepflege, Anästhesisten und Operateure hingegen zeigten eine zunehmende Bearbeitung des Bogens von Januar 2010 bis Oktober 2012 (*** p ≤ 0,001).

Bearbeitung der Checkliste Zunächst untersuchten wir die Anzahl der bearbeiteten Checklisten in den einzelnen Bereichen (Stationspflege vs. Anästhesiepflege vs. Anästhesist vs. Operateur). Hier konnte interessanterweise nachgewiesen werden, dass die Checkliste von Beginn der Bearbeitung auf Station bis hin zum Abschluss am OP-Ende im" Abb. 3). So wurden vor mer seltener unterzeichnet wurde (l dem Transport in den OP von den Stationspflegekräften noch 80 % der Listen unterzeichnet, um dann bis zum „sign out“ kontinuierlich bis auf etwa 25 % bearbeitete Checklisten abzufallen. Vergleicht man die jeweils aufeinanderfolgenden Abschnitte („Vor-OP“ vs. „sign in“ [p ≤ 0,001], „sign in“ vs. „time out“ (p ≤ 0,001) und „time out“ vs. „sign out“ [p ≤ 0,0001]) zeigt sich ein signifikanter Unterschied. In einem weiteren Schritt analysierten wir die vorhandenen Unterschriften in Abhängigkeit vom untersuchten Zeitraum " Abb. 4). Interessanterweise fand sich bei der „Vor-OP“-Unter(l schrift (Stationspflege) ein signifikanter Abfall (p ≤ 0,01) über den untersuchten Zeitraum von März 2010 (89 % unterzeichnet) bis Oktober 2012 (67 % unterzeichnet). Beim „sign in“ durch die Anästhesiepflege zeigte sich ein genau gegenteiliger Effekt: Im Laufe der Zeit kam es zu einem signifi" Abb. 4). kanten Anstieg der unterschriebenen Checklisten (l Während unmittelbar nach Implementierung im Januar 2010 nur in 48% der Fälle ein ordnungsgemäßes „sign in“ stattfand, wurde dies im Oktober 2012 bei 83 % der Patienten durchgeführt " Abb. 4) zeigte sich zu den ersten (p ≤ 0,001). Beim „time out“ (l beiden untersuchten Zeiträumen nahezu kein Unterschied bez. der korrekten Bearbeitung der Checkliste (Januar 2010: 35 %, Mai 2010: 37 %). Ein Jahr nach Einführung war das „time out“ in 64 % regelrecht durchgeführt (p ≤ 0,001), 1 Jahr später zeigte sich keine Änderung zur Voruntersuchung (63 %). Bezüglich des durch

" Abb. 4) fand sich ein den Operateur durchgeführten „sign out“ (l stufenweiser, signifikanter Anstieg (p ≤ 0,001) der korrekt unterschriebenen Checklisten von der Implementierung (5,6%) bis Oktober 2012 (41 %).

Mögliche Einflussfaktoren auf den Gebrauch der Checkliste Um mögliche Einflussfaktoren auf die geleisteten Unterschriften zu untersuchen, wurden das Alter und das Geschlecht der Patienten, der Versicherungsstatus, die OP-Dauer, der Ausbildungsgrad des Operateurs sowie die Zeit nach Implementierung der Checkliste genauer untersucht. Hierbei spielte das Alter, das Geschlecht und der Versicherungsstatus des Patienten sowie die Operationsdauer keine Rolle. Eine signifikante Korrelation konnte interessanterweise bez. der „sign-out“-Bereitschaft und dem Ausbildungsstand des Operateurs beobachtet werden: Während Assistenzärzte und der Klinikdirektor zumindest in 34 bzw. in 26 % der Fälle die „sign-out“-Spalte unterschrieben, war die Bereitschaft " Abb. 5). bei Fachärzten (18 %) und Oberärzten (12 %) geringer (l Als nächster möglicher Einflussfaktor wurde die Zeit nach Implementierung der Checkliste analysiert. Hier zeigte sich, wie bereits oben aufgeführt, eine positive Entwicklung bezüglich des Vorhandenseins der Checkliste (p ≤ 0,01), der geleisteten Unterschrift in den verschiedenen Spalten (p ≤ 0,001, Ausnahme ist das Pflegepersonal auf Station) sowie der Ausfüllbereitschaft " Abb. 4). (p ≤ 0,001) insgesamt (l

Fehlhandlungen Die Operationscheckliste dient vor allem der Vermeidung von Fehlern. Um einen Fehler zu den untersuchten Zeiträumen zu erfassen, wurden 3 Handlungen genauer analysiert. Diese Handlungen wurden gezielt durch die Checkliste abgefragt und sind in der Literatur als „kritische Punkte“ bei der Entstehung von fehlerhaftem Verhalten im operativen Setting vermerkt. Zunächst wurde die „single-shot“-Antibiose mit der vom Patienten angegebenen Allergie/Unverträglichkeit korreliert. Des Weiteren wurde untersucht, ob die im OP-Bericht und die im Narkoseprotokoll vermerkten zu operierenden Seiten miteinander übereinstimmten, um dann zu definieren, ob die falsche Seite operiert wurde. Als Letztes wurde die Blutgruppenübereinstimmung der Blutkonserven mit der des Patienten bei der Transfusion von EKs genauer betrachtet.

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Abb. 5 Anwesenheit der „sign-out“-Unterschrift in Abhängigkeit vom Ausbildungsstand des Operateurs. Mit zunehmendem Ausbildungsstand des Operateurs zeigt sich eine seltenere Bearbeitung der perioperativen Checkliste, was sich erst beim Chefarzt wieder ändert (* p ≤ 0,01).

Antibiose Bei der Applikation der Antibiose wurde es als fehlerhaft angesehen, wenn trotz dokumentierter Allergie gegen einen Inhaltsstoff der Antibiose das entsprechende Medikament appliziert wurde. Insgesamt wurde in 233 Fällen eine „single-shot“-Antibiose gegeben. In n = 37 Fällen wurde eine Allergie berücksichtigt und auf ein Ersatzpräparat ausgewichen. Insgesamt 2-mal wurde trotz bestehender Allergie dieses Antibiotikum trotzdem appliziert, das Verhalten wurde dementsprechend als fehlerhaft dokumentiert. In beiden Fällen war zwar eine Checkliste vorhanden, das „time out“, wo gezielt Allergien besprochen werden sollen, wurde jedoch nicht ausgeführt.

Seitenangabe Bei 48% (n = 169) der gesamten Operationen war eine klare Angabe der zu operierenden Seite möglich. In n = 109 Fällen (64 %) stimmten die Angaben von Narkoseprotokoll und OP-Bericht überein. Bei n = 59 Patienten (35%) fehlte eine eindeutige Angabe auf dem Narkoseprotokoll. Bei 1 OP (0,6%) unterschied sich die Angabe der Anästhesie von der der Chirurgie bezüglich des Eingriffsorts. Dies wurde nicht als Fehlhandlung bewertet, da es sich um eine Portanlage handelte und intraoperativ die Seite der Anlage geändert wurde ohne Konsequenzen für den Patienten. In diesem Falle wurde kein „time out“ durchgeführt.

Transfusion von EKs Insgesamt waren in 5,5 % der Operationen (n = 20) die Gabe von EKs notwendig. In n = 17 Fällen war die Dokumentation lückenlos, bei 3 Fällen waren die notwendigen Angaben zur Bluttransfusion jedoch unvollständig (2-mal wurde das Ergebnis des „bedside test“ nicht auf dem Narkoseprotokoll dokumentiert und der Konservenbegleitschein unvollständig ausgefüllt, 1-mal wurde der Barcode des transfundierten EKs nicht im Narkoseprotokoll vermerkt). Es konnten jedoch bei der Durchsicht der Krankenakte keine Hinweise auf einen Transfusionszwischenfall gefunden werden, daher wurde die unvollständige Dokumentation nicht als Fehler gewertet.

Zusammenfassung der Fehlhandlungen In insgesamt 0,6 % der Operationen (n = 2) war eine Fehlhandlung nachweisbar. Im Einzelnen wurde 2-mal eine Antibiose trotz bestehender und dokumentierter Allergie auf dieses Antibiotikum verabreicht. Einen langfristigen Schaden trugen die Patienten hierbei erfreulicherweise nicht davon.

Diskussion !

In den letzten Jahren stieg die Anzahl der weltweit durchgeführten Operationen deutlich an [1] mit einer Komplikationsrate von ca. 3– 17% [7] und einer Mortalität von 0,4–0,8%. Da die Hälfte aller Komplikationen durch ein fehlerhaftes Verhalten der beteiligten Personen verursacht wird [3, 4], wurde durch die WHO eine perioperative Checkliste entwickelt, die nach erfolgter Implementierung die Morbidität und Mortalität signifikant senken konnte [3, 7]. In dieser über einen Zeitraum von 3 Jahren angelegten Studie wurden daher die Umsetzbarkeit und die Nachhaltigkeit einer operativen Checkliste an einem heterogenen Patientenkollektiv eines deutschen Klinikums der Maximalversorgung zu 4 unterschiedlichen Zeitpunkten untersucht. Ziel war es, mögliche Schwachpunkte und Barrieren, die einer erfolgreichen Nutzung entgegenstehen, aufzudecken und zu beheben.

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Im Rahmen der Untersuchung konnte gezeigt werden, dass das Hinzufügen der Checkliste zur Patientenakte im Laufe des Unter" Abb. 2, von inisuchungszeitraums signifikant angestiegen ist (l tial 70% im Jahre 2010 auf 87 % im Oktober 2012). Die Checkliste wird durch die jeweilige Stationspflegekraft in der Nacht vor der OP ausgedruckt und deutlich sichtbar an der Vorderfläche der Akte fixiert, dies ist ein geringer logistischer Arbeitsaufwand. Wird der Patient in den OP verbracht, wird die Checkliste dann durch die betreuende Pflegekraft unterzeichnet. Sollte dennoch ein Patient ohne Checkliste im Einleitungsraum der Anästhesie liegen, wird diese im OP ausgedruckt und in der Akte platziert. Somit gibt es für das Vorhandensein der Checkliste in der Patientenakte einen zusätzlichen Kontrollmechanismus. Durch das Vorbereiten der Liste durch den Nachtdienst lässt sich auch der initial sehr hohe Wert von 89% unterzeichneter Check" Abb. 3). Interessanterlisten durch die Stationspflege erklären (l weise ist im Laufe des Beobachtungszeitraums jedoch ein Abfall auf 67 % zu verzeichnen. Eine Erklärung könnte eine zu geringe Wirksamkeitsevaluation sein: Die Pflegekräfte auf den Stationen bekommen von den positiven Effekten der operativen Checkliste nur vergleichsweise wenig mit: Die Fehlerreduktion durch Verbesserung der Schnittstellenproblematik kommt erst im OP zum Tragen, wenn der Patient erstmalig von unbekannten Personen (Anästhesiepflege und Anästhesist) betreut wird [18]. Zusätzlich profitiert das Pflegepersonal der Stationen nicht von den sog. „weichen“ Faktoren, die die Checkliste im OP-Bereich verbessert [11, 19]. Somit wird es nach anfänglicher Euphorie nach Einführen der Checkliste und häufiger Thematisierung durch die Pflegedienstleitung zu einem abklingenden Interesse an der Prüfliste gekommen sein. Diesem negativen Trend würden regelmäßige Informations- oder Trainingsveranstaltungen mit einem positiven Feedback aus dem OP entgegenwirken. In einer Studie konnte so die Ausfüllbereitschaft von 8% auf 97% angehoben werden [20]. Die Unterschriften in den 3 folgenden Spalten der Checkliste („sign in“ der Anästhesiepflege, „time out“ des Anästhesisten/ Chirurgen sowie „sign out“ der Chirurgie) nehmen im Beobach" Abb. 3), obwohl vertungszeitraum hingegen signifikant zu (l gleichbar zur Pflege auf den Stationen ebenfalls keine weiteren Trainings- oder Informationsveranstaltungen stattfanden. Dies weist auf eine zunehmende Akzeptanz der Checkliste bei operativen und nicht operativen Partnern hin. Nicht unerwähnt bleiben sollte jedoch die weiterhin bestehende unzureichende Bear" Abb. 3: 63%) und der „sign-out“-Spalbeitung der „time-out“- (l " Abb. 3: 43 %) durch den Anästhesisten bzw. Chirurgen. te (l Dieses Phänomen hat mehrere Gründe: So fiel insbesondere beim „time out“ vor Schnitt auf, dass die Durchführung trotz Unterschrift durch den Anästhesisten in den meisten Fällen vom Operateur initiiert wurde, der aber aufgrund seiner Sterilität keine Unterschrift zum Zeitpunkt des „time out“ leisten kann. Dies deckt sich mit den Angaben in der Literatur [16, 21]. Eine Erklärung für die Initiierung des „time out“ durch den Operateur liegt sicherlich im durch die präoperative Vorbereitung engeren ArztPatienten-Verhältnis und der starken chirurgischen Präsenz im OP-Saal. Ein weiterer Grund für die höhere Rate an korrekt ausgefüllten „time-out“-Spalten durch die Anästhesie im Gegensatz zur „sign-out“-Spalte durch die Chirurgen wird allerdings auch der i. d. R. fehlende Stressfaktor bei der Aufrechterhaltung der Narkose sein: Es gibt dadurch mehr Zeit, die „time-out“-Spalte korrekt zu unterzeichnen. Nach Abschluss der Hautnaht wird die Narkose beendet, es resultiert eine Zunahme der Arbeitsintensität am anästhesiologischen Arbeitsplatz. Hierdurch wird

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der Zugriff auf die beim Anästhesisten liegende Akte (inkl. Checkliste) erschwert. Dies in Kombination mit der arbeitsintensiven Endphase der Operation durch den Operateur (Dränagen und sterile Verbände, Komplettierung der OP-Dokumentation am Computer, Tätigen der postoperativen Anordnungen, Ausfüllen des Pathologiebegleitscheins, Umlagern des Patienten) lässt die Checkliste nicht mehr als präsent erscheinen und ist sicherlich eine Erklärung für die niedrige Ausfüllquote der „sign-out“-Spalte durch den Chirurgen. Dieses Problem könnte gelöst werden, wenn die Checkliste nach Unterschrift der „time-out“-Spalte durch den Anästhesisten umgehend neben dem Arbeitsplatz der OP-Dokumentation zu liegen kommt. Eine weitere Möglichkeit wäre es, die Unterschrift elektronisch im Rahmen der OP-Dokumentation am Computer zu leisten. Dies würde bedeuten, dass ein elektronischer Abschluss der OP-Dokumentation ohne Ausfüllen des Feldes „sign out“ nicht möglich ist, die korrekte Bearbeitung des „sign out“ würde auf 100 % erhöht werden können. Im Literaturvergleich sind die in unserer Studie erhobenen niedrigen Zahlen durchaus realistisch bei der Implementierung der WHO-Sicherheitscheckliste. In einer Studie an 9 spanischen Krankenhäusern war die Sicherheitscheckliste bei 83 % der untersuchten Akten vorhanden, aber nur in 30 % vollständig ausgefüllt (hier 2010–2012: 68–87% und 11–33 %) [22]. Erstaunlicherweise lagen in unserer Studie die Daten der „Vor-Ort“-Analyse für das beobachtete „time-out“ deutlich höher (> 90 %) als für das tatsächlich dokumentierte (20%), im Gegensatz zu der spanischen Publikation, diese verwendete aber auch schon elektronische Checklisten. Hier ist aber sicherlich auch fraglich, inwiefern der sogenannte „Hawthorne-Effekt“, dass also die Teilnehmer einer Studie ihr natürliches Verhalten ändern, wenn sie wissen, dass sie unter Beobachtung stehen, eine Rolle spielt. Im Rahmen der Analyse möglicher Einflussfaktoren auf den Ausfüllgrad der Checkliste konnten wir zeigen, dass weder Alter, Geschlecht und Versicherungsstatus des Patienten noch die OPDauer eine Rolle spielen. Einzig die Zeitdauer nach Implementierung der Liste sowie der Ausbildungsstand des Operateurs korrelierte mit dem Ausfüllgrad: Während es über die Zeit zu einem Anstieg der korrekt ausgefüllten Checklisten kam, sank die Ausfüllbereitschaft mit dem Grad des Ausbildungsstands des Operateurs signifikant ab, um dann erst bei der Position des Chefarztes " Abb. 4). Dieses Ergebnis unterscheidet wieder anzusteigen (l sich von sämtlichen Angaben in der Literatur. In den entsprechenden Veröffentlichungen wurde immer erwähnt, dass die Implementierung der OP-Checkliste zur „Sache der Leitungsebene“ gemacht wurde, die dann im Verlauf eine Vorreiterfunktion erfüllte und so die höchste Quote an korrekt ausgefüllten Checklisten aufweisen konnte [23]. Im untersuchten Klinikum war dies zwar auch der Fall, der Vorbildcharakter allerdings kam anscheinend nicht zum Tragen. Eine daraufhin veranlasste interne Beobachtungsanalyse im Operationssaal zum letztgenannten Untersuchungszeitraum durch die Autoren ergab interessanterweise, dass in über 90 % der Fälle in diesem Zeitraum sowohl ein „time out“ als auch ein „sign out“ von den beteiligten Personen kommuniziert wurde, die abschließende schriftliche Dokumentation jedoch häufig unterblieben ist. Als Grund für diese deutliche Diskrepanz wird in der Literatur vor allem der Zeitdruck und der Leistungsdruck angegeben, unter dem Chirurgen häufig stehen [23, 24]. Eine weitere Ursache könnte die überbordende Dokumentationspflicht und der Bürokratiezwang in den alltäglichen Abläufen eines Klinikarztes sein, der ein weiteres auszufüllendes Dokument aus diesem Grunde einfach vergisst. Dies spiegelt auch die Beobachtungsanalyse un-

serer Autoren zum letzten Auswertungszeitpunkt wider: So traten die hauptverantwortlich operierenden Fach- und Oberärzte häufiger vor Beendigung der Hautnaht vom OP-Tisch ab, um umgehend die notwendige OP-Dokumentation in einem anderen Raum beginnen zu können und im Anschluss die ausstehenden, facharztspezifischen Aufgaben (Konsile, Visiten, Tumorboards) zu erledigen. Die ausstehende Unterschrift auf der Checkliste in der Spalte „time out“ wurde dann nach OP-Ende nicht vom Assistenten durchgeführt, da er auch nicht als Operateur eingetragen war und das „sign out“ somit nicht in seinen Verantwortungsbereich fällt. Dieses Ergebnis stützt die Empfehlung von Reuter et al., die eine klare personelle Dokumentationsverantwortlichkeit der einzelnen Checklistenabschnitte fordern, die es im weiteren Verlauf einzuhalten gilt [25]. Noch wirkungsvoller wäre die Einführung von Prozessabbruchkriterien, die eine Operation nur stattfinden lassen, wenn vorher die (elektronischen) Checklisten ausgefüllt wurden. Dass durch diese Abbruchkriterien eine Operation komplett ausfällt, ist in der heutigen Zeit der zunehmenden Ökonomisierung und damit OP-Verdichtung und kürzeren Liegezeiten nicht durchführbar und dem Patienten auch nicht zumutbar. Denkbar wäre daher aber eine elektronische Checkliste, die zuerst abgearbeitet werden muss, bevor sich in der elektronischen Patientenakte die Maske für die notwendige OP-Dokumentation öffnet. Gleiches würde auch am Ende der Operation zur Beendigung der OP-Dokumentation und Schließen des Falles notwendig sein und würde damit zu einer deutlichen Dokumentationssteigerung in ausgefüllten Checklisten führen. Im Rahmen der Studie wurden 2 Fehlhandlungen innerhalb der 358 untersuchten Patienten detektiert, beide Male wurde ein Antibiotikum trotz dokumentierter Allergie verabreicht. Verglichen mit den Angaben in der Literatur, handelt es sich hierbei nicht um eine Häufung. Bei beiden Patienten war zwar eine Checkliste vorhanden, ein „time out“, welches das Ziel hat, eben dieses Fehlverhalten zu vermeiden, wurde jedoch nicht durchgeführt. Dieses Fehlverhalten wäre bei korrekter Kommunikation und Abarbeiten der Checkliste vermieden worden. Neben dieser Fehlhandlung zeigte die Untersuchung jedoch ein großes Informationsdefizit auf: So fehlte in 59 Fällen eine schriftliche Seitenangabe des OP-Gebiets auf dem Narkoseprotokoll. In über 2 Drittel der Fälle war keine Unterschrift in der „time-out“-Spalte nachweisbar. Somit kann spekuliert werden, dass eine korrekte Bearbeitung der Checkliste, die eine verbale Verifizierung der zu operierenden Seite beinhaltet, auch zu einer konsequenteren Dokumentation geführt hätte.

Schlussfolgerungen !

Im Rahmen verschiedener Studien konnte gezeigt werden, dass die Implementierung einer perioperativen WHO-Checkliste zu einer signifikanten Reduktion der Morbidität und der Mortalität führt. Dies trifft jedoch nur dann zu, wenn die Checkliste regelmäßig und vollständig (Pflegekräfte und Ärzte aller beteiligten Disziplinen) bearbeitet wird. Ist dies nicht der Fall, kann durch ein Gefühl der falschen Sicherheit sogar ein gegenteiliger Effekt, nämlich eine erhöhte Morbidität beobachtet werden. In dieser Studie wurde demonstriert, wie schwer es ist, in einer chirurgischen Abteilung an einem Krankenhaus der Maximalversorgung eine perioperative Checkliste zu implementieren und über einen Zeitraum von 3 Jahren die Dokumentationshäufigkeit zu steigern und auf einem hohen Niveau zu halten. Arbeitsbereiche, die nicht

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unmittelbar in die interdisziplinäre Kommunikation perioperativ involviert sind und dadurch kein positives Feedback bekommen, vernachlässigten sogar über den untersuchten Zeitraum ihre Dokumentationspflicht. Es ist daher unerlässlich, dass das Bewusstsein für die Checkliste und deren Sinnhaftigkeit maximal gestärkt wird und sämtliche Beteiligten regelmäßig sensibilisiert werden. Dies kann beispielsweise durch strukturierte Informationsveranstaltungen, Vorbildfunktionen verschiedener Mitarbeiter, Zusammenführung von Arbeitsschritten sowie regelmäßiges Training geschehen. Auch die in dieser Studie beobachtete Diskrepanz zwischen hoher interdisziplinärer Kommunikation (mündliches „time out“) und fehlender Dokumentation (schriftliches „sign out“) muss deutlich verbessert werden, denn nur die schriftliche Dokumentation zählt im Schadensfalle oder bei einer Fehlhandlung. Hierbei kann auch die Einführung einer elektronischen Patientencheckliste mit Prozessabbruchkriterien am Beginn und am Ende der elektronischen Operationsdokumentation wesentlich dazu beitragen, die Compliance der beteiligten Berufsgruppen zu verbessern. Es muss das Ziel jedes in einem OP tätigen Arztes sein, die Checkliste durchzuführen, in den Operationsalltag zu integrieren und schriftlich zu dokumentieren, denn es ist ein effizientes Instrument zur Fehlervermeidung im operativen Klinikalltag.

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[Implementation of the Perioperative WHO Safety Checklist at a Maximum Care Hospital - A Retrospective Analysis].

In recent years there has been a significant increase of surgical procedures worldwide. Perioperative complication occurred in approximately 10 %, mor...
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