Langenbecks Arch. Chir. 339 (Kongrel3bericht 1975) © by Springer-Verlag 1975

11. Immuntherapie des Krebses: Realit it oder Hoffnung? Ulrich Dold Innere Abteilung des Zentralkrankenhauses Gauting Immunotherapy of Cancer: Reality or Hope?

Summary. The reality of immunotherapy of cancer is still in the trial stages. Supportive immunotherapy combined with conventional cancer therapy can prolong the duration of remission and perhaps raise the cure rate for many neoplastic diseases such as acute leukemias, sarcomas and malignant melanomas. Our knowledge of the immunologic reactions is still incomplete. We expect further progress but we have no evidence that the immune response will be able to prevent or reverse all malignant growth. Key words: Cancer, immunotherapy Zusammenfassung. Die Immuntherapie des Krebses ist eine Realit~itim Versuchsstadium. Als zus~itzlicheTherapie zu den eingefi~hrten Behandlungsverfahren l~il3tsie bei einigen neoplastischen Erkrankungen (akuten Leuk~rnien,Sarkomen und malignen Melanomen) verl~ingerte Remissionszeiten und vielleicht auch erhiShte Heilungsraten erzielen. Die Kenntnisse fiber die Wirkungsweiseder Immuntherapie sind noch liickenhaft. Weitere Verbesserungen sind zu erwarten. Es ist aber nicht wahrscheinlich, dab sich durch Immunreaktionen malignes Wachstum grunds~itzlichverhindern oder heilen lieBe. Schliisselwbrter: Krebs, Immuntherapie

Krebs kann spontan heilen. Wir erleben dies nur selten, am ehesten beim Hypernephrom und beim Chorionepitheliom der Frau. Es kommt aber sicher h~iufiger vor, als wir es bemerken. Der Organismus verfiigt also tiber Mechanismen, Tumorzellen zu vernichten. Als anfangs dieses Jahrhunderts Ehrlich und andere sich miihten, Tumorgewebe von einem Tier auf ein anderes zu iJberpflanzen, hatten sie nur selten Erfolg. In der Regel wurde das iiberpflanzte Tumorgewebe abgestoBen. Ein anderes Beispiel. In einer transplantierten Niere entsteht unter immunsuppressiver Therapie ein Hypernephrom und metastasiert. Nach Beendigung der immunsuppressiven Therapie bilden sich Tumor und Metastasen zuriick. Aber auch die transplantierte Niere wird abgestoBen. Immunmechanismen sind dafiir verantwortlich. Das sind aber in der Phyllogenese erworbene Mechanismen zur Abwehr von Fremdlebewesen. Krebs ist aber keine Infektionskrankheit, und Krebs des Menschen wird auch in der Regel nicht durch Transplantationen iibertragen.

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Abb. 1. Entstehung und Weiterentwicklung von T- und B-Lymphocyten (nach Roitt)

Die Vorg~inge aber, die zur Abt6tung von Tumorgewebe fiihren, gleichen denen, die wir aus der Transplantationspathologie bei der Verwerfung von Transplantaten kennen. Die in den letzten Jahren erhellten Mechanismen der Transplantationsimmunit~it gelten auch ffir die Immunit~it des Krebsgewebes. Darauf mug jede rationale Immuntherapie des Krebses aufbauen. Die wesentlichsten Immunfaktoren mu6 ich Ihnen daher vorstellen, auch wenn vieles noch widerspr/ichlich und unldar ist. Der Antigen-Charakter ist Voraussetzung fiir eine Immunreaktion. Antigen wirken Fremdzellen. Man kennt ihre individualspezifischen Transplantationsantigene. Spontantumoren tragen nur schwache Antigene embryonalen Ursprungs. Gruppenspezifische Virusantigene finden sich bei virusindizierten Tumoren. Dazu geh6rt das Burkitt-Lymphom, aber vielleicht auch Leuk~imien, Sarkome und maligne Melanome. Nur solche Tumorerkrankungen sind bisher erfolgreich mit der Immuntherapie behandelt worden. Nur Antigene der Zelloberfliiche k6nnen eine zeUtoxische Reaktion einleiten. Humorale Tumorantigene, wie z. B. das Alpha- 1-Fetoprotein bei Lebercarcinomen, oder das Carcino-Embryonic-Antigen (CEA) bei Colon- und Pankreascarcinomen, bieten zwar diagnostische M6glichkeiten, sind aber prognostisch und therapeutisch ohne Wert. Die celluliire Immunitiit, die Immunreaktion vom verz6gerten Typ, fiihrt zur Transplantatabstol3ung und ebenso zur Tumorvernichtung. Vom Thymus abstammende Lymphocyten, die sog. T-Lymphocyten (Abb. 1) verarbeiten die antigene Information, die zur Bildung von cytotoxischen sog. Killer-Zellen fiihrt. Dieser Vorgang ist aber eng mit der Bildung humoraler Antik6rper verbund e n - fiber B-Lymphocyten (aus dem Diinndarm), die den cytotoxischen Immunangriff hemmen.

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Abb. 2. Einige Griinde, durch die eine Immunreaktion gegen die Tumorzelle verhindert wird (nach Currie) Die Immunreaktionen, die unseren Absichten der Organtransplantation so hinderlich sind, funktionieren aber offenbar nicht immer. Sonst g~ibe es keine malignen Tumoren. Burnet hat 1965 als biologisches Prinzip die Immuniiberwachung (surveillance) postuliert. Danach erscheint jede Tumorentstehung prim~ir als eine St6rung dieser Oberwachung, als Systemerkrankung. Die Erfahrung zeigt, dab diese Vorstellung nicht ganz zutreffen kann. Die meisten Tumorheilungen gelingen durch die lokale Tumorentfernung. Aber bei Immunparalyse treten h/iufiger maligne Tumoren auf. Auch das stimmt. Man hat intensiv nach den Faktoren geforscht, die das Tumorgewebe aus der Immuniiberwachung ausbrechen lassen. Es fanden sich spezifische Antik6rper (Abb. 2), die zu einer Blockierung der Antigenstruktur der Tumorzellen fiJhren, oder zu einer Modulation der Antigenitiit, oder zu Komplexen mit den Tumorantigenen, die sich dann abl6sen und als freie Immunkomplexe die Funktion der T-Zellen hindern. In iihnlicher Weise verm6gen auch 16sliche Antigene die Immunantwort zu hemmen. Durchlmmunselektionwerdendie antigentragenden Tumorzellen vernichtet, antigenfreie Tumorzellvarianten wachsen aber weiter. Auch eine immunologische Desensibilisierung gegeniiber dem Tumorantigen wird diskutiert. Bedeutung hat die Reakfionsunfiihigkeit des Organismus. Das Gewicht einer spezifischen Toleranz ist umstritten, obwohl eine Immuntoleranz gegenfiber dem Eigengewebe, aus deren genetischem Material die Tumorzelle ja hervorgeht, besonders gut zu verstehen ist. Immunreaktionen werden aber auch verhindert durch Kachexie oder die Behandlung mit Cortison oder Cytostatica. Wertigkeit und Zusammenwirken dieser und vieler anderer Faktoren, die ph~inomenologisch beschrieben wurden, kennen wir aber erst ungeniigend. Eine rationale Immuntherapie gibt es daher heute noch gar nicht.

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Abb. 3. Ein Kind nach mehrfachen BCG-Scarifizierungen (nach Math6 u. Weiner) Alle Versuche zur Immuntherapie sind belastet mit der Gefahr der versehentlich bewirkten Immunsuppression, dem Enhancement-Phiinomen, der Wachstumssteigerung des Tumors. Zur Immuntherapie beim Menschen werden gegenw~irtig die folgenden M6glichkeiten genannt. Die aktive Immuntherapie mit spezifischem Antigen (z. B. abget6teten Tumorzellen), oder mit unspezifischem Antigen (z.B. BCG, Vaccinia, PertussisBakterien oder Dinitrochlorbenzol). Die passive Immuntherapie mit spezifischem Anti-Tumor-Antiserum oder mit normalen Serumkomponenten, wie Properdin, Komplement u.a. hat nicht viel Erfolgsaussicht. Die adoptive Immuntherapie mit spezifisch oder unspezifisch stimulierten Lymphocyten ist mit einem erheblichen Aufwand verbunden. Klinisch in gr6gerem Umfang eingesetzt wird daher nur die aktive Immuntherapie durch unspezifischeImmunstimulierung. Dabei hat sich die Inoculation des mitigierten, bovinen Mycobacterium tuberculosis, dem Bacille-CallmetteGu6rin, kurz BCG genannt, am wirksamsten erwiesen. Es gibt aber offenbar groBe Wirkungsunterschiede zwischen den einzelnen BCG-St~immen. Ausgangspunkt fiir diese Art der Immuntherapie war die inzwischen vielfach best~i-

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tigte Tatsache, dal3 eine positive intracutane Immunreaktion vom verzdgerten Typ, z.B. die Tuberkulinreaktion, fiir den Patienten eine giinstigere Prognose anzeigt gegeniiber dem Patienten mit einer negativen Hautreaktion. Diese Tatsache hat meiner Ansicht nach bisher zu wenig allgemeine Beachtung gefunden. Ich glaube, man sollte vom Ausfall dieser Reaktion in Grenzfiillen die Entscheidung abh~ingig machen, ob grode therapeutische Eingriffe durchgef~ihrt werden sollen oder nicht, Operation, Bestrahlung oder Chemotherapie. Zur Immuntherapie m/issen groBfliichige Scarifikationen mit 106 bis 108 lebenden BCG-Keimen angelegt werden (Abb. 3). Zu Beginn 1-2 mal pro Woche, spiiter eventuell in gr66eren Abstiinden, aber langfristig fiber Monate. Math6 in Paris war der erste intensive Verfechter dieser Therapie. Er hat bei der akuten Leukiimie der Kinder eine cytostatisch erreichte Remission durch die Immuntherapie fiber groBe Zeitriiume (6 Jahre) ohne Rezidiv erhalten kdnnen, wiihrend Kinder ohne diese Behandlung innerhalb dieser Zeit alle verstorben waren. Es besteht die berechtigte Hoffnung, dab der Prozentsatz der Heilung bei dieser Leuk~imie (bisher etwa 10 %) durch die Immuntherapie vergrdBert werden kann. Inzwischen wurde die zus~itzliche Immunstimulierung durch BCG in zahlreiche strahlentherapeutische oder cytostatische Therapiestudienprogramme aufgenommen. Ergebnisse liegen erst vereinzelt vor. In Kombination mit einer IntervaU-Chemotherapie - wiihrend des therapiefreien Intervalls kann sich das Immunsystem wieder erholen - werden liingere Remissionszeiten erhalten bei der akuten Myeloblastenleuk~imie des Erwachsenen, beim Burkitt-Lymphom, bei Weichteilsarkomen und bei malignen Melanomen. Von anderen soliden Tumoren, z. B. dem Bronchial-Carcinom, liegen Ergebnisse bisher noch nicht vor. Fiir den Immuntherapie-Erfolg wichtig ist: 1. Die TumorgriSBe. Die Tumormasse sollte mtiglichst klein sein. Eine Reduzierung der Tumorzellzahl durch Operation, Bestrahlung oder Chemotherapie ist vor oder gleichzeitig mit der Immuntherapie erforderlich. 2. Das AusmaB der Immunantwort. Eine starke Reaktion l~iBt eine Tumorwirksamkeit erwarten. 3. Die Zahl der inoculierten BCG-Keime mud grol3 sein. 4. Der Tumor mul3 Antigene tragen. Die Einzelheiten der Wirkungsweise dieser unspezifischen Immunstimulierung sind nicht bekannt. Man nimmt an, dab eine Erhdhung des Potentials an Immunantwort zur Wirksamkeit fiJhrt. Das Risiko der Erzeugung einer BCG-Tuberkulose ist nicht groB, es kann aber eine Tuberkulose-Erkrankung entstehen. Lassen Sie mich zum AbschluB noch ein paar Gedanken auf die im Thema gestellte Frage: ,,Immuntherapie: Realit~it oder Hoffnung?"vortragen. Die Immuntherapie ist derzeit eine Realitiit im Versuchsstadium. Als zus~itzliche Behandlung zu den eingefiihrten Therapieverfahren hat sie bei einigen neoplastischen Erkrankungen die Therapieergebnisse verbessern lassen. Die Immuntherapie wird bei Tumorerkrankungen, die schon heute eine leidlich gute Prognose bieten, die Zahl der Heilungen vermehren.

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Die Irnmundiagnostik hat noch ein weites, unerforschtes und fruchtbares Feld fiir die Tumorfriihdiagnostik vor sich. Die Irnmunprophylaxek6nnte durch vorbeugende Impfung bestimmte virusinduzierte Tumorerkrankungen verschwinden lassen (vielleicht LeukSmien, lymphatisehe und bindegewebige Sarkome und das Portiocarcinom). Es erscheint mir aber unwahrscheinlich, dal3 man auf immunologischem Wege malignes Wachstum iJberhaupt verhindern oder beseitigen ktinnte. Das Immunsystem ist ein vielseitiges biologisches Abwehrsystem, dessen Gleichgewichtszustand nicht ungestraft in diese oder jene Richtung verschoben werden kann. Wachstum aber, auch wenn es maligne erscheint, ist mit den primitivsten, aber auch st~irksten Kr~iften des Lebens untrennbar verbunden.

Literatur Bast, R. C., Zbar, B., Borsos, T., Rapp, H. J.: BCG and cancer. New Engl. J. Med. 290, 1413 (1974) Currie, G. A.: Cancer and the immune response, No. 2. In: Current topics in immunology (Ed. Turk). London: E. Arnold 1974 Kersey, J. H., Spector, B. D., Good, R. A.: Immundeficiency and cancer. Advanc. Cancer Res. 18, 211 (1973) Math6, G.: Active immunotherapy. Advanc. Cancer Res. 14, 1 (1971) Math6, G., Weiner, R.: Investigation and stimulation of immunity in cancer patients. In: Recent results of cancer research, Bd. 47. Berlin-Heidelberg-New York: Springer 1975 Nossal, G. J.V.: Principles of immunological tolerance and immunocyte receptor blockade. Advanc. Cancer Res. 20, 91 (1974) Roitt, I.: Essential immunology. London: Blackwell 1972 Warnatz, H.: Tumorimmunologie. Stuttgart: G. Thieme 1975 Priv.-Doz. Dr. U. Dold Chefarzt der inneren Abteilung d. Zentralkrankenhauses D-8035 Gauting Unterbrunner Str. 85 Bundesrepublik Deutschland

[Immunotherapy of cancer: reality or hope? (AUTHOR'S TRANSL)].

The reality of immunotherapy of cancer is still in the trial stages. Supportive immunotherapy combined with conventional cancer therapy can prolong th...
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