Neues aus der Forschung Z Rheumatol 2015 · 74:435–437 DOI 10.1007/s00393-014-1562-1 Online publiziert: 3. Juni 2015 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015

Redaktion

A. Radbruch, Berlin H. Schulze-Koops, München

Altern ist heute eine globale Herausforderung. Der Bevölkerungsanteil der über 60-Jährigen steigt weltweit rapide an. Im Jahr 2030 wird bis zu ein Drittel der Europäer über 60 Jahre alt sein. Die gesundheitlichen Probleme dieser älteren Bevölkerungsschicht stellen eine enorme sozioökonomische Herausforderung für alle Bereiche unserer Gesellschaft dar. Vom biologischen Alterungsprozess sind Moleküle, Zellen, Organe und Organsysteme betroffen. Durch intensive Forschung, teils an kurzlebigen Modellorganismen wie der Hefe, dem Fadenwurm Caenorhabditis elegans oder der Fruchtfliege Drosophila melanogaster, war es in den letzten Dekaden möglich, wesentliche neue Einblicke in die für den Alterungsprozess verantwortlichen Mechanismen zu gewinnen. So weiß man beispielsweise heute, dass Signale über die Insulin/IGF („insulin-like growth factors“)-Achse oder mTOR („mechanistic target of Rapamycin“) die Lebensdauer verkürzen, die Aktivierung von Sirtuinen sie hingegen verlängert [13].

Altern des Immunsystems Auch das Immunsystem altert. Dies manifestiert sich vor allem dadurch, dass alte Leute häufiger und schwerer an Infektionskrankheiten leiden und dass Impfungen im Alter nicht so wirksam sind wie in der Jugend [6, 10]. Auf welche Veränderungen ist dies zurückzuführen?

B. Grubeck-Loebenstein Forschungsinstitut für Biomedizinische Alternsforschung, Universität Innsbruck, Österreich

Immungerontologie – Alternsforschung

Angeborene Immunität

Erworbene Immunität

Im Vergleich zur erworbenen Immunität (s. unten) sind die Prozesse der angeborenen unspezifischen Immunität weniger vom biologischen Altern betroffen [18]. So ändern sich humorale Systeme, wie z. B. das Komplementsystem, mit dem Alter kaum. Trotzdem könnte das unspezifische Immunsystem bei der Entstehung altersassoziierter Erkrankungen eine ­Rolle spielen. So ist z. B. die altersbedingte Makuladegeneration (AMD) mit Polymorphismen/Varianten in Genen, die für Komplementfaktoren kodieren, assoziiert [20]. Während die Zahl der Phagozyten, Granulozyten und Makrophagen meist unverändert bleibt, zeigt sich auf zellulärer Ebene eine Abnahme ihrer Funktion. So gehen z. B. die durch TLR (Toll-likeRezeptoren) mediierte Aktivierung, der „oxidative Burst“ und ihre phagozytische Fähigkeit zurück. NK („natural killer“)Zellen verlieren einen Teil ihrer zytotoxischen Kapazität, proliferieren schwächer und produzieren weniger inflammatorische Zytokine und Chemokine. Die Stimulierbarkeit dendritischer Zellen durch TLR nimmt ebenfalls ab. Außerdem können dendritische Zellen aus Geweben wie der Haut nur vermindert zu den regionalen Lymphknoten migrieren. Ferner sei darauf hingewiesen, dass DNA-Schäden und Seneszenz sowohl unspezifische als auch adaptive Immun­antworten induzieren, die zur Abräumung der geschädigten Zellen führen. Wenn diese Immunantworten im Alter nachlassen und geschädigte Zellen in Geweben persistieren, könnten eventuell auch fehlerhafte Immunantworten gegen Autoantigene entstehen [21].

T-Lymphozyten Durch die frühzeitig beginnende Involution des Thymus sind T-Zellen besonders vom Alterungsprozess betroffen. Die Thymusinvolution beginnt schon bald nach der Geburt und ist zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr nahezu komplett. Das funktionelle Thymusgewebe ist dann durch Fett ersetzt ([12], . Abb. 1). Da T-Lymphozyten das Knochenmark als unreife Zellen verlassen und erst im Thymus reifen, können nach der Thymusinvolution nur noch wenige naive T-Zellen generiert werden. Unterschiede zwischen Mensch und Maus lassen vermuten, dass beim Menschen eine höhere Unabhängigkeit vom Thymus­ output vorliegt [7]. Die Verwendung und Wiederverwendung der in den sekundären lymphatischen Organen vorhandenen T-Zellen führt zu charakteristischen Veränderungen im T-Zell-Repertoire [2]. Die Zahl naiver T-Zellen nimmt kontinuierlich ab und im naiven T-Zell-Pool sind Veränderungen wie eine restringierte Diversität und verkürzte Telomere zu beobachten. Die Zahl klassischer Gedächtnis-T-Zellen (CD28+CCR7+ oder CD28+CCR7−) sowie der Anteil an CD28−-Effektor-T-Zellen nehmen zu. Diese Veränderungen sind in der CD8-Population stärker ausgeprägt als in der CD4-Population und können durch latente CMV (Zytomegalievirus)-Infektionen beschleunigt werden [4]. Longitudinale Studien haben gezeigt, dass CD8+CD28−-T-Zellen mit einer verkürzten Lebensdauer, altersabhängigen Erkrankungen und einer reduzierten Effizienz von Impfungen assoziiert sind [16]. In vitro sind CD8+CD28−-T-Zellen empZeitschrift für Rheumatologie 5 · 2015 

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Neues aus der Forschung

Impfungen

Abb. 1 8 Rückbildung des Thymus (histologische Schnitte reproduziert mit freundl. Genehmigung von Elsevier [12])

findlich gegenüber Apoptose induzierenden Stimuli [3]. Trotzdem akkumulieren sie in vivo. Warum? Die Antwort auf diese Frage liegt vermutlich in der Tatsache, dass CD8+CD28−-T-Zellen durch Substanzen wie IL (Interleukin)-15 am Leben erhalten werden können. IL-15 wird aus bisher noch nicht geklärter Ursache im alten Organismus speziell im Knochenmark vermehrt produziert [14]. Ferner konnte gezeigt werden, dass IL-15 produzierende Zellen im alten humanen Knochenmark häufig in direkter räumlicher Assoziation mit hoch differenzierten CD8+-T-Zellen sind. Die Zahl der CD8+CD28−-T-Zellen im Knochenmark ist im Alter deutlich höher als in der Peripherie, und sie produzieren pro­inflammatorische Zytokine. Inwieweit sie in der Abwehrreaktion von Nutzen sind oder hauptsächlich Platz im Knochenmark einnehmen, der eigentlich für andere Zellen wie CD4-Helfer-T-Zellen oder Plasmazellen benötigt würde, ist noch nicht geklärt.

Spezifität gegenüber Influenza sind weniger betroffen. Inwieweit die niedere Zahl von Plasmazellen im Knochenmark auch durch altersabhängige Veränderungen von Nischenproteinen zu erklären ist, ist zurzeit Thema intensiver Forschung.

B-Lymphozyten

Degenerative altersassoziierte Erkrankungen

B-Lymphozyten verlassen das Knochenmark als reife Zellen. Allerdings sind mit zunehmendem Alter mehrere Reifungsschritte gestört, sodass die Produktion von B2-Zellen ab dem jungen Erwachsenenalter kontinuierlich zurückgeht [19]. In diesem Zusammenhang ebenfalls von Bedeutung ist die Tatsache, dass der Anteil der lymphoid programmierten hämatopoietischen Stammzellen im Alter abnimmt [11]. Ähnlich wie bei den T-Zellen nimmt auch die Zahl naiver B-Zellen im Alter ab [5]. Auch die Zahl der Plasmazellen im peripheren Blut und im Knochenmark nimmt ab [17]. Stark vermindert ist im Knochenmark der Anteil Tetanus- und Diphtherie-spezifischer Plasmazellen, Zellen mit

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Klinische Implikationen der Alterung des Immunsystems Infektionskrankheiten Auf die Häufigkeit und Schwere von Infektionskrankheiten im Alter wurde bereits hingewiesen [10]. In diesem Zusammenhang erwähnenswert sind virale oder Pneumokokkenpneumonien sowie Herpes zoster. Ebenfalls häufig kommen bei alten Menschen postoperative Sepsis und Infektionen mit opportunistischen Bakterien, wie z. B. Staphylococcus aureus, vor. Ein Problem stellt auch die verminderte Elimination von Pathogenen in Phagozyten dar, wie z. B. bei der Tuberkulose.

Durch degenerative Prozesse oder die insuffiziente Elimination von Pathogenen kommt es im Alter ferner ubiquitär häufig zu subklinischen inflammatorischen Prozessen, die unter dem Begriff „inflammaging“ – Entzündung des Alters – zusammengefasst sind [8]. Diese Entzündungsprozesse sind bei der Entstehung und Progredienz altersassoziierter Erkrankungen wie der Alzheimer-Erkrankung, der Osteoporose oder der Arteriosklerose wesentlich [9].

Durch das Altern des Immunsystems lässt die Wirkung von Impfungen nach [6]. Davon besonders betroffen sind Impfungen mit Neoantigenen wie z. B. gegen Hepatitis B oder Reiseimpfungen. Bei Auffrischungsimpfungen ist zu bedenken, dass oft keine ausreichende Primärimmunisierung vorliegt, was nur kurz anhaltende Immunität zur Folge haben kann.

Möglichkeiten, in den Alternsprozess einzugreifen Durch verbessertes Verständnis der molekularen Mechanismen der Zellalterung sind Interventionen, die zu langem und gesundem Leben beitragen können, keine Utopie mehr: Sirt1-Aktivatoren sind z. B. kleine synthetische Moleküle, die bereits beim Menschen zur Behandlung metabolischer Störungen erprobt werden [15]. Rapamycin, das den mTOR-Transduktionsweg hemmt und auch als Immunsuppressivum eingesetzt wird, scheint unter bestimmten Bedingungen zur Verbesserung der Qualität der Immunreaktion zu dienen [1].

Fazit für die Praxis F Alterungsprozesse im Bereich des Immunsystems sind Ursache für vermehrte Häufigkeit und schweren Verlauf von Infektionskrankheiten und tragen zur Progredienz degenerativer Erkrankungen bei. F Auf gesunde Ernährung, Bewegung, soziale Kontakte, geistige Betätigung, aber auch regelmäßige Gesundheitsvorsorge und Impfungen ist zu achten. F Durch ein besseres Verständnis der molekularen Grundlagen des biologischen Alterns sind neue Interventionsmöglichkeiten, wie z. B. mit Sirt1-Aktivatoren, die langes und gesundes Leben bewirken sollen, denkbar.

Fachnachrichten Korrespondenzadresse Prof. Dr. B. Grubeck-Loebenstein Universitätsprofessorin für Immungerontologie, Leiterin des Forschungsinstitut für Biomedizinische Alternsforschung, Universität Innsbruck Rennweg 10, 6020 Innsbruck Österreich [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  B. Grubeck-Loebenstein gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

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Erhöhte Zytokinspiegel bei Adipositas Eine interdisziplinäre Studie des Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrums (IFB) Adipositaserkrankungen der Universität Leipzig zeigt, dass bei Adipositas mehr Zytokine im Fettgewebe produziert und ins Blut sezerniert werden als bisher angenommen. Für die Studie wurden bei 200 adipösen und normalgewichtigen Studienteilnehmern die Zytokinspiegel im Blut sowie die körperliche Aktivität und der Energieverbrauch bestimmt. Bei normalgewichtigen Probanden waren die Level der Zytokine Interleukin-5 und Interleukin-13 niedriger als bei adipösen Personen. Am höchsten waren die Werte einiger Zytokine bei bauchbetonter Adipositas. Viszerales Fett ist somit mit verstärkten Entzündungszeichen und folglich mit einer Neigung zu Stoffwechselstörungen, Typ-2-Diabetes und Herz- Kreislauf-Erkrankungen verbunden. Die höchsten Konzentrationen bestimmter Zytokine fanden sich bei Probanden, die zusätzlich zur Adipositas an Depressionen erkrankt waren. Dieser Zusammenhang kann durch den Einfluss von Zytokinen auf den Serotoninspiegel erklärt werden. Darüber hinaus fanden die Wissenschaftler heraus, dass körperliche Bewegung auch bei adipösen Menschen die Produktion der entzündungsfördernden Zytokine senken kann. Diese Ergebnisse machen deutlich, wie vermehrte körperliche Aktivität vor den schweren Folgeerkrankungen starken Übergewichts schützt. Literatur: Schmidt FM, Weschenfelder J, Sander C et al (2015) Inflammatory cytokines in general and central obesity and modulating effects of physical activity. PloS One doi:10.1371/journal.pone.0121971 Quelle: Universität Leipzig, www.uni-leipzig.de

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