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Manchmal eine Gratwanderung

Wie darf der Arzt beim Sterben helfen?



Eine 76-jährige Witwe, die unter schwerer KHK sowie Gon- und Coxarthrose litt, wurde wegen Schmerzen und Schlafstörungen mit Opioiden und Barbituraten behandelt. Nach dem Tod ihres Mannes „Peterle“ hatte sie ihre sonstigen Medikamente abgesetzt. Sie hatte auch eine schrift liche Verfügung für ihren Hausarzt verfasst, dass sie im Notfall keine lebensverlängernden Maßnahmen und keine Einweisung in die Klinik wünsche. Bei einem Hausbesuch fand der Hausarzt, der wie sonst auch mit einem Schlüssel unter der Fußmatte in das Haus kam, die Patientin bewusstlos, pulslos und mit flacher Atmung im Bett vor. Leere Packungen von Opioiden und Barbituraten sowie ein Zettel mit der Aufschrift „Ich will zu meinem Peterle“ ließen keinen Zweifel an einem Suizid. Der Hausarzt respektierte den Wunsch der Patientin, unternahm nichts, blieb aber bis zum Eintritt des Todes bei der Frau. Erst danach leitete er die nötigen organisatorischen Maßnahmen ein. Beim Verlassen des Hauses wurde er von Nachbarn beobachtet, die ihn später anzeigten. Dr. med. Ernst Bühler, Kreiskliniken Esslingen, Kirchheim unter Teck, führte mit diesem Fall, der sich vor 30 Jahren ereignet hatte, in die Thematik ein.

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Der Wille des Patienten wird immer wichtiger.

© Ugurhan Betin / istockphoto.com

Passive Sterbehilfe und indirekte Sterbehilfe sind gesetzlich zulässig; auch bei Tötung durch Unterlassen, z. B. Verzicht auf lebensrettende Maßnahmen beim fortgeschrittenen Suizid, geht der Arzt heute in der Regel straffrei aus, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Dagegen sind Tötung auf Verlangen und Tötung aus Mitleid weiterhin aus guten Gründen nicht erlaubt. Die Assistenz beim Suizid wird zwar strafrechtlich nicht verfolgt, aber von einigen Ärztekammern als standeswidrig betrachtet. Das kann Ärzte in ein Dilemma bringen.

Freispruch bei Tötung durch Unterlassen Obwohl der Arzt aufgrund seiner Garantenstellung grundsätzlich zur Rettung verpflichtet ist, sprach der Bundesgerichtshof den Hausarzt schließlich frei, weil er den Wunsch der Patientin respektiert habe, und eine Rettung bei dem fortgeschrittenen Suizid nur unter Inkaufnahme schwerer Dauerschäden möglich gewesen wäre. Damals war der Freispruch in einem solchen Fall von Tötung durch Unterlassen noch nicht die Regel, so Prof. Dr. jur. Konrad Stolz, Esslingen. Die Autonomie der Patienten hat aber seitdem sehr an Bedeutung gewonnen und schränkt die Garantenpflicht des Arztes stärker ein. Voraussetzung für die Straffreiheit ist, dass der Patient nach Ermessen des Arztes aus freiem Willen gehandelt hat. Während ein Hausarzt, der den Patienten lange kennt, das richtig einschätzen kann, tut sich ein anderer Arzt viel schwerer. Übrigens: Ein medizinischer Laie, der in einem solchen Fall nichts unternimmt, macht sich wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar! Passive Sterbehilfe Die passive Sterbehilfe, das Sterben lassen, ist seit 2009 gesetzlich geregelt, und orientiert sich am mutmaßlichen oder in einer Patientenverfügung festgehaltenen Willen

des Patienten. Sie schließt nicht nur den Verzicht auf eine Therapie, sondern auch den Abbruch einer Behandlung in einer ausweglosen Situation ein. „Auch wenn ein Beatmungsgerät aktiv abgestellt wird, ist dies passive Sterbehilfe“, so Stolz. Ist der Wille des Patienten unbekannt oder kann nicht ermittelt werden, müssen lebenserhaltende Maßnahmen fortgeführt werden, solange eine Indikation dafür besteht. Unter indirekter Sterbehilfe versteht man v. a. die Schmerzbekämpfung bei terminal Kranken mit hoch dosierten Opioiden, die eine Lebensverkürzung in Kauf nimmt. Auch sie ist zulässig. Anders die Tötung auf Verlangen, etwa wenn ein entscheidungsfähiger Patient seinen Arzt bittet, ihm eine tödliche Spritze zu geben. Dies ist strafbar, ebenso wie die Tötung aus Mitleid, bei der z. B. ein Arzt einen nicht mehr urteilsfähigen Patienten durch eine Überdosis Schmerzmittel „erlöst“. Indirekte Sterbehilfe oder Tötung aus Mitleid? Die Grenze zu ziehen zwischen indirekter Sterbehilfe und Tötung aus Mitleid ist nicht immer leicht. Entscheidend ist die Absicht des Arztes: Bei indirekter Sterbehilfe gibt der Arzt das Schmerzmittel, um das unerträgliche Leid zu lindern. Tötet

MMW-Fortschr. Med. 2015; 157 (S1)

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Wie gelingt würdevolles Sterben?

Ärztlich assistierter Suizid – Pro und Kontra Nur eine Zulassung des ärztlich assistierten Suizids würde rechtliche Unsicherheiten beseitigen. Dafür gibt es mehrere Argumente, insbesondere der Respekt vor der Autonomie des Patienten. Auch würde eine Zulassung dem Umstand Rechnung tragen, dass sich die große Mehrheit der Bevölkerung in einer solchen Situation ärztliche Hilfe wünscht und nicht auf andere Angebote angewiesen sein möchte. Schließlich kann auch nur ein Arzt beurteilen, ob ein Patient selbstbestimmungsfähig und ob seine medizinische Prognose hoffnungslos ist. Ethisch besteht zwischen passiver Sterbehilfe und assistiertem Suizid kaum ein Unterschied, weil in beiden Fällen dem Wunsch des Patienten, aus dem Leben zu scheiden, entsprochen wird. Aber es gibt auch gute Argumente gegen eine Zulassung des assistierten Suizids. Dieser würde dadurch seinen Ausnahmestatus verlieren und als gesellschaftliche Normalität akzeptiert werden. Die Bemühungen um Suizidprävention würden unterlaufen, und alternative Optionen eines würdevollen Sterbens an Stellenwert verlieren. Schließlich könnte der assistierte Suizid auch von Angehörigen oder der Gesellschaft als Instrument der fremdbestimmten Einflussnahme missbraucht werden. Die Ärzteschaft scheint mehrheitlich nicht soweit zu sein, in die zu ihrer eigentlich Berufung konträre Rolle des Suizidbegleiters zu schlüpfen. In einer Umfrage (Allensbacher Archiv 2009) gaben 37% der Ärzte an, sich unter bestimmten Bedingungen vorstellen zu können, Assistenz beim Suizid zu leisten; für 61% käme dies auf keinen Fall in Frage.

der Arzt aus Mitleid, nimmt er den Tod nicht nur als Nebenfolge in Kauf, sondern führt ihn bewusst herbei.

Die Beihilfe zum Suizid ist wie der Suizid in Deutschland straffrei, wenn der Betreffende wegen einer hoffnungslosen Lage

selbstbestimmt aus dem Leben scheiden will. Es ist auch nicht verboten, dass ein Arzt einem Patienten ein tödliches Medikament zur Verfügung stellt, das dieser später aus freiem Willen nimmt. Rechtlich bleibt der Arzt zwar straffrei. Aber manche Ärztekammern stufen Beihilfe zum Suizid als standeswidriges Verhalten ein. Der Deutsche Ethikrat empfahl am 18.12.2014, dass die Ärztekammen einheitlich zum Ausdruck bringen sollten, dass ungeachtet des Grundsatzes, dass Beihilfe zum Suizid keine ärztliche Aufgabe ist, im Widerspruch dazu stehende Gewissensentscheidungen in einem vertrauensvollen Arzt-Patient-Verhältnis in Ausnahmesituationen respektiert werden. Das nimmt dem Arzt die Unsicherheit aber auch nicht. Denn er behält das Risiko, dass die Kammer später nicht akzeptiert, dass es sich um eine Ausnahmesituation gehandelt hat, und ihm die Zulassung als Arzt entzieht. Dr. med. Angelika Bischoff ■ ■„Medizin 2015“, Stuttgart, 30. Januar 2015

[How may a physician help the dying patient?].

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