Fortschr. Röntgenstr. 123, 3

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Fortschr. Rontgenstr. 123,3 (1975) 253-254 © Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Von D. Schoen und D. Puppe 2 Abbildungen Strahienabteilung (Ding. Arzt: Prof. Dr. nied. D. Schoen) des Städtischen Augustc.Vikioria.Krankenhauscs n Berlin-Schonebcrg

Es werden die Häufigkeiten der bekanntgewordenen schweren und tödlichen Zwischenfälle nach i.v. Injektion von Biligrafin forte für zwei Zeitabschnitte miteinander verglichen. Während des ersten Zeitabschnitts wurden Testampullen zur Vorprobe mitgeliefert; während des zweiten Zeitabschnitts wurden keine Testampullen mehr hergestellt! Es zeigt sich, daß der weitgehende Verzicht auf die Vorprobe im Vergleich zum Zeitraum, in dem Testampullen mitgeliefert wurden, keine Erhöhung der Komplikationsrate mit sich gebracht hat. Auf die Problematik des Vergleichs wird hingewiesen. Als Kontrastmittel-Zwischenfall wird das Mißverhältnis zwischen der bis zum paroxysmalen Schock gesteigerten individu-

ellen Reaktionsstärke und der Normdosis des applizierten wasserlöslichen Röntgen-Kontrastmíttels bezeichnet. Ebenso

wie bei liberempfindlichkeiten gegen andere Arzneimittel lassen sich auch bei den leichten bis schweren Nebenwirkungen der wasserlöslichen Kontrastmittel toxische von allergi-

schen bzw. hyperergischen Vorgängen nicht immer scharf abgrenzen (11).

Das positive oder negative Resultat der lege artis durchgeführten Vorprobe ist mit der Verträglichkeit der nachfolgend inj izierten Kontrastmittel-Hauptmenge zwar stochastisch korreliert; im konkreten Einzelfall ist jedoch das Ergebnis der Vorprobe für die tatsächliche Verträglichkeit des Kontrastmittels nicht verbindlich (zus, bei 11; 5; 13)! Diese Zweideutigkeit der Vorprobe ist ein allergologisch bekanntes und meist auch erklärbares Phänomen (4), das fur den nicht spe-

ziell allergologisch geschulten Arzt erfahrungsgemäß mehr Verwirrung als Nutzen bringt. Die enttäuschenden Ergebnisse der intravenösen Vortestung veranlaßten die Europäische Radiologische Gesellschaft 1967 zu der Erklärung, daß kein klinischer oder Laboratoriumstest bekannt sei, der die korrekte Voraussage schwerer oder tödlicher Zwischenfälle nach Kontrastmittelanwendung ge-

statten würde (12). Unter Berufung auf diese Erklärung stellte die pharmazeutische Industrie die Produktion von Ampullen, die nur 1 ml des Kontrastmittels zur Vortestung enthielten, ein.

Seit April 1968 wurden wasserlöslichen jodhaltigen Kontrastmitteln der Firma Schering keine Testanipullen mehr bei-

How effective are tests for avoiding contrast reactions? The frequency of known severe and fatal reactions after intravenous injections of biligrafin forte were compared during two periods. During the first period rest ampules were provided; during the second period, the test ampules were no longer made. lt was shown that the failure to perform tests did nor result in any increase in the complication rate when compared with the period when test ampules were available. The problems arising from this comparison are discussed, (F. St.)

Zweifellos ist es von größtem Interesse zu erfahren, wie sich die Einstellung der Produktion von Testampullen und damit der weitgehende Verzicht auf die Vorprobe im Hinblick auf die Komplikationshäuflgkeit ausgewirkt haben. Auf unsere Bitte hat uns die Firma Schering die ihr bekannten Zwischenfallshäufigkeiten in Deutschland für Biligrafin forte® mitgeteilt. I)abei wurden die Häufigkeiten aus dem Anteil der eingegangenen Meldungen über Komplikationen an der Menge der verkauften Ampullen errechnet. Eine Auswahl der mitgeteilten Todesfälle und schweren Zwischenfälle hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit eines Kausalzusammenhanges mit der Kontrastmittelinjektion oder hinsichtlich des etwaigen Vorliegens einer Kontraindikation für eine intravenöse Cholegra-

phie wurde nicht getroffen: Es wurden grundsätzlich alle gemeldeten Zwischenfälle gezählt, selbst wenn ein Kausalzu-

sammenhang vom untersuchenden Arzt verneint worden war. Die Abb. 1 und 2 veranschaulichen die Ergebnisse der Analyse. Bei der jährlichen Anzahl der Kontrastmittelzwischen-

fälle handelt es sich um Ereignisse mit einer sehr kleinen Ereígniswahrscheinlichkeít bei einer sehr großen Zahl von Ereignismöglichkeiten. Für die Wahrscheinlichkeitsberechnung gilt damit - ähnlich wie für die Abschätzung der Verträglichkeit von Seruminjektionen (9) - die Poisson-Verteilung. Die Vertrauensbereiche für den Mittelwert einer Poisson-Verteilung sind 1959 von Crow und Gardner (1) berechnet worden. In Abb. 1 und 2 sind die hiernach ermittelten Vertrauensbereiche für die statistische Wahrscheinlichkeit von 950/e angegeben. Es zeigt sich, daß der weitgehende Verzicht auf die Vorprobe

gelegt. Es ist anzunehmen, daß Ende 1968 die Vorräte an Packungen, die noch Testampullen enthielten, aufgebraucht

nicht zu einer Erhöhung der Komplikationsrate bei der i.v.

gewesen sein dürften und deshalb ab 1969 Vortestungen nicht mehr im früher üblichen Umfang vorgenommen wurden. Da nicht auszuschließen ist, daß vereinzelt ein Teil der Kontrast-

unterstellen wir, daß 1. die Häufigkeiten der Zwischenfälle, die der Firma Schering möglicherweise nicht zur Kenntnis gelangt sind, in den beiden miteinander verglichenen Zeiträumen gleich verteilt sind, daß 2. der Anteil etwa verworfener, nicht oder nur teilweise injizierter Ampulleninhalte in

mittcl-Hauptmenge auch weiterhin zur Vorprobe benutzt wurde, kann von einer vollständigen Einstellung der Vorproben ab 1969 jedoch nicht gesprochen werden!

Injektion von Biligrafin forte® geführt hat! Bei dieser Aussage

den beiden Zeiträumen ebenfalls gleich ist und daß 3. die aus-

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In welchem Ausmaß hat sich die Vortestung auf die Verhütung von Kontrastmittel-Zwischenfällen ausgewirkt

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D. Schoen und D. Puppe: Vortestung auf dic Verhütung von Kontrastrnittel-Zwischenfällen

Fortschr. Rönrgensrr. 123,3 mit

Testampullen

ohne Test ampullen 106

224 224

loo loo

-

Abb. 1.

Anteil der mitgeteilten schweren,

nicht tödlichen Zwischenfälle an den pro -//

'r

7955 1955

Kalenderjahr verkauften Ampullen von BiliI

60 60

I

T

I

II

65 65

gratin forte®.

II

I

66 68

69 69

74 74

Ko1nderjahr Kale nderjohr mit

ohne

rest ampullen

Te st am pu/len

300

:250 - 250

200

-

150 150

100

50 -- 50

'955

60

65

68

69

Anteil der mitgeteilten tödlichen Zwischenfälle an den pro Kalenderjahr verkauften Ampullen von Biligrafin furte®. Abb. 2.

74

Kalenderjahr Ka1ederjolr

gelieferten Testampullen überwiegend zur Vorprobe verwendet wurden. Diese Vorbehalte schränken unsere Aussage ein. Andererseits besteht keine andere Möglichkeit, sich über den

Wert der Vorprobc an einem derart grofen Krankengut zu informieren. Zum Vergleich der Komplikationshäufigkeiten in den heiden Zeirahschnitten sind Nicrcnkontrastmittel nicht geeignet, da diese Kontrastmitrel i. a. auch zur Angiographie (mit einer eiltsprechend höheren Komplikationsrate) verwendet werden könneil, was sich aus den unserer Berechnung zugrunde gelegten Verkaufszahlcn nicht erkennen lassen würde. Die oben zitierte Erklärung der Europäischen Radiologischen

Gesellschaft ist empirisch bestätigt! Der Verzicht auf die Vorprobe bedeutet kein höheres Risiko für die Patienten! Auferdem erweist sich die früher geäuerte Vermutung (10,

fillcn bei Verwendung jodierter lilt raveniiser Kontrastmittel. Röntgen-Ill. 21

(5) l'endergrass, E. P., G. W. Chamberlin, k. \V. Godfrey, F. D. Ilurdick:

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110) Schoen, D.: Cber die Gefahren bei der mntravasaleim An svendung jodhalti-

R. L. Tondreau, C. C. Powell, E. D.

11), die seinerzeit mitgeteilten Statistiken (2, 3) über die Korn-

(1) Crow, E. L., R. S. Gardner: Confidence intervals br the expectation of a I'oisson variable. Bloinetrika 46 (1959)

48 11962) 741

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plikationsdichte könnten gereinigt sein, weil Patienten mit positivem Ausfall der Vortestung unbemerkt hätten aussortiert gewesen sein können, jetzt als entkräftet. Literatur

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[How effective are tests for avoiding contrast reactions].

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