Medizinrecht Unfallchirurg 2015 · 118:76–80 DOI 10.1007/s00113-014-2700-6 Online publiziert: 19. Dezember 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

Redaktion

W. Mutschler, München J. Neu, Hannover K.-G. Kranz, München

M. Beirer1 · S. Deiler1 · J. Neu2 1 Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie, Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München 2 Rechtsanwaltspraxis, Hannover

Hochdruckinjektionsver-  letzung an der Hand Unterschätzung der Verletzungsschwere

Sachverhalt Der 44 Jahre alte Patient zog sich gegen 15:30 Uhr im Rahmen eines Arbeitsunfalls eine Hochdruckinjektionsverletzung mit heißem Hydrauliköl an seinem linken Zeigefinger zu. Vier Stunden nach dem Unfall erfolgte die Vorstellung beim Durchgangsarzt in einer Notfallambulanz des Krankenhauses, hierbei wurde eine 5×3 mm große Wunde an der Beugeseite des Zeigefingerendgelenks mit einer geschätzten Tiefe von etwa 3 mm festgestellt. Als Erstbehandlung erfolgte eine Spülung der Wunde mit wässriger 10%iger Povidon-Iod-Lösung, durch Austamponieren der Wunde wurden Ölreste entfernt. Eine Diagnostik mit Röntgenuntersuchung, eine Revision der Wunde, eine Antibiotikagabe oder eine Ruhigstellung erfolgten nicht. Durch den erstbehandelnden D-Arzt wurde entsprechend dem Bericht eine besondere ambulante Heilbehandlung durchgeführt, weitere besondere Maßnahmen seien nicht erforderlich, falls erforderlich solle der Patient sich bei seinem Hausarzt vorstellen. Der Patient wurde als „arbeitsfähig“ entlassen. Am 1. Tag nach dem Unfall stellte sich der Patient mit starken Schmerzen und einer Schwellung sowie einer Rötung des Zeigefingers in der Abteilung für Allgemein-, Unfall- und Orthopädische Chirurgie eines Klinikums vor. Dort erfolgte gegen 14:00 Uhr unter der Diagnose einer Beugesehnenphlegmone des linken Zeigefingers eine notfallmäßige operative Revision mit einem chirurgischen Wunddé-

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bridement, Spülung, Einlage eines Spülkatheters und Ruhigstellung des Fingers. Des Weiteren wurde eine Antibiotikabehandlung eingeleitet. Am 5. und am 9. Tag nach dem Unfall erfolgten weitere Eingriffe im Sinne von Second-look-Operationen. Im weiteren Verlauf trat eine Beugesehnenscheidennekrose auf, 4 Wochen nach der Erstversorgung wurde ein entstandener Haut-Subkutis-Defekt mit einem Vollhauttransplantat gedeckt. In der Folgezeit trat noch ein subkutanes Panaritium radiodorsal am Zeigefinger auf. Letztlich musste das Endgelenk des Zeigefingers operativ versteift werden. Bei einer abschließenden berufsgenossenschaftlichen Untersuchung 9 Monate nach dem Unfall bestanden noch eine mäßiggradige Schwellung, eine Sensibilitätsstörung im Bereich der Fingernerven III und IV und eine Bewegungseinschränkung des Zeigefingermittelgelenks mit einem Bewegungsausmaß von 0-0-50°. Das Endgelenk war in Streckstellung versteift. Radiologisch war noch kein vollständiger Durchbau zu erkennen. Behandlungsbedürftigkeit bestand über 6 Monate.

Beanstandung der ärztlichen Maßnahmen Der Patient vermutet eine Fehlbehandlung. Seiner Ansicht nach hätte die Verletzung bereits am Unfalltag eine tiefergehende Untersuchung mit Antibiotikagabe erfordert, wenigstens aber die Empfehlung, sich bei Komplikationen bei einem

Chirurgen vorzustellen und nicht wie empfohlen, bei seinem Hausarzt.

Stellungnahme des Krankenhauses Der Vorwurf fehlerhaften Handelns wird vom erstbehandelnden Krankenhaus unter auszugsweiser Schilderung der Diagnostik und Behandlung am Unfalltag zurückgewiesen. Eine Schwellung der Hand könne zu diesem Zeitpunkt nicht bestätigt werden. Der vom Patienten geschilderte spätere Verlauf sei zwar bei Möglichkeit des Auftretens späterer Nekrosen glaubhaft, könne jedoch nicht aus eigener Sicht bestätigt werden, da der Patient sich nach der Erstversorgung nicht wieder vorgestellt hätte. Eine Falschbehandlung bei der Erstversorgung sei nicht nachvollziehbar.

Externes Gutachten Unter Berücksichtigung der Literatur zum Problem der Spritzpistolenverletzung und der Beurteilung der vorliegenden Röntgenaufnahmen sei davon auszugehen, dass die Schwere der Verletzung bei der Erstversorgung in der Notaufnahme des erstversorgenden Krankenhauses unterschätzt worden sei. Die eingeleitete konservative Therapie und die Weitergabe der Behandlung in die Diese Kasuistik entstammt der gemeinsamen Fallsammlung aller zehn Mitgliedskammern der norddeutschen Schlichtungsstelle in Hannover. Redaktionelle Bearbeitung und Addendum: Dr. Marc Beirer, Dr. Stephan Deiler und RA Dr. jur. Johann Neu.

Hände des Hausarztes seien als behandlungsfehlerhaft zu werten. Es hätte bei Kenntnis des Unfallhergangs und der in einer Notfallambulanz als bekannt vorauszusetzenden Problematik der Spritzpistolenverletzung eine sofortige notfallmäßige operative Exploration stattfinden müssen. Die Wunde hätte sparsam exzidiert und das unter hohem Druck eingedrungene Hydrauliköl bis in den Bereich des Grundglieds unter handchirurgischen Bedingungen entfernt werden müssen. Die dazu notwendigen Maßnahmen seien unterlassen worden, sodass ein fehlerhaftes Verhalten des Erstbehandlers festzustellen sei. Die gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die nach dem geschilderten Unfalltrauma ohnehin zu erwarten gewesen wären, seien sehr schwer einzuschätzen. Auch die Frage nach den allein fehlerbedingten gesundheitlichen Beeinträchtigungen sei schwer zu beantworten. Es sei aber mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Keimvermehrung in den fehlerbedingt verstrichenen Stunden bis zur operativen Revision im zweitbehandelnden Klinikum nicht eingetreten wäre und sich daher die Folgeeingriffe nicht derart umfangreich dargestellt hätten. Auch die operative Versteifung des Endgelenks müsse mit hoher Wahrscheinlichkeit als allein fehlerbedingt angesehen werden. Die Heilungschance mit einer Restitutio ad integrum sei durch die fehlerbedingte Verzögerung der operativen Therapie versäumt worden. Somit sei von einer fehlerbedingten Verzögerung des Heilungsverlaufs über einen Zeitraum von 6 bis 8 Wochen hinaus auszugehen.

Entscheidung der Schlichtungsstelle Nachdem der Unfall sich laut Durchgangsarztbericht um 15.30 Uhr ereignete und die Vorstellung in der Notfallambulanz um 19.30 Uhr erfolgte, wäre bei sachgerechter Diagnostik und Therapie eine operative Revision 4 h nach dem Unfall möglich gewesen. Fehlerhaft sei gewesen, dass am Unfalltag keine unverzügliche chirurgische Exploration durch Wundrevision, Débridement, Spülung und Drainageneinlage erfolgte. Fehlerhaft unterblieben seien zudem die Gabe von Anti-

biotika und die Ruhigstellung mittels Schiene. Im vorliegenden Fall sei die zu fordernde operative Revision erst am Folgetag etwa 20 h später gegen 14.00 Uhr erfolgt. Insbesondere die Bedeutung der erforderlichen frühzeitigen operativen Revision in einer derartigen Situation sei nochmals zu betonen, die zum einen der Diagnostik und zum anderen der Therapie diene. Angesichts der Unfallanamnese hätte zunächst eine akribische Exploration des Wundgebiets erfolgen müssen, um das Verletzungsausmaß, insbesondere die Eindringtiefe des Hydrauliköls, abschließend feststellen zu können. Vor diesem Hintergrund sei ein Befunderhebungsmangel festzustellen, wobei aufgrund des nachfolgenden Verlaufs und des Berichts der Operation am Tag nach dem Unfall davon auszugehen sei, dass die Exploration einen pathologischen Befund ergeben hätte, der im Vergleich zu der am Unfalltag erfolgten oberflächlichen in Augenscheinnahme der Wunde, hinausgegangen wäre. Es hätte sich dann bereits am Unfalltag eine im Wesentlichen dem Vorgehen am Folgetag entsprechende Wundrevision mit Débridement, Spülung usw. angeschlossen. In diesem Zusammenhang sei ergänzend auch auf die schon 1981 von Ernst Scharizer publizierten Ergebnisse der Behandlung in Abhängigkeit vom Zeitfaktor hinzuweisen. Danach waren die Ergebnisse einer radikalen operativen Revision F nach 1 h in 87,5% gut, in 12,5% schlecht, F nach 1–4 h in 79,5% gut, in 21,5% schlecht, F nach 6–12 h in 40% gut, in 60% schlecht, F nach 24–48 h in 10% gut, in 30% schlecht, Amputationen 60%, F nach 3 bis 6 Tagen in 0% gut, in 25% schlecht, Amputationen 75%. Das Ziel der Behandlung einer Hochdruckinjektionsverletzung, nämlich Rettung der Zirkulation und Vermeidung einer Infektion, war danach nur bei chirurgischer Intervention in den ersten ein bis ca. 4 h erreichbar. Bei korrektem Vorgehen, d. h. sofortiger operativer Exploration innerhalb der ersten beiden Stunden nach Vorstel-

lung des Patienten, wäre eine Operation in jedem Fall erforderlich geworden, wobei nach ärztlicher Erfahrung mit einem befriedigenden bis guten Endergebnis innerhalb einer Behandlungszeit (Wundheilung und anschließende Physiotherapie) von 6 bis 8 Wochen zu rechnen gewesen wäre. Fehlerbedingt sei es zu einer Beugesehnenphlegmone mit der Notwendigkeit mehrfacher operativer Revisionen einschließlich der operativen Versteifung des Zeigefingerendgelenks und die dadurch bedingte Greifbehinderung gekommen und der über einen Zeitraum von 6 bis 8 Wochen hinausgehenden Behandlungsdauer. Die Operationsverzögerung sei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ursächlich für eine deutlich schlechtere Ausgangssituation, die wiederum maßgebend für die eingeschränkte Funktion des Zeigefingers im Endresultat sei.

Addendum Hochdruckinjektionsverletzungen an der Hand stellen trotz dem häufigen industriellen Einsatz von Druckpistolen eine sehr seltene, aber ernste Verletzung dar. Die Weiterbildungsordnungen für Handchirurgie der Landesärztekammern fordern u. a. 10 Versorgungen besonderer Verletzungen wie z. B. Brandverletzungen, chemische Verletzungen, Elektrotraumen, Kompartmentsyndrome, Volkmann-Kontrakturen sowie Spritzpistolenverletzungen [1]. Bei ca. einer von 600 Handverletzungen liegt eine Hochdruckinjektionsverletzung vor [2]. Selbst in großen handchirurgischen Zentren werden durchschnittlich nur 1–4 dieser Verletzungen pro Jahr behandelt [3]. Bei den injizierten Substanzen handelt es sich meist um Fette, Farben bzw. Lacke, Hydrauliköl, Dieselkraftstoff, Farbverdünner oder Wasser [4]. Dennoch stellt diese Verletzung einen handchirurgischen Notfall dar, da das initiale klinische Erscheinungsbild oft einer oberflächlich wirkenden Hautläsion entspricht und so wie eine Bagatellverletzung erscheint, weswegen Hochdruckinjektionsverletzungen leicht unterschätzt werden und in der Folge eine inadäquat zurückhaltende Therapie eingeleitet wird [5]. Die hohe Gewebetoxizität der injizierten Substanzen kann allerdings rapiDer Unfallchirurg 1 · 2015 

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Zusammenfassung · Abstract Unfallchirurg 2015 · 118:76–80  DOI 10.1007/s00113-014-2700-6 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 M. Beirer · S. Deiler · J. Neu

Hochdruckinjektionsverletzung an der Hand. Unterschätzung der Verletzungsschwere Zusammenfassung Ein 44-jähriger Patient zog sich im Rahmen eines Arbeitsunfalls eine Hochdruckinjektionsverletzung mit heißem Hydrauliköl am linken Zeigefinger zu. Bei der Vorstellung beim Durchgangsarzt 4 h später wurde die Wunde gespült und austamponiert. Röntgendiagnostik, Wundrevision, Antibiotikagabe oder Ruhigstellung erfolgten nicht. Einen Tag später stellte sich der Patient mit einer schmerzhaften Schwellung und Rötung des Zeigefingers in einer Klinik vor. Hier erfolgte bei einer Beugesehnenphlegmone die notfallmäßige operative Revision, Antibiotikagabe und Ruhigstellung des Fingers. Trotz folgender Revisionsoperationen trat im Verlauf eine Beugesehnenscheidennekrose mit Hautsubkutisdefekt auf, weswegen eine Vollhaut-

transplantation und schließlich eine operative Versteifung des Zeigefingerendgelenks durchgeführt wurden. Neun Monate nach dem Unfall bestanden eine Weichteilschwellung, eine Sensibilitätsstörung und eine Bewegungseinschränkung des Zeigefingermittelgelenks bei in Streckstellung versteiftem Endgelenk. Im anschließenden Arzthaftungsstreit warf der Patient dem initial behandelnden Arzt eine falsche Behandlung seiner Hochdruckinjektionsverletzung mit einer zu ungenauen Untersuchung und nicht erfolgten Antibiotikagabe vor. Das Gutachten der Schlichtungsstelle stellte eine fehlerhafte Erstbehandlung fest. Bereits bei der ersten Vorstellung hätte eine sofortige notfall-

mäßige operative Exploration der Wunde erfolgen müssen. Hierdurch hätten sich die Folgeeingriffe weniger umfangreich gestaltet und eine operative Versteifung des Fingerendgelenks hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit verhindert werden können. Die verzögerte Operation sei als Ursache für eine deutlich schlechtere Ausgangssituation zu sehen, welche wiederum für die eingeschränkte Funktion des Zeigefingers im Endresultat entscheidend sei. Schlüsselwörter Arzthaftungsprozess · Behandlungsfehler · Komplikation · Operative Exploration · Spritzpistolenverletzung

High-pressure injection injury of the hand. Underestimation of injury severity Abstract A 44-year-old man sustained a high-pressure injection injury of the left index finger with hot hydraulic oil in an occupational accident. On presentation to the occupational physician 4 h later the wound was irrigated and cleaned. At this time X-ray diagnostics, wound revision, administration of antibiotics and immobilization were not performed. The following day the patient presented to a hospital with painful swelling and reddening of the left index finger where an emergency surgical wound revision, administration of antibiotics and immobilization of the finger were performed due to a phlegmon of the flexor tendon. Despite subsequent revision operations, necrosis of the flexor tendon sheath occurred with a skin subcutis defect necessitating a full thickness skin trans-

de zu einer klinischen Verschlechterung führen, sodass das Behandlungsergebnis oft von bleibenden Schäden, wie z. B. Funktionseinbußen der Hand [6] bis hin zu einer Amputationsrate von 30–50% [5, 7] geprägt ist. Die klinische Entwicklung hängt von der Art, der Viskosität, dem Volumen der injizierten Substanz aber auch von dem Druck, mit dem die Injektion appliziert wurde, ab. So können Hydraulikölsysteme Druckwerte von 600–12.000 psi (ca. 40–800 bar) erzeugen, die ein Durchdringen von Schutzhandschuhen und Schutzkleidung ermöglichen [8]. Nach Perfora-

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plantation and ultimately operative fusion of the distal interphalangeal joint of the index finger. After a total period of treatment of 9 months the patient still presented with local soft tissue swelling and paresthesia as well as a limited range of motion of the proximal interphalangeal joint. The patient filed a complaint for wrong treatment of the high-pressure injection injury in terms of an inaccurate examination and lack of administration of antibiotics at the first presentation. The expert opinion of the arbitration board ascertained medical malpractice at the first presentation. An emergency surgical wound revision had already been indicated at the first presentation and the revision procedures would have been less extensive and it was highly probability that

tion der Haut können die Schmierstoffe sich entlang der Faszien und Sehnenscheiden gemäß dem Weg des geringsten Widerstands ausbreiten. Durch Kompression der Gefäß-Nerven-Bündel können Gefäßspasmen und Mikrothrombosen ausgelöst werden, die in einer Gewebeischämie resultieren können [2]. Einen weiteren pathophysiologischen Faktor stellt die chemische Beschaffenheit der injizierten Substanz dar. Verschiedene Stoffe besitzen zytotoxische Eigenschaften, die durch eine Gewebezerstörung Nekrosen mit konsekutiver Inflammation auslösen können, welche zu einer Fibrose

surgical fusion of the distal interphalangeal joint could have been avoided. The arbitration furthermore concluded that iatrogenic maltreatment led to a phlegmon of the flexor tendon with the need for subsequent revision operations including surgical fusion of the distal interphalangeal joint which resulted in an affected grip control. The delay in surgical treatment must be considered as the reason for the much worse initial situation that finally led to the functional impairment of the left index finger. Keywords Medical malpractice claim · Treatment error · Complication · Explorative operation · Injection pistol injury

mit persistierender Funktionseinschränkung führen können [2, 9]. Ein zusätzliches Risiko stellt die Gefahr einer Weichteilgewebsinfektion dar. Neben einer primären Infektion im Rahmen der Injektion besteht ein hohes Risiko einer sekundären Infektion, welche v. a. auf dem Boden des ischämischen und nekrotischen Weichteilgewebes entstehen kann. Rappold u. Rosenmayr [6] unterscheiden in den ersten 24 h einer Hochdruckinjektionsverletzung eine Initialphase von einer Ischämiephase. In der ca. 4 h andauernden Initialphase, in der lediglich unspezifische Symptome wie eine gelegent-

liche Blässe oder ein subjektives Taubheits- oder Schwellungsgefühl des betroffenen Fingers auftreten, kann oft nur ein adäquates Röntgenbild das Ausmaß der Verletzung offenlegen. Bei röntgendichten Substanzen kann die Verteilung im Weichteilgewebe festgestellt werden, während sich bei röntgenstrahlendurchlässigen Substanzen ein subkutanes Emphysem zeigen kann [2]. Auf die Initialphase folgt die Ischämiephase mit der Gefahr zirkulationsbedingter, irreversibler Schäden. Die zunehmende Ausbildung eines toxischen Ödems führt zwischen der 4. und der 24. Stunde nach dem Trauma zu einer kritischen Druckerhöhung im Weichteilgewebe, welche zu Zirkulationsund Perfusionsstörungen bis hin zur Gangrän führen kann. Somit stellt die Latenz zwischen dem Unfall und der Einleitung einer adäquaten Therapie einen entscheidenden prognostischen, aber auch beeinflussbaren Faktor dar. Unter allen Erstmaßnahmen ist die chirurgische Intervention der Schlüssel zum Erfolg [6, 10]. Eine Verzögerung um mehr als 6 h führte nach Hogan u. Ruland [5] zu einem signifikanten Anstieg der Amputationsrate. Neben Scharizer [11], wie bereits von der Schlichtungsstelle aufgeführt, beschrieben verschiedene Autoren geringe Erfolgsaussichten hinsichtlich des Erhalts eines Fingers bereits jenseits der 4-h-Grenze [12, 13]. So muss die chirurgische Erstversorgung einer Hochdruckinjektionsverletzung trotz scheinbar harmlosem, klinischem Befund ein ausgedehntes Débridement, die sorgfältigste Entfernung der eingedrungenen Substanz, eine ausgiebige Spülung des Weichteilgewebes sowie die Einlage einer Spüldrainage oder eine offene Wundbehandlung umfassen [14]. Nur durch eine möglichst vollständige Entfernung der eingedrungenen Substanz können fortlaufende inflammatorische Gewebereaktionen wie die Ausbildung von Nekrosen limitiert werden. Eine initiale Antibiotikagabe als supportive Maßnahme wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Rappold u. Rosenmayr [6] sehen diese nur für sinnvoll an, wenn die injizierte Substanz als kontaminiert gilt (wie z. B. Sand oder Zement). Die große Mehrheit der Autoren empfiehlt allerdings die Gabe eines Breitspek-

trumantibiotikums zur Abdeckung von sowohl grampositiven als auch gramnegativen Keimen [2, 10, 15, 16]. Die initiale posttraumatische Ruhigstellung der verletzten Extremität ist wie bei allen Fingerinfektionen indiziert [17]. Postoperativ soll bei Hochdruckinjektionsverletzungen allerdings eine frühzeitige, angeleitete Mobilisierung zur Verhinderung der Ausbildung von Narbensträngen, Sehnenverklebungen sowie einer Steifigkeit der Fingergelenke durchgeführt werden [2, 6, 18]. Bezüglich der Einleitung einer Kortikosteroidtherapie werden in der Literatur verschiedene Ansichten diskutiert. Neben den Vorteilen, wie der Hemmung der inflammatorischen Antwort auf die toxische injizierte Substanz [19], müssen auch die Nachteile wie die Unterdrückung der Leukozytenmigration mit erhöhtem Infektionsrisiko [2] berücksichtigt werden. So lehnt die Mehrheit der Autoren eine additive Kortikosteroidtherapie ab [6, 15]. Hogan u. Ruland [5] empfehlen die Anwendung von Kortikosteroiden bei Injektionsverletzungen mit organischen Lösungsmitteln aufgrund einer in Tierstudien gezeigten inflammatorischen Suppression ohne Einfluss auf das Bakterienwachstum. Bei dem oben geschilderten Fall hätte bereits bei der initialen Vorstellung ca. 4 h nach dem Unfall eine operative Exploration mit ausführlichem Débridement, Lavage, Entfernung des Fremdmaterials sowie der Einlage einer Drainage bzw. einer offenen Wundbehandlung stattfinden müssen, da sich bei Hochruckinjektionsverletzungen das funktionelle Resultat mit zunehmender Verzögerung einer chirurgischen Intervention verschlechtert. Ein Ausspülen und Tamponieren der Wunde stellte keine suffiziente Erstbehandlung dar. Da die bereits zu Beginn erforderliche Operation erst nach 20 h, also gegen Ende der Ischämiephase, in der bereits irreversible Schäden auftreten können, erfolgte, musste schon zu diesem Zeitpunkt mit einem zukünftig beeinträchtigten funktionellen Ergebnis bis hin zu einer möglichen Amputation des Fingers im Verlauf gerechnet werden.

Fazit für die Praxis Hochdruckinjektionsverletzungen der Hand werden aufgrund ihrer Seltenheit und dem initial meist harmlos wirkenden Lokalbefund häufig als Bagatellverletzung eingestuft und dadurch wesentlich unterschätzt. In den ersten Stunden nach der Verletzung kann oft nur eine adäquate Röntgenuntersuchung das Ausmaß der Verletzung darstellen. Bei Hochdruckinjektionsverletzungen ist die Indikation zur notfallmäßigen operativen Exploration in jedem Fall gegeben, da eine Verzögerung der chirurgischen Therapie im Verlauf zu dauerhaften funktionellen Einschränkungen bis hin zum Verlust des Fingers führen kann.

Korrespondenzadresse M. Beirer Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie, Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München Ismaninger Str. 22, 81675 München [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt.  M. Beirer, S. Deiler und J. Neu geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

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A 44-year-old man sustained a high-pressure injection injury of the left index finger with hot hydraulic oil in an occupational accident. On presentat...
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