Originalarbeit | Original article

1869

Versorgungsprozesse von Patienten mit Verdacht auf Sepsis in einer deutschen Notaufnahme Health care situation of patients with suspected sepsis in a German emergency department

Autoren

F. Geier1,4 Y. Greve1 S. Popp1 A. Achterberg1 E. Glöckner1 R. Ziegler2 H.J. Heppner3 H. Mang4 M. Christ1

Institut

1 Klinik für Notfall- und Internistische Intensivmedizin, Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Nürnberg 2 Institut für Mikrobiologie und Hygiene, Klinikum Nürnberg 3 Lehrstuhl für Geriatrie, Universität Witten/Herdecke 4 Masterstudiengang M.Sc. Medical Process Management, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Hintergrund und Fragestellung: Patienten mit schwerer Sepsis bzw. septischem Schock (sSsS) weisen eine hohe Krankenhaussterblichkeit auf. Über die Versorgungsabläufe von Sepsispatienten in deutschen Notaufnahmen ist bislang wenig bekannt. In der vorliegenden Untersuchung wird analysiert, ob Sepsispatienten leitliniengerecht versorgt werden, in welche Versorgungsstrukturen die Notfallpatienten aufgenommen werden und wie hoch die Krankenhaussterblichkeit der betroffenen Patienten ist. Methodik, Patienten: In einer monozentrischen, prospektiven Beobachtungsstudie untersuchten wir zwischen August und September 2012 konsekutive Patienten in der Notaufnahme eines Krankenhauses der Maximalversorgung mit der Verdachtsdiagnose einer Sepsis. Ergebnisse: Bei 151 Patienten bestand die Verdachtsdiagnose einer Sepsis (Alter 68,3 ± 18 Jahre, 54,3 % Männer; 45 % mit sSsS; Krankenhaussterb-

lichkeit der Gesamtkohorte 14,6 %). Das 3-Stunden-Maßnahmenbündel der Surviving Sepsis Campaign (Laktat-Messung, Blutkultur-Entnahme, antimikrobielle Therapie und Volumengabe) wurde bei 54,2 % der Patienten mit sSsS ausgeführt. Beim Patienten mit sSsS wurde die antimikrobielle Therapie in 84,5 % der Fälle in der Notaufnahme eingeleitet. Patienten mit sSsS wurden in 67,2 % der Fälle auf eine Normalstation verlegt, 32,8 % der Patienten mit sSsS gingen einer Intensiv- oder Intermediate Care Einheit zu. 27,8 % der Patienten mit sSsS starben im Laufe ihrer Indexhospitalisierung. Folgerung: Trotz des hohen Sterblichkeitsrisikos werden gut zwei Drittel der Patienten mit sSsS von der Notaufnahme auf eine Normalstation verlegt. Wir sehen einen erheblichen Handlungsbedarf im frühzeitigen Erkennen von Sepsispatienten in der Notaufnahme, der entsprechenden Risikostratifizierung sowie der zeitnahen Verlegung in eine adäquate Versorgungsstruktur.

Einleitung ▼ Die Definition von Sepsis und das damit verbundene hohe Mortalitätsrisiko ist vielen medizinischen Laien, aber auch Ärzten und Pflegenden nur unzureichend bekannt: „Sepsis ist eine komplexe systemische inflammatorische Wirtsreaktion auf eine Infektion“, die durch ihren systemischen Charakter die Funktionalität des Organismus erheblich stören kann [11]. Martin et al. berichten von einem jährlichen Anstieg der Inzidenz der Sepsis um 13,7 % [17]. Die Krankenhaussterblichkeit einer schweren Sepsis bzw. eines septischen Schocks liegt bei 55,2 % [6]. Mit 59 344 Todesfällen pro Jahr ist die schwere Sepsis zwischenzeitlich die dritthäufigste Todesursache in Deutschland [2]. Ähnlich wie beim akuten Myokardinfarkt, Schlaganfall oder Polytrauma, ist auch bei einer Sepsis der Zeitpunkt der ■

initialen Diagnostik und Therapieeinleitung entscheidend für den Behandlungserfolg [19]. Bessere Ergebnisse können erzielt werden, wenn eine Sepsis frühzeitig erkannt wird, die richtige Therapie zeitnah begonnen und leitliniengerecht durchgeführt wird. Kumar et al. geben an, dass bei Sepsispatienten mit einer Hypotension ein verzögerter Beginn der antimikrobiellen Therapie mit einer Reduktion der Überlebenswahrscheinlichkeit um durchschnittlich 7,6 % pro Stunde einhergeht [14]. Die „International Guidelines for Management of Severe Sepsis and Septic Shock: 2012“ [5] fassen die Empfehlungen zur initialen Diagnostik und Therapie von schwer erkrankten Sepsispatienten zusammen. Während Daten zur qualitativen Ver-

Intensivmedizin, Infektiologie, Versorgungsforschung Originalarbeit | Original article

Schlüsselwörter Sepsis Notaufnahme leitliniengerechte Versorgung Verlegungspraxis Krankenhaussterblichkeit

q q q q q

Keywords sepsis emergency department guideline-based health care disposition in-hospital mortality

q q q q q

eingereicht 01.10.2013 akzeptiert 13.03.2014 Bibliografie DOI 10.1055/s-0034-1387236 Dtsch Med Wochenschr 0 2014; 1390 0:1869–1875 · © Georg Thieme Verlag KG · Stuttgart · New York · ISSN 0012-04721439-4 13 Korrespondenz Felicitas Geier Klinik für Notfall- und Internistische Intensivmedizin Klinikum Nürnberg Prof.-Ernst-Nathan-Str. 1 90419 Nürnberg Tel. 0911/398-5561 Fax 0911/398-5560 eMail felicitas.geier@ klinikum-nuernberg.de

Korrekturexemplar: Veröffentlichung (auch online), Vervielfältigung oder Weitergabe nicht erlaubt! ■

Heruntergeladen von: University of Florida. Urheberrechtlich geschützt.

Zusammenfassung ▼

Originalarbeit | Original article

sorgung von Patienten mit Sepsis auf Intensivstationen vielfach präsentiert und diskutiert wurden [8, 15, 18], liegen nur unzureichende Informationen zur Versorgung von Notfallpatienten mit Sepsis vor. In der vorliegenden Arbeit wird analysiert, in welchem Ausmaß und in welchem Zeitfenster leitlinienkonforme Maßnahmen bei Verdacht auf Sepsis in einer deutschen Notaufnahme durchgeführt werden und wie der weitere Versorgungsprozess im Krankenhaus einschließlich der Krankenhaussterblichkeit ist.

Material und Methoden ▼ Studiendesign und Studienort Unsere Studie ist eine monozentrische, prospektive Beobachtungsstudie von Patienten, die zwischen dem 1. August 2012 und dem 30. September 2012 mit Verdacht auf Sepsis in die Notaufnahme eines kommunalen Krankenhauses der Maximalversorgung gekommen sind. Die Demographie, Grundcharakteristika und Behandlungsdaten der Studienpatienten wurden in eine Datenbank aufgenommen; eine studienbedingte Intervention wurde nicht vorgenommen. Die Erhebung wurde nach den Empfehlungen der Deklaration von Helsinki durchgeführt und erhielt ein positives Votum der Ethikkommission der FriedrichAlexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

Selektion der Studienpatienten Eingeschlossen wurden alle volljährigen Notfallpatienten mit Verdacht auf Sepsis. Das Einschlusskriterium Verdacht auf Sepsis war dann erfüllt, wenn mindestens zwei der vier „Systemic Inflammatory Response Syndrome“ [1] (SIRS)-Kriterien vorlagen und/oder eine potenziell systemische Infektion, eine Sepsis, eine schwere Sepsis oder ein septischer Schock vermutet wurde. Für die standardisierte Patientenidentifizierung wurde im Rahmen der pflegerischen bzw. ärztlichen Aufnahme ein Sepsis-Screening-Bogen verwendet (siehe online unter http://dx.doi.org/10.1055/s-0034-1387236). Parallel zu dieser Screening-Methode fand täglich eine manuelle Recherche der Patientenunterlagen des jeweiligen Vortages statt.

Zielvariablen Die zu erfüllenden diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen bei Patienten mit Verdacht auf Sepsis wurden der aktuellen Leitlinie entnommen [5]. In dieser Version werden die bisherigen Maßnahmenbündel „Sepsis Resuscitation Bundle“ (bekannt als 6-Stunden-Bundle) und „Sepsis Management Bundle“ (bekannt als 24-Stunden-Bundle) durch eine neue Vorgehensweise abgelöst. Innerhalb der ersten 3 Stunden nach Vorstellung des Patienten mit schwerer Sepsis bzw. septischem Schock (sSsS) sind folgende zeitsensitive Maßnahmen zu ergreifen: 1. Laktat-Messung 2. Entnahme von Blutkulturen (vor der Gabe der empirisch kalkulierten antimikrobiellen Therapie) 3. Gabe von Breitbandantibiotika 4. Volumengabe (30 ml/kg Körpergewicht (KG)/h kristalloides Volumen) im Falle einer arteriellen Hypotension (systolischer RR ≤ 100 mmHg) oder Laktatwerten ≥ 4 mmol/L [5]. Drei weitere Maßnahmen sind während eines 6-stündigen Zeitraums durchzuführen: 1. Gabe von Vasopressoren (bei anhaltender Hypotension), Ziel: MAP ≥ 65 mmHg

2. im Falle einer anhaltenden Hypotension und einem initialen Laktat von ≥ 4 mmol/L: Messung des zentralvenösen Drucks, Messung der zentralvenösen Sauerstoffsättigung 3. Wiederholung der Laktat-Messung bei initial erhöhtem Laktat [5]. In der vorliegenden Arbeit soll der Erfüllungsgrad der für die Notaufnahme maßgeblichen Bundle-Elemente 1–4 untersucht werden. Weiterhin wurde geprüft, in welchem Zeitraum die Bundle-Elemente 1–4 durchgeführt wurden, wobei die Angaben bzgl. der Zeitspannen jeweils die Zeit in Minuten zwischen der administrativen Aufnahme in der Notaufnahme und der Durchführung der jeweiligen diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen wiedergeben. Außerdem wurden folgende Endpunkte für Patienten mit Verdacht auf Sepsis festgelegt und analysiert: 3 Disposition aus der Notaufnahme, 3 Notwendigkeit einer intensivmedizinischen Versorgung, 3 Krankenhaussterblichkeit im Laufe der Indexhospitalisierung, 3 Krankenhausverweildauer, 3 Verweildauer auf der Intensivstation (ICU).

Adjudizierte finale Diagnose der Sepsis Die adjudizierte finale Diagnose wurde nach den Kriterien der Sepsisleitlinie [5] unabhängig von zwei erfahrenen Intensivund Notfallmedizinern gestellt. Diagnoserelevant waren hierbei alle zur Verfügung stehenden Parameter während des gesamten Krankenhausaufenthalts einschließlich der Nachbeobachtung des Patienten.

Statistische Analyse Die statistischen Analysen wurden mithilfe des Softwarepakets SPSS Statistics Version 20 (IBM, München) durchgeführt. Die Ergebnisse sind im Falle kontinuierlicher Variablen als Mittelwerte ± Standardabweichung dargestellt, Angaben bezüglich Verweildauern oder Zeitspannen als Mediane. Im Falle kategorialer Variablen sind die Ergebnisse als absolute und relative Häufigkeiten dargestellt. Mittelwertvergleiche zwischen zwei (bzw. mehr als zwei) unverbundenen Stichproben wurden im Falle nicht normalverteilter oder ordinalskalierter Merkmale mit dem Mann-Whitney-U-Test (bzw. mit dem H-Test nach Kruskall und Wallis) durchgeführt. Im Falle nominalskalierter Daten wurde der Pearson’s Chi-Quadrat-Test verwendet, sofern die erwartete Häufigkeit über 5 lag. Ansonsten kam der exakte Fisher-Test zur Anwendung. Die dargestellten p-Werte (Signifikanzniveau p ≤  0,05) dienen der Sichtbarmachung von Unterschieden zwischen den einzelnen Patientengruppen und wurden nicht nach Bonferroni korrigiert.

Ergebnisse ▼ 151 konsekutive Notfallpatienten mit Verdacht auf Sepsis wurden analysiert. Darunter waren 72 Patienten mit schwerer Sepsis bzw. septischem Schock, 53 Patienten mit einfacher Sepsis (ohne Organdysfunktion) und 26 Patienten, bei denen sich der Verdacht auf eine Sepsis nicht bestätigte. q Tab. 1 stellt die Demographie und Grundcharakteristika des untersuchten Patientenkollektivs dar. Die Krankenhaussterblichkeit der Gesamtkohorte lag bei 14,6 %. 27,8 % der Patienten mit schwerer Sepsis bzw. septischem Schock starben im Laufe der Indexhospitalisie-

Dtsch Med Wochenschr 2014; 139: 1869–1875 · F. Geier et al., Versorgungsprozesse von Patienten …

Heruntergeladen von: University of Florida. Urheberrechtlich geschützt.

1870

Originalarbeit | Original article

Tab. 1

1871

Demographie und Grundcharakteristika von Patienten mit Verdacht auf Sepsis in der Notaufnahme, dargestellt nach der adjudizierten finalen Diagnose.

Variable

Gesamtkohorte (n = 151)

keine Sepsis (n = 26)

Sepsis (n = 53)

sSsS (n = 72)

p

3 Alter

68,3 ± 18

58,8 ± 17,9

64,5 ± 20,6

74,6 ± 13,3

[Health care situation of patients with suspected sepsis in a German emergency department].

The in-hospital mortality of patients with severe sepsis and septic shock (ssss) is high. Of note, little is known about the health care situation of ...
327KB Sizes 0 Downloads 3 Views